|
|
|
Die Revision des FA hat Erfolg, wohingegen die Revision der Klägerin zurückzuweisen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
|
|
Das FG hat zutreffend angenommen, dass das FA den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid erlassen durfte. Auch die Zinsen sind jedoch einzubeziehen. |
|
|
1. Das FA war berechtigt, auf den gemäß § 184 Abs. 1 InsO erhobenen Widerspruch der Klägerin gegen die Anmeldung der Umsatzsteuerforderungen (einschließlich Zinsen) zur Insolvenztabelle nach § 251 Abs. 3 AO festzustellen, dass es sich dabei um Forderungen i.S. des § 174 Abs. 2, § 175 Abs. 2, § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO handelt. |
|
|
Die Feststellung war erforderlich ("erforderlichenfalls"), weil die Klägerin dem Rechtsgrund der Steuerstraftat widersprochen hat. |
|
|
Für Forderungen aus vorsätzlich begangener Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 1. Alternative InsO hat der BGH bereits mehrfach entschieden, dass ein isolierter Widerspruch gegen den Rechtsgrund möglich ist (BGH-Urteile vom 18. Mai 2006 IX ZR 187/04, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2006, 2922; vom 18. Januar 2007 IX ZR 176/05, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht –NJW-RR– 2007, 991; BGH-Beschluss in ZInsO 2014, 1055). Dies ist auf die Fälle der Steuerstraftaten nach § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO zu übertragen. |
|
|
Hat der Schuldner eine Forderung bestritten, kann der Gläubiger nach § 184 Abs. 1 Satz 1 InsO Klage auf Feststellung der Forderung erheben. Ist für die Feststellung der Forderung der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben, kann das FA die Feststellung selbst vornehmen (§ 251 Abs. 3 AO). Für die Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) sind die ordentlichen Gerichte nicht zuständig (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO). |
|
|
Wenn auch der Streit um die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung vor den Zivilgerichten zu führen ist (BGH-Beschluss vom 2. Dezember 2010 IX ZB 271/09, ZInsO 2011, 44), ist dies nicht auf § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO zu übertragen, weil es dort nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat, sondern um die Feststellung einer rechtskräftigen Verurteilung geht. Diese Vorfrage haben die zuständigen Strafgerichte bereits geklärt. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Straftat feststellen zu müssen (BTDrucks 17/11268, S. 32). |
|
|
Die Klägerin ist auch nicht durch eine angebliche Verkürzung des Rechtswegs benachteiligt. Gegen den Feststellungsbescheid konnte sie Einspruch einlegen und Klage zum FG erheben. Hätte das FA Feststellungsklage zum Amts- bzw. Landgericht (LG) erheben müssen, hätte sich die Klägerin in dem entsprechenden Gerichtsverfahren wehren können. In beiden Fällen käme es zu einer richterlichen Überprüfung der Frage, ob eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Steuerstraftat vorliegt. |
|
|
2. Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin in Zusammenhang mit den Umsatzsteuer-Forderungen für die Jahre 2005 bis 2006 und 2008 bis 2009 rechtskräftig verurteilt worden ist. |
|
|
a) Da die Klägerin gegen den Strafbefehl nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, steht der Strafbefehl einem Urteil gleich (§ 410 Abs. 3 der Strafprozessordnung –StPO–). |
|
|
b) Die Klägerin ist wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt, obwohl neben dem Schuldspruch eine Strafe zwar bestimmt, die Verurteilung zu dieser Strafe jedoch lediglich vorbehalten blieb. Für den Fall einer Insolvenzstraftat (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO) hat der BGH diese Frage ausdrücklich bejaht und sich mit der abweichenden Ansicht im Schrifttum auseinandergesetzt (vgl. BGH-Beschluss vom 16. Februar 2012 IX ZB 113/11, NJW 2012, 1215; LG Offenburg, Beschluss vom 14. Februar 2011 4 T 33/11, ZInsO 2011, 542). Da § 290 Abs. 1 Nr. 1 und § 302 Nr. 1 InsO im Wortlaut "rechtskräftig … verurteilt" übereinstimmen, sieht der Senat keinen Anlass für eine abweichende Auslegung. |
|
|
c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert keine einschränkende Auslegung des § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO, wie sie die Klägerin fordert. |
|
|
Der Wortlaut der Vorschrift sieht keine Bagatellgrenze vor. Die Bagatellgrenze in § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten) wurde durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 –RestSchBefrVerfG– (BGBl I 2013, 2379) mit Wirkung zum 1. Juli 2014 eingeführt. Mit demselben Gesetz hat der Gesetzgeber § 302 Nr. 1 InsO um die Steuerstraftaten ergänzt, ohne diesbezüglich eine Bagatellgrenze vorzusehen. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden. Der Gesetzgeber kannte die Rechtsprechung des BGH, wonach geringfügige Pflichtverletzungen nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen sollten (BGH-Beschluss in NJW 2012, 1215, Rz 13, m.w.N.). Die Folgen nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind außerdem gravierender, weil die Restschuldbefreiung vollständig versagt wird, wohingegen § 302 Nr. 1 InsO nur Ausnahmen von der Restschuldbefreiung für bestimmte Forderungen vorsieht. |
|
|
d) Trotz Tilgung der Eintragung im Bundeszentralregister (§ 12 Abs. 2 Satz 2 des Bundeszentralregistergesetzes) liegt weiterhin eine Verurteilung nach § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO vor. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es auf die Tilgung nicht an. Zwar hatte sich der BGH vor der Änderung des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch das RestSchBefrVerfG für Einschränkungen bei Tilgungsreife der Eintragungen im Bundeszentralregister ausgesprochen (BGH-Beschluss in NJW 2012, 1215). In der Folge hatte der Gesetzgeber durch die Einführung einer fünfjährigen Frist in § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO klargestellt, dass eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht mehr auf Verurteilungen gestützt werden kann, die länger als fünf Jahre zurückliegen. Eine solche zeitliche Einschränkung enthält § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO jedoch nicht. Das ist nicht unverhältnismäßig, weil § 302 Nr. 1 InsO nur den Ausschluss einzelner Forderungen aus der Restschuldbefreiung betrifft und zeitliche Grenzen der Geltendmachung durch Festsetzungs- und Zahlungsverjährung bestehen. |
|
|
3. Schließlich liegt auch keine unzulässige Rückwirkung vor, obwohl die in dem Strafbefehl festgelegte Bewährungszeit im Juni 2014 –somit vor der Neufassung des § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO ab 1. Juli 2014– bereits abgelaufen war. Abzustellen ist nicht auf die Verwirklichung der Steuerstraftaten bzw. die Verurteilung, sondern auf den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung. |
|
|
Die neue Gesetzesfassung ist auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 30. Juni 2014 beantragt worden sind (Art. 103h des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung). Die Klägerin hat am 11. Oktober 2015 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. |
|
|
4. Allerdings hat das FG zu Unrecht die Zinsen nicht berücksichtigt. |
|
|
Obgleich in dem Strafbefehl die Zinsen nicht aufgeführt worden sind, fallen sie unter § 302 Nr. 1 3. Alternative InsO. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes. Zu den Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 AO nicht nur der Steueranspruch selbst, sondern auch die steuerlichen Nebenleistungen wie Verzögerungsgelder, Säumniszuschläge, Zwangsgelder und Zinsen. Durch die Formulierung "sofern der Schuldner in Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat … rechtskräftig verurteilt worden ist" sollen auch Nebenleistungen berücksichtigt werden. Die Gesetzgebungsgeschichte bekräftigt dieses Ergebnis. In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 302 InsO (BTDrucks 17/11268, S. 32) heißt es: "Der Unrechtsgehalt der genannten Straftaten rechtfertigt es, die in diesem Zusammenhang bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners dem unbegrenzten Nachforderungsrecht des Fiskus zu unterwerfen." Der Gesetzgeber wollte sich mithin nicht auf die hinterzogenen Steuern beschränken. |
|
|
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. |
|