Einkommensteuer: Die Anordnung der rückwirkenden Besteuerung von abgabenrechtlichen Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht

Urteil des 6. Senats vom 22.3.2013, 6 K 69/11, Revision eingelegt, Az. des BFH VIII R 30/13. – Entscheidung im Volltext

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 6 K 69/11
Urteil des Senats vom 22.03.2013
Rechtskraft: Revision eingelegt, Az. des BFH: VIII R 30/13
Normen: GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, EStG §
52 a Abs. 8 S. 2, EStG § 12 Nr. 3, AO § 233 a
Leitsatz: Die rückwirkend angeordnete Besteuerung von Erstattungszinsen als
Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG verstößt nicht
gegen Verfassungsrecht.
Überschrift: Einkommensteuerrecht: Die Besteuerung von Erstattungszinsen als
Einkünfte aus Kapitalvermögen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die dem Kläger in 2004 zugeflossenen
Erstattungszinsen die Einnahmen aus Kapitalvermögen erhöhen und damit der
Einkommensteuer unterliegen.
Der Kläger war bis 31.12.1999 mit einer Unterbeteiligung an einem Kommanditanteil
an der Firma A … (Fa) beteiligt. Bei einer von dem Finanzamt B-1 durchgeführten
Betriebsprüfung wurden für die Jahre 1996 und 1997 höhere Gewinne ermittelt und
dem Kläger zugerechnet. Mit Einkommensteuerbescheiden für 1996 und 1997,
jeweils vom 04.11.2004, wurde die Einkommensteuer für diese Jahre höher
festgesetzt; zugleich wurden Nachzahlungszinsen um insgesamt 4.912 € (3.120 € für
1996 und 1.792 € für 1997) höher festgesetzt und zum 08.12.2004 fällig gestellt
(Anlagen K1 und K2 zum Schriftsatz vom 07.03.2007).
Für die Jahre 1998 bis 2002 wurde die Einkommensteuer mit Bescheiden vom 04.
und 08.11.2004 herabgesetzt; zugleich wurden Erstattungszinsen um insgesamt
11.649 € (825 € für 1998, 1.033 € für 1999, 4.573 € für 2000, 4.005 € für 2001 und
1.213 € für 2002) höher festgesetzt.
Der Beklagte erhöhte im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 20.06.2006 die
erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen um in 2004 erstattete Zinsen von 11.319
€ (S. 3 des Einkommensteuerbescheides – Anlage zur Klagschrift vom 08.02.2008)
gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG). Die vom Kläger entrichteten
Nachzahlungszinsen von 4.912 €, die am 04.01.2005 bei dem Beklagten
eingegangen sind, wurden steuerlich nicht berücksichtigt. Der Gesamtbetrag der
Einkünfte wurde in Höhe von 20.485 € ermittelt, und die Einkommen-steuer 2004
wurde nach Berücksichtigung eines entsprechenden Verlustvortrags auf 0 €
festgesetzt. Mit gleichem Datum erging ein Bescheid über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum
31.12.2004; der verbleibende Verlustvortrag wurde um den für 2004 in Abzug
gebrachten Verlust von 20.485 € niedriger berücksichtigt und zum 31.12.2004 auf
30.852 € festgestellt.
Gegen den Einkommensteuer-Bescheid 2004 legte der Kläger am 26.07.2006
Einspruch ein und wies darauf hin, dass die für frühere Jahre in 2004 fällig gestellten und in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen nicht berücksichtigt worden seien. Der
Kläger beantragte zunächst, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzten
Erstattungszinsen in 2004 um die in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen zu
mindern.
Der Beklagte wertete diesen Rechtsbehelf als Einspruch gegen den Bescheid über
die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
zum 31.12.2004 vom 20.06.2006 und wies ihn mit Einspruchsentscheidung vom
09.01.2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen
ausgeführt, dass Erstattungszinsen als Entgelt für die – wenn auch nicht freiwillige –
Überlassung des Kapitalvermögens gewährt würden und sie damit einen Ertrag aus
dem Steuererstattungsanspruch darstellten. Dem gegenüber seien
Nachzahlungszinsen aus Steuernachforderungen als privat veranlasste
Schuldzinsen gem. § 12 Nr. 3 EStG einkommensteuerrechtlich unerheblich. Die für
die Veranlagungszeiträume 1990 bis 1998 geltende Rechtslage (§ 10 Abs. 1 Nr. 5
EStG), wonach diese als Sonderausgaben abgezogen werden konnten, habe sich ab
1999 geändert.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 08.02.2008, beim Finanzgericht
eingegangen am 11.02.2008, Klage, nunmehr mit dem Ziel der
Nichtberücksichtigung der Erstattungszinsen bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen für 2004.
Mit Beschluss vom 09.10.2008 des Finanzgerichts Hamburg wurde das Ruhen des
Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs zum Az. VIII R 33/07
angeordnet. Das Urteil des Bundesfinanzhofs erging am 15.06.2010. Nach dieser
Entscheidung unterliegen Zinsen im Sinne von § 233a Abgabenordnung (AO), die
das Finanzamt an den Steuerpflichtigen zahlt, beim Empfänger nicht der
Besteuerung, soweit sie auf Steuern entfallen, die gem. § 12 Nr. 3 EStG nicht
abziehbar sind.
Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 08.12.2010 wurde § 20 Abs. 1
Nr. 7 EStG um den Satz 3 ergänzt, wonach Erstattungszinsen im Sinne des § 233a
AO Erträge im Sinne des Satzes 1 sind. Diese Regelung ist gem. § 52a Abs. 8 Satz
2 EStG in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig
festgesetzt war.
Der Kläger führt zur Begründung seiner Klage aus, dass der Umstand, dass
Nachzahlungszinsen steuerlich irrelevant seien, während Erstattungszinsen
steuerpflichtig seien, zu einer Disparität in dem steuerrechtlichen Verhältnis der
Vollverzinsung führe. Nach § 233a AO bestehe eine Kongruenz zwischen den
wechselseitigen Verpflichtungen von Finanzamt und Steuerpflichtigem, die von dem
Gedanken getragen würden, dass gegenseitige Liquiditätsvorteile abgeschöpft
werden sollten. Dies gelte wechselseitig, wie schon der identische Zinssatz in beide
Richtungen zeige. Diese vom Grundsatz der Wechselseitigkeit geprägte Regelung
werde überlagert durch § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, der einseitig nur die
Erstattungszinsen zum steuerpflichtigen Einkommen mache. Bei dem
Steuerpflichtigen wirkten sich Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, solange und
soweit sie sich aufrechenbar gegenüber ständen, nicht aus. Er habe dadurch keinen
Liquiditätsvorteil. In dem Zeitraum, in dem sich die Erstattung eines
Veranlagungszeitraumes und die Nachzahlung eines anderen Zeitraumes gegenüber
stünden, seien die Nachzahlungszinsen Werbungskosten hinsichtlich der Erstattungszinsen. Andernfalls komme es zu einer Besteuerung fiktiven
Einkommens, die von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht erfasst werde; zudem stelle sich
hier die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung.
Wäre das Verfahren unmittelbar nach Verkündung des Urteils des Bundesfinanzhofs
vom 15.06.2010 wiederaufgenommen worden, hätte es vermutlich vor Erlass des
Jahressteuergesetzes 2010 im Sinne des Klägers rechtskräftig abgeschlossen
werden können. Die Regelung des Jahressteuergesetzes 2010 hätte den Kläger
dann nicht mehr getroffen. Schon daraus werde deutlich, dass mit der getroffenen
Rückwirkungsregelung rein willkürliche oder zufällige Ergebnisse erzielt würden, die
dem Prinzip der Gleichheit der Besteuerung widersprechen würden. Der Ansicht des
Finanzgerichts Münster im Urteil vom 16.12.2010 (Az: 5 K 3626 E), die Rückwirkung
sei verfassungsgemäß, weil sie eine Rechtslage herstelle, die gefestigter
Rechtsprechung entspreche, könne nicht gefolgt werden. Nach der geänderten
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs fehle es an einer Grundlage für die
Heranziehung dieser Zinsen zur Einkommensteuer. Diese fehlende Rechtsgrundlage
könne auch nicht rückwirkend durch ein Gesetz geschaffen werden. Im
Jahressteuergesetz 2010 liege insoweit ein Verstoß gegen die Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit und gegen das Nettoprinzip vor. Die Reaktion des Gesetzgebers
auf ein ihm missliebiges Urteil stelle einen so gravierenden Eingriff in die
Gewaltenteilung dar, dass die Regelung bereits verfassungsfeindliche Qualität
bekomme. Die Gewaltenteilung gehöre jedoch zu dem von der Ewigkeitsklausel des
Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz (GG) umfassten Kernbereich der Grundsätze unseres
Gemeinwesens.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid zum 31.12.2004 über die Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Einkommensteuer vom 20.06.2006 und in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008 dahingehend zu ändern, dass als
Verlustabzug im Jahr 2004 ein Betrag von 9.166 € (bisher von 20.485 €)
berücksichtigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die Klage für unbegründet. Er bezieht sich im Wesentlichen auf die
Begründung der streitigen Einspruchsentscheidung und verweist im Übrigen auf das
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20.03.2007 – Az. 14 K 2373/04. Er, der Beklagte,
teile die verfassungsgemäßen Bedenken des Klägers gegen das Jahressteuergesetz
2010 nicht und verweise ferner auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom
16.12.2010 (Az. 5 K 3626/03, EFG 2011, 649).
Für den weiteren Sachverhalt wird auf den Inhalt der Protokolle vom 14.02.2013
(Erörterungstermin) und vom 22.03.2013 (mündliche Verhandlung) verwiesen.
Dem Senat haben Einkommensteuerakten 2004 und die Rechtsbehelfsakte zur St.
Nr. …/…/… vorgelegen.Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Feststellungsbescheid vom
20.06.2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1
Finanzgerichtsordnung – FGO -).
1. Zwar hat der Kläger in seinem Schreiben vom 26.07.2006 den
Einkommensteuerbescheid vom 20.06.2006 genannt, gegen den der Einspruch
gerichtet war; dennoch durfte der Beklagte diesen Einspruch als solchen gegen den
Bescheid zum 31.12.2004 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Einkommensteuer auslegen, weil aus den Einwendungen des
Klägers hervorging, dass diese sich gegen den Feststellungsbescheid gleichen
Datums richteten.
Auch außerprozessuale Rechtsbehelfe sind unter Beachtung des
verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes
auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung fehlt. Dies
gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. BFH-Urteil vom
31.10.2000 VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589). Ein Einspruch, der sich gegen einen
auf 0 € lautenden Einkommensteuerbescheid richtet, kann entgegen seinem Wortlaut
auch als Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 4 EStG verstanden werden (vgl.
BFH-Beschlüsse vom 06.07.2005 XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029 und vom
19.07.2005 XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68). Dies ist der Unübersichtlichkeit und
Komplexität der verfahrensrechtlichen Lage hinsichtlich des Verhältnisses zwischen
dem Einkommensteuerbescheid einerseits und dem Bescheid über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs andererseits geschuldet (vgl. BFHBeschluss vom 24.08.2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035).
Bei den Einwendungen des Klägers zur Nichtberücksichtigung der
Nachzahlungszinsen für 2004 handelt es sich um solche, die nur gegen den
Verlustfeststellungsbescheid geltend gemacht werden konnten. Die entsprechende
Wertung des Beklagten hat deshalb dem tatsächlichen Willen des Klägers
entsprochen, so dass die unrichtige Bezeichnung „Einspruch gegen den
Einkommensteuerbescheid“ insoweit unschädlich war.
2. Der Beklagte hat die dem Kläger in 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen zu
Recht als Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen behandelt.
Erstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) stellen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der durch Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe a
Doppelbuchstabe aa) JStG 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, S. 1768) geänderten
Fassung Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG
dar. Diese Gesetzesänderung ist in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer
noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52a Abs. 8 Satz 2 EStG in der durch
Artikel 1 Nr. 39 Buchstabe a JStG 2010 geänderten Fassung). Sie ist am Tage nach der Verkündung des JStG 2010, also am 14.12.2010, in Kraft getreten (§ 32 Abs. 1
JStG 2010).
3. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und auch im Schrifttum wird die Frage,
ob zugeflossene Erstattungszinsen nach § 233a AO als Einnahmen bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der
Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 zu berücksichtigen sind, kontrovers
diskutiert. Die zu dieser Problematik beim BFH anhängigen Revisionsverfahren (Az:
VIII R 1/11, Vorinstanz FG Münster, Urteil vom 16.12.2010 – 5 K 3626/03 E, EFG
2011, 649; VIII R 36/10, Vorinstanz Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2010 – 10
K 2720/09, EFG 2010, 723; VIII R 26/12, Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
29.05.2012 – 3 K 1954/11, EFG 2012 1656; VIII R 28/12, Vorinstanz FG Münster,
Urteil vom 10.05.2012 – 2 K 1947/00 E, EFG 2012, 1750; VIII R 29/12 Vorinstanz FG
Münster Urteil vom 10.05.2012 – 2 K 1950/00 E, BB 2012, 1890) sind noch offen.
Allerdings hat der BFH in zwei Beschwerdeverfahren ernstliche Zweifel an der
Erfassung von Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes des Jahres 2010 bejaht
(BFH-Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575 und vom
09.01.2012 – VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575 ) ohne eine tiefere inhaltliche, dem
Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Auseinandersetzung. Gegen die Neufassung
des Gesetzes werden sowohl einfach-rechtliche als auch verfassungsrechtliche
Bedenken, insbesondere wegen eines möglichen Verstoßes gegen das
Rückwirkungsverbot, erhoben (vgl. die Darstellung der kontroversen Meinungen im
Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29.05.2012 – 3 K 1954/11, beim BFH anhängig
unter dem Az. VIII R 26/12).
Der Senat schließt sich der Auffassung des FG Münster im Urteil vom 16.12.2010
(Az: 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649) an, wonach der Gesetzgeber lediglich die alte
Gesetzeslage wieder hergestellt hat, sodass kein Vertrauensschutz des Klägers in
eine von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Rechtspraxis abweichenden
Rechtslage besteht. Der Senat folgt auch der Ansicht des Schleswig-Holsteinischen
FG (Beschluss vom 01.06.2011 – 2 V 35/11 -, EFG 2011, 1687) sowie des FG
Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.05.2012 3 K 1954/11, beim BFH anhängig unter VIII
R 26/12), wonach der im JStG 2010 neu geschaffenen Regelung des § 20 Abs. 1 Nr.
7 EStG ein Anwendungsvorrang vor § 12 Nr. 3 EStG eingeräumt wird. Dieser
Vorrang ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte und dem erklärten Zweck
des § 233a AO (BT-Drs 17/3579, S. 17). Danach sollten nach dem Willen des
Gesetzgebers Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen erfasst werden, um eine Ungleichbehandlung mit demjenigen zu
vermeiden, der seine vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a AO erhaltene
Einkommensteuerrückerstattung zinsbringend bei seiner Bank anlegt. Diese bereits
bei Schaffung des § 233a AO zum Ausdruck gekommene Absicht sollte nach
Ergehen des Urteils des BFH vom 15.06.2010 klarstellend gesetzlich geregelt
werden. Dieser Zweck ist jedoch nur bei Einräumung eines Vorrangs vor § 12 Abs. 3
EStG erreichbar. Da der Gesetzgeber der Ansicht war, die Steuerbarkeit der
Erstattungszinsen sei auch sachlich zutreffend (BT-Drs 17/3549, S. 17), kann in der
Neuregelung nur eine Ausnahmeregelung zu § 12 Nr. 3 EStG gesehen werden. Dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers kommt insoweit entscheidende Bedeutung
zu (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 V 35/11 -,
EFG 2011, 1687). Nach all dem sind die Erstattungszinsen als Einnahmen aus
Kapitalvermögen zu erfassen.4. Die gesetzlichen Neuregelungen von §§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, 52a Abs. 8 Satz 2
EStG verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere liegt kein Verstoß
gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende
Rückwirkungsverbot vor.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGBeschluss vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BB 1986, 1421 und Beschluss vom
22.03.1983 2 BvR 475/78, BverfGE 63, 343, 353) entfaltet eine Rechtsnorm
Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf
einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich
existent, d. h. gültig geworden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm
betrifft allein die zeitliche Zuordnung der normativ angeordneten Rechtsfolgen im
Hinblick auf den Zeitpunkt der Verkündung der Norm. Entscheidend ist dabei, ob
diese Rechtsfolgen für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der
Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen (echte Rückwirkung), oder ob dies erst für
einen nach oder mit Verkündung beginnenden Zeitraum geschehen soll.
Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit einer Rechtsänderung, die an
Sachverhalte der Vergangenheit anknüpft und zugleich Rechtsfolgen in die
Vergangenheit erstreckt, ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3
GG. Dieses zieht den Befugnissen des Gesetzgebers, den Eintritt nachteiliger
Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes zu erstrecken,
enge Grenzen. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 14.05.1986 (a. a. O.)
ausgeführt, dass aus dem in Artikel 103 Abs. 2 GG aufgestellten Rückwirkungsverbot
für materielle Strafrechtsnormen nicht gefolgert werden dürfe, dass Rückwirkungen
im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich seien, denn die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung sei eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Allein
zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr –
vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen könne eine Durchbrechung
des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern (BVerfGE 72, 200, 258).
Eine Änderung mit Rückwirkung ist darüber hinaus auch dann zulässig, wenn das
geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar oder
verworren war. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben,
die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einer
einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfGE 81, 228, Beschluss vom 23.01.1990
1 BvL 4, 5, 6 und 7/87 und vom 15.10.2008 1 BvR 1138, 06, BFH/NV 2009, 110).
Danach widerspricht es weder dem Gewaltenteilungsgrundsatz noch dem
Rechtsstaatsprinzip, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung
korrigiert, die auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein muss, deren Ergebnis
er jedoch nicht für sachgerecht hält (BVerfG Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR
1138/06 a. a. O.).
5. Bei der Gesetzesänderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2
EStG im JStG 2010 handelt es sich um eine echte Rückwirkung, denn diese
Änderung ist auf alle noch offenen und damit auch – wie im Fall des Klägers – auf
bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume anwendbar. Der Senat hält diese
Rückwirkung jedoch ausnahmsweise für zulässig, weil der Gesetzgeber dadurch
lediglich eine Gesetzeslage geschaffen hat, die vor der Rechtsprechungsänderung des BFH im Urteil vom 15.06.2010 (a. a. O.) einer gefestigten Rechtsprechung und
Rechtspraxis entsprochen hat.
Nach dieser geänderten Rechtsprechung stellen Erstattungszinsen nach der zu
diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage gem. § 233a AO keine Einkünfte aus
Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar, soweit sie auf
Einkommensteuererstattungen entfielen. Aus dem Abzugsverbot für die
Einkommensteuer und die darauf entfallenden Nebenleistungen des § 12 Nr. 3 EStG
ergebe sich eine gesetzgeberische Zuweisung zum nicht steuerbaren Bereich, die
auch auf die Erstattungszinsen ausstrahle (so auch FG Münster, Urteil vom
10.05.2012, Az: 2 K 1947/00 E – juris). Mit dieser Entscheidung gab der BFH seine
bisherige ständige Rechtsprechung auf, nach der Erstattungszinsen nach § 233a AO
Einkünfte aus Kapitalvermögen darstellten (vgl. BFH-Urteile vom 08.11.2005 VIII R
105/03, BFH/NV 2006, 527; vom 08.04.1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II
1986, 557; vom 18.02.1975 VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; sowie
Beschluss vom 14.04.1992 VIII R 114/91, BFH/NV 1993, 165).
6. Die unterschiedliche Behandlung von nichtabziehbaren Nachzahlungszinsen
sowie steuerpflichtigen Erstattungszinsen verstößt auch nicht gegen das aus dem
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Folgerichtigkeitsgebot.
Erstattungs- und Nachzahlungszinsen nach § 233a AO oder § 237 AO betreffen
weder die Rückabwicklung des nämlichen Zahlungsvorgangs noch wirtschaftlich
vergleichbare Sachverhalte. Demgemäß besteht auch kein tragfähiger Grund dafür,
aus dem Folgerichtigkeitsgrundsatz ein Gebot der symmetrischen Behandlung des
Inhalts abzuleiten, dass die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen einem
Verbot der Besteuerung von Erstattungszinsen entsprechen müsse (vgl. BFHBeschluss vom 15.02.2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697).
II.
Das Verfahren war nicht nach § 155 FGO i. V. m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO)
zum Ruhen zu bringen oder nach § 74 FGO auszusetzen.
Eine Verfahrensruhe schied aus, weil der Kläger einem Ruhen des Verfahrens nicht
mehr zugestimmt hat.
Die Voraussetzungen des § 74 FGO lagen ebenfalls nicht vor. Ein beim BFH
anhängiger Rechtsstreit, der eine vergleichbare Rechtslage wie im Streitfall betrifft,
stellt keinen Aussetzungsgrund nach § 74 FGO dar. Da der Senat, wie oben
ausgeführt, die hier anzuwendenden Vorschriften (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i. V.
m. § 52a Abs. 8 Satz 3 EStG) nicht für verfassungswidrig hält, kam auch eine
Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke einer Einholung einer Entscheidung des
BVerfG gem. Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen. Zudem sind zu der hier streitigen Rechtsfrage zahlreiche Verfahren beim
BFH, wie oben ausgeführt, anhängig.