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1. Insbesondere ist sie nicht zu früh erhoben worden. |
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a) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Auf die Wirksamkeit der Verzögerungsrüge kommt es im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage nicht an. |
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b) Auch ist nach § 198 Abs. 5 GVG der Abschluss des Ausgangsverfahrens keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung der Entschädigungsklage. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Möglichkeit, Entschädigungsklagen schon vor Abschluss des Ausgangsverfahrens erheben zu können, die Effektivität der Regelung im Hinblick auf das deutsche Verfassungsrecht und Art. 13 EMRK sowie ihre Präventivwirkung sichern (Zöller/ Lückemann, ZPO, 32. Aufl., § 198 Rz 11). Schließlich ist es für Betroffene oft unzumutbar, auf die Entschädigung bis zu einem –irgendwann– erfolgenden Abschluss des Ausgangsverfahrens warten zu müssen (so auch Steinbeiß-Winkelmann, Zeitschrift für Rechtspolitik 2010, 205 (208)). |
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Die Möglichkeit zur Erhebung der Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens ergibt sich gerade auch aufgrund des § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG. Hiernach kann das Entschädigungsgericht –wie vorliegend– das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert. |
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c) Da die Klage während der Dauer des Ausgangsverfahrens und mehr als sechs Monate nach der ersten Verzögerungsrüge erhoben worden ist, ist sie zulässig. |
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2. Der hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrags steht nicht entgegen, dass die Kläger ihren Zahlungsantrag lediglich in Höhe eines Mindestbetrags beziffert haben (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2017 X K 3-7/16, BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103, Rz 27, m.w.N.); zur Begrenzung des Entscheidungsprogramms des Gerichts siehe aber unter III.2.b. |
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Die Klage ist begründet. Nach den Maßstäben des Senats, an denen er festhält, war die Dauer des Ausgangsverfahrens jedenfalls im Umfang von sechs Monaten unangemessen. Dafür ist an jeden der Kläger Entschädigung zu leisten. |
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1. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Für die weiteren Grundsätze und Einzelheiten einschließlich der Aufteilung des typischen finanzgerichtlichen Verfahrens in drei Phasen nimmt der Senat auf seine ständige Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2.a bis c; vom 18. März 2014 X K 4/13, BFH/NV 2014, 1050; vom 19. März 2014 X K 3/13, BFH/NV 2014, 1053, sowie X K 8/13, BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584, und vom 4. Juni 2014 X K 12/13, BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933) Bezug. |
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a) Der erkennende Senat ist –trotz der Kritik der Kläger– weiterhin der Meinung, dass seine Rechtsprechung zu derjenigen des BVerwG und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht in Widerspruch steht. Zur näheren Begründung verweist er auf sein Urteil in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933 (Rz 27 f.). Er sieht sich auch weiterhin in dieser Auffassung dadurch bestätigt, dass das Bundesverfassungsgericht die gegen das Senatsurteil in BFH/NV 2014, 1050 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat. |
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b) Danach ist eine Verzögerung von 22 Monaten zu verzeichnen. |
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aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach Art von Regelbeispielen genannten Kriterien bietet kein eindeutiges Bild. Die Schwierigkeit des Verfahrens war jedenfalls nicht unterdurchschnittlich, seine Bedeutung gemessen an der durch die streitigen Einkünfte verursachten Steuerbelastung zwar im oberen Bereich, jedoch nicht existenzbedrohend. Gründe für eine besondere Eilbedürftigkeit sind nicht substantiiert vorgetragen worden. Die Kläger haben lediglich auf ihr Alter und ohne weitere Nachweise auf ihren Gesundheitszustand verwiesen. |
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bb) Der Umfang der Verzögerung ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs. |
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Die erste Phase war bereits im Oktober 2013 beendet, als die Sache ersichtlich ausgeschrieben war. Das FG hätte gut zwei Jahre nach Eingang der Klage und damit im Mai 2015 mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Daran fehlte es. Das FG war auch nicht deswegen zur vorrangigen Bearbeitung verpflichtet, weil die Kläger im Oktober 2013 vorgetragen hatten, das Verfahren sei aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes vorzuziehen. Ihr Alter für sich genommen lässt es noch nicht für geboten erscheinen, das Verfahren vorzuziehen. Ihre Behauptung, gesundheitlich sehr angeschlagen zu sein, haben sie nicht belegt. |
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Erst mit den im September 2016 gegebenen rechtlichen Hinweisen hat das FG das Verfahren weiter betrieben. Die zuvor angefertigten internen Vermerke und Verfügungen stellen noch kein Betreiben des Verfahrens dar. In vollen Monaten gerechnet war danach das Verfahren von Mai 2015 bis August 2016 und damit für zunächst 16 Monate als verzögert anzusehen. |
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Nach Ablauf der Stellungnahmefrist im Oktober 2016 betrieb das FG das Verfahren jedoch wiederum nicht aktiv. Erst mit der Mitteilung an die Beteiligten im April 2017, dass der erkennende Senat das Revisionsverfahren X R 23/15 entschieden habe, ist das Verfahren fortgesetzt worden. Im Zeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 und damit für sechs Monate ist das Verfahren also erneut als verzögert anzusehen. |
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Anschließend ist das Verfahren vom FG bis zum Erlass und der Zustellung des Urteils aktiv und ohne relevante Unterbrechungen betrieben worden. |
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Insgesamt ist somit das Verfahren in 22 Monaten als verzögert anzusehen. |
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2. Die Klage ist mit dem gestellten Antrag in vollem Umfang begründet. |
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a) Die Kläger haben beantragt, ihnen für jedes Verfahren und jeden Verfahrensbeteiligten eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens jeweils 600 EUR zuzusprechen. |
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aa) Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragt haben, an jeden von ihnen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, deren Höhe nach freiem Ermessen vom BFH festzusetzen sei und lediglich hilfsweise eine Entschädigung in Höhe von mindestens 600 EUR (nebst Zinsen) begehren, liegt insgesamt nur ein Antrag vor. Das von den Klägern als Hilfsantrag bezeichnete Begehren enthält inhaltlich kein hilfsweises Petitum, das erst dann zum Tragen kommen soll, wenn dem Hauptantrag nicht entsprochen wird. Vielmehr präzisiert, bestimmt und begrenzt es die beantragte Entschädigungszahlung (vgl. insoweit auch Senatsurteil vom 2. Dezember 2015 X K 7/14, BFHE 252, 233, BStBl II 2016, 405, Rz 20). |
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bb) Vorliegend ist die Verzögerung des Verfahrens jedenfalls für sechs Monate zu entschädigen. |
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(1) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet. Anhaltspunkte dafür, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise (§ 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG) im Streitfall ausreichend wäre, sind nicht erkennbar. Auch Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere führt die Gesamtdauer der Unangemessenheit mit 22 Monaten nicht, wie es die Kläger anregen, zu einer Abweichung vom Regelbetrag. Gleiches gilt im Hinblick auf den relativ hohen Streitwert im Ausgangsfall, da das damit verbundene Risiko der Kläger nicht als existenziell angesehen werden kann. Einen atypisch gelagerten Sonderfall vermag der Senat auch ansonsten nicht zu erkennen. |
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(2) Obwohl im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, ist dieser Regelbetrag im konkreten Fall nach Monaten zu bemessen (Senatsurteil in BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584, Rz 37, m.w.N.). |
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cc) Wurde das verzögerte Ausgangsverfahren durch Ehegatten geführt, so steht der Entschädigungsanspruch wie hier jedem Ehegatten gesondert zu (Senatsurteil in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933, Rz 47). |
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dd) Selbst unter Berücksichtigung der von den Klägern kritisierten Rechtsprechung des Senats, wonach eine Verzögerungsrüge im Regelfall nur gut sechs Monate zurückwirkt (Senatsurteile in BFHE 253, 205, BStBl II 2016, 694, Rz 46 ff., und vom 25. Oktober 2016 X K 3/15, BFH/NV 2017, 159, Rz 39), wäre deshalb ausgehend von der zweiten Verzögerungsrüge ein Zeitraum von Februar 2016 bis August 2016 sowie darüber hinaus der Zeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 –13 Monate– entschädigungspflichtig gewesen. Im Ergebnis ist jedem Kläger –wie beantragt– eine Entschädigung für sechs Monate in Höhe von 600 EUR zuzusprechen. |
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b) Der Senat kann über die beantragten Beträge der Entschädigung von 600 EUR für jeden Kläger nicht hinausgehen. |
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aa) Die Klage soll gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen bestimmten Antrag enthalten. Über diesen darf das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. |
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(1) Da die Entschädigungsklage nach § 198 GVG eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage ist, ist der Klageantrag auf die Annahme einer bestimmten Dauer der Verzögerung festzulegen. Der Entschädigungskläger hat deshalb seinen Antrag an der Dauer der Verzögerung auszurichten und den Entscheidungsumfang des Gerichts sowie sein eigenes Kostenrisiko damit zu begrenzen (Senatsurteile in BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103, Rz 52, und vom 29. November 2017 X K 1/16, BFHE 259, 499, BStBl II 2018, 132, Rz 57). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. |
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(2) Lediglich im Hinblick auf das in § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG dem Gericht zugebilligte Ermessen, in Fällen der –hier nicht gegebenen– "Unbilligkeit" des im Gesetz genannten Pauschalbetrags für Nichtvermögensnachteile, kann ein Mindestbetrag von Belang sein (so schon Senatsurteil in BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103, Rz 52). |
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bb) Angewandt auf den vorliegenden Fall kommt die Zuerkennung einer höheren Entschädigung als 600 EUR pro Verfahrensbeteiligten deshalb nicht in Betracht. Die Kläger haben durch Benennung des Betrages von 600 EUR und ihre Ausführungen, dass schon deshalb die Klage vollumfänglich begründet sei, klar zu erkennen gegeben, dass sie vorliegend lediglich für eine Verzögerung von sechs Monaten entschädigt werden wollen. |
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3. Aufgrund der vom Senat anzunehmenden Begrenzung seiner Entscheidungsbefugnis auf den jeweils gestellten Antrag von 600 EUR ist (erneut) nicht darüber zu befinden, ob in der Senatsrechtsprechung, die von einer nur eingeschränkten Rückwirkung der Verzögerungsrüge ausgeht, eine Abweichung zum Urteil des BVerwG vom 29. Februar 2016 5 C 31/15 D (Neue Juristische Wochenschrift 2016, 3464, Rz 33 ff.) liegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im Senatsurteil in BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103 (Rz 55) verwiesen. |
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Darüber hinaus muss der Senat auch nicht darüber befinden, inwieweit seine diesbezügliche Rechtsprechung von der Rechtsprechung des BSG divergiert. Das BSG hat in seinem Urteil vom 7. September 2017 B 10 ÜG 3/16 R, Sozialrecht 4-1720 § 198 Nr. 14 eine solche Divergenz im Übrigen mit eingehender Begründung ausdrücklich verneint. |
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Ebenso bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob im Fall einer zu früh erhobenen Verzögerungsrüge eine Art "Hineinwachsen in die Zulässigkeit" möglich erscheint (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 2016 X K 2/15, BFHE 255, 407, BStBl II 2017, 350). |
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4. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. Senatsurteil in BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584, Rz 39 f.). |
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. |
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