Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit – BFH-Urteil vom 11. April 2024, IV R 16/21

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 11.04.2024  IV R 18/21

ECLI:DE:BFH:2024:U.110424.IVR16.21.0

BFH IV. Senat

InsO § 35 Abs 1, InsO § 55 Abs 1 Nr 1, KraftStG § 1 Abs 1 Nr 1, KraftStG § 5 Abs 1 Nr 1

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 22. Juni 2021, Az: 8 K 8232/19

Leitsätze

NV: Das Hauptzollamt trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der Massezugehörigkeit, wenn es gegen einen Insolvenzverwalter Kraftfahrzeugsteuer für ein auf den Insolvenzschuldner zugelassenes Fahrzeug festsetzt.

Tenor

Der Tenor des Urteils des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.06.2021 – 8 K 8232/19 wird dahingehend berichtigt, dass hinsichtlich des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen …1 der geänderte Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 30.05.2019 ebenfalls aufgehoben wird.

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.06.2021 – 8 K 8232/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob Kraftfahrzeugsteuer zu Recht als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) festgesetzt worden ist.
  2. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH (Insolvenzschuldnerin).
  3. Am 27.12.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
  4. Jeweils mit Bescheiden vom 12.03.2019 setzte der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) für die Zeit ab dem 27.12.2018 die jährliche Kraftfahrzeugsteuer für drei zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auf die Insolvenzschuldnerin zugelassene Fahrzeuge, einen Zentralachsanhänger mit dem amtlichen Kennzeichen …8 auf 74 € sowie zwei Wohnwagenanhänger mit den amtlichen Kennzeichen …1 auf 44 € und …5 auf 59 €, gegenüber dem Kläger als Masseverbindlichkeit fest.
  5. Der Kläger legte gegen diese Bescheide jeweils Einspruch ein. Die Kraftfahrzeugsteuer sei keine Masseverbindlichkeit, da nicht feststehe, dass die drei Fahrzeuge im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stünden. Die Eigentumsverhältnisse seien bisher ungeklärt.
  6. Das HZA setzte während des Einspruchsverfahrens mit Änderungsbescheiden vom 26.04.2019 für das Fahrzeug …5 sowie vom 30.05.2019 für das Fahrzeug …1 die Kraftfahrzeugsteuer auf jeweils 18 € herab. Der geänderten Festsetzung lagen eine Entstempelung des Kennzeichens sowie eine Ummeldung zugrunde.
  7. Das HZA wies mit Einspruchsentscheidungen vom 23.10.2019 die Einsprüche des Klägers als unbegründet zurück. Die Insolvenzschuldnerin sei als Halterin der Fahrzeuge eingetragen. Der Kläger trage daher die Feststellungslast dafür, dass diese Fahrzeuge nicht zur Insolvenzmasse gehörten.
  8. Die hiergegen vom Kläger erhobene Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) hob mit Urteil vom 22.06.2021 – 8 K 8232/19 die Kraftfahrzeugsteuerbescheide für die drei Fahrzeuge auf. Die Kraftfahrzeugsteuer sei nicht als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Kläger festzusetzen. Das HZA habe nicht nachweisen können, dass die Fahrzeuge im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stünden und damit zur Insolvenzmasse gehörten.
  9. Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung materiellen Rechts. Die für die Fahrzeuge entstandene Kraftfahrzeugsteuer sei zutreffend gegen den Kläger als Masseverbindlichkeit festgesetzt worden. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die nicht geklärten Eigentumsverhältnisse zu den drei Fahrzeugen zu Lasten des HZA gingen. Der Kläger trage als Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Feststellungslast dafür, dass die auf die Insolvenzschuldnerin zugelassenen Fahrzeuge nicht zur Insolvenzmasse gehörten. Der Kläger habe als Insolvenzverwalter seine Pflichten zur Aufklärung des Umfangs der Insolvenzmasse nicht erfüllt. Es dürfe zudem bei einem mutmaßlich unkooperativen Schuldner, hier der Insolvenzschuldnerin, in der Insolvenz nicht darauf abgestellt werden, ob der Insolvenzverwalter seine zivilrechtlichen Pflichten erfülle.
  10. Das HZA beantragt,
    das Urteil des FG vom 22.06.2021 – 8 K 8232/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
  11. Der Kläger beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.
  12. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Der Tenor der Vorentscheidung ist wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahingehend zu berichtigen, dass hinsichtlich des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen …1 auch der Änderungsbescheid vom 30.05.2019 aufgehoben wird.
  2. Das FG hat in den Tenor des angefochtenen Urteils den Änderungsbescheid vom 30.05.2019, anders als den Änderungsbescheid vom 26.04.2019 hinsichtlich des Fahrzeugs …5, nicht als aufzuhebenden Bescheid aufgenommen, während es sowohl im Tatbestand beide während des laufenden Einspruchsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide benannte (S. 3, Abs. 4 des FG-Urteils) und auch in den Entscheidungsgründen die mit Bescheid vom 30.05.2019 für das Fahrzeug …1 auf 18 € festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer als streitgegenständlich ansah (S. 7 des FG-Urteils, unter II.) und offenkundig in gleicher Weise beseitigen wollte. Eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 107 FGO liegt demnach vor. Der Senat ist für diese Berichtigung zuständig (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18.04.2023 – VII R 35/19, BFHE 281, 198, BStBl II 2024, 193, Rz 25; vom 08.01.2019 – IX R 37/17, Rz 14; vom 28.11.2018 – I R 56/16, BFHE 263, 401, BStBl II 2020, 104, Rz 8).

III.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist aus revisionsrechtlicher Sicht fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Kläger als Insolvenzverwalter (hierzu unter 1.) im Streitfall nicht vorlagen (hierzu unter 2.).
  2. 1. Auch Kraftfahrzeugsteuer kann als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Insolvenzverwalter als Steuerschuldner festzusetzen sein.
  3. a) Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter über, der als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, soweit seine Verwaltung reicht (vgl. BFH-Urteile vom 10.02.2015 – IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 39; vom 11.04.2018 – X R 39/16, Rz 23; BFH-Beschluss vom 08.09.2009 – II B 63/09, BFH/NV 2010, 68, unter II.2.b, zur Kraftfahrzeugsteuer).
  4. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Später begründete Steueransprüche sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO Masseverbindlichkeiten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, Rz 19). Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei (BFH-Urteil vom 14.12.2022 – X R 9/20, BFHE 279, 491, BStBl II 2024, 227, Rz 35).
  5. Der Insolvenzverwalter ist als Vermögensverwalter Steuerpflichtiger und damit richtiger Bekanntgabe- und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit denen eine Finanzbehörde bestehende Masseverbindlichkeiten geltend macht. Demgegenüber sind Steuerforderungen, die sich nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners richten, gegen den Schuldner selbst festzusetzen (BFH-Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 10; vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 9; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 14; vom 10.02.2015 – IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 39; vom 11.04.2018 – X R 39/16, Rz 23).
  6. b) Zu den Masseverbindlichkeiten gehören gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
  7. Die nach der Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist als Abgabenforderung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO den „in anderer Weise“ durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betrifft. Dies ist der Fall, wenn die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Abgabenforderung selbst einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2009 – 8 C 9.09; BFH-Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 13; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16).
  8. aa) Im Streitfall liegen zwar nach Insolvenzeröffnung entstandene Verbindlichkeiten vor. Denn Steuergegenstand der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (BFH-Urteil vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 13). Die Steuerpflicht dauert gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei einem inländischen Fahrzeug ‑‑auch im Falle der Insolvenz des Halters‑‑ so lange an, wie das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (BFH-Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 12; Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer, § 5 KraftStG Rz 26).
  9. bb) Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer weist aber nur dann einen Bezug zur Insolvenzmasse auf und ist Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kraftfahrzeugsteuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegt (BFH-Urteil vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16). Denn der Insolvenzverwalter kann dann über die Art und Weise der Verwendung oder Verwertung des Fahrzeugs bestimmen und gegebenenfalls verhindern, dass weiterhin Kraftfahrzeugsteuer entsteht, indem er das Fahrzeug veräußert oder außer Betrieb setzt und der Zulassungsbehörde dies anzeigt (BFH-Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 15, mit Hinweis auf § 5 Abs. 4 und Abs. 5 KraftStG, § 13 Abs. 4, § 14 Abs. 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung). Maßgebend ist danach, ob das Fahrzeug (tatsächlich/körperlich) Teil der Insolvenzmasse ist (BFH-Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 15; vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 14; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16; vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 13).
  10. (1) Zur Insolvenzmasse wird gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen gerechnet, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die Insolvenzmasse umfasst die Soll- und die Istmasse. Während die Sollmasse die Summe einzelner geldwerter (körperlicher und unkörperlicher) Rechtsgegenstände darstellt, die von Rechts wegen vom Insolvenzbeschlag erfasst und den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen sind, umfasst die Istmasse alle Gegenstände, die der Insolvenzverwalter tatsächlich in Besitz nimmt (BFH-Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 14; s.a. Müller in Jaeger, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 35 Rz 7; Uhlenbruck/Hirte/Praß, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 35 Rz 46 ff.).
  11. Der Sollmasse und der Istmasse gemeinsam ist das Vermögenswert-Erfordernis. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 35 InsO wird den Insolvenzgläubigern nur der Teil des Vermögens des Schuldners zugewiesen, der für dessen Schulden haftet, also Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung ist. Zwar spielt die Verwertbarkeit des Gegenstands für die Feststellung der Massezugehörigkeit keine Rolle. Dementsprechend können auch wertlose Gegenstände als Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse gehören. Ist der Gegenstand hingegen verbraucht oder veräußert, so ist er dem Gläubigerzugriff ‑‑vorbehaltlich der Gläubigeranfechtung‑‑ entzogen. Dasselbe gilt, wenn die Sache vollständig zerstört und nicht mehr existent ist, da sie dann keine Haftungsfunktion mehr erfüllen kann. Deshalb fällt ein Fahrzeug, das bereits vor Insolvenzeröffnung untergegangen ist, nicht unter den Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1 InsO (BFH-Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 14).
  12. (2) Allein aus der Haltereigenschaft für ein Fahrzeug entsteht kein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse. Die Rechtsposition des Halters eines Kraftfahrzeugs ist kein geldwertes Recht oder Gut und damit kein „Vermögen“ im Sinne des § 35 InsO (BFH-Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 19).
  13. (3) Auch bei insolvenzfreien Fahrzeugen besteht der notwendige Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse nicht. Denn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters beschränkt sich auf die zur Masse gehörenden Vermögensgegenstände. Der Insolvenzverwalter kann daher das Entstehen von Kraftfahrzeugsteuer für insolvenzfreie Kraftfahrzeuge nicht verhindern. Ebenso wenig ist Kraftfahrzeugsteuer allein deshalb als Masseverbindlichkeit zu beurteilen, weil das (insolvenzfreie) Fahrzeug für die Masse genutzt worden ist. Denn nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO („durch die Verwaltung … der Insolvenzmasse“) liegen Masseverbindlichkeiten nur vor, wenn ein Massegegenstand verwaltet wird und daraus eine (Steuer-)Verbindlichkeit resultiert (BFH-Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 16 f., m.w.N.).
  14. 2. Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des FG, dass für die drei Fahrzeuge die Voraussetzungen für die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Kläger nicht vorlagen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG war nach der Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts nicht davon überzeugt, dass die Fahrzeuge der Insolvenzschuldnerin gehörten; die Eigentumsverhältnisse an den drei Fahrzeugen seien nicht aufklärbar (hierzu unter a). Der Senat ist an diese tatsächliche Würdigung gebunden (hierzu unter b). Die Nichtaufklärbarkeit der Eigentumsverhältnisse geht zu Lasten des HZA (hierzu unter c).
  15. a) Das FG hat entschieden, dass nicht festgestellt, sondern nur vermutet werden könne, dass die drei Fahrzeuge bei beziehungsweise nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Insolvenzschuldnerin standen. Hinsichtlich des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen …1 spreche zwar der am 22.05.2019 erfolgte Halterwechsel dafür, dass das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt zumindest noch existent gewesen sei. Es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass für ein nicht mehr existentes Fahrzeug ein Halterwechsel beantragt werde. Allerdings bedeuteten allein die Existenz des Fahrzeugs und die (vormalige) Haltereigenschaft der Insolvenzschuldnerin nicht, dass diese auch Eigentümerin des Fahrzeugs (gewesen) sei. Denn es bestehe auch die Möglichkeit, dass das Fahrzeug im Dritteigentum gestanden und danach nicht zur Insolvenzmasse der Insolvenzschuldnerin gehört habe.
  16. Die Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse an den drei Fahrzeugen liege auch nicht darin begründet, dass der Kläger als Insolvenzverwalter seinen Ermittlungspflichten hinsichtlich der Masse nicht nachgekommen sei. Dieser habe vielmehr hinreichend dargelegt, welche einzelnen Maßnahmen er ergriffen habe, um die Eigentumsverhältnisse an den drei Fahrzeugen aufzuklären. Der Kläger habe Erkundigungen bei ehemaligen und gegenwärtigen Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin eingeholt, die jedoch im Ergebnis unergiebig geblieben seien. In Ansehung des zu erwartenden Aufwands für weitere Ermittlungsmaßnahmen und deren geringer Erfolgsaussichten sei der Kläger auch nicht verpflichtet gewesen, weitere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.
  17. b) Diese tatsächliche Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, da dagegen keine erfolgreichen Verfahrensrügen erhoben worden sind und sie, wenn auch nicht zwingend, jedoch zumindest möglich ist. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und hat keine wesentlichen Umstände vernachlässigt (z.B. BFH-Urteile vom 15.06.2023 – IV R 6/20, Rz 35; vom 01.09.2022 – IV R 13/20, BFHE 277, 423, BStBl II 2024, 121, Rz 37).
  18. Es ist jedenfalls möglich, dass die drei Fahrzeuge nicht der Insolvenzschuldnerin gehörten. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass allein aus der Existenz eines Fahrzeugs, für das die Insolvenzschuldnerin als Halterin eingetragen ist, nicht ihr Eigentum geschlussfolgert werden kann. Dieses Fahrzeug kann ebenso, worauf das FG zutreffend hingewiesen hat, im Eigentum eines Dritten gestanden haben, zum Beispiel aufgrund der Überlassung des Fahrzeugs im Rahmen eines Leasingverhältnisses.
  19. Das FG war auch nicht gehalten, eine Reduzierung des Beweismaßes für die Annahme, dass die drei Fahrzeuge der Insolvenzschuldnerin gehörten, in Betracht zu ziehen. Zwar hat ein FG ‑‑insbesondere vor einer Anwendung der Regeln über die Feststellungslast‑‑ zu erwägen, ob das im konkreten Einzelfall für die richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch ausreichende Beweismaß gegenüber dem Regelbeweismaß zu reduzieren ist, wenn die gerichtlichen Versuche zur Sachaufklärung erfolglos bleiben, weil ein Beteiligter, der über eine besondere Beweisnähe verfügt, die ihm zumutbare Mitwirkung an der Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) verweigert. Das Beweismaß kann sich dann auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern (BFH-Urteil vom 23.03.2011 – X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 19; BFH-Beschluss vom 07.05.2004 – IV B 221/02, BFH/NV 2004, 1367, unter 1.d). Das FG ist jedoch davon ausgegangen, dass der Kläger seine ihm obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt habe, indem er ‑‑wenn auch vergeblich‑‑ Ermittlungsmaßnahmen zur Insolvenzmasse durchgeführt habe und das Ergreifen weiterer Maßnahmen auch im Hinblick auf die damit verbundenen Erfolgsaussichten nicht von ihm zu erwarten gewesen sei.
  20. Mit dieser Annahme verstößt das FG weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze. Das HZA meint zwar, der Kläger hätte noch weitere Ermittlungen anstellen müssen; diese Auffassung erscheint jedoch in Ansehung der bereits ergriffenen und vom FG festgestellten Ermittlungsmaßnahmen keinesfalls zwingend, zumal das FG auch in nicht zu beanstandender Weise die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit weiterer Ermittlungsmaßnahmen berücksichtigt hat (zu diesen Kriterien für die Sachaufklärungspflicht des Steuerpflichtigen z.B. BFH-Urteil vom 06.06.2007 – II R 17/06, BFHE 217, 398, BStBl II 2008, 46, unter II.1.a [Rz 17]).
  21. Das FG hat im Rahmen der Prüfung von Mitwirkungspflichtverletzungen richtigerweise nicht zusätzlich auf das Verhalten der Insolvenzschuldnerin beziehungsweise des für diese handelnden Geschäftsführers abgestellt. Deren Verhalten ist dem Kläger nicht zuzurechnen, insbesondere ist die Insolvenzschuldnerin, die von der Vermögensverwaltung ausgeschlossen ist, insoweit nicht für den Kläger, dem allein nach § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin zusteht, tätig.
  22. Dem steht auch der Einwand des HZA nicht entgegen, dass es einem unkooperativen Insolvenzschuldner nicht zugutekommen dürfe, wenn der Insolvenzverwalter seine ihm in dieser Funktion obliegenden zivilrechtlichen Pflichten erfülle. Dabei übersieht das HZA, dass die Nichtinanspruchnahme der Masse nicht der ‑‑aus Sicht des HZA unkooperativen‑‑ Insolvenzschuldnerin, sondern den anderen Massegläubigern zugutekäme, und damit, wenn auch nur nach Maßgabe einer eventuellen Insolvenzquote, auch dem HZA selbst. Zudem ist es dem HZA unbenommen, die entstandene Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem insolvenzfreien Vermögen und damit unmittelbar gegen die Insolvenzschuldnerin selbst geltend zu machen.
  23. c) Die Nichtaufklärbarkeit der Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der drei Fahrzeuge geht zu Lasten des HZA. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das HZA und nicht der Kläger als Insolvenzverwalter die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und damit auch hinsichtlich der Voraussetzung trägt, dass die drei auf die Insolvenzschuldnerin zugelassenen Fahrzeuge Teil der Insolvenzmasse sind (s. hierzu BFH-Urteil vom 11.04.2024 – IV R 18/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, unter B.I.3.).
  24. 3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).
  25. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.