Einkommensteuer: Die Neuregelung in § 10d Abs. 4 Satz 6 und § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2007 beschränkt sich auf noch nicht feststellungsverjährte Zeiträume und stellt somit keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot dar

Urteil des 6. Senats vom 18.2.2013, 6 K 43/11, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BFH IX B 49/13. – Entscheidung im Volltext

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 6 K 43/11
Urteil des Senats vom 18.02.2013
Rechtskraft: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BFH: IX B 49/13
Normen: EStG § 10d, AO § 169, AO § 170, AO § 181 Abs. 5
Leitsatz: § 10d Abs. 4 Satz 6 und § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2007
verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
abgeleitete Rückwirkungsverbot, denn die Neuregelung beschränkt sich auf noch
nicht feststellungsverjährte Zeiträume.
Überschrift: Einkommensteuergesetz: Verlustfeststellung gem. § 10d EStG für 1999 –
2001
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, für die Jahre
1999 bis 2001 Verlustfeststellungsbescheide gem. § 10d Einkommensteuergesetz
(EStG) zu erlassen.
Die 19… geborene Klägerin studierte von November 1998 bis Oktober 2003 … Seit
Januar 2004 war sie als Trainee im Bereich „…“ beschäftigt. Anschließend erfolgte
eine Festanstellung. Sie erzielte im Jahr 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit in Höhe von 45.440 €. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug 44.156 €.
Die Klägerin hatte für 1999, 2002 und 2003 jeweils Einkommensteuererklärungen
eingereicht. Für alle drei Jahre betrug das zu versteuerndes Einkommen 0 €. Die von
ihr in diesen Jahren gezahlte Lohnsteuer wurde zurückerstattet. Durch den
Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 25.02.2000 wurde ein Gesamtbetrag der
Einkünfte in Höhe von 5.525 DM berücksichtigt. Zum 31.12.2003 wurde durch den
Bescheid vom 11.02.2004 ein verbleibender Verlustvortrag in Höhe von 978 €
festgestellt. Der zum 31.12.2004 verbliebene Verlustvortrag wurde durch den
Bescheid vom 23.03.2005 in Höhe von 0 € festgestellt.
Mit Schreiben vom 11.08.2009 beantragte die Klägerin die Verlustfeststellungen für
die Jahre 1999 bis 2001. Sie erklärte für 1999 bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten in Höhe von 29.287 DM, für 2000 in Höhe
von 52.909 DM und für 2001 in Höhe von 25.050 DM.
Die erklärten Werbungskosten setzten sich insbesondere aus Aufwendungen für eine
doppelte Haushaltsführung, Umzüge, Fahrtkosten zwischen Wohnung und
Bildungsstätte, Fortbildungs- bzw. Dienstreisen und Arbeitsmittel zusammen. Auf die
entsprechenden Erklärungen und Belege wird verwiesen.
Diesen Antrag auf Verlustfeststellung für die Jahre 1999 bis 2001 lehnte der Beklagte
unter Hinweis auf die eingetretene Festsetzungsverjährung durch Bescheid vom
24.08.2009 ab.Hiergegen legte die Klägerin am 14.09.2009 Einspruch ein. Durch
Einspruchsentscheidung vom 15.02.2011 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück.
Am 17.03.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, § 10d
Abs. 4 Satz 6 EStG sei verfassungswidrig, denn diese Regelung führe dazu, dass
Verluste, die in den Streitjahren 1999 bis 2001 entstanden seien, rückwirkend
verloren gingen. Die Regelung greife damit in unzulässiger Weise in abgeschlossene
Zeiträume ein, so dass es sich um eine unzulässige Rückwirkung handele. Denn
entscheidend sei nicht, wann der Antrag auf Verlustfeststellung gestellt worden sei,
sondern wann die Verluste entstanden seien. Dieses sei bereits in den Jahren 1999,
2000 und 2001 gewesen. Vor der Einführung dieser gesetzlichen Regelung sei es
möglich gewesen, die Verlustfeststellungen nahezu unbegrenzt durchzuführen, denn
gem. § 181 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) habe eine Feststellung noch so lange
durchgeführt werden können, wie die gesonderte Feststellung für eine
Steuerfestsetzung von Bedeutung gewesen sei. Da die drei begehrten
Feststellungen noch für den Einkommensteuerbescheid 2004 von Bedeutung seien,
wäre nach der alten Rechtslage die Verlustfeststellung möglich gewesen. Die
Klägerin sei auch schutzbedürftig, denn es entspreche dem Gebot der
Leistungsfähigkeit, dass entstandene Verluste berücksichtigt werden müssten. In
diesem Zusammenhang verweist die Klägerin auf den Aufsatz von Kube, Die
intertemporale Verlustverrechnung zur Einbeziehung von Altverlusten in eine
Neuregelung, DStR 2011, 1829. Da die erklärten Verluste spätestens 2005
verbraucht sein müssten, könnten keine besonderen Gemeinwohlinteressen an der
gesetzlichen Rückwirkung bestehen. Dies sei auch daran zu erkennen, dass für die
Jahre vor 1999 noch eine Verlustfeststellung möglich gewesen sei.
Entscheidend für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung sei, ob
die Rechtsposition, die der Steuerpflichtige vor der Neuregelung gehabt habe, durch
die Gesetzesänderung entwertet worden sei. Dies sei im Streitfall der Fall gewesen,
denn nach der jahrzehntelangen und gefestigten Rechtsprechung habe die
Anwendbarkeit des § 181 Abs. 5 AO dazu geführt, dass die Verlustfeststellung gem.
§ 10d EStG auch noch nach Ablauf der Feststellungsfrist möglich gewesen sei. § 10d
Abs. 4 Satz 6 EStG habe diese Rechtslage praktisch ausgehebelt und auch für
bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume geändert. Unter den
Gesichtspunkten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit liege eine
unzulässige unechte Rückwirkung vor.
Es könne auch nicht argumentiert werden, dass die Frist für die Geltendmachung nur
für die Zukunft abgekürzt worden sei, denn die alte Regelung habe gerade
fristverlängernd gewirkt, so dass deren Abschaffung automatisch fristverkürzend sei.
Die Möglichkeit der Verlustfeststellung über die reguläre Feststellungsfrist hinaus sei
der Klägerin genommen worden. Eine Rückwirkung könne deshalb gerade nicht
ausgeschlossen werden. Dies sei insbesondere daran ersichtlich, dass eine andere
Vorschrift, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, welche ebenfalls durch das Jahressteuergesetz
2007 eingeführt worden sei, nach der Rechtsprechung anderer Finanzgerichte eine
unzulässige echte Rückwirkung beinhalte (FG Köln 10 K 6227/04, Vorlagebeschluss
vom 28.11.2007, EFG 2008, 860), da der Lebenssachverhalt der Erzielung von
negativen Einkünften in den vergangenen Veranlagungszeiträumen längst
abgeschlossen worden sei. Dies gelte auch für die hier streitige Norm. Insofern
müsse gegebenenfalls sogar von einer echten Rückwirkung ausgegangen werden. Auch das Finanzgericht München habe in seinem Beschluss vom 14.08.2007 (5 V
1558/07) verfassungsrechtliche Bedenken an § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG geäußert.
Es könne auch nicht argumentiert werden, dass der BFH die streitige Vorschrift §
10d Abs. 4 Satz 6 EStG bisher angewandt habe, ohne diese verfassungsrechtlich zu
problematisieren, denn bei den vom BFH entschiedenen Fällen habe sich das
Problem der Verfassungswidrigkeit nicht gestellt, da kein Anlass bestanden habe, zu
der Frage der Verfassungsmäßigkeit Stellung zu nehmen.
Die streitige Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, da allein der
Klägervertreter mehr als 50 vergleichbare Fälle bundesweit betreue.
Die von ihr, der Klägerin, erklärten Verluste seien auch in voller Höhe zu
berücksichtigen, denn sie habe alle Werbungskosten zumindest glaubhaft gemacht.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.08.2009 und
der Einspruchsentscheidung vom 15.02.2011 zu verpflichten, den verbleibenden
Verlustvortrag zur Einkommensteuer
zum 31.12.1999 auf 23.762 DM,
zum 31.12.2000 auf 76.671 DM und
zum 31.12.2001 auf 101.721 DM
festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung vom
15.02.2011 und trägt ergänzend vor, dass es kein Problem mit der Rückwirkung
geben könne, da zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch für keines der Jahre
Festsetzungsverjährung eingetreten sei und somit die Verlustfeststellung noch hätte
beantragt werden können.
Außerdem trägt er vor, dass für den Fall, dass das Gericht nicht von einer
Feststellungsverjährung ausgehe, auch nicht alle erklärten Werbungskosten zu
berücksichtigen seien. Denn die Klägerin habe nicht alle notwendigen Belege
eingereicht. Zudem könne sie nur für einen Zeitraum von drei Monaten eine doppelte
Haushaltsführung geltend machen, da sie nicht über einen eigenen Hausstand
verfügt habe. Es seien deshalb im Jahr 1999 lediglich 15.461 DM, im Jahr 2000
37.096 DM und in 2001 18.771 DM der Höhe nach berücksichtigungsfähig.
Auf die Sitzungsprotokolle des Erörterungstermins vom 14.08.2012 und der
mündlichen Verhandlung vom 18.02.2013 wird verwiesen.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten und die Rechtsbehelfsakten zu der
Steuernummer …/…/… vorgelegen.Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ablehnung des Beklagten die
Verlustfeststellungsbescheide zu erlassen, war rechtmäßig und verletzte die Klägerin
nicht in ihren Rechten, § 101 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat es zu
Recht abgelehnt, für die Jahre 1999, 2000 und 2001 Verlustfeststellungsbescheide
gem. § 10d EStG zu erlassen, denn für diese Jahre war bereits
Feststellungsverjährung eingetreten.
1. Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i. d. F. der Streitjahre
(EStG) ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug
gesondert festzustellen. Die Feststellung des Verlustvortrags unterliegt gemäß § 181
Abs. 1 i. V. m. den §§ 169, 170 AO der Feststellungsverjährung. Da für die
Verlustfeststellung eine allgemeine Erklärungspflicht nach § 181 Abs. 1 Satz 2 i. V.
m. Abs. 2 Satz 1 AO besteht, ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO zu beachten. Dies gilt auch in den Fällen, in denen keine Erklärungspflicht für die
Einkommensteuer besteht und die Antragsfrist bereits abgelaufen war (§ 46 Abs. 2
Nr. 8 EStG; vgl. Bundesfinanzhof (BFH)-Urteil vom 10.07.2008 IX R 90/07, BStBl II
2009, 816).
Die Klägerin hat für die Streitjahre zunächst keine Erklärungen für die gesonderte
Feststellung nach § 10d Abs. 4 EStG abgegeben, so dass sich der Beginn der
Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO bestimmt. Gemäß dieser Vorschrift
beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das
Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
Für die Verlustfeststellung 1999 begann damit die Feststellungsfrist mit Ablauf des
31.12.2002. Die vierjährige Feststellungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO endete mit
Ablauf des 31.12.2006. Für die Verlustfeststellung 2000 endete sie entsprechend mit
Ablauf des 31.12.2007 und für 2001 mit Ablauf des 31.12.2008. Der Antrag der
Klägerin vom 11.08.2009, die Verlustfeststellungen für die Jahre 1999, 2000 und
2001 durchzuführen, ist damit erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellt
worden.
2. Die gesonderte Feststellung ist auch nicht nach § 181 Abs. 5 AO zulässig.
Hiernach kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden
Feststellungsfrist erfolgen, soweit die Feststellung für eine Steuerfestsetzung von
Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten
Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Denn nach § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG ist §
181 Abs. 5 AO nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die
Feststellung des Verlustabzugs pflichtwidrig unterlassen hat.
a) § 10d Abs. 4 Satz 6 gilt gem. § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i. d. F. des
Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 für alle bei Inkrafttreten des JStG 2007 noch nicht
abgelaufenen Feststellungsfristen. Das JStG 2007 ist am 19.12.2006 in Kraft
getreten.b) Die Feststellungsfristen für die Streitjahre waren am 19.12.2006 noch nicht
abgelaufen, so dass § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG anwendbar ist. Auch ist unstreitig,
dass kein pflichtwidriges Unterlassen der gesonderten Verlustfeststellung vor Ablauf
der Feststellungsfrist vorliegt.
3. Entgegen der Ansicht der Klägerin verstoßen § 10d Abs. 4 Satz 6 und § 52 Abs.
25 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2007 auch nicht gegen das aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
a) Ändert der Gesetzgeber zulasten des Steuerpflichtigen die Rechtsfolge eines der
Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich, bedarf dies einer besonderen
Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des
Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte geschaffen wurden. Denn die
Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung. Dürfte die öffentliche Gewalt an das Verhalten des Steuerpflichtigen
oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere
Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens
galten, würde dieser in seiner Freiheit erheblich gefährdet.
Eine „echte“ Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen
auf Tatbestände, die bereits vor dem Zeitpunkt der Normverkündung abgeschlossen
sind, ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Denn bis zur Verkündung der
Rechtsnorm, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der
Steuerpflichtige grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes
Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung
der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird.
Nicht grundsätzlich unzulässig ist hingegen eine „unechte“ Rückwirkung, in deren
Rahmen die belastenden Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, jedoch tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt
ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“). Soweit nicht besondere
Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung,
das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 2 BvL 14/02,
BGBl I 2010, 1296).
b) Im Streitfall ist durch das Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 vom
13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) am 19.12.2006 (§ 52 Abs. 25 S. 5 EStG)
keine rückwirkende Regelung eingetreten, denn die Klägerin hätte auch noch nach
Inkrafttreten der neuen Regelung die Verlustfeststellung beantragen können, weil die
Neureglung nur auf noch nicht feststellungsverjährte Zeiträume anzuwenden war.
Die Feststellungsverjährung aufgrund der Neuregelung des § 10d Abs. 4 S. 6 EStG
ist erst mit Ablauf des 31.12.2006 für das Jahr 1999 und entsprechend später
(31.12.2007 und 31.12.2008) für die Folgejahre eingetreten. Durch die Neuregelung
ist auch nicht der materiell entstandene Verlust selbst gekürzt bzw. die Berechtigung,
diesen Verlust zu nutzen, eingeschränkt worden, sondern es wurde lediglich die
Möglichkeit ausgeschlossen, die Verluste auch noch nach Ablauf der regulären
Feststellungsverjährung feststellen zu lassen. Die Neuregelung stellt damit lediglich
eine Verfahrensvorschrift mit Wirkung für die Zukunft dar. Insofern beruft sich die
Klägerin auch zu Unrecht auf den Aufsatz von Kube. Auch der von der Klägerin
zitierte Vorlagebeschluss des FG Köln vom 28.11.2007 (10 K 6227/04, EFG 2008,
860) ist nicht auf den Streitfall übertragbar, denn in dem dort entscheidungsrelevanten Sachverhalt war die Antragsfrist durch die Einführung der
Neuregelung des § 46 EStG bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes
abgelaufen. Der Steuerpflichtige hatte also gerade keine Möglichkeit mehr, auf die
neue Gesetzeslage zu reagieren.
4. Es war auch verfassungskonform, dass der Gesetzgeber die Vorschrift eingefügt
hat, um auf die Rechtsprechung des BFH zu reagieren. Denn nach den
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs bestand die Verpflichtung zum Erlass eines
Verlustfeststellungsbescheids zeitlich unbegrenzt, da nach § 181 Abs. 5 AO trotz des
Ablaufs der Feststellungsfrist eine Feststellung zeitlich unbegrenzt möglich war und
die Regeln des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG nicht eingriffen.
a) Der BFH hatte mit seinen Urteilen vom 01.03.2006 (XI R 33/04) und vom
12.06.2002 (XI R 26/01, BStBl 2002 II S. 681) entschieden, dass auf die Feststellung
des Verlustvortrags § 181 Abs. 5 AO anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift kann
eine Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist erfolgen,
wenn sie für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist
im Zeitpunkt der Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Entsprechendes gilt, wenn
die Feststellung einen Grundlagenbescheid für einen anderen Feststellungsbescheid
darstellt. Diese Voraussetzungen lagen nach den Entscheidungen des BFH bei der
Feststellung des Verlustvortrags vor. Entweder werden die Verluste im unmittelbar
darauf folgenden Veranlagungszeitraum abgezogen und haben somit einen Einfluss
auf die Steuerfestsetzung, oder sie wirken sich auf die nachfolgende
Verlustfeststellung aus. Diese Rechtsprechung führte letztlich dazu, dass bei der
Verlustfeststellung des § 10d Abs. 4 EStG die Feststellung zeitlich unbegrenzt
möglich war.
Zwar ist eine Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG nur
durchzuführen, soweit sich die für den Verlustvortrag maßgeblichen Beträge ändern
und der entsprechende Einkommensteuerbescheid noch zu erlassen, aufzuheben
oder zu korrigieren ist, oder diese Folgerungen mangels steuerlicher Auswirkungen
unterbleiben. Der BFH ging in dem Urteil vom 01. März 2006 (XI R 33/04) aber
davon aus, dass diese Vorschriften nur eingreifen, wenn sich die Bezugsgröße für
die Bemessung des Verlustvortrags – also der Gesamtbetrag der Einkünfte – ändert.
Nach diesem Urteil soll § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG Widersprüche zwischen der
Steuerfestsetzung und dem Feststellungsbescheid verhindern. Liegt für das
Verlustentstehungsjahr kein Einkommensteuerbescheid vor und kann dieser auch
nicht mehr erlassen werden, weil die für Steuerbescheide geltende
Festsetzungsverjährung eingetreten ist, konnten solche Widersprüche nicht
entstehen. Entsprechendes gilt, wenn der Einkommensteuerbescheid nicht mehr
ergehen konnte, weil die zweijährige Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
abgelaufen war. Wurde in derartigen Fällen später erstmals die Feststellung eines
verbleibenden Verlustes geltend gemacht, blieb nach den genannten
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs die Verpflichtung zum Erlass eines
Verlustfeststellungsbescheids zeitlich unbegrenzt bestehen.
b) Der Gesetzgeber war der Ansicht, dass dieses Ergebnis nicht mit dem bei der
Einführung der Verlustfeststellung verfolgten Ziel einer zeitnahen Entscheidung über
die Höhe des Verlustabzugs vereinbar sei, und entschloss sich deshalb, § 181 Abs. 5
AO in § 10d Abs. 4 EStG ausdrücklich auszuschließen, um zu erreichen, dass
Verlustfeststellungsbescheide grundsätzlich nur innerhalb der auch für
Einkommensteuerbescheide geltenden allgemeinen Verjährungsfrist (regelmäßig sieben Jahre, § 181 Abs. 1 i. V. m. den §§ 169, 170 AO) ergehen können (BT-DS
16/2712, Seite 43 f.). Dieses Ziel war verfassungsrechtlich unbedenklich; auch hat
der Gesetzgeber sich zu Recht dafür entschieden, diese Neuregelung nur auf die
noch nicht verjährten Jahre zu beschränken.
c) § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG führt auch nicht zu einem Verstoß gegen das
Leistungsfähigkeitsprinzip, denn durch diese Regelung wird es dem Steuerpflichtigen
nicht verwehrt, seine Verluste feststellen zu lassen, sondern es wird lediglich
sichergestellt, dass diese Verlustfeststellung innerhalb von sieben Jahren erfolgt.
Insofern beruft sich die Klägerin auch zu Unrecht auf den Aufsatz von Kube. Zwar
vertritt dieser die Ansicht, dass es für die rechtliche Beurteilung, ob eine unzulässige
Rückwirkung vorliege, nicht darauf ankomme, ob bereits
Verlustfeststellungsbescheide ergangen seien. Allerdings kann man hieraus nicht
herleiten, dass diese Verluste auch noch unendlich festgestellt werden können.
d) Der BFH hat in seinen bisherigen Entscheidungen ebenfalls keine Bedenken an
der Verfassungswidrigkeit geäußert. In seinem Urteil vom 25.05.2011 IX R 36/10
(BFH/NV 2011, 1552) hat er die Vorschrift angewandt, ohne sich mit einer etwaigen
Verfassungswidrigkeit zu befassen. Auch in seiner Entscheidung vom 29.06.2011 IX
R 38/10 (BStBl. II 2011, 963) thematisiert er die Verfassungswidrigkeit nicht. Sofern
die Klägerin vorträgt, dass der BFH sich in diesen Entscheidungen nicht mit der
Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift habe auseinandersetzen müssen, weil diese
Frage von den dortigen Beteiligten nicht thematisiert worden sei, kann dies nicht
überzeugen, denn die Frage der Verfassungsmäßigkeit prüft das Gericht von Amts
wegen. Hätte der BFH Bedenken wegen der Verfassungsgemäßheit gehabt, hätte er
die Revision in der Sache IX R 36/10 nicht als unbegründet zurückweisen dürfen. Die
vom Finanzgericht München in seinem Beschluss vom 14.08.2007 5 V 1558/07
geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des 10d Abs. 4 Satz 6 EStG
können nicht nachvollzogen werden, zumal Streitjahr in der dortigen Entscheidung
das Jahr 1996 gewesen ist, für welches die Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG
noch nicht zur Anwendung gelangen konnte.
e) Selbst wenn man aber vor einer Rückwirkung ausgehen würde, wäre diese
ausnahmsweise zulässig. Eine echte Rückwirkung scheidet nach Ansicht des Senats
aus, denn durch die Neuregelung wird weder die Möglichkeit, Verluste zu erklären,
noch diese in späteren Jahren zu berücksichtigen, eingeschränkt. Insofern wird auch
nicht auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt eingewirkt. Die
Anforderungen, welche an die Zulässigkeit einer echten Rückwirkung gestellt
werden, sind höher als die Anforderungen an eine unechte Rückwirkung. Selbst eine
echte Rückwirkung wäre jedoch im Streitfall zulässig gewesen. Zwar hat regelmäßig
der Vertrauensschutz des Bürgers bei einer echten Rückwirkung Vorrang, weil der in
der Vergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft
gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheit erreicht hat, über den sich
der Gesetzgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr
hinwegsetzen darf (BVerfG Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2
BvL 13/05, BverfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE
127, 61). Das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand von Regelungen, die einmal
für schon abgewickelte Tatbestände gefunden worden sind, schließt eine
nachträgliche Verschlechterung der Rechtslage prinzipiell aus. Dieser Grundsatz,
wonach Gesetze mit einer echten Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig sind,
kann jedoch ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn zwingende Gründe des
gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen
Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers
rechtfertigen oder gar erfordern können (BVerfG Beschluss vom 14.05.1986 2 BvL
2/83, BVerfGE 72, 200 (258)). Das BVerfG hat diesbezüglich – ohne dass dies
abschließend wäre – Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen von einer
ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung auszugehen ist. Ein solcher Fall ist
u. a. gegeben, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen des Bürgers auf den
Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, weil die Rechtslage unklar und
verworren oder lückenhaft war und durch eine eindeutige Regelung ersetzt wird
(BVerfG Entscheidungen vom 19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261 (272); vom
23.03.1971 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66, 2 BvR 196/66, 2 BvR 197/66, 2 BvR 210/66, 2
BvR 472/66, BVerfGE 30, 367 (388 f.); Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2008 1
BvR 1138/06, juris, Rn. 14). Ein solcher zulässiger Ausnahmefall wird ebenfalls
bejaht, wenn eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten
Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend
gesetzlich festgeschrieben wird (BVerfG-Beschlüsse vom 23.01.1990 1 BvL 4/87, 1
BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, 228; vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06,
Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts –BVerfGK– 14, 338, und
vom 21. Juli 2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE
126, 369; BFH Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012,
577).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Gemessen hieran durfte der Gesetzgeber die
Feststellungsfrist für Verlustfeststellungsbescheide i. S. d. § 10d EStG regeln, die in
der Vergangenheit liegende Sachverhalte betrafen. Damit hat der Gesetzgeber die
Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur
Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BFH vom 01.03.2006 (XI R
33/04) und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der
Steuerpflichtigen entsprach. Denn die Klägerin hätte vor 2006 ebenfalls keinen
Anspruch auf Verlustfeststellung gehabt. Erst durch das Urteil vom 01.03.2006 ergab
sich für die Klägerin die Möglichkeit, ihre Verluste für die Jahre 1998 bis 2003
geltend zu machen. Der Gesetzgeber war jedoch befugt, auf die sich so ergebende
Regelungslücke zu reagieren und eine Vorschrift zu erlassen, die zur
Wiedereinführung einer Verjährung führte.
Die Klägerin war auch nicht schutzbedürftig. Denn die Klägerin konnte innerhalb der
kurzen Zeit zwischen Rechtsprechungsänderung und Reaktion des Gesetzgebers
kein Vertrauen darauf aufbauen, dass die geänderte Rechtsprechung unendlich
fortbestehen würde. Sie hat auch keine Vermögensdispositionen wegen der
Rechtsprechungsänderung getroffen. Tatsächlich hat sie die Geltendmachung von
Verlusten noch nicht erwogen, da sie anderenfalls durch eine Beantragung der
Verlustfeststellung bis zum 31.12.2006 noch die begehrten Bescheide hätte erhalten
können. Wie der BFH bereits in seiner Entscheidung vom 29.02.2012 IX R 3/11
festgestellt hat, hätte ein gewissenhaft handelnder Verfahrensbeteiligter seine
Studienaufwendungen rechtzeitig geltend gemacht (vgl. BFH-Urteil vom 29.02.2012
IX R 3/11, BFH/NV 2012, 915), da die Rechtslage schon ab dem Jahr 2002 im
Schrifttum mit Blick auf die (geänderte) BFH-Rechtsprechung zu Aufwendungen im
Zusammenhang mit berufsbegleitenden erstmaligen Hochschulstudien (vgl. die
Urteile vom 04.12 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; vom
17.12.2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407, und vom 22.07.2003 VI
R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889) kontrovers erörtert worden ist.II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Voraussetzungen für eine
Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.