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II. Die Revisionen des HZA und der Klägerin sind begründet; sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Entgegen der Auffassung des FG hat das HZA die Energiesteuer für die im Kalenderjahr 2009 gelieferten und dem Leitungsnetz entnommenen, jedoch von der Klägerin nicht angemeldeten Erdgasmengen aufgrund der Ergebnisse des Berichts über die Außenprüfung zu Recht neu festgesetzt. Allerdings hat es dabei zu Unrecht die im Kalenderjahr 2008 gelieferten Erdgasmengen bei der Neufestsetzung unberücksichtigt gelassen. |
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1. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG entsteht die Energiesteuer für Erdgas dadurch, dass geliefertes oder selbst erzeugtes Erdgas im Steuergebiet zum Verbrauch dem Leitungsnetz entnommen wird, es sei denn, es schließt sich eine steuerfreie Verwendung nach § 44 Abs. 1 EnergieStG an. Dem Steuerschuldner steht es frei, die entstandene Steuer monatlich oder jährlich anzumelden (§ 39 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG). Entscheidet sich der Steuerschuldner für eine jährliche Anmeldung, ist die Steuer nach § 39 Abs. 3 EnergieStG für jedes Kalenderjahr (Veranlagungsjahr) bis zum 31. Mai des folgenden Kalenderjahres anzumelden. In der Steueranmeldung sind die im Veranlagungsjahr dem Leitungsnetz entnommenen Erdgasmengen anzugeben, für die die Steuer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG durch die Entnahme entstanden ist. |
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2. Für die Fälle der Anwendung eines rollierenden Abrechnungsverfahrens nach Ablesezeiträumen ermöglicht das in § 39 Abs. 6 EnergieStG normierte Verfahren eine veranlagungszeitraumübergreifende Ermittlung und Anmeldung der Steuer, wobei eine Schätzung der voraussichtlichen Verbrauchsmenge erforderlich ist. |
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a) Sofern ein Energieversorgungsunternehmen aufgrund seines Abrechnungsverfahrens –insbesondere aufgrund der über das gesamte Jahr verteilten Zählerablesung– nicht in der Lage ist, die Mengen an Erdgas, die in einem Kalenderjahr den jeweiligen Kunden geliefert worden sind, bis zum 31. Dezember des Kalenderjahres zuverlässig zu ermitteln, ist es nach § 39 Abs. 6 EnergieStG zulässig, anzumeldende Erdgasmengen auf der Grundlage einer Schätzung zu ermitteln. Hierzu bestimmt § 39 Abs. 6 Satz 1 EnergieStG, dass eine sachgerechte, von einem Dritten nachvollziehbare Schätzung zur Aufteilung der im gesamten Ablesezeitraum entnommenen Erdgasmenge auf die betroffenen Veranlagungszeiträume zulässig ist. Sofern Ablesezeiträume später enden als der jeweilige Veranlagungszeitraum, ist für diese Ablesezeiträume die voraussichtlich im Veranlagungszeitraum gelieferte und verwendete Erdgasmenge –bzw. nach dem Wortlaut der mit Wirkung vom 22. Juli 2009 geänderten Vorschrift "entnommene Erdgasmenge"– zur Versteuerung anzumelden. Für die geschätzte Erdgasmenge ist die Steuer nach Maßgabe des § 36 Abs. 3 EnergieStG anzumelden und zu entrichten. |
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Nach Beendigung des Ablesezeitraums hat der Steuerschuldner auf der Grundlage der im Veranlagungsjahr tatsächlich dem Leitungsnetz entnommenen Erdgasmenge die angemeldete Menge und die Steuer zu berichtigen (§ 39 Abs. 6 Satz 3 EnergieStG). Um eine Änderung der ursprünglichen Steueranmeldung zu vermeiden, wird nach § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG fingiert, dass die Steuer oder der Erstattungsanspruch für die Differenzmenge zwischen der angemeldeten und der berichtigten Menge erst in dem Zeitpunkt entstanden ist, in dem der Ablesezeitraum endet. Nach der Gesetzesbegründung entstehen in Hinblick auf die Berichtigungsmenge eigene Steueransprüche, so dass eine Korrektur der ursprünglichen Steueranmeldung nicht erforderlich ist (BTDrucks 16/1172, S. 47 zu § 8 Abs. 4a des Stromsteuergesetzes). |
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Somit ergibt sich bei einem rollierenden Abrechnungssystem nach § 39 Abs. 6 Satz 2 EnergieStG die Verpflichtung, die voraussichtlich im Veranlagungszeitraum entnommene Erdgasmenge fristgerecht zur Versteuerung anzumelden. In Bezug auf die Ermittlung der voraussichtlich entnommenen Erdgasmenge lässt § 39 Abs. 6 Satz 1 EnergieStG eine sachgerechte Schätzung zu, die von einem Dritten nachvollziehbar sein muss. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Aufteilung der im gesamten Ablesezeitraum entnommenen Erdgasmenge auf die betroffenen Veranlagungszeiträume zulässig (Schröer-Schallenberg in Bongartz/ Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG, StromStG, § 39 EnergieStG Rz 16). |
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b) Unterlässt der Steuerpflichtige eine solche Schätzung und meldet er lediglich die tatsächlich abgelesene und abgerechnete Erdgasmenge zur Versteuerung an, ist davon auszugehen, dass die Steuer für die nicht angemeldete Erdgasmenge nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG im Veranlagungsjahr entstanden und für dieses Jahr auch anzumelden ist. Denn in den Fällen, in denen der Steuerschuldner eine voraussichtlich entnommene Erdgasmenge nicht ermittelt und in der Steueranmeldung angegeben hat, kann es sich bei der von der Steueranmeldung noch nicht erfassten Erdgasmenge nicht um eine Differenzmenge i.S. des § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG handeln, bei der die Steuerentstehung infolge der angeordneten Fiktion auf den Zeitpunkt der Beendigung des Ablesezeitraums hinausgeschoben wird. Vielmehr sind nach dem Sinn und Zweck der Regelung die Voraussetzungen des Entstehungstatbestands nicht erfüllt. Mit der Einführung des Verfahrens hat der Gesetzgeber den praktischen Bedürfnissen der Energieversorgungsunternehmen entsprochen. Den Steuerpflichtigen, die rollierende Abrechnungssysteme anwenden, wird gestattet, für den Zeitraum vom letzten Zählerablesetag bis zum Jahresende zunächst nur eine realistische Schätzung des Verbrauchs der belieferten Kunden in die Steueranmeldung für dieses Jahr aufzunehmen (BTDrucks 16/1172, S. 47). Der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber den Energieversorgungsunternehmen über diese verfahrenstechnische Erleichterung hinaus weitere Vorteile, wie z.B. eine Verlängerung von Anmelde- und Zahlungsfristen, hat einräumen wollen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf nicht einmal durch Schätzung ermittelte und infolgedessen nicht angemeldete Verbrauchsmengen. Daher sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG nur dann erfüllt, wenn die angemeldete Steuer zumindest zu einem Teil auf einer Schätzung beruht und wenn sich nach dem Ende des Ablesezeitraums aufgrund der nunmehr feststehenden tatsächlichen Verbrauchsmengen eine Differenzmenge und das Erfordernis einer Berichtigung ergeben. Indes kann entgegen der Auffassung des FG die Regelung des § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG nicht auf solche Fälle angewendet werden, in denen wie im Streitfall von vornherein sämtliche noch nicht abgerechneten Erdgasmengen in der Steueranmeldung außer Ansatz geblieben sind. |
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3. Nach den dargestellten Grundsätzen hat das HZA die Energiesteuer für das Kalenderjahr 2009 aufgrund der Ergebnisse des Berichts der Außenprüfung zu Recht neu festgesetzt. |
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a) Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin ihr nach § 39 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG zustehendes Wahlrecht dahin ausgeübt, dass sie die Steuer jährlich anmeldet. Zudem wendet sie ein rollierendes Abrechnungsverfahren nach Ablesezeiträumen an, weshalb sie ausweislich des vom FG ausdrücklich in Bezug genommenen Prüfungsberichts in ihren betrieblichen Aufzeichnungen für den Jahresabschluss unter der Bezeichnung "Abgrenzung 2009" eine im Veranlagungsjahr zwar gelieferte, jedoch noch nicht abgerechnete und in der Steueranmeldung nicht angegebene Verbrauchsmenge in Höhe von 77 540,206 MWh ausgewiesen hat. Bei dieser Sachlage hätte für die Klägerin die Verpflichtung bestanden, die noch nicht abgelesene und abgerechnete Verbrauchsmenge zu schätzen und die auf diesem Wege ermittelte Erdgasmenge zur Versteuerung anzumelden. Dies hat sie jedoch unterlassen, so dass keine Differenzmenge i.S. des § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG vorliegt, weshalb der in dieser Vorschrift normierte Entstehungstatbestand nicht erfüllt ist. Vielmehr bleibt es hinsichtlich der in der Verbrauchsstatistik der Klägerin für das Kalenderjahr 2009 ausgewiesenen Menge von 77 540,206 MWh bei der Steuerentstehung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG, so dass hinsichtlich dieser Menge eine Änderung der erst für 2010 festgesetzten Steuer nicht in Betracht kommt. Vielmehr ist diese Menge in der Steueranmeldung für das Veranlagungsjahr 2009 zu berücksichtigen, so dass sich der angefochtene Änderungsbescheid insoweit als rechtmäßig erweist. |
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Allerdings ist dem vom FG ausdrücklich in Bezug genommenen Prüfbericht zu entnehmen, dass die Klägerin nicht nur die im Kalenderjahr 2009 tatsächlich abgerechneten Erdgasmengen, sondern auch abgerechnete Erdgaslieferungen des Jahres 2008 angemeldet hat. In der mündlichen Verhandlung hat das HZA bestätigt, die auf das Kalenderjahr 2008 entfallenden Erdgasmengen "stehen gelassen" zu haben. Dies wird durch den Inhalt des Änderungsbescheids bestätigt, der als bereits festgesetzte Erdgasmenge die Menge ausweist, die die Klägerin am 5. Februar 2010 tatsächlich angemeldet hat. Zu dieser Menge hinzugerechnet hat das HZA die im Prüfbericht als "Abgrenzung 2009" bezeichnete Verbrauchsmenge in Höhe von 77 540,206 MWh. Somit enthält der angefochtene Änderungsbescheid auch Erdgasmengen, die nicht in 2009, sondern in 2008 geliefert und dem Leitungsnetz entnommen worden sind. Für diese Mengen hätte die Klägerin nach § 39 Abs. 3 EnergieStG jedoch bereits in 2009 eine Steueranmeldung abgeben müssen, so dass eine von der Klägerin behauptete Überzahlung im Fall der Berücksichtigung dieser Mengen in der Steueranmeldung für 2010 nicht ausgeschlossen werden kann. Hinsichtlich dieses Überhangs fehlen jedoch Feststellungen des FG, so dass die Sache an dieses zurückverwiesen werden muss. |
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b) Soweit die Klägerin mit ihrer Revision geltend macht, ihr stehe hinsichtlich einer Erdgasmenge in Höhe von 1 881,70 MWh, die sie in der für das Kalenderjahr 2009 abgegebenen Steueranmeldung zu viel angegeben habe, ein Entlastungsanspruch zu, kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden, weil das FG den vermeintlichen Irrtum bei der Berechnung der Erdgasmenge nicht festgestellt hat. Vielmehr hat es ausgeführt, die Klägerin habe keine Beweise für ihre Behauptung bezeichnet, in ihrer Steueranmeldung eine Menge von 1 881,70 MWh zu viel angegeben zu haben. Auch dem Prüfungsbericht ließen sich keine dahingehenden Feststellungen der Prüferin entnehmen. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat die Klägerin hinsichtlich ihres Vorbringens keine Beweisanträge gestellt. Verfahrensrügen hat sie mit ihrer Revision nicht erhoben. Ihre Behauptung, eine solche Mengenabweichung hätten die Parteien im Rahmen der Prüfung festgestellt, wird durch den Inhalt der Einspruchsentscheidung widerlegt, nach der der Bericht über die Außenprüfung keinen Hinweis auf etwaige Fehler bei der Datenerhebung enthält. |
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Da das FG zum Anwendungsbereich des in § 39 Abs. 6 Satz 5 EnergieStG normierten Steuerentstehungstatbestands eine von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats abweichende Auffassung vertreten hat, ist das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und aus den bereits dargelegten Gründen an das FG zurückzuverweisen. |
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. |
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