Haushaltszugehörigkeit beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende

Begründet eine unstreitig unzutreffende Wohnsitzmeldung eine unwiderlegliche Vermutung der Haushaltszugehörigkeit?

Revision eingelegt – BFH-Az.: III R 9/13

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 23.01.2013, 3 K 12326/12

§ 24b EStG

Tatbestand

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Streitig ist die Frage, ob die Wohnsitzmeldung beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende eine unwiderlegliche Vermutung der Haushaltszugehörigkeit begründet.

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Der Kläger ist seit dem 8. Februar 2005 verwitwet. Er ist Vater der am 4. Januar 1989 geborenen Tochter I. , die als Auszubildende bei M beschäftigt ist und aus diesem Ausbildungsverhältnis im Streitjahr 2010 eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 10.105,45 € bezog. Der Kläger, der für seine Tochter Kindergeld bezieht, wohnt in der G-straße in P, die Tochter wohnt in der im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung P, C-Platz. Mit Wohnsitz gemeldet ist die Tochter I. jedoch in der Wohnung des Klägers.

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Im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2010 vom 13. Februar 2012 berücksichtigte der Beklagte zunächst erklärungsgemäß einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308,- €.

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Unter dem Datum des 24. August 2012 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2010 gem. § 164 Abs. 2 AO aus verschiedenen Gründen; u.a. erkannte der Beklagte den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nicht mehr an.

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Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

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Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zustehe. Die Haushaltszugehörigkeit des Kindes werde ohne weitere Prüfung typisierend unterstellt, wenn es in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet sei. Auf die tatsächlichen Verhältnisse komme es nicht an; die Vermutung der Haushaltszugehörigkeit könne nicht widerlegt werden.

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Der Kläger beantragt,

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unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 24. August 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2012 einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308,- € zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nicht gewährt werden könne, weil dieser Betrag zwingend eine gemeinsame Haushaltsführung zwischen Eltern und Kind voraussetze. Das sei hier nicht der Fall. Der Umstand, dass die Tochter mit Wohnsitz in der Wohnung des Klägers gemeldet sei, stehe dem nicht entgegen, weil die Meldung ersichtlich nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche.

 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung nach § 94a FGO. Nach dieser Vorschrift bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die auf eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,- € nicht übersteigt. Das ist hier der Fall, weil die steuerliche Auswirkung des Abzugs des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende bei 339,- € liegt.

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Gem. § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG können allein stehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308,- € im Kalenderjahr von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist gem. § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG anzunehmen, wenn das Kind in der Wohnung des allein stehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist.

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Allein stehend im Sinne des § 24b Abs. 1 EStG sind nach § 24b Abs. 2 EStG Steuer-pflichtige, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens er-füllen oder verwitwet sind und keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden. Ist die andere Person mit Haupt- oder Nebenwohnsitz in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet, wird vermutet, dass sie mit dem Steuerpflichtigen gemeinsam wirtschaftet (Haushaltsgemeinschaft). Diese Vermutung ist widerlegbar, es sei denn, der Steuerpflichtige und die andere Person leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft oder in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft (§ 24b Abs. 2 Sätze 2 und 3).

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Der im Sinne des § 24 b Abs. 2 EStG alleinstehende Kläger bezieht für seine Tochter I Kindergeld. Ihm würde der Alleinerziehendenentlastungsbetrag dann zustehen, wenn die Tochter zu seinem Haushalt gehören würde. Unstreitig ist die Tochter des Klägers zwar in seinem Haushalt gemeldet, lebt aber tatsächlich in einer anderen Wohnung.

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In der Literatur wird kontrovers beurteilt, ob die Meldung des Kindes in der Wohnung des Steuerpflichtigen gem. § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG eine unwiderlegliche Vermutung der Haushaltszugehörigkeit begründet oder nicht. Blümich-Selder, Kommentar zum EStG, § 24b Rn. 23 und Schmidt-Loschelder, EStG, § 24b Rn. 12 bejahen dies und meinen, dass sich die Finanzbehörde allein an die Meldung zu halten habe. Von Proff zu Irnich, DStR 2004, 1904 (1907) sieht in der Meldung sogar einen Grundlagenbescheid im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO. Demgegenüber betonen Littmann/Bitz/Pust-Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 24b Rn. 41 und Kirchhof/Söhn/Meincke-Jachmann/Henschler, Kommentar zum EStG, § 24b B4, dass die Wohnsitzmeldung dann keine Indizwirkung entfalte, wenn die Meldung nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Frotscher-Dürr, EStG, § 24b Rn. 10 und Warnke, EStB 2004, 248 (250) betonen, dass die melderechtlichen Verhältnisse überprüfbar seien bzw. die Finanzbehörde den Gegenbeweis führen könne, dass das Kind dem Haushalt nicht zugehörig sei. Herrmann/Heuer/Raupach-Krömer, EStG, § 24b Rn. 11 misst § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG Beweisfunktion zu; die Meldung entfalte keine Bindung, wenn sie nachweisbar nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche.

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Der erkennende Senat sieht in § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG eine Beweislastregel. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende bewirkt eine Steuerminderung, so dass grundsätzlich der Steuerpflichtige nach allgemeinen Beweislastregeln das Vorliegen der Voraussetzungen des Entlastungsbetrages darzutun hat. Dies würde ohne § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG auch für die Haushaltszugehörigkeit gelten. § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG kehrt die Beweislast um, so dass bei Meldung des Kindes im Haushalt des Steuerpflichtigen bis zum Beweis des Gegenteils von einer Haushaltszugehörigkeit des Kindes auszugehen ist. Da die Tochter I – wie von Klägerseite nicht bestritten wird – nicht in der Wohnung P, G-str. lebt, ist die Vermutung der Haushaltszugehörigkeit widerlegt.

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Dass das Gesetz von keiner durch die Meldung bei der Meldebehörde bewirkten unwiderleglichen Vermutung der Haushaltszugehörigkeit ausgeht, ist § 24b Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG zu entnehmen, wo ausdrücklich klargestellt wird, dass die Vermutung der Haushaltszugehörigkeit einer für diese Wohnung gemeldeten Person widerlegbar ist. Gegen die Annahme einer durch die Meldung bewirkten unwiderleglichen Vermutung der Haushaltszugehörigkeit spricht auch, dass dies im Widerspruch zu den melderechtlichen Vorschriften stehen würde.

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Gem. § 9 Abs. 1 Niedersächsisches Meldegesetz (NMG) hat, wer eine Wohnung bezieht, sich innerhalb einer Woche bei der Meldebehörde anzumelden. Wer aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, hat sich innerhalb einer Woche nach dem Auszug bei der Meldebehörde abzumelden (§ 9 Abs. 2 NMG). Gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 Niedersächsisches Meldegesetz handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig sich für eine Wohnung anmeldet, die sie oder er nicht bezieht oder sich aus einer Wohnung abmeldet, in der sie oder er weiterhin wohnt. Daraus folgt, dass ein Verhalten wie das der Tochter – Meldung unter einer Anschrift, obwohl sie dort keine Wohnung innehat – gegen die melderechtlichen Pflichten verstößt.

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Hätte sich die Tochter korrekt unter der von ihr tatsächlich bewohnten Wohnung P, C-Platz  angemeldet, würde dem Kläger unzweifelhaft kein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zustehen, weil die Anspruchsvoraussetzung der Haushaltszugehörigkeit nicht gegeben ist. Es kann aber nicht richtig sein, dass abweichend davon dem Kläger deshalb der Entlastungsbetrag zuerkannt wird, weil seine Tochter ein melderechtlich unzulässiges und mit einem Bußgeld bis zu 500,- € belegtes Verhalten an den Tag gelegt hat; es ist nicht Zweck des § 24b EStG, Verstöße gegen das Melderecht zu belohnen.

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Schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 22. Mai 2009 2 BvR 310/07, BFH/NV 2009, 3019 ausgeführt, dass die Rechtsnorm des § 24b EStG deshalb kein strukturelles Vollzugsdefizit aufweisen würde, weil das Besteuerungsverfahren nicht strukturell gegenläufig zum Entlastungstatbestand ausgestattet sei; die Finanzbehörde sei durch das Gesetz nicht gehindert, den Sachverhalt aufzuklären und insoweit nicht an den Inhalt des Melderegisters gebunden. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Gesetzesauslegung, die unabhängig vom materiellen Vorliegen des Entlastungstatbestandes des § 24b EStG nur an dem formellen Kriterium der Meldung anknüpfen würde, mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht in Einklang stünde.

23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

24
Das Gericht lässt die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil die Rechtsfrage, welche Bedeutung der Regelung des § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG zukommt, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.