VI R 53/09 – Bücher als Arbeitsmittel eines Lehrers – Grundsätze zur Bestimmung der Eigenschaft eines Buchs als Arbeitsmittel

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.5.2010, VI R 53/09

Bücher als Arbeitsmittel eines Lehrers – Grundsätze zur Bestimmung der Eigenschaft eines Buchs als Arbeitsmittel

Leitsätze

1. Arbeitsmittel sind Wirtschaftsgüter, die unmittelbar zur Erledigung der dienstlichen Aufgaben dienen. Hierzu können auch Zeitschriften und Bücher zählen, wenn die Literatur ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend beruflich genutzt wird.

2. Die allgemeinen Grundsätze zur steuerlichen Behandlung von Arbeitsmitteln gelten auch, wenn zu entscheiden ist, ob Bücher als Arbeitsmittel eines Lehrers zu würdigen sind. Dabei ist die Eigenschaft eines Buchs als Arbeitsmittel nicht ausschließlich danach zu bestimmen, in welchem Umfang der Inhalt eines Schriftwerks in welcher Häufigkeit Eingang in den abgehaltenen Unterricht gefunden hat. Auch die Verwendung der Literatur zur Unterrichtsvorbereitung und Unterrichtsnachbereitung oder die Anschaffung von Büchern und Zeitschriften für eine Unterrichtseinheit, die nicht abgehalten worden ist, kann eine ausschließliche oder zumindest weitaus überwiegende berufliche Nutzung der Literatur begründen.

Tatbestand

 
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I. Streitig ist, ob Aufwendungen eines Lehrers für Bücher, Zeitschriften-Abonnements, die Fernleihe von Schriftwerken und Bürobedarf als Werbungskosten bei den Einkünften aus § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) –zusammen veranlagte Eheleute– erzielten im Streitjahr beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war bei der Stadt X im Bereich Stadtentwicklung beschäftigt. Der Kläger unterrichtete an einer Realschule die Fächer Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Ethik. Außerdem gehörte er der "American Anthropological Association" an. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 machte der Kläger unter anderem die nachstehenden Aufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend:
Kosten für 37 Bücher:
1.535,35 EUR
4 Zeitschriftenabos/Aufbewahrungsbox
210,96 EUR
Fernleihkosten, Bürobedarf, Kopierkosten, Bindekosten
405,60 EUR
von zusammen
2.151.91 EUR
                                                                                                                                         
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Von diesen Aufwendungen ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) zunächst lediglich einen Betrag in Höhe von 102 EUR zum Werbungskostenabzug zu. Dem Einspruch der Kläger gab das FA teilweise statt und anerkannte weitere Werbungskosten in Höhe von 50 % der Aufwendungen für Bücher, der Fernleihkosten, des Bürobedarfs sowie der Kopierer- und Bindekosten an. Darüber hinaus sind das Zeitschriften-Abonnement mit dem Titel Sozialismus (62 EUR) sowie die Aufbewahrungsbox (23 EUR) in vollem Umfang als Erwerbsaufwand berücksichtigt worden. Im Übrigen wurde der Einspruch zurückgewiesen.
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Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 477 veröffentlichten Gründen ab.
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Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 2. Oktober 2008  4 K 2895/04         und die Einspruchsentscheidung vom 22. November 2004         aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr         2002 vom 15. Mai 2003 in der Weise zu ändern, dass weitere         Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger         Tätigkeit des Klägers in Höhe von 1.096,96 EUR berücksichtigt         werden.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Werbungskosten über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlasst sind (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, m.w.N.). Zu den bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigungsfähigen Werbungskosten gehören auch Aufwendungen für Arbeitsmittel (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG). Arbeitsmittel sind Wirtschaftsgüter, die unmittelbar zur Erledigung der dienstlichen Aufgaben dienen (BFH-Urteile vom 7. Oktober 1954 IV 630/53 U, BFHE 59, 395, BStBl III 1954, 362, und vom 18. Februar 1977 VI R 182/75, BFHE 121, 444, BStBl II 1977, 464). Zu den Arbeitsmitteln eines Lehrers können auch Zeitschriften und Bücher zählen, wenn die Literatur ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend beruflich genutzt wird.
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a) Nicht abziehbar sind jedoch Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Anschaffungskosten können dann uneingeschränkt als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer den Gegenstand weitaus überwiegend beruflich verwendet. Daraus folgt, dass es für die Abziehbarkeit von Aufwendungen für beruflich genutzte Gegenstände, die auch privat genutzt werden können, bei der Entscheidung, ob nicht abziehbare Aufwendungen für die Lebenshaltung vorliegen, im Allgemeinen weniger auf den objektiven Charakter des angeschafften Gegenstands ankommt, sondern vielmehr auf die Funktion des Gegenstands im Einzelfall, also den tatsächlichen Verwendungszweck (BFH-Urteile vom 19. Februar 2004 VI R 135/01, BFHE 205, 220, BStBl II 2004, 958, und vom 20. Juli 2005 VI R 50/03, BFH/NV 2005, 2185). Bei einem gemischt genutzten Gegenstand ist nach den Grundsätzen des Großen Senats des BFH im Beschluss vom 21. September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1) eine Aufteilung in Betracht zu ziehen.
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b) Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch, wenn zu entscheiden ist, ob Bücher als Arbeitsmittel eines Lehrers zu würdigen sind (BFH-Urteile vom 16. Oktober 1981 VI R 180/79, BFHE 134, 299, BStBl II 1982, 67; vom 21. Februar 1986 VI R 192/82, BFH/NV 1986, 401; vom 2. Februar 1990 VI R 112/87, BFH/NV 1990, 564). Nach der Entscheidung des Senats vom 28. April 1972 VI R 305/69 (BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723) sind pauschale Feststellungen hierzu nicht ausreichend. Um Arbeitsmittel verneinen zu können, genügt es nicht, dass das FG für die Gesamtheit der angeschafften Bücher feststellt, es handele sich um Bücher, die auch von zahlreichen Steuerpflichtigen gekauft würden, die keine berufliche Verwendung dafür hätten (Zu dieser Argumentation auch Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, 24). Es muss nach dieser Entscheidung vielmehr für jedes Buch einzeln untersucht werden, ob es sich um einen Gegenstand der Lebensführung oder um ein Arbeitsmittel handelt. Dabei kommt es auf die Verwendung des Buches gerade im Streitfall an (BFH-Urteile in BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723; in BFH/NV 1990, 564; vom 19. April 1991 VI R 164/87, BFH/NV 1991, 598). Erst wenn diese Untersuchungen zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, kann der objektive Charakter der Werke, der vom FG im Einzelnen darzustellen und zu würdigen ist, den Ausschlag geben.
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2. Im Streitfall ist das FG bei der Beurteilung der beruflichen Veranlassung der hier zu untersuchenden Aufwendungen teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Zwar obliegt die Beantwortung der Frage, ob Aufwendungen beruflich veranlasst sind, in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG. Im Streitfall hat die Vorinstanz jedoch nicht alle maßgeblichen Umstände in ihre Überzeugungsbildung einbezogen. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Die Gesamtwürdigung des FG bindet den Senat deshalb nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO (BFH-Urteil vom 11. Januar 2007 VI R 52/03, BFHE 216, 320, BStBl II 2007, 317).
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Vorliegend hat das FG allein auf die tatsächliche Verwendung der Schriftwerke im Unterricht abgestellt. Es hat insoweit die Auffassung vertreten, dass nur Literatur, die auch in nennenswertem Umfang Eingang in den Unterricht gefunden hat, den erforderlichen beruflichen Veranlassungszusammenhang aufweist. Damit hat die Vorinstanz den Erwerbsbezug unzulässig verengt.
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Die Vorentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Mangels Spruchreife geht die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Es hat nochmals zu prüfen, ob die strittigen Kosten die Voraussetzungen für den Abzug als Erwerbsaufwendungen erfüllen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Im Rahmen der angesprochenen Gesamtwürdigung wird die Vorinstanz insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die Eigenschaft eines Buchs als Arbeitsmittel nicht ausschließlich danach zu bestimmen ist, in welchem Umfang der Inhalt eines Schriftwerks in welcher Häufigkeit zu Unterrichtszwecken eingesetzt wurde. Im Übrigen kann auch die Verwendung der Literatur zur Unterrichtsvor- und -nachbereitung oder die Anschaffung von Büchern und Zeitschriften für eine Unterrichtseinheit, die nicht abgehalten worden ist, eine ausschließliche oder zumindest weitaus überwiegende berufliche Nutzung der Literatur begründen. Weiter weist der Senat darauf hin, dass das außerschulische Interesse des Klägers an anthropologischen und gesellschaftspolitischen Themen einer ausschließlichen beruflichen Veranlassung der streitgegenständlichen Kosten nicht entgegensteht. Lassen die objektiv festgestellten Tatsachen unter Berücksichtigung der dafür von der Rechtsprechung aufgestellten Merkmale und Maßstäbe die rechtliche Würdigung zu, dass Aufwendungen für ein Arbeitsmittel nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind, weil es nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird, stehen private Motive dem Werbungskostenabzug nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 IV R 20/07, BFH/NV 2010, 20).
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3. Das FG wird im zweiten Rechtsgang erneut für jedes einzelne Buch zu untersuchen haben, ob es sich um einen Gegenstand der Lebensführung, um ein Arbeitsmittel oder um einen gemischt genutzten Gegenstand handelt. Dabei kommt es auf die beabsichtigte tatsächliche Verwendung des Buches im Einzelfall an.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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