Zu § 42 – Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten

Zu § 42 – Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten

1. 1Bei Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 2 ist zunächst zu prüfen, ob das im Einzelfall anzuwendende Einzelsteuergesetz für den vorliegenden Sachverhalt eine Regelung enthält, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient. 2Ob eine Regelung in einem Einzelsteuergesetz der Verhinderung der Steuerumgehung dient, ist nach dem Wortlaut der Regelung und dem Sinnzusammenhang, nach der systematischen Stellung im Gesetz sowie nach der Entstehungsgeschichte der Regelung zu beurteilen.3Liegt danach eine Regelung vor, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, gilt Folgendes:

  • 1Ist der Tatbestand der Regelung erfüllt, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift, nicht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 2. 2In diesem Fall ist unerheblich, ob auch die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 vorliegen.
  • 1Ist der Tatbestand der Regelung dagegen nicht erfüllt, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ein Missbrauch i.S.d. § 42 Abs. 2 vorliegt. 2Allein das Vorliegen einer einzelgesetzlichen Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, schließt die Anwendbarkeit des § 42 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 damit nicht aus. 
2. Sofern ein Missbrauch i.S.d. § 42 Abs. 2 vorliegt, entsteht der Steueranspruch bei allen vom Sachverhalt Betroffenen so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Abs. 1 Satz 3).
2.1 Ein Missbrauch i.S.d. § 42 Abs. 2 liegt vor, wenn

  • eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die den wirtschaftlichen Vorgängen nicht angemessen ist,
  • die gewählte Gestaltung beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem Steuervorteil führt,
  • dieser Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen ist und
  • der Steuerpflichtige für die von ihm gewählte Gestaltung keine außersteuerlichen Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.
2.2 1Ob eine rechtliche Gestaltung unangemessen ist, ist für jede Steuerart gesondert nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweiligen maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen, zu beurteilen. 2Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung noch nicht unangemessen. 3Eine Gestaltung ist aber insbesondere dann auf ihre Angemessenheit zu prüfen, wenn sie ohne Berücksichtigung der beabsichtigten steuerlichen Effekte unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint. 4Die Ungewöhnlichkeit einer Gestaltung begründet allein noch keine Unangemessenheit.5Indizien für die Unangemessenheit einer Gestaltung sind zum Beispiel:

  • die Gestaltung wäre von einem verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ohne den Steuervorteil nicht gewählt worden;
  • die Vor- oder Zwischenschaltung von Angehörigen oder anderen nahe stehenden Personen oder Gesellschaften war rein steuerlich motiviert;
  • die Verlagerung oder Übertragung von Einkünften oder Wirtschaftsgütern auf andere Rechtsträger war rein steuerlich motiviert.

6Bei einer grenzüberschreitenden Gestaltung ist nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteil vom 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – EuGHE I, 7995) Unangemessenheit insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewählte Gestaltung rein künstlich ist und nur dazu dient, die Steuerentstehung im Inland zu umgehen.

2.3 1Bei der Prüfung, ob die gewählte Gestaltung zu Steuervorteilen führt, sind die steuerlichen Auswirkungen der gewählten Gestaltung mit der hypothetischen steuerlichen Auswirkung einer angemessenen Gestaltung zu vergleichen. 2Dabei sind auch solche Steuervorteile zu berücksichtigen, die nicht beim handelnden Steuerpflichtigen selbst, sondern bei Dritten eintreten. 3Dritte i.S.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 sind nur solche Personen, die in einer gewissen Nähe zum Steuerpflichtigen stehen. 4Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Beteiligten Angehörige des Steuerpflichtigen i.S.d. § 15 oder persönlich oder wirtschaftlich mit ihm verbunden sind (z.B. nahe stehende Personen i.S.v. H 36 KStH 2006 oder § 1 Abs. 2 AStG). 
2.4 1Der in § 42 Abs. 2 verwendete Begriff des „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils“ ist nicht deckungsgleich mit dem „nicht gerechtfertigten Steuervorteil“ i.S.d. § 370 Abs. 1. 2Steuervorteile i.S.d. § 42 Abs. 2 sind daher nicht nur Steuervergütungen oder Steuererstattungen, sondern auch geringere Steueransprüche.
2.5 Der durch die gewählte Gestaltung begründete Steuervorteil ist insbesondere dann gesetzlich vorgesehen, wenn der Tatbestand einer Norm erfüllt ist, mit der der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten durch steuerliche Anreize fördern wollte.
2.6 1§ 42 Abs. 2 Satz 2 eröffnet dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, die bei Vorliegen des Tatbestands des § 42 Abs. 2 Satz 1 begründete Annahme eines Missbrauchs durch Nachweis außersteuerlicher Gründe zu entkräften. 2Die vom Steuerpflichtigen nachgewiesenen außersteuerlichen Gründe müssen allerdings nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sein. 3Sind die nachgewiesenen außersteuerlichen Gründe nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Vergleich zum Ausmaß der Unangemessenheit der Gestaltung und den vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Steuervorteilen nicht wesentlich oder sogar nur von untergeordneter Bedeutung, sind sie nicht beachtlich. 4In diesem Fall bleibt es bei der Annahme eines Missbrauchs nach § 42 Abs. 2 Satz 1.
3. 1Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 ist als solcher nicht strafbar. 2Eine leichtfertige Steuerverkürzung oder eine Steuerhinterziehung kann aber vorliegen, wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern.
4. 1§ 42 in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 ist ab dem 1.1.2008 für Kalenderjahre, die nach dem 31.12.2007 beginnen, anzuwenden. 2Für Kalenderjahre, die vor dem 1.1.2008 liegen, ist § 42 in der am 28.12.2007 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.