VIII R 48/10 – Geltendmachung eines Investitionsabzugsbetrags nach Abschluss der begünstigten Investition

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.1.2012, VIII R 48/10

Geltendmachung eines Investitionsabzugsbetrags nach Abschluss der begünstigten Investition

Leitsätze

1. Ob eine "künftige" Anschaffung i.S. des § 7g EStG gegeben ist, ist aus der Sicht am Ende des Gewinnermittlungszeitraums zu beurteilen, für den der Investitionsabzugsbetrag geltend gemacht wird.

2. Das Wahlrecht gemäß § 7g EStG kann noch nach Einlegung des Einspruchs ausgeübt werden.

3. Schafft der Steuerpflichtige ein Wirtschaftsgut an, bevor er dafür mit seiner Steuererklärung oder mit einem nachfolgenden Einspruch einen Investitionsabzugsbetrag geltend macht, ist es nicht erforderlich, dass er im Zeitpunkt der Anschaffung die Absicht hatte, den Investitionsabzugsbetrag in Anspruch zu nehmen.

Tatbestand

 
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt als Sachverständiger Einkünfte aus nichtselbständiger und aus selbständiger Arbeit. Seine selbständig erzielten Einkünfte ermittelt er nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmenüberschussrechnung.
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In seiner am 11. Dezember 2008 abgegebenen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2007) machte er die Gewährung von Investitionsabzugsbeträgen nach § 7g EStG geltend für einen PC, einen Laptop und einen Bildschirm. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) veranlagte den Kläger erklärungsgemäß. Mit seinem gegen den Steuerbescheid vom 29. Januar 2009 gerichteten Einspruch vom 23. Februar 2009 begehrte der Kläger nunmehr einen weiteren Investitionsabzugsbetrag von 15.500 EUR für ein am 10. Dezember 2008 zum Preis von 38.753,79 EUR angeschafftes Kraftfahrzeug (PKW).
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Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 2076 veröffentlichten Urteil aus, der Abzugsbetrag sei jedenfalls dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige die Investition vor Einreichung der Steuererklärung bereits getätigt habe, ohne sie jedoch in der Erklärung geltend zu machen. Der erforderliche Finanzierungszusammenhang zwischen dem Investitionsabzugsbetrag und der Investition setze voraus, dass die Absicht der Inanspruchnahme des Abzugsbetrags spätestens im Zeitpunkt der Anschaffung des Wirtschaftsguts vorliege. Das schließe es nicht aus, den Abzugsbetrag mit einer erst nach Anschaffung oder Herstellung des betreffenden Wirtschaftsguts eingereichten Steuererklärung geltend zu machen. Bei nachträglicher Geltendmachung im Einspruchs- oder Klageverfahren sei hingegen im Zweifel davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Investition noch nicht entschlossen gewesen sei, den Abzugsbetrag als Finanzierungshilfe zu nutzen.
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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 7g EStG. Er beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 29. Januar 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2009 die Einkommensteuer für 2007 unter Berücksichtigung eines weiteren Investitionsabzugsbetrags von 15.500 EUR auf 16.745 EUR festzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Klagestattgabe (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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1. Die Inanspruchnahme eines Investitionsabzugsbetrags nach § 7g EStG gehört zu den zeitlich unbefristeten Wahlrechten, die formell bis zum Eintritt der Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung ausgeübt werden können, auf welche sie sich auswirken sollen (vgl. zu § 7g EStG a.F. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21. September 2005 X R 32/03, BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66; vom 17. Juni 2010 III R 43/06, BFHE 230, 517, BFH/NV 2011, 104, m.w.N.). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass insoweit die formellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des streitbefangenen Abzugsbetrags erfüllt sind.
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2. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Investitionsabzugsbetrags liegen im Streitjahr vor.
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a) Ein Investitionsabzugsbetrag wird gewährt für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens (§ 7g Abs. 1 Satz 1 EStG). Maßgeblich ist dabei die Sicht am Ende des Wirtschaftsjahres, für das der Steuerpflichtige den Abzugsbetrag geltend macht (BFH-Urteil in BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66; Schmidt/ Kulosa, EStG, 30. Aufl., § 7g Rz 18). Die aus dieser Sicht "künftige" Anschaffung kann bei Abgabe der Steuererklärung für das Abzugsjahr zwischenzeitlich –wie im Streitfall– bereits erfolgt sein. Es ist mithin für die Gewährung des Abzugsbetrags grundsätzlich nicht von Bedeutung, ob die Investition im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung tatsächlich schon vorgenommen war (BFH-Urteil vom 8. Juni 2011 I R 90/10, BFH/NV 2011, 1594, BFHE 234, 130; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7g Rz 18; Kratzsch in Frotscher, EStG, Freiburg 2012, § 7g Rz 30).
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b) Zu Unrecht versagt das angefochtene Urteil den Investitionsabzugsbetrag mit der Begründung, es fehle an dem notwendigen Finanzierungszusammenhang zwischen der Investition (Anschaffung des PKW) und der aus dem geltend gemachten Abzugsbetrag resultierenden Steuererleichterung.
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aa) Es kann dahinstehen, ob die von der Rechtsprechung zu § 7g EStG a.F. aus dem Gesetzeszweck hergeleitete Voraussetzung des Finanzierungszusammenhangs (Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7g Rz 16) bei Anwendung und Auslegung der Vorschrift in der auch für das Streitjahr geltenden umgestalteten Fassung, die sie durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) erfahren hat, noch erforderlich ist (so aber offenbar Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 8. Mai 2009, BStBl I 2009, 633, 635, Rz 19; vgl. auch Darstellung bei Blümich/Brandis, EStG, § 7g Rz 50). Funktion dieses Merkmals war es, solche Fälle auszusondern, in denen die Ansparrücklage zur Steuergestaltung genutzt wurde, ohne tatsächlich dem Zweck der Investitionserleichterung zu dienen.
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In der Neufassung des Gesetzes ist nach § 7g Abs. 3 EStG bei unterbliebener Investition der ursprüngliche Betriebsausgabenabzug im Rahmen der Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr rückgängig zu machen. Damit ist regelmäßig der Anreiz entfallen, den Investitionsabzugsbetrag auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn tatsächlich keine Investitionsabsicht besteht (vgl. Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7g Rz 27). Die Prüfung eines Finanzierungszusammenhangs zur Verhinderung einer zweckwidrigen Inanspruchnahme der Steuervergünstigung erscheint daher entbehrlich.
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bb) Die Entscheidung des FG kann aber auch dann keinen Bestand haben, wenn man weiterhin am Erfordernis eines Finanzierungszusammenhangs festhält.
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(1) Der Auffassung des FG, dass bereits im Zeitpunkt der Investition die Absicht zur Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrags bestanden haben muss, um den erforderlichen Finanzierungszusammenhang herzustellen, ist nicht zu folgen. Eine im Vorfeld der Investition schon zu fassende Absicht späterer Wahlrechtsausübung nach § 7g EStG wird vom Gesetz nicht gefordert. Als subjektive Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung des Abzugsbetrags werden dort nur die –erstmals ab 2007 ausdrücklich in das Gesetz aufgenommene– Investitionsabsicht gemäß § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a EStG und die in Buchst. b derselben Norm näher bestimmte Nutzungsabsicht aufgeführt; außerdem muss –als voluntative Voraussetzung– das Wahlrecht ausgeübt werden. Weitere subjektive Voraussetzungen stellt das Gesetz nicht auf.
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Ein im Gesetz nicht geregeltes zusätzliches subjektives Kriterium in Form einer Absicht zur Inanspruchnahme des Abzugsbetrags würde im Übrigen dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen, durch die Vorverlagerung von Abschreibungspotenzial die wirtschaftsgutbezogene Investitionstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern (vgl. Lambrecht in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 7g Rz 1).
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(2) Der Finanzierungszusammenhang ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger den strittigen Investitionsabzugsbetrag erst im Einspruchsverfahren beantragt hat. Das Wahlrecht nach § 7g EStG kann grundsätzlich bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden (s. oben II.1. der Gründe).
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Dies entspricht auch der Verwaltungsauffassung (BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 633, 635, Rz 19): Danach ist der Finanzierungszusammenhang auch dann anzunehmen, wenn –wie im Streitfall– nach der erstmaligen Steuerfestsetzung innerhalb der Einspruchsfrist ein Investitionsabzugsbetrag in Anspruch genommen (oder geändert) wird. Wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit kann dahinstehen, ob der Senat sich einer zeitlichen Begrenzung der Geltendmachung des Abzugsbetrags auf die Einspruchsfrist anschließen könnte.
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(3) Auch im Übrigen ist im Streitfall für den strittigen Investitionsabzugsbetrag der Finanzierungszusammenhang mit der begünstigten Investition gewahrt.
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Der Finanzierungszusammenhang ist keine an einem Zahlungsfluss orientierte Größe im Sinne eines konkreten Ansparens oder einer bestimmten anderen Weise der Finanzierung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 230, 517, BFH/NV 2011, 104, m.w.N.). § 7g EStG verfolgt –wie schon die früher in der für Jahre vor 2007 geltenden Gesetzesfassung geregelte Ansparrücklage– den Zweck, die Wettbewerbssituation kleiner und mittlerer Betriebe dadurch zu verbessern, dass deren Liquidität und Eigenkapitalbildung unterstützt und ihre Investitions- und Innovationskraft gestärkt werden (vgl. dazu BFH-Urteile vom 29. April 2008 VIII R 62/06, BFHE 221, 211, BStBl II 2008, 747; vom 27. Oktober 2004 VIII R 35/04, BFHE 207, 318, BStBl II 2008, 737; vom 14. August 2001 XI R 18/01, BFHE 198, 415, BStBl II 2004, 181; vgl. auch BTDrucks 10/336, S. 13, 25 f.; BTDrucks 11/257, S. 8 f.; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7g Rz 1; BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 633, 635, Rz 19: "Funktion der Finanzierungserleichterung"). Mit Hilfe des die Steuer des Abzugsjahres mindernden Abzugsbetrags können die dadurch freigewordenen liquiden Mittel produktiv verwendet oder zur Tilgung von Verbindlichkeiten eingesetzt werden.
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Das kann auch der Fall sein, wenn der Abzugsbetrag sich erst geraume Zeit später unmittelbar auf die Liquidität des Betriebs auswirkt, etwa weil das Steuerfestsetzungsverfahren längere Zeit in Anspruch nimmt. Einen rechnerischen Nachvollzug der Investitionserleichterung hat der BFH bisher weder vorgenommen noch gefordert, sondern er hat mit Hilfe des Finanzierungszusammenhangs Fallgruppen ausgesondert, die, gemessen am Zweck des § 7g EStG, nicht förderungswürdig sind.
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Danach wird der Finanzierungszusammenhang verneint, wenn im Zeitpunkt der Geltendmachung des Abzugs eine Investition nicht mehr durchführbar ist, weil der Betrieb bereits aufgegeben oder veräußert worden war (BFH-Urteil vom 13. Mai 2004 IV R 11/02, BFH/NV 2004, 1400) oder der Entschluss zur Betriebsveräußerung oder -aufgabe gefasst war (BFH-Urteile vom 20. Dezember 2006 X R 31/03, BFHE 216, 288, BStBl II 2007, 862; vom 17. November 2004 X R 41/03, BFH/NV 2005, 848). Am Finanzierungszusammenhang fehlt es auch, wenn der Abzugsbetrag erst nach Ablauf des (nunmehr dreijährigen) Investitionszeitraums geltend gemacht wird, ohne dass tatsächliche Investitionen durchgeführt wurden (Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7g Rz 17; vgl. zu § 7g EStG a.F. BFH-Urteile vom 6. März 2003 IV R 23/01, BFHE 202, 250, BStBl II 2004, 187; in BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66, unter II.2.; vom 2. August 2006 XI R 44/05, BFHE 214, 486, BStBl II 2006, 903, unter II.3.). Das Gleiche gilt, wenn der Abzug so kurze Zeit vor Ablauf des Investitionszeitraums geltend gemacht wird, dass auch der Steuerpflichtige nicht damit rechnen kann, die Investition noch rechtzeitig durchzuführen (zu § 7g EStG a.F. s. BFH-Urteile vom 29. November 2007 IV R 82/05, BFHE 220, 98, BStBl II 2008, 471, BFH/NV 2008, 1130, unter II.1.b bb).
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Nach diesen Maßstäben ist im Streitfall der Finanzierungszusammenhang zwischen Abzugsbetrag und Investition (Anschaffung des PKW) zu bejahen, weil die begünstigte Investition tatsächlich durchgeführt und damit der Subventionszweck des § 7g EStG erfüllt ist.
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3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Investitionsabsicht des Klägers ergibt sich aus der tatsächlichen Anschaffung des PKW. Die nahezu ausschließlich betriebliche Nutzung des PKW hat der Kläger bereits im Einspruchsschreiben in Aussicht gestellt. Die Steuerfestsetzung für das Streitjahr ist unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Abzugsbetrags in Höhe von 15.500 EUR zu ändern. Die Berechnung der Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen. Ob Gründe dafür vorliegen könnten, die diesem Urteil entsprechende Steuerfestsetzung nach Maßgabe des § 7g Abs. 4 EStG gegebenenfalls nochmals zu ändern, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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