Finanzgericht Köln, 8 K 1909/17
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 21.6.2017 wird der Abrechnungsbescheid vom 30.07.2014 mit der Maßgabe abgeändert, dass die bestehenden Umsatzsteuerguthaben laut dem Umsatzsteuerbescheid für 1.4.-31.12.2009 vom 8.7.2014 in Höhe von ... € (... € Umsatzsteuer und ... € Zinsen), dem Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 8.7.2014 in Höhe von ... € (... € Umsatzsteuer und ... € Zinsen), der Mitteilung über Umsatzsteuer für 2011 vom ...in Höhe von ... € (dort ausgewiesene ... € abzüglich des bereits erstatteten Teilbetrages in Höhe von ... €) sowie der Mitteilung über Umsatzsteuer für 2012 vom 12.3.2014 in Höhe von ... € als Steuererstattungsanspruch an die Klägerin auszukehren sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines vom Beklagten erlassenen Abrechnungsbescheides. Sie streiten insbesondere darüber, ob der Beklagte zu einer Aufrechnung berechtigt war.
3Die Klägerin ist eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Z unter HRB 1. Sie war auf dem Gebiet des ... tätig. Im Jahr 2009 betrieb sie bundesweit rund ... Einzelhandelsfilialen in angemieteten Ladenlokalen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Z vom ....2009 (Az. ... IN ...) wurde über das Vermögen der Klägerin, damals noch firmierend unter „H GmbH“, ein Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt A bestellt. Nach Bestätigung eines vom Insolvenzverwalter am ...2011 vorgelegten Insolvenzplans wurde das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Z (Az. ... IN ...) vom ....2012 aufgehoben. Die Klägerin wird entsprechend des Beschlusses ihrer Gesellschafterversammlung fortgesetzt. Sie ist seitdem als Vermieterin des nach wie vor in ihrem Eigentum stehenden Firmensitzes und im Großhandel mit ... tätig.
4Unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens führte der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin durch. Wesentliches Ergebnis war eine Korrektur gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG des in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen bis einschließlich März 2009 in Anspruch genommenen Vorsteuerabzuges i.H.v. ... €, zu dem die Klägerin das Entgelt nicht entrichtet hatte und wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Entgelt (zunächst) auch nicht mehr entrichten konnte (vergl. Bericht vom 21.9.2009 über die Umsatzsteuersonderprüfung).
5Der Beklagte schloss sich den – zwischen den Beteiligten unstreitigen – Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung an, machte den Vorsteuerabzug insoweit rückgängig und meldete unter anderem den Betrag von ... € zur Insolvenztabelle an, die in voller Höhe festgestellt wurden.
6Am ...2011 legte der Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan vor. Nach den Regeln des Insolvenzplans gehörte der Beklagte zur Gläubiger-Gruppe 3 (nicht nachrangige Gläubiger ohne Absonderungsberechtigung mit Forderungen über ... €, s. Tz. ... des Insolvenzplans – S. ... – sowie Anlage ... zum Insolvenzplan – dort lfd. Nr. ... und 1276, S. ... und ...; bzw. Tz. ... auf S. ...). Im Insolvenzplan, auf den nebst Anlagen Bezug genommen wird, ist zu den Gläubigern der Gruppe 3 unter Tz. .... (S. ...) insbesondere Folgendes ausgeführt:
7[…]Die Gläubiger der Gruppe 3 erklären mit Rechtskraft der Bestätigung der Annahme des Insolvenzplans einen Verzicht auf die verbleibenden Forderungen gegenüber der Schuldnerin Zug-um-Zug gegen die Erklärung eines wechselseitigen Forderungsverzichtes unter Einschluss möglicher Rückgewähransprüche aus Insolvenzanfechtung und der Zahlung von 13,74% der festgestellten Forderungen. […].
8Im Insolvenzplan ist unter Tz. ... (s. ...) des Weiteren Folgendes ausgeführt:
9[…] Die Gläubiger der Gruppe 3 (Nicht nachrangigen Gläubiger) erklären:„Wir verzichten auf alle Forderungen und Ansprüche gegen die H GmbH. […]“
10[…]
11Alle Gläubiger erklären:„Wir erteilen mit rechtskräftiger Bestätigung dieses Insolvenzplanes ausdrücklich unser Einverständnis zu den Planregelungen im gestaltenden Teil. Die freie Masse zuzüglich der Drittmittel abzüglich der Massekosten gem. § 54 InsO und der Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO wird auf die Gläubiger entsprechend der Planregelungen in den einzelnen Gruppen verteilt.“
12Mit Schreiben vom 5.3.2012 (Bl. 57-58 der eAkte) wies der Beklagte den Insolvenzverwalter darauf hin, dass der Insolvenzplan für ihn nur zustimmungsfähig sei, wenn die ohne den Plan bestehenden Aufrechnungsmöglichkeiten bestehen blieben. Der Beklagte wies auf die durch die Quotenzahlung wieder auflebenden Vorsteueransprüche und auf eine seines Erachtens bestehende Aufrechnungsmöglichkeit hin. Zudem beantragte er, den Insolvenzplan um einen entsprechenden Passus zu ergänzen oder den Erhalt der Aufrechnungsrechte in anderer Weise sicherzustellen.
13Mit Schreiben vom 12.3.2012 an den seinerzeitigen Insolvenzverwalter erklärte der Beklagte gemäß § 226 AO die Aufrechnung der zur Insolvenztabelle festgestellten Umsatzsteuerforderung i.H.v. ... € gegen „den künftig fällig werdenden Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus dem erfüllbaren Umsatzsteuerguthaben (da abstrakt entstanden und insolvenzrechtlich begründet), das sich nach Auszahlung der Quote aus der erneuten Berichtigung nach § 17 UStG bezüglich des für sie – aus der Quote der an die Rechnungsaussteller aus der Insolvenzmasse gezahlten Verbindlichkeiten – wieder auflebenden Vorsteuerabzugs ergeben wird“.
14Der Beklagte war in dem Termin der Gläubigerversammlung zur Annahme des Insolvenzplans am ....2012 durch einen Vertreter anwesend und stimmte dem Insolvenzplan vorbehaltslos zu.
15Entsprechend dem Insolvenzplan wurden die seitens des Beklagten zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen mit der festgelegten Quote von 13,74 % bedient. Auf dieser Grundlage erhielt der Beklagte am 22.05.2012 eine Zahlung i.H.v. insgesamt ... €.
16Aufgrund im Verlauf des Insolvenzverfahrens geleisteter Zahlungen auf Verbindlichkeiten der Klägerin (z.B. Mietbürgschaften, Vermieterpfandrechte, Auszahlungen der Insolvenzquote etc.) lebten die zunächst berichtigten Vorsteueransprüche gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG – zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig – teilweise wieder auf.
17Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin Umsatzsteuer sowie Zinsen zur Umsatzsteuer für die Besteuerungszeiträume 1.4.-31.12.2009 und 2010 mit Bescheiden vom 8.7.2014 – dem Grunde und der Höhe nach unstreitig – fest. Der am 17.12.2012 übermittelten Umsatzsteuererklärung 2011 stimmte der Beklagte entsprechend einer Mitteilung vom 10.4.2013 am 2.4.2013 zu. Der am 6.2.2014 übermittelten Umsatzsteuererklärung 2012 stimmte der Beklagte entsprechend einer Mitteilung vom 12.3.2014 am 20.2.2014 zu.
18Laut den sich aus den Bescheiden bzw. Mitteilungen ergebenden Abrechnungen ergaben sich folgende – unstreitige – Erstattungsbeträge zugunsten der Klägerin, von denen der Beklagte lediglich hinsichtlich der Umsatzsteuer 2011 einen Teilbetrag i.H.v. ... € an die Klägerin auszahlte:
19 20Mit diversen Umbuchungsmitteilungen erklärte der Beklagte gegenüber der Klägerin wie folgt die Aufrechnung der verbliebenen Guthaben gegen seine unbestritten zur Insolvenztabelle festgestellten und nach Erhalt der Quotenzahlung aus dem Insolvenzplan noch nicht getilgten Forderungen zu den Umsatzsteuervorauszahlungen November und Dezember 2008 bzw. zur Umsatzsteuer 1.1.-31.3.2009:
21 22Auf einen am 26.5.2014 gestellten Antrag der Klägerin hin erließ der Beklagte mit Datum vom 30.7.2014 den streitigen Abrechnungsbescheid, auf den Bezug genommen wird.
23Den gegen den Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21.6.2017, auf die Bezug genommen wird, als unbegründet zurück. Während des Einspruchsverfahrens erklärte der Beklagte nochmals mit Schreiben vom 5.12.2016 die Aufrechnung gegenüber der Klägerin.
24Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage.
25Sie trägt vor, der Beklagte habe zu Unrecht aufgerechnet.
26Die Gegenforderung des Beklagten (aus der sogenannten ersten Berichtigung) gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG sei eine juristische Sekunde vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet (BFH-Beschluss vom 11.3.2014, V B 61/13). Ihre Hauptforderung umfasse den Rückkorrekturanspruch (aus der sogenannten zweiten Berichtigung) gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG sowie den Anspruch auf die Erstattungszinsen gem. § 233a AO. Dieser Anspruch sei im Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung an die Gläubiger entstanden (BFH-Urteil vom 25.7.2012, VII R 29/11), also erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens am ....2012 ausgesprochenen Aufrechnung stehe daher das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.
27Auch die mit Schreiben vom 5.12.2016 erklärte Aufrechnung sei unwirksam. Zum einen bestreite sie den Zugang des Schreibens. Zum anderen habe der Beklagte den Insolvenzplan am ....2012 ausdrücklich und vorbehaltlos angenommen. Diese Annahme habe das Erlöschen der Ansprüche gegenüber ihr im Wege eines Erlasses im Sinne von § 227 AO zur Folge. Wenn kein vollständiger Erlass vorliege, habe die Verzichtserklärung zumindest insoweit die Wirkung eines Erlasses im Sinne des § 227 AO, als dass der Beklagte gegenüber ihr als „Primärschuldnerin" nicht mit nachinsolvenzlichen Ansprüchen aufrechnen könne, da er auf alle einer Aufrechnung grundsätzlich zugänglichen vorinsolvenzlichen Ansprüche verzichtet habe (vergl. BGH-Beschluss vom 29.3.2007, IX ZB 204/05).
28Der Beklagte habe sich im gestaltenden Teil des Insolvenzplans nicht ausdrücklich die spätere Aufrechnung gegenüber der Klägerin vorbehalten.
29Die vom Beklagen zitierte Entscheidung des BFH (BFH-Urteil vom 13.12.2016, VII R 1/15) sei auf ihren Fall nicht anwendbar. Die zugrunde liegenden Sachverhalte seien nicht vergleichbar. Die Entscheidung sei zum Regelinsolvenzverfahren ergangen. Hier habe es sich um ein Planinsolvenzverfahren gehandelt. Im Regelinsolvenzverfahren gebe es keinen ausdrücklichen Forderungsverzicht der Insolvenzgläubiger.
30Auch die vom Beklagten zitierte Entscheidung des sächsischen Finanzgerichts (Urteil vom 16.10.2012, 8 K 890/07) sei mit dem hier streitgegenständlichen Sachverhalt nicht vergleichbar. Der Beklagte versuchte hier gegen den Insolvenzschuldner selber vorzugehen. Der Fall des sächsischen Finanzgerichts habe die Inhaftungsnahme eines Dritten betroffen.
31Im Übrigen sei das Verhalten des Beklagten als Verzicht auf eine mögliche Aufrechnung zu werten, weil der Erklärungswille des Beklagten dies aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles zum Ausdruck bringe (vergl. BGH-Urteil vom 19.05.2011, IX ZR 222/08). Der Beklagte habe noch in seinem Schreiben vom 5.3.2012 an den Insolvenzverwalter mitgeteilt, der Insolvenzplan sei für ihn ohne „Aufrechnungsvorbehalt“ nicht zustimmungsfähig. Obwohl weder der Insolvenzverwalter noch das Insolvenzgericht einen entsprechenden Aufrechnungsvorbehalt in den Insolvenzplan aufgenommen hätten, habe der Beklagte vorbehaltlos zugestimmt.
32Mit Zustimmung zu dem Insolvenzplan sei die Insolvenzforderung des Beklagten unvollkommen geworden, mit der Folge, dass er ihre Erfüllung nicht mehr erzwingen könne. Mit einer solchen nicht durchsetzbaren Forderung könne grundsätzlich auch nicht aufgerechnet werden (vergl. BGH-Beschluss vom 29.03.2007, IX ZB 204/05).
33Die mit den Bescheiden vom 8.7.2014 festgesetzten (Erstattungs-)Zinsen zur Umsatzsteuer beruhten vollumfänglich auf Zeiträumen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dagegen könne der Beklagte nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen aufrechnen (vergl. BFH-Beschluss vom 30.4.2007, VII B 252/06).
34Im Übrigen handele der Beklagte mit seiner Aufrechnung widersprüchlich und unter Verstoß gegen Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich.
35Die Klägerin beantragt,
36unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 21.6.2017 den Abrechnungsbescheid vom 30.07.2014 mit der Maßgabe abzuändern, dass die bestehenden Umsatzsteuerguthaben laut dem Umsatzsteuerbescheid für 1.4.-31.12.2009 vom 8.7.2014 in Höhe von ... € (... € Umsatzsteuer und ... € Zinsen), dem Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 8.7.2014 in Höhe von ... € (... € Umsatzsteuer und ... € Zinsen), der Mitteilung über Umsatzsteuer für 2011 vom 10.4.2013 in Höhe von ... € (dort ausgewiesene ... € abzüglich des bereits erstatteten Teilbetrages in Höhe von ... €) sowie der Mitteilung über Umsatzsteuer für 2012 vom 12.3.2014 in Höhe von ... € als Steuererstattungsanspruch zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe gemäß § 37 Abs. 1 AO an sie auszukehren sind,
37hilfsweise,
38die Revision zuzulassen.
39Der Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen,
41hilfsweise,
42die Revision zuzulassen.
43Zur Begründung beruft er sich auf die in der Einspruchsentscheidung dargelegten Gründe und trägt ergänzend vor, bei der im Abrechnungsbescheid behandelten Umsatzsteuer 2012 handele es sich lediglich um den vom Insolvenzverfahren betroffenen Teil des Jahres 2012 (1.1.-....2012).
44Dem klägerischen Vortrag sei insoweit zu folgen, als dass entsprechend des – seinerzeit noch nicht ergangenen – BFH-Urteils vom 25.7.2012 (VII R 29/11) die Voraussetzungen für eine Aufrechnung bei der Aufrechnungserklärung vom 12.3.2012 noch nicht vorgelegen hätten, weil der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG (für die sogenannte zweite Berichtigung) noch nicht verwirklicht und damit die Steuerforderungen der Klägerin noch nicht entstanden gewesen seien.
45Für seine Entscheidung sei jedoch maßgeblich auf den Erlass des Abrechnungsbescheides am 30.7.2014 und der Einspruchsentscheidung vom 21.6.2017 abzustellen. Zu diesen Zeitpunkten seien die Rückkorrekturansprüche der Klägerin nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entstanden und sein Anspruch auf die rückständigen vorinsolvenzlichen Umsatzsteuern nicht erloschen gewesen. Insbesondere habe seine Zustimmung zum Insolvenzplan nicht die Wirkung eines Steuererlasses. Auch die §§ 94-96 InsO stünden der strittigen Aufrechnung nicht entgegen.
46Das Aufrechnungsverbot insbesondere nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gelte nur während des Insolvenzverfahrens (so u.a. BFH-Urteil vom 13.12.2016, VII R 1/15; BFH-Urteil vom 22.5.2012, VII R 58/10; BFH-Beschluss vom 7.6.2006, VII B 329/05).
47Nach der Entscheidung des BGH vom 19.5.2011 (IX ZR 222/08) würden Insolvenzforderungen nach Rechtskraft des Insolvenzplanes nicht erlöschen, sie bestünden als unvollkommene Verbindlichkeiten des Schuldners fort, deren Erfüllung möglich sei, aber nicht erzwungen werden könne. Rechne ein Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf, so bleibe eine neu entstehende Aufrechnungslage ungeachtet der im Insolvenzplan getroffenen Regelungen erhalten. Eine Aufrechnung mit während des Insolvenzverfahrens entstandenen Gegenansprüchen werde ihm ungeachtet der im Insolvenzplan getroffenen Regelungen daher nicht verwehrt.
48Dem stehe auch nach dem BFH-Urteil vom 22.5.2012 (VII R 58/10) nicht entgegen, dass sich – im entschiedenen Fall bezogen auf die Restschuldbefreiung – die gegen den Schuldner gerichteten Forderungen in Obligationen verwandelten, also nicht mehr durchsetzbar seien.
49Die vorbezeichneten, größtenteils zum Regelinsolvenzverfahren ergangenen Entscheidungen seien auch auf das Insolvenzplanverfahren anwendbar. Ungeachtet der unterschiedlichen Voraussetzungen und Verfahrensgänge seien die Wirkungen der Restschuldbefreiung (§ 301 InsO) bzw. des rechtskräftigen Insolvenzplans (insbesondere § 254 InsO) im Wesentlichen vergleichbar. Der Schuldner werde mit Abschluss des jeweiligen Verfahrens von seinen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern befreit.
50Schließlich habe er mit der Aufrechnung auch nicht treuwidrig gehandelt. Er habe insbesondere nicht ausdrücklich auf eine Aufrechnungsmöglichkeit verzichtet. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Gläubigerversammlung sei er überhaupt nicht in der Lage gewesen, einen entsprechenden Vorbehalt durchzusetzen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die maßgebliche Gläubigerversammlung am ....2012 und damit vor Änderung der Rechtsprechung des BFH stattgefunden habe. Möglicherweise sei er (bzw. sein Vertreter) damals davon ausgegangen, dass ein entsprechender Vorbehalt im Hinblick auf die – nach damaliger Rechtsprechung – per Gesetz bestehende Aufrechnungsmöglichkeit ohne Bedeutung gewesen wäre. Zudem habe der Insolvenzverwalter in einem im Vorfeld der Abstimmung über den Insolvenzplan geführten Telefonat geäußert, aufgrund der angekündigten Aufrechnung keine Umsatzsteuererklärungen für den Massezeitraum einreichen zu wollen. Im Übrigen sei im Insolvenzplan keine Forderung gegen ihn, den Beklagten, ausgewiesen (auf Seite ... unter ...).
51Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.
52Entscheidungsgründe
53Die Klage ist begründet, soweit sich die Klägerin gegen die vom Beklagten mit dem Abrechnungsbescheid festgestellte Aufrechnung richtet (dazu 1.). Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin eine Verzinsung des ergebenden Erstattungsbetrags begehrt (dazu 2.).
541.
55Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
56Der Klägerin steht der begehrte Erstattungsanspruch zu.
57Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 218 Abs. 1 AO betreffen.
58Durch den Abrechnungsbescheid wird (nur) darüber entschieden, ob ein bestimmter Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis verwirklicht ist oder nicht, das heißt ob der Schuldner des Anspruchs z.B. wirksam gezahlt hat oder ob der Anspruch infolge Aufrechnung erloschen ist. Soweit der Anspruch durch Aufrechnung erloschen ist, entscheidet die Finanzbehörde nur hinsichtlich des Erlöschens durch Abrechnungsbescheid. Die Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ist grundsätzlich kein Gegenstand des Abrechnungsbescheids, sie wird vorausgesetzt (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 160. Lieferung 04.2020, § 218 AO Rn. 17 und 18 m.w.N.).
59Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss voll wirksam und fällig sein. Ihre Erfüllung muss erzwungen werden können (BGH-Urteil vom 19.5.2011, IX ZR 222/08, juris m.w.N.) und ihr darf keine Einrede entgegenstehen (§ 390 BGB). Unvollkommene, rechtlich nicht durchsetzbare Verbindlichkeiten können nicht aufgerechnet werden. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gelten diese Grundsätze entsprechend (§ 226 Abs. 1 AO).
60Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Aufrechnung des Beklagten unwirksam.
61Aufgrund des vom Beklagen vorbehaltlos angenommenen Insolvenzplans sind die zur Insolvenztabelle festgestellten Gegenforderungen des Beklagten zu unvollkommenen Forderungen geworden. Hinsichtlich der unvollkommenen Forderungen besteht für den Beklagten ein Aufrechnungsverbot (so auch Schmittmann in: Waza/ Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 12. Auflage 2019, Rn. 1105; Abschn. 61 Abs. 6 VollstrA).
62a.
63Das Aufrechnungsverbot gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar nicht für eine bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage (BGH-Urteil vom 19.5.2011, IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271). Die Aufrechnungslage hinsichtlich der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Klägerin aufgrund der (zweiten) Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG bestand aber bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht. Die Ansprüche aufgrund der zweiten Berichtigung sind nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 25.7.2012, VII R 29/11, BStBl II 2013, 36), der sich der Senat anschließt, erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die quotalen Zahlungen entstanden.
64b.
65Entgegen der unter Verweis auf das vorstehend genannte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH-Urteil vom 19.5.2011, IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271) dargelegten Auffassung des Beklagten ist die für bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslagen vorgesehene Ausnahme nicht auch auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Aufrechnungslagen auszudehnen.
66Der Bundesgerichtshof hat in dem vom Beklagten zitierten Urteil insoweit keine Aussage getroffen. Eine uneingeschränkte nachinsolvenzliche Aufrechnungsmöglichkeit für die Insolvenzgläubiger würde den Zielen des Insolvenzplanverfahrens, den Erhalt des Unternehmens zu sichern (§ 1 Satz 1 am Ende InsO), entgegen laufen.
67c.
68Dem Senat ist bewusst, dass es nach den Regelungen zum Insolvenzverfahren nicht gewollt ist, dass die Insolvenzschuldnerin eigentlich zu den Masseforderungen gehörende Vorsteuererstattungen in erheblichem Umfang zur eigenen Verfügung erhält und diese nicht der Gläubigergemeinschaft zugutekommen wie im vorliegenden Fall.
69Die Finanzbehörde ist für einen solchen Fall aber auch nicht schutzlos gestellt.
70Sofern die Finanzbehörde die Mehrheit in der Gläubigerversammlung hat, kann sie das Zustandekommen des Insolvenzplanes bei der Abstimmung verhindern und benötigt keinen weitergehenden Schutz. Sofern die Finanzbehörde – wie im vorliegenden Fall – keine Mehrheit in der Gläubigerversammlung hat, kann sie Minderheitenrechte gemäß § 251 InsO geltend machen. In dem von der Klägerin zitierten Fall des Bundesgerichtshofs (BGH-Beschluss vom 29.3.2007, IX ZB 204/05) wurden dem Finanzamt solche Rechte zwar abgesprochen. In jenem Fall ging es aber um die Aufrechnung mit abstrakten, lediglich möglicherweise später entstehenden Steuererstattungsansprüchen der dortigen Schuldnerin („das Entstehen von Steuererstattungsansprüchen in unbekannter Höhe während der Wohlverhaltensphase“). Der sich aus der im vorliegenden Insolvenzplan festgelegten Quotenzahlung ergebende Vorsteueranspruch gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ist hingegen ein aufgrund konkreter Anhaltspunkte sehr wahrscheinlich zu erwartender Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin.
71Abgesehen davon kann ein durch die Quotenzahlung zu erwartender Vorsteueranspruch des Insolvenzschuldners unter Mitwirkung der Finanzbehörde bereits bei der Ermittlung der für den Insolvenzplan vorzuschlagenden Quotenzahlung rechnerisch berücksichtigt werden (vergl. Onusseit in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, 83. Lieferung 02.2020, Rn. 539).
72d.
73Nichts anderes ergibt sich im hier zu entscheidenden Fall vor dem Hintergrund, dass sich die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hinsichtlich der zeitlichen Einordnung des Entstehens des Anspruchs auf die zweite Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erst nach der Beschlussfassung über den Insolvenzplan geändert hat.
74Ein Vertrauensschutztatbestand auf die Aufrechterhaltung der Aufrechnungslage entsprechend der vorherigen Rechtsprechung besteht zugunsten des Beklagten nicht.
75Auch die Aussage des Insolvenzverwalters in dem in der mündlichen Verhandlung erstmals angeführten Telefonat mit dem Beklagten, selber keine Umsatzsteuerklärungen für den Massezeitraum einreichen zu wollen, also keine Vorsteueransprüche für die Klägerin mehr geltend zu machen, führt nicht dazu, dass es der Klägerin hier verwehrt wäre, die festgesetzten Vorsteuerüberhänge ausgezahlt zu erhalten. Eine irgendwie für die Klägerin wirkende Erklärung hat der Insolvenzverwalter jedenfalls nicht abgegeben.
76e.
77Ob, wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, die sog. zweite Berichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG nur dann und insoweit durchzuführen ist, wenn die erste Berichtigung durchgeführt und sämtliche dadurch entstandenen Verbindlichkeiten gezahlt sind (so wohl auch FG Münster, Urteil vom 20.2.2018, 15 K 1514/15 U,S, EFG 2018, 697; Stadie in: Rau/ Dürrwächter, UStG, 186. Lieferung 04.2020, Anhang 2 – Umsatzsteuer und Insolvenz, Rn. 167), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Dabei handelt es sich um eine bei der Festsetzung der Umsatzsteuer zu beantwortende Frage. Im vorliegenden Verfahren sind jedoch allein Fragen des Erhebungsverfahrens zu beantworten. Der Senat hat deshalb allein über die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids zu befinden.
78Im Übrigen hat es der Beklagte selbst zu der Festsetzung der angemeldeten Vorsteueransprüche aus der zweiten Berichtigung kommen lassen. Denn er hat der einen Vorsteuerüberhang i.H.v. ... € ausweisenden, am 6.2.2014 übermittelten Umsatzsteuererklärung 2012 der Klägerin (womit nach dem von der Klägerin nicht angegriffenen Vortrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung allein die Erklärung für den auf das Insolvenzverfahren entfallende Zeitraum des Jahres 2012, der 1.1.-....2012, gemeint ist) am 20.2.2014 gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt und gemäß § 168 Satz 1 AO die kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung auch im weiteren Verlauf nicht gemäß § 164 Abs. 2 Satz1 AO geändert.
79f.
80Sofern der Beklagte anführt, dass die Klägerin die Vorsteuern damit doppelt ausgezahlt bekäme, kann der Senat dem Argument im Ergebnis nicht folgen.
81Es ist dem Beklagten zwar zuzugestehen, dass aufgrund der bei der Ermittlung der festzusetzenden Umsatzsteuer vorzunehmenden Saldierung von Umsatz- und Vorsteuer grundsätzlich im Einzeln schwer festzustellen ist, ob und wenn ja welche im Rahmen der ersten Berichtigung zur Tabelle angemeldete Vorsteuerverbindlichkeit die Klägerin mit ihrer Quotenzahlung beglichen hat.
82Bei isolierter Betrachtung eines Vorsteuer im Rahmen der zweiten Berichtigung auslösenden Vorgangs (z.B. Zahlung einer Insolvenzquote lt. Insolvenzplan i.H.v. – aus Vereinfachungsgründen fiktiv – 10% auf eine Lieferantenrechnung i.H.v. – fiktiv – brutto 11.900 €, also 1.190 €) erhält die Insolvenzschuldnerin allerdings lediglich den Teil der Vorsteuer erstattet, mit dem sie selbst (durch die Bruttozahlung auf die vor Insolvenzeröffnung gestellte und mit der Quotenzahlung i.H.v. 1.190 € zu 10% beglichene Rechnung) auch tatsächlich belastet war. Damit muss die Finanzbehörde diesen Teil der Vorsteuer (190 €) zwar ein zweites Mal an die Insolvenzschuldnerin auszahlen. Mit der ebenfalls erfolgten quotalen Zahlung der Insolvenzschuldnerin an die Finanzbehörde aufgrund des Insolvenzplans (auf die Insolvenzforderung i.H.v. 1.900 € aus der ersten Berichtigung der o.g., vorinsolvenzlich nicht beglichenen Lieferantenrechnung) hat die Insolvenzschuldnerin aber auch einen Betrag in selber Höhe an die Finanzbehörde zurückgezahlt (Zahlung einer Insolvenzquote lt. Insolvenzplan i.H.v. 10%, also 190 €), so dass die Vorsteuer nicht doppelt bei ihr verbleibt. Unter Einbeziehung der Belastung mit der Umsatzsteuer durch die Quotenzahlung an den Lieferanten bleibt die Insolvenzschuldnerin vielmehr – für Insolvenzverfahren nicht unüblich – in Höhe der die Insolvenzquote übersteigenden Vorsteuer begünstigt.
832.
84Der Klägerin steht kein Anspruch auf Verzinsung des im Tenor ausgewiesenen Erstattungsbetrags zu.
85Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden gemäß § 233 AO nur verzinst, soweit das gesetzlich vorgeschrieben ist. Vorliegend ist keiner der Tatbestände der §§ 233a ff AO erfüllt, insbesondere auch nicht § 236 AO.
86Steuererstattungsansprüche werden selbst dann nicht nach § 236 verzinst, wenn um sie (z.B. infolge Überzahlungen, doppelter Zahlung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Abrechnungsbescheid) in der Hauptsache gestritten wird. In diesen Fällen erfolgt keine Verzinsung, weil der Rechtsstreit nicht dadurch beendet wird, dass eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird, mithin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 236 nicht erfüllt sind (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 159. Lieferung 01.2020, § 236 AO, Rn. 6 mit weiteren Nachweisen).
873.
88Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
894.
90Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.