X B 40/11 – NZB: Sachaufklärungsmängel

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.9.2012, X B 40/11

NZB: Sachaufklärungsmängel

Tatbestand

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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wenden sich gegen Bescheide, die nach einer Betriebsprüfung erlassen wurden. Der Kläger betrieb in den Streitjahren eine Spedition, die Klägerin eine Gaststätte. Die Kläger hielten unter anderem bei der Gaststätte den Ansatz des Eigenverbrauchs angesichts geringer Gesamtumsätze für unzulässig. Ferner begehrten sie nunmehr die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen für den Kläger und boten zum Nachweis für dessen Abwesenheit im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage von Fahrtenschreiberaufzeichnungen an, ohne diese indes tatsächlich vorzulegen.
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Nach Eingang der Ladung hatten die Kläger auf die mündliche Verhandlung verzichtet. Das Finanzgericht (FG) hat gleichwohl die mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der weder die Kläger noch ein Vertreter erschienen waren. Das FG hat ohne Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Der Eigenverbrauch sei angemessen angesetzt. Die Fahrtenschreiber bewiesen nicht, dass tatsächlich der Kläger (und nicht einer seiner mehreren Angestellten) mit dem betreffenden Fahrzeug unterwegs gewesen sei.
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Die Kläger meinen, die Entscheidung des FG verstoße hinsichtlich der Entnahmen aus der Gaststätte gegen § 162 der Abgabenordnung (AO). Nachdem der Prüfbericht festgestellt habe, dass die Buchführung materiell richtig und formell ordnungsgemäß sei, fehle eine Verprobung, die Voraussetzung für eine Ermittlung der Einkünfte im Schätzungswege sei. Dem Prüfer hätte auffallen müssen, dass der formalisierte Ansatz des Eigenverbrauchs nach der Richtsatzsammlung zu einer Abweichung von den Normwerten über die darin genannten Schranken hinaus führe und daher ermessensfehlerhaft sei. Die Berücksichtigung fiktiver Teilwerte führe zu einer Verletzung von Art. 14 des Grundgesetzes (GG).
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Hinsichtlich der Reisekosten des Klägers seien ebenfalls die Ermessensgrenzen überschritten und möglicherweise wegen der Selbstbindung der Verwaltung der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Es wäre bereits in der Betriebsprüfung und noch im gerichtlichen Verfahren möglich gewesen, die Richtigkeit seiner Angaben durch Überprüfung der Namen der Kunden und der Fahrziele wenigstens auf Plausibilität zu untersuchen, statt die Beweislast dem Steuerpflichtigen aufzuerlegen und ohne Anhaltspunkte vorsätzliche Falschangaben zu unterstellen. Angesichts der strengen Anforderungen für das Vorhalten der Fahrtenschreiberaufzeichnungen hätte das FG insbesondere dem ausdrücklichen Angebot folgen müssen, diese einzusehen.
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In Hinblick auf den entsprechenden Vortrag mit Schreiben vom 26. März 2010 (hinsichtlich der Entnahmen) sowie vom 20. Januar 2011 (hinsichtlich der Reisekosten) lägen darin Verletzungen rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG, in Verbindung mit der Nichtzulassung der Revision ein Versagen effektiven Rechtsschutzes.
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Das FG stelle zu Unrecht § 162 AO über § 6 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dies müsse im Berufungsverfahren überprüft werden, damit nicht aus formaljuristischen Gründen Verfahrensfehler sanktioniert werden.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Kläger haben entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht dargelegt.
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1. Mit den Einwänden, die Entnahmen der Klägerin aus der Gaststätte sowie die Reisekosten des Klägers seien falsch beurteilt worden, stellen die Kläger lediglich eine nach ihrer Auffassung falsche Rechtsanwendung dar. Das ist nach § 115 Abs. 2 FGO kein Revisionszulassungsgrund. Anders kann es sich lediglich verhalten, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102, sowie vom 7. Juni 2011 X B 212/10, BFH/NV 2011, 1709).
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Umstände, die diese Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht dargelegt. Soweit die Kläger die Schätzung als solche für unzulässig erachten, machen sie einen reinen Rechtsfehler im genannten Sinne geltend. Das FG geht im Ausgangspunkt davon aus, dass jedenfalls Entnahmen –in welcher Höhe auch immer– vorgelegen haben, schließt auf dieser Grundlage auf einen Aufzeichnungsmangel und leitet hieraus die Schätzungsbefugnis ab. Der Ausgangspunkt, es müsse Entnahmen gegeben haben, ist ungeachtet der Frage, ob er zutrifft, nach der Lebenserfahrung zumindest nachvollziehbar und damit nicht willkürlich.
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Im Übrigen wird nicht deutlich, was die Kläger mit Normwerten und fiktiven Teilwerten meinen und über welche Schranken die Richtsätze hinausgegangen sein sollen. Ermessensfehler können nicht vorliegen, da die Schätzung keine Ermessensentscheidung ist.
11 
Ebenso wenig ist nachvollziehbar, welche Ermessensgrenzen hinsichtlich der Reisekosten überschritten sein sollen. Auch insoweit ist keine Ermessensentscheidung, sondern eine Entscheidung nach der Feststellungslast getroffen worden.
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2. Soweit die Kläger meinen, das FG hätte zur Überprüfung der geltend gemachten Reisekosten die Fahrtenschreiberaufzeichnungen einsehen müssen, machen sie einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 FGO geltend.
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Zur Darlegung eines Sachaufklärungsmangels gehören Ausführungen, dass entweder der Mangel gegenüber dem FG erfolglos gerügt wurde oder welche Aufklärungsmaßnahme sich dem FG aus welchen Gründen auch ohne ausdrückliche Rüge aufdrängen musste (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 23. Oktober 2006 I B 173/05, BFH/NV 2007, 724).
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An beidem fehlt es. Der Senat lässt dahingestellt, ob die Kläger hinsichtlich der Fahrtenschreiberaufzeichnungen, die sie im finanzgerichtlichen Verfahren zwar mehrfach angeboten, aber nicht von sich aus vorgelegt haben, wirksam Beweis angetreten haben. § 420 der Zivilprozessordnung (ZPO), wonach der Beweisantritt zum Urkundsbeweis (erst) durch Vorlegung der Urkunde angetreten wird, ist gemäß § 82 FGO im Finanzprozess nicht entsprechend anwendbar. Der Senat verkennt nicht, dass das FG die weitere Sachaufklärung durch Einsichtnahme in diese Aufzeichnungen wohl nicht von vornherein mit der Begründung hätte ablehnen dürfen, dass sich hieraus die Person des Fahrers nicht ergebe. Die eigentlich außersteuerlichen Zwecken –namentlich der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften– dienenden Fahrtenschreiber besitzen Beweiswert nur auf Grund und in Verbindung mit dem Namen des jeweiligen Fahrers, so dass nicht anzunehmen war, dass die Aufzeichnungen keine Auskunft über den Namen des Fahrers geben würden. Ob das FG diesen Aufzeichnungen wiederum Glauben schenken will, kann es erst beurteilen, wenn es sie gesehen hat.
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Die Kläger haben jedoch die fehlende Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die Kläger in der Verhandlung niemand erschienen war.
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Ein Verfahrensmangel kann jedenfalls bei sachkundig vertretenen Steuerpflichtigen nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Dazu gehört auch die Verletzung der Sachaufklärungspflicht. Das Rügerecht geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2012 X B 91/11, BFH/NV 2012, 1150, m.w.N.). Wenn der ordnungsgemäß geladene Beteiligte zur mündlichen Verhandlung unentschuldigt nicht erscheint, verzichtet er auf die Wahrnehmung seiner diesbezüglichen Rechte (vgl. BFH-Beschluss vom 2. März 2005 VII B 142/04, BFH/NV 2005, 1576).
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3. Worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegen soll, die, wenn sie vorläge, ein Revisionsgrund nach § 119 Nr. 3 FGO wäre, ist nicht dargelegt. Das FG hat sich ausdrücklich mit dem Vortrag zu den Abwesenheitszeiten des Klägers und mit den Fahrtenschreiberaufzeichnungen auseinandergesetzt, lediglich nicht in der von den Klägern gewünschten Weise. Effektiver Rechtsschutz wird durch die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO gewährleistet.
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4. Die Ausführungen der Kläger zu dem Konkurrenzverhältnis von § 162 AO zu § 6 Abs. 1 EStG und der Sanktionierung von Verfahrensfehlern aus formaljuristischen Gründen sind nicht verständlich.
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5. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und der Gründe sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Quelle: bundesfinanzhof.de