Bagatellkündigungen sind unwirksam

Bagatellkündigungen sind unwirksam

Die Fälle häufen sich. Ob der Biss in eine Frikadelle, die Mitnahme von Essensresten oder der Wertbon von 1,30 EUR – Arbeitgeber reagieren in solchen Fällen zunehmend häufiger mit sofortiger Kündigung. Die Gerichte haben inzwischen eine Bagatellgrenze gezogen.

Hintergrund
Im aktuellen Fall ging es um ein Krabbenbrötchen. Eine Mitarbeiterin von Karstadt, die in der Feinkostabteilung beschäftigt war, konnte im August 2013 dem Anblick eines appetitlichen Krabbenbrötchens nicht dauerhaft widerstehen. Kurzerhand nahm sie die mit Nordseekrabbensalat belegte Brötchenhälfte und biss hinein. Ihr Vorgesetzter hatte sie bei ihrem verbotenen Tun beobachtet. Dieser drohte zunächst mit Entlassung, kündigte sodann fristlos und sprach wenig später auch die fristgerechte Kündigung aus.

Mitarbeiterin wehrt sich
Die Mitarbeiterin hielt die sofortige Kündigung für ein kleinkariertes Verhalten ihres Chefs und wehrte sich vor dem Arbeitsgericht. Dieses gab ihr ebenso wie das zweitinstanzlich mit der Sache befasste Landesarbeitsgericht Recht. Das Landesarbeitsgericht wies zunächst darauf hin, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses die einschneidendste aller denkbaren Reaktionen für den Arbeitnehmer sei.

Arbeitgeber muss mildere Mittel in Betracht ziehen
Nach Auffassung der Landesarbeitsrichter darf ein Arbeitgeber die sofortige Kündigung als Ultima Ratio nur dann aussprechen, wenn kein angemessenes, milderes Mittel zur Ahndung eines Verstoßes zur Verfügung steht. Dieser Grundsatz gelte bei einem rechtswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers jedenfalls dann, wenn es sich bei dem angerichteten Schaden um einen Bagatellschaden handle.

Vertrauensverhältnis nicht grundlegend zerstört
Das Argument des Arbeitgebers, dass durch ein rechtswidriges Verhalten mit strafrechtlichem Charakter das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber endgültig zerstört sei, ließen die Richter nicht gelten. Die Höhe eines Schadens könne bei der Bewertung eines Fehlverhaltens nicht außer Betracht bleiben, auch wenn durch das Fehlverhalten eine Straftat verwirklicht würde. Zu den Arbeitgeberpflichten gehöre es in einem solchen Fall angemessen, d. h. unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren.

Zunächst Abmahnung erforderlich
Danach habe der Arbeitgeber zu prüfen, welche Handlungsoptionen zur Ahndung des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers in Betracht kämen. Bei einer Schadenshöhe in der Größenordnung von wenigen Euro sei es für den Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, zunächst eine Abmahnung für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu erteilen. Die Abmahnung sei grundsätzlich ein geeignetes Instrument zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers an einer Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften. Auf diese Weise werde dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten nochmals eindringlich vor Augen geführt. Im Wiederholungsfall müsse der Arbeitnehmer allerdings dann mit einer endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen. Die Kündigungsschutzklage der Karstadt-Mitarbeiterin hatte somit Erfolg.

Rechtsprechung zu Bagatellfällen inzwischen gefestigt
Mit seiner Entscheidung folgte das Landesarbeitsgericht dem höchstrichterlich vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall „Emmely“. In einer Grundsatzentscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht über den Fall einer Kassiererin zu befinden, die Wertbons im Wert von 1,30 EUR eingelöst hatte, die der vorgesetzte Filialleiter ihr angeblich zur Verwahrung gegeben hatte. In seiner viel beachteten Entscheidung entschied das Bundesarbeitsgericht – in Abweichung von den Vorinstanzen –, dass bei der langjährigen Mitarbeiterin, die sich bisher nichts hatte zu Schulden kommen lassen, eine sofortige Kündigung unverhältnismäßig sei, da der angerichtete Schaden von 1,30 EUR in keiner angemessen Relation zum scharfen Schwert einer sofortigen Kündigung stünde. Auch in diesem Fall hätte der Arbeitgeber zunächst eine Abmahnung erteilen müssen.