Finanzgericht Köln, 1 K 2623/15
1. Es wird festgestellt, dass der Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 01.10.2014 über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den Zeitraum 01.01.2011 - 31.12.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.08.2015 nichtig ist.2.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Haftungs- und Nachforderungsbescheides über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer im Nachgang zu einem nach Genehmigung eines Insolvenzplans beendeten Insolvenzverfahren.
3Die Klägerin firmierte seit 2002 als A AG und firmiert seit einer formwechselnden Umwandlung im Jahr 2018 unter A GmbH (Handelsregister des Amtsgerichts C HRB ...). Die Geschäftsanschrift der AG lautete zunächst B-Straße ..., ... C; örtlich zuständiges Finanzamt war daher das Finanzamt C-1. Am 30.04.2015 wurde als neue Geschäftsanschrift im Handelsregister die Adresse D-Straße ..., ... C, eingetragen. Dadurch wurde der Beklagte örtlich zuständiges Finanzamt.
4Am ...11.2013 wurde über das Vermögen der Klägerin auf deren Antrag hin das Insolvenzverfahren eröffnet (AG C, Az. ... IN ...).
5Am 05.02.2014 ging beim Finanzamt C-1 ein Schreiben des Beklagten vom 04.02.2014 ein, in dem mitgeteilt wurde, dass bei der Klägerin eine Lohnsteueraußenprüfung angeordnet worden sei. Durchschriften der Prüfungsanordnung mit Datum vom selben Tage waren beigefügt.
6Einem von der Klägerin als Insolvenzschuldnerin vorgelegten Insolvenzplan stimmten Gläubiger und Aktionäre im Erörterungs- und Abstimmungstermin vom 20.03.2014 mit den erforderlichen Mehrheiten zu. Das AG C als Insolvenzgericht hat den Insolvenzplan durch Beschluss vom 11.07.2014 bestätigt. Der Beschluss ist am 15.07.2014 rechtskräftig geworden.
7Auf Seite 192 von 220 dieses Planes heißt es unter „Teil II. Gestaltender Teil, E. Regelungen Planquoten/Quotenberechtigung/Präklusion, 4. Ausschlussfrist Nachzügler“ (Bl. 41 Gerichtsakte):
8„Gläubiger, die ihre Forderungen nicht innerhalb einer Frist von einem (1) Monat nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (die „Ausschlussfrist“) zur Insolvenztabelle angemeldet haben, erhalten keine Planquote. Die Forderungen dieser Gläubiger erlöschen mit Ablauf der Ausschlussfrist.
9Die Ausschlussfrist gilt nicht, wenn der Gläubiger die Frist ohne sein Verschulden nicht eingehalten hat (vgl. § 233 ZPO) und seine Forderung innerhalb einer zweiwöchigen Nachfrist, beginnend mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 1, Abs. 2 ZPO), gegenüber der Schuldnerin schriftlich geltend macht. Das fehlende Verschulden und die Einhaltung der zweiwöchigen Nachfrist sind vom Gläubiger darzulegen und zu beweisen.
10Ergänzend hilfsweise gilt die gesetzliche Regelung, § 259b InsO.“
11Unter dem Punkt „J. Allgemeine Regelungen, 12. Salvatorische Klausel“ auf Seite 218 des Plans (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 24.06.2019) heißt es:
12„Sollte eine Bestimmung des Insolvenzplans unwirksam sein oder werden, so berührt dies die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht. Die unwirksame Bestimmung ist durch eine wirksame zu ersetzen, die inhaltlich dem Gewollten weitgehend entspricht. Gleiches gilt für eine Lücke.“
13Mit Schreiben vom 22.07.2014 wies die Klägerin bezüglich eines anderweitigen Streitpunkts zu einer Lohnsteueranmeldung das Finanzamt C-1 darauf hin, dass die betreffende Lohnsteuerforderung im laufenden Verfahren zur Insolvenztabelle angemeldet werden müsse. Mit weiterem Schreiben vom 08.06.2015 wies die Klägerin das Finanzamt im Zusammenhang mit einer im Januar eingereichten Steuererklärung ausdrücklich auf die Frist des § 259b Insolvenzordnung - InsO - hin; die Verjährungsfrist ende am 11.07.2015.
14Mit Beschluss vom 15.09.2014 (abgeheftet in der InsO-Akte des Beklagten, Bd. III, Trennblatt „Verfahren aufgehoben“) hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin aufgehoben, „nachdem die Bestätigung des Insolvenzplans vom 19.03.2014 wie im Erörterungs- und Abstimmungstermin vom 20.03.2014 angenommen rechtskräftig geworden ist (§ 258 Abs. 1 InsO), der Plan nicht gemäß II. B. gescheitert ist, der Sachwalter dem Gericht angezeigt hat, dass die Insolvenzplanquoten ausgezahlt worden sind, und die Masseansprüche berichtigt worden sind, jedenfalls ihre Erfüllung gewährleistet ist (§ 258 Abs. 2 InsO).“
15Dem Insolvenzbeschlag und einer Nachtragsverteilung unterliegen nach dem Beschluss nur diejenigen weiteren etwaigen Zuflüsse aus diversen, einzeln genau spezifizierten, geltend gemachten Ansprüchen, die konkret im Beschluss aufgeführt sind. Auf den Beschluss wird ergänzend Bezug genommen.
16Der Zeitraum der o. g. Lohnsteuer-Außenprüfung umfasste den 01.01.2011 bis 31.12.2013. Die Prüfung dauerte vom 10.03.2014 bis 27.08.2014. Der Prüfungsbericht datiert vom 01.10.2014 und ging am selben Tag beim Finanzamt C-1 ein. Nach einem Vermerk der Prüferin vom 26.09.2014 beziehen sich die Feststellungen in diesem Bericht vollumfänglich nur auf den Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung.
17Am 01.10.2014 erließ das Finanzamt C-1 gegenüber der Klägerin einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den oben genannten Zeitraum in Höhe von insgesamt ... €. Zur Begründung wurde auf den Prüfungsbericht verwiesen. Zur Haftungsinanspruchnahme wurde ausgeführt, dass die Klägerin sich damit einverstanden erklärt habe und ein Haftungsausschluss nicht vorliege.
18Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 03.11.2014 Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Diese wurde ab Fälligkeit (07.11.2014) gewährt.
19Das Finanzamt C-1 erhielt vorher, nämlich am 03.09.2014 eine „Erste Ausschüttung Insolvenzquote“ i.H.v. ... €. Angemeldet hatte dieses Amt nach Aktenlage einen Gesamtbetrag i. H. v. ... € (Körperschaftsteuer 2008-2012 nebst Solidaritätszuschlag sowie Umsatzsteuer 2012 jeweils nebst Nachzahlungszinsen, alle mit Fälligkeit 01.11.2013).
20Mit Schreiben vom 27.05.2015 informierte das Finanzamt C-1 die zuständigen Veranlagungsbezirke, die Umsatzsteuer-Voranmeldungsstelle, die Lohnsteuer-Anmeldungsstelle und das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C darüber, dass das Insolvenzverfahren aufgehoben ist und bat, die noch erforderlichen Arbeiten durchzuführen.
21Der aufgrund der Verlegung des Geschäftssitzes der Klägerin mittlerweile zuständig gewordene Beklagte wies den o. g. Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.08.2015 als unbegründet zurück.
22Am 14.10.2015 pfändete der Beklagte wegen eines Gesamtbetrags an rückständigen Abgaben aus dem streitigen Haftungsbescheid i.H.v. ... € in das Bankkonto der Klägerin. Die Bank zahlte den Betrag vollständig. Dieser entspricht rechnerisch 49% der im Bescheid festgesetzten Beträge.
23Am 29.09.2015 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der Nichtigkeit des streitigen Bescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung bzw. die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit begehrt.
24Zur Begründung führt sie im Wesentlichen an:
25Die Nichtigkeit bzw. auch die Rechtswidrigkeit des streitigen Bescheides folge aus § 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 57 InsO aus dem dort vorgeschriebenen Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Abgabenrecht. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan sei in Bezug auf die vorinsolvenzrechtlichen Forderungen sämtlicher Gläubiger auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die allein maßgebliche Grundlage für die gesamte Vermögens- und Haftungsabwicklung. Aufgrund der urteilsgleichen Wirkungen und gemäß § 254b InsO gelte er auch für alle Gläubiger, die ihre Forderung nicht rechtzeitig angemeldet hätten (sog. Nachzügler). Daher habe für den Beklagten keine Befugnis dazu mehr bestanden, Insolvenzforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen. Der Fiskus dürfe sich nicht durch Nichtanmeldung im Rahmen eines Planverfahrens ungerechtfertigte Vorteile dadurch verschaffen, dass er eine Anmeldung zur Tabelle unterlässt. Dies bedeute eine Wiedereinführung des Fiskusprivilegs durch die Hintertür.
26Gegen die Annahme einer Festsetzungsbefugnis spreche auch, dass es dem Fiskus im Unterschied zum Insolvenzgericht gar nicht möglich sei, eine hypothetische Planquote zu ermitteln. Käme auch für Nachzügler die Planquote in Betracht, könnte diese durch Nichtanmeldung missbräuchlich in die Höhe getrieben werden
27Offen sei, ob zur Ermittlung der hypothetischen Quote eine finanzgerichtliche Zuständigkeit oder eine solche der ordentlichen Gerichte in Betracht komme. Angesichts der Notwendigkeit der konkreten Quotenermittlung sei eine Einschaltung des Insolvenzgerichts unerlässlich.
28Zudem habe der Beklagte die einmonatige Ausschlussfrist des Insolvenzplans missachtet. Aufgrund der eingetretenen Präklusion sei der Beklagte nicht mehr zum Bescheiderlass befugt gewesen. Fristablauf sei vorliegend der 11.08.2014 gewesen. Trotz der spätestens ab 22.07.2014 bestehenden Kenntnis des Beklagten sowohl von der rechtskräftigen Bestätigung des Plans nebst Ausschlussfrist als auch vom Bestehen der Steuernachforderung gegen die Klägerin habe der Beklagte eine rechtzeitige Anmeldung zur Tabelle versäumt. Im Juli habe sich die Lohnsteuer-Außenprüfung schon im fortgeschrittenen Stadium befunden. Der Beklagte habe die Anmeldefrist daher bewusst verstreichen lassen.
29Die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans habe dazu geführt, dass die im Plan enthaltene Ausschlussfrist anwendbar bleibe, zumal der BGH die Unzulässigkeit einer materiellen Ausschlussfrist im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens angenommen habe.
30Die Öffnungsklausel des Insolvenzplans sei für den Beklagten nicht anwendbar. Noch während des laufenden Insolvenzverfahrens habe ihm das Bestehen von der Insolvenzforderung aufgrund der durchgeführten Außenprüfung bekannt gewesen sein müssen. Notfalls hätte er die Forderung im Wege der Schätzung vorläufig bestimmen müssen. Das ergebe sich aus § 45 Abs. 1 2. Alt. InsO. Der Beklagte habe erforderlichenfalls dazu um eine Schätzung durch die Außenprüfung bitten müssen. Eine Berufung auf fehlende eigene Kenntnis sei insofern rechtsmissbräuchlich.
31Eine wirksame Geltendmachung der im Bescheid festgesetzten Ansprüche habe jedenfalls die Einhaltung des vom Insolvenzplan vorgesehenen Verfahrens innerhalb der einjährigen Verjährungsfrist des § 259b InsO erfordert. Der Beklagte sei gehalten gewesen, der Klägerin zunächst eine formlose Berechnung über die Insolvenzforderung in Höhe der hypothetischen Quote zu übersenden. Denn Nachzüglern stehe nicht die Planquote, sondern eine lediglich niedrigere Quote zu, die sich bei rechtzeitiger Forderungsanmeldung ergeben hätte. Für alle Nachzügler bedürfe es daher einer kumulierten hypothetischen Quotenberechnung.
32Zahle der Schuldner auf eine formlose Zahlungsaufforderung nicht freiwillig, setze das Insolvenzplanverfahren für die weitere Durchsetzung jeder Nachzüglerforderung entweder eine rechtskräftige Feststellung der Forderung durch das Prozessgericht oder eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über die vorläufige Berücksichtigung der Forderung voraus. Im Anschluss daran habe der Gläubiger vor den ordentlichen Gerichten auf Leistung zu klagen. Dies gelte auch für den Beklagten.
33Da über die Höhe der Forderungen des Beklagten kein Streit bestehe, sei kein Feststellungsbescheid analog § 251 Abs. 3 AO erforderlich. Jedoch gebiete der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und Nachzügler, dass auch Hoheitsträger die seitens des Planverfahrens vorgeschriebenen Verfahren befolgen müssen. Eine teilweise Festsetzung unter Beachtung von Quoten sehe die Abgabenordnung jedoch nicht vor.
34Zudem sei die einjährige Verjährungsfrist des § 259b Abs. 2 InsO verstrichen. Sei ein Steueranspruch wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer Festsetzung nach der AO nicht mehr zugänglich, greife § 222 Abs. 2 S. 2 AO nicht ein. Es verbleibe daher bei Insolvenzforderungen beim Grundsatz des § 220 Abs. 2 S. 1 AO. Die streitgegenständlichen Forderungen seien hier bereits in 2011-2013 entstanden und daher fällig. Spätestens mit Ablauf dieser o. g. Frist am 13.07.2015 sei die Geltendmachung der vor-insolvenzlich entstandenen Steuernachforderung endgültig ausgeschlossen.
35Die Klägerin beantragt,
36festzustellen, dass der Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 01.10.2014 über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den Zeitraum 01.01.2011 bis 30.12.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.08.2015 nichtig ist,
37hilfsweise, den Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 01.10.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.08.2015 aufzuheben,
38im Falle des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
39Der Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
41Der Beklagte hält die Klage für unbegründet und trägt dazu im Wesentlichen vor:
42Der Bescheid habe wirksam an die Klägerin bekannt gegeben werden können, da das Steuerfestsetzungsverfahren nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens unterbrochen gewesen sei. Eine Verpflichtung zur formlosen Berechnung von Steuerforderungen und zur Erhebung von Klagen vor den ordentlichen Gerichten bestehe daher nicht.
43Der vollumfänglichen Festsetzung der Ansprüche stehe auch der Insolvenzplan mit seinen Rechtswirkungen nicht entgegen, da die dort erfassten Forderungen nicht erlöschen, sondern zu unvollkommenen Forderungen würden.
44Die Regelung zur Verjährungsfrist des § 259b InsO betreffe nicht die Rechtmäßigkeit des Steuerfestsetzungsbescheides, sondern allenfalls das Erhebungsverfahren und das Vorliegen eines eventuellen Vollstreckungsverbots.
45Zumindest sei der Beklagte mit seinen Ansprüchen nicht durch die Planregelungen präkludiert gewesen, sondern habe jedenfalls die dort vorgesehene Quote verlangen können (§ 254b InsO).
46Die im Plan enthaltene Präklusionsklausel sei nach der Rechtsprechung des BGH unwirksam. Auch die rechtskräftige Bestätigung des Plans durch das Amtsgericht hindere nicht daran, eine Klausel mit so schwerwiegenden Mängeln wie hier als unwirksam anzusehen. Dass eine solche Möglichkeit bestehe, ergebe sich aus der so genannten salvatorischen Klausel. Daher trete an die Stelle der unwirksamen Ausschlussklausel die gesetzlich vorgegebene Verjährungsfrist des § 259b InsO. Da diese Vorschrift an die Fälligkeit der Insolvenzforderung anknüpfe, deren Eintritt bei Steuerforderungen wiederum eine Festsetzung voraussetze, handele es sich nicht um eine Regelung der Festsetzungsverjährung nach Steuerverfahrensrecht, sondern um eine Regelung der Zahlungsverjährung. Davon ausgehend habe die Geltendmachung der hier streitbefangenen Forderungen im Vollstreckungsverfahren innerhalb eines Jahres nach der tatsächlichen Fälligkeit des Anspruchs am 06.11.2014 erfolgen müssen. Diese Voraussetzung sei durch die Kontenpfändung im Oktober 2015 in Höhe der im Plan für die maßgebliche Gläubigergruppe vorgesehenen Quote erfüllt worden.
47Selbst unter Zugrundelegung des Beginns der Verjährungsfrist auf den 11.07.2014 sei die Frist wegen der vom Beklagten gewährten Aussetzung der Vollziehung gewahrt. Dadurch sei steuerlicher Vollstreckungsschutz mit denselben Rechtswirkungen wie denjenigen in § 259a InsO gewährt worden, so dass die Hemmung der Verjährung erst drei Monate nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung geendet habe.
48Selbst bei Wirksamkeit der Präklusionsklausel greife zudem die Öffnungsklausel des Plans. Aus Sicht des für den Bescheiderlass am 01.10.2014 zuständigen Finanzamts C-1 habe es sich bei den Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung um eine andere Dienststelle gehandelt. Infolgedessen müsse sich dieses Amt nicht die der prüfenden Stellen während der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse zurechnen lassen. Offensichtlich habe dieses Amt erstmalig durch den Prüfungsbericht vom 01.10.2014 von den Forderungen Kenntnis erlangt und ohne schuldhaftes Zögern am selben Tage den streitbefangenen Bescheid erlassen. Das Hinweisschreiben der Klägerin aus dem Juli 2014 habe andere Forderungen betroffen. Die hier streitbefangenen Forderungen seien dem Finanzamt C-1 damals noch nicht bekannt gewesen.
49Im Übrigen könne sich die Klägerin nicht auf treuwidriges Verhalten des Beklagten berufen, da sie nach § 229 S. 3 InsO bei der Erstellung des Plans auch die Gläubiger zu berücksichtigen gehabt habe, die zwar ihre Forderungen nicht angemeldet hätten, jedoch bei der Ausarbeitung des Plans bekannt gewesen seien. Daher sei es vorrangig Sache der Klägerin gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die sich nach ihrer Auffassung infolge der Außenprüfung ergebenden Mehrsteuern im Plan zu berücksichtigen gewesen seien.
50In der mündlichen Verhandlung konnte der Beklagte die rechnerische Abweichung zwischen der ausgezahlten Quote der angemeldeten Forderungen und der durch Pfändung beigetriebenen Quote der Forderung aus dem Haftungsbescheid nicht erklären. Der Beistand der Beklagtenvertreterin bejahte die Nachfrage, ob derartige Insolvenzplanklauseln wie die hier streitige nach wie vor in Insolvenzplänen verwendet und noch von Insolvenzgerichten bestätigt würden. Beide Beteiligten bestätigten, dass derartige Klauseln trotz der Regelungen der §§ 295a f InsO vor Veröffentlichung der Entscheidung des BGH vom 07.05.2015 (IX ZB 75/14) in der Praxis empfohlen und von den Insolvenzgerichten bestätigt worden seien. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend Bezug genommen.
51Entscheidungsgründe:
52I.
53Die Klage ist begründet. Der angefochtene Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 01.10.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.08.2015 ist nichtig, da der Beklagte im Bekanntgabezeitpunkt der Bescheide keine rechtliche Befugnis mehr zu deren Erlass hatte.
541.
55Zwar durfte das damals zuständige Finanzamt den Haftungs- und Nachforderungsbescheid nach den allgemeinen Regelungen der AO und der InsO erlassen, weil das Insolvenzverfahren der Klägerin durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 15.09.2014 rechtskräftig aufgehoben worden ist. Die darin zur Nachtragsverteilung vorbehaltenen, konkret bezeichneten Vermögensgegenstände betreffen nämlich nicht das hier zu beurteilende Steuerrechtsverhältnis. Daher war die analog § 240 ZPO eingetretene Unterbrechung des Steuerfestsetzungsverfahrens nach der AO und damit der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungsverfahren (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630, AEAO Abschnitt 4.1.2 zu § 251 AO) beendet.
562.
57Die besonderen Umstände des Streitfalls führen jedoch dazu, dass das Finanzamt C-1 und der Beklagte die angefochtenen Bescheide ausnahmsweise trotz rechtskräftiger Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht erlassen durften. Dies folgt aus der Präklusionswirkung der im Insolvenzplan festgelegten und vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigten Ausschlussfrist für Nachzügler. Die Fristen im Abs. 2 der Präklusionsklausel hat der Beklagte nicht ohne Verschulden verstreichen lassen.
58a)
59Diese Präklusionsklausel ist zwar wegen ihres Charakters als materieller, nämlich nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinngehalt anspruchsvernichtender Ausschlussklausel materiellrechtlich nichtig.
60Zutreffend hat der BGH nämlich ausgeführt, in einem Insolvenzplan gewillkürte Präklusionsvorschriften mit ausschließender Wirkung verstießen gegen den Grundsatz gleicher Beteiligungsrechte aller Gläubigergruppen (§ 226 Abs. 1 InsO); jedenfalls nach Einführung der §§ 258a f InsO fehle es zudem für den dadurch bewirkten erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht des Gläubigers (Art. 14 Abs. 1 GG) an einer ausdrücklichen, dazu legitimierenden gesetzlichen Grundlage (BGH-Beschluss vom 07.05.2015 IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660).
61b)
62Dennoch ist im vorliegenden Fall wegen der rechtskräftigen Bestätigung des gesamten Insolvenzplans auch die materielle Präklusionsklausel als rechtswirksam anzusehen.
63Der Beschluss des Insolvenzgerichts kann nicht als nichtig und damit rechtsunwirksam angesehen werden. Denn nach § 254 Abs. 1 InsO treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht ein. Gemäß § 254b InsO gilt der § 254 InsO auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, also für die sogenannten echten Nachzügler, wie hier den Beklagten.
64aa)
65Die Nichtigkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, so in den gesetzlich angeordneten Fällen der Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO, von denen hier vorliegend offensichtlich keiner einschlägig ist.
66bb)
67Darüber hinaus kann eine Nichtigkeit des Beschlusses des Insolvenzgerichts auch nicht unter dem Gesichtspunkt gefolgert werden, dass sich dieser Beschluss als „greifbar gesetzeswidrig“ erweist. Eine derartige Prüfung sieht der BFH in den Fällen der -- gemäß § 6 Abs. 4 S. 1 FGO unanfechtbaren -- Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter für statthaft an. Die Voraussetzung der greifbaren Gesetzeswidrigkeit liegt aber nur dann vor, wenn der Übertragungsbeschluss mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28.1.2003 VI B 75/02, BFH/NV 2003, 926; vom 21.3.2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142, m.w.N., vom 26.10.2006 IX B 9/06 BFH/NV 2007,447; Herbert in: Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 6, Rz. 26 m.w.N.).
68Überträgt man diese Nichtigkeitsprüfung auf den hier vorliegenden insolvenzrechtlichen Fall, liegt keine greifbare Gesetzeswidrigkeit des Beschlusses vor. Denn im Insolvenzplan können nach der ausdrücklichen Erlaubnisnorm des § 217 S. 1 InsO u.a. die Befriedigung der Gläubiger, die Verwertung der Masse und deren Verteilung sowie die Verfahrensabwicklung abweichend von den übrigen Vorschriften der InsO geregelt werden. Daraus wird in der Literatur zu Recht der Schluss gezogen, dass wegen der darin und in § 227 InsO eingeräumten Möglichkeiten für die Gläubigerprivatautonomie im Insolvenzplanverfahren das Fehlen jeglicher gesetzlicher Grundlagen für Abweichungen eines Insolvenzplans von den gesetzlichen Regelungen nicht angenommen werden kann (Fehst/Engels in: Sonnleitner, Insolvenzsteuerrecht, Kap. 2, Rz. 169 m.w.N.).
69c)
70Der Beklagte hat auch nach der Öffnungsklausel im zweiten Absatz der – wie oben dargelegt – als rechtswirksam anzuwendenden Präklusionsklausel keine Befugnis mehr zum Erlass des angefochtenen Bescheides und der zugegangenen Einspruchsentscheidung. Denn er hat die dort eingeräumte zweiwöchige Nachfrist nicht ohne sein Verschulden verstreichen lassen.
71aa)
72Diese Frist hat spätestens mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans durch Beschluss des Insolvenzgerichts am 20.03.2014 begonnen und war daher bei Erlass des angefochtenen Bescheides lange abgelaufen. Dieser Beschluss basiert nämlich auf einem Erörterungs- und Abstimmungstermin vom 19.03.2014 nach § 235 InsO. Dieser Termin ist nach § 235 Abs. 2 S. 1 InsO öffentlich bekanntzumachen; nach § 235 Abs. 3 InsO sind unter anderem die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, unter Beifügung des Plans besonders zu laden.
73Das damals zuständige Finanzamt C-1 hatte Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet; es wusste daher spätestens zu diesem Termin vom Inhalt des Insolvenzplans und konnte sich darauf einrichten. Zudem wusste es seit dem Zugang der Durchschriften der Prüfungsanordnung am 05.02.2014 bereits von der angeordneten Lohnsteuer-Außenprüfung.
74bb)
75Der verspätete Erlass des angefochtenen Bescheides ist auch nicht ohne Verschulden innerhalb der Nachfrist des Plans erfolgt, sondern aufgrund eines Organisationsverschuldens im Bereich der Finanzverwaltung.
76Es ist senatsbekannt, dass -- zumindest in den Finanzämtern des Landes NRW -- in Insolvenzfällen mehrseitige Vordrucke verwendet werden, nach deren Aufbau einzelne Stellen der Finanzverwaltung informiert und ihnen Arbeitsempfehlungen oder gar Arbeitsanweisungen gegeben werden. Zudem gab es im vorliegenden Fall jedenfalls nach Beendigung des Insolvenzverfahrens entsprechende Mitteilungen darüber an verschiedene Stellen sowohl innerhalb des damals zuständigen Finanzamts C-1 als auch an das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C. Es wäre daher zur Überzeugung des Senats ohne weiteres möglich gewesen, über den Insolvenzfall nicht nur das für die allgemeine Betriebsprüfung zuständige Finanzamt zu informieren, sondern auch das für die Lohnsteuer-Außenprüfung zuständige Finanzamt, hier den jetzt Beklagten. Dass dies unterblieben ist, muss sich der Beklagte zurechnen lassen.
77II.
78Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
79III.
80Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
81IV.
82Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfragen zuzulassen.