Zu § 177 – Berichtigung von materiellen Fehlern:

Zu § 177 – Berichtigung von materiellen Fehlern:

1. 1Materieller Fehler ist jede objektive Unrichtigkeit eines Steuerbescheids. 2Materiell fehlerhaft ist ein Bescheid nicht nur, wenn bei Erlass des Steuerbescheids geltendes Recht unrichtig angewendet wurde, sondern auch dann, wenn der Steuerfestsetzung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden ist, der sich nachträglich als unrichtig erweist. 3Bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigte Tatsachen sind deshalb, sofern sie zu keiner Änderung nach § 173 führen, nach § 177 zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 5.8.1986 – IX R 13/81 – BStBl 1987 II, S. 297, 299, 299). 4Auf ein Verschulden kommt es ebenso wenig an wie darauf, dass der Steueranspruch insoweit verjährt ist (BFH-Urteil vom 18.12.1991 – X R 38/90 – BStBl 1992 II, S. 504). 5Eine Berichtigung eines materiellen Fehlers nach § 177 ist deshalb auch dann zulässig und geboten, wenn eine isolierte Änderung dieses Fehlers oder seine Berichtigung nach § 129 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht möglich wäre.
2. 1Die Möglichkeit der Berichtigung materieller Fehler ist bei jeder Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zu prüfen. 2Materielle Fehler sind zu berichtigen, soweit die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten (§ 177 Abs. 1) oder zugunsten des Steuerpflichtigen (§ 177 Abs. 2) vorliegen; die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 und 2 können auch nebeneinander vorliegen. 3Materielle Fehler dürfen nur innerhalb des Änderungsrahmens berichtigt, d. h. gegengerechnet werden. 4Liegen sowohl die Voraussetzungen für Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen als auch solche zu dessen Ungunsten vor, sind die oberen und unteren Grenzen der Fehlerberichtigung jeweils getrennt voneinander zu ermitteln (BFH-Urteile vom 9.6.1993 – I R 90/92 – BStBl II, S. 822, und vom 14.7.1993 – X R 34/90 – BStBl 1994 II, S. 77). 5Eine Saldierung der Änderungstatbestände zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen ist deshalb nicht zulässig (Saldierungsverbot).
3. 1Änderungsobergrenze ist der Steuerbetrag, der sich als Summe der bisherigen Steuerfestsetzung und der steuerlichen Auswirkung aller selbständigen steuererhöhenden Änderungstatbestände ergibt. 2Änderungsuntergrenze ist der Steuerbetrag, der sich nach Abzug der steuerlichen Auswirkung aller selbständigen steuermindernden Änderungstatbestände von der bisherigen Steuerfestsetzung ergibt.
4. 1Die Auswirkungen materieller Fehler sind zu saldieren und dann, soweit der Änderungsrahmen reicht, zu berücksichtigen (Saldierungsgebot); vgl. BFH-Urteil vom 9.6.1993 – I R 90/92 – BStBl II, S. 822). 2Bei Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen kann ein negativer (steuermindernder) Fehler-Saldo nur bis zur Änderungsuntergrenze berücksichtigt werden (§ 177 Abs. 1). 3Bei Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen kann ein positiver (steuererhöhender) Fehler-Saldo nur bis zur Änderungsobergrenze berücksichtigt werden (§ 177 Abs. 2).Beispiele:

  1. Es werden nachträglich Tatsachen bekannt, die zu einer um 5.000 EUR höheren Steuer führen. Zugleich werden materielle Fehler, die sich bei der früheren Festsetzung i.H.v. 6.000 EUR zugunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben, und materielle Fehler, die sich bei der früheren Festsetzung i.H.v. 8.500 EUR zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben, festgestellt.

Der Saldo der materiellen Fehler führt i.H.v. 2.500 EUR zu einer Minderung der Nachforderung.

  1. Es werden nachträglich Tatsachen bekannt, die zu einer um 5.000 EUR höheren Steuer führen. Außerdem ist ein geänderter Grundlagenbescheid zu berücksichtigen, der zu einer um 5.500 EUR niedrigeren Steuer führt. Zugleich werden materielle Fehler festgestellt, die sich i.H.v. 8.500 EUR zugunsten und i.H.v. 6.000 EUR zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben.

Der Saldo der materiellen Fehler (2.500 EUR zugunsten des Steuerpflichtigen) mindert die Änderung der Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen aufgrund des geänderten Grundlagenbescheids (5.500 EUR). Die Differenz von 3.000 EUR ist mit der Nachforderung von 5.000 EUR wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen zu verrechnen, so dass im Ergebnis eine Änderung des Steuerbescheids i.H.v. 2.000 EUR zuungunsten des Steuerpflichtigen vorzunehmen ist.

5. 1Soweit ein Ausgleich materieller Fehler nach § 177 nicht möglich ist, bleibt der Steuerbescheid fehlerhaft. 2Hierin liegt keine sachliche Unbilligkeit, da die Folge vom Gesetzgeber gewollt ist.
6. Zur Berichtigung materieller Fehler bei einer Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 vgl. zu § 129, Nr. 2; zur Berichtigung materieller Fehler bei der Änderung einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 vgl. zu § 165, Nr. 9.