III S 1/13 (PKH) – Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Anschlussrevision nur bei hinreichender Erfolgsaussicht – Zulässigkeit einer Anschlussrevision

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 16.7.2014, III S 1/13 (PKH)

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Anschlussrevision nur bei hinreichender Erfolgsaussicht – Zulässigkeit einer Anschlussrevision

Tatbestand

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I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Antragsteller) Differenzkindergeld für seine in Portugal lebenden Kinder P und B aus erster Ehe zusteht.
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Der Antragsteller ist ein in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lebender Portugiese. Seine geschiedene Ehefrau lebt mit den Kindern P und B aus erster Ehe in Portugal; sie übt dort eine Beschäftigung aus. Sie erhält für P und B einen portugiesischen Familienzuschlag in Höhe von jeweils 22,59 EUR. Der Antragsteller hat mit seiner zweiten Ehefrau zwei weitere in Deutschland lebende Kinder.
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Im April 2010 beantragte der Antragsteller Kindergeld für seine vier Kinder. Die Beklagte, Revisionsklägerin und Anschlussrevisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte dies für die in Portugal lebenden Kinder P und B ab. Im Einspruchsverfahren änderte die Familienkasse den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass sie die Festsetzung des Kindergeldes erst ab Mai 2010 ablehnte. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg.
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Die Klage, mit welcher der Kläger die Festsetzung des Differenzkindergeldes für P und B ab Mai 2010 begehrte, war teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen Folgendes aus: Für den Zeitraum ab September 2011 sei die Klage begründet, weil dem Antragsteller ab diesem Monat ein Anspruch auf Differenzkindergeld zustehe. Die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004), der einen Anspruch auf Differenzkindergeld ausschließe, seien ab September 2011 nicht mehr gegeben. Ebenso sei der Kindergeldanspruch nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ausgeschlossen. Mangels Spruchreife sei der Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden. Für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 sei die Klage hingegen unbegründet, weil insoweit die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 gegeben seien.
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Gegen das FG-Urteil hat die Familienkasse die beim beschließenden Senat geführte Revision III R 36/12 eingelegt. Die Familienkasse wendet sich gegen das FG-Urteil, soweit sie verpflichtet wurde, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden. Der Antragsteller ist dieser –den Zeitraum ab September 2011 betreffenden– Revision der Familienkasse entgegengetreten. Darüber hinaus begehrt er im Wege der Anschlussrevision, das den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 betreffende FG-Urteil aufzuheben und die Familienkasse insoweit zu verpflichten, ihn neu zu bescheiden.
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Der Antragsteller beantragt, ihm Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Dem beschließenden Senat liegt eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers vor.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag auf PKH hat teilweise Erfolg.
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1. Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gelten für die PKH im Finanzgerichtsverfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die PKH (§§ 114 ff. ZPO) sinngemäß. Da der Antragsteller seinen PKH-Antrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt hat, sind im Streitfall die §§ 114 ff. ZPO in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden (vgl. § 40 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung).
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2. Dem Antragsteller ist PKH zu bewilligen, soweit er im Hauptsacheverfahren die Zurückweisung der Revision im Hinblick auf den Zeitraum ab September 2011 begehrt.
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Da hinsichtlich des genannten Zeitraums die Familienkasse als Gegnerin des Antragstellers das Rechtsmittel eingelegt hat, ist nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO insoweit die Erfolgsaussicht der vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsverteidigung nicht zu prüfen.
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Aus der von dem Antragsteller eingereichten Erklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich, dass er nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (vgl. § 117 Abs. 2 ZPO). Die Beiordnung des Rechtsanwalts beruht auf § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO.
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3. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, soweit er sich auf die vom Antragsteller eingelegte –den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 betreffende– Anschlussrevision bezieht.
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a) Im Streitfall hat der Antragsteller hinsichtlich des Zeitraums Mai 2010 bis August 2011 nicht –binnen eines Monats nach Zustellung des FG-Urteils am 21. Juni 2012 (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO)– Revision, sondern mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 eine –im Finanzgerichtsverfahren nach § 155 FGO i.V.m. § 554 ZPO statthafte– Anschlussrevision eingelegt. Der Antragsteller strebt hiermit eine Änderung der Vorentscheidung zu seinen Gunsten an.
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Soweit der Antragsteller eine Anschlussrevision eingelegt hat, ist § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht anwendbar. Diese Norm greift nur dann ein, wenn der Gegner des Antragstellers das Rechtsmittel eingelegt hat, d.h. der Antragsteller um die Aufrechterhaltung einer für ihn positiven Entscheidung der Vorinstanz streitet. Für eine vom Antragsteller (Revisionsbeklagten) eingelegte –der Hauptrevision des Revisionsklägers nachfolgende– Anschlussrevision, mit welcher der Antragsteller die Änderung der Vorentscheidung zu seinen Gunsten begehrt, verbleibt es daher bei der Prüfung des § 114 Satz 1 ZPO. Demnach setzt die Bewilligung von PKH für die Durchführung einer Anschlussrevision u.a. voraus, dass dieses unselbständige Anschlussrechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 30. Mai 1984 VIII ZR 298/83, BGHZ 91, 311; vom 12. Oktober 2006 IX ZR 27/06, juris).
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b) Hieran fehlt es, weil die Anschlussrevision des Antragstellers –bei summarischer Prüfung– unzulässig ist.
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Die Zulässigkeit der Anschlussrevision setzt u.a. voraus, dass sie sich auf den Streitgegenstand der Hauptrevision bezieht (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 17. Oktober 1984 I R 22/79, BFHE 142, 276, BStBl II 1985, 69, Rz 38; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 120 FGO Rz 300; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 86 f.). Zudem muss sie innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt und begründet werden (§ 155 FGO i.V.m. § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO; Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 93/10, BFH/NV 2012, 932, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 84). Diese Frist kann –anders als die Frist zur Erwiderung auf die Revisionsbegründung– nicht verlängert werden (BFH-Urteil vom 19. März 2003 VI R 40/01, BFH/NV 2003, 1163; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 84).
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Im Streitfall ist keine der genannten Voraussetzungen gegeben. In Kindergeldangelegenheiten bildet grundsätzlich jeder Monat einen eigenen Streitgegenstand (im Ergebnis ebenso Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 63 Rz A 17; FG Köln, Urteil vom 16. Dezember 1998  2 K 6306/96, Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 389). Da die vom Antragsteller eingelegte Anschlussrevision (Mai 2010 bis August 2011) einen anderen Zeitraum als die Hauptrevision der Familienkasse (ab September 2011) betrifft, bezieht sie sich bereits nicht auf den Streitgegenstand der Hauptrevision. Im Übrigen hat der Antragsteller die Anschlussrevision nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründungsschrift eingelegt. Dem Antragsteller wurde die Revisionsbegründungsschrift der Familienkasse am 8. Oktober 2012 zugestellt. Die Anschlussrevision hat er hingegen erst am 10. Dezember 2012 beim BFH eingelegt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen der Versäumung dieser Frist kommt nicht in Betracht. Der Antragsteller hat weder einen Antrag gestellt noch sind nach Aktenlage Tatsachen ersichtlich, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten.
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4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Quelle: bundesfinanzhof.de