OFD Magdeburg v. 10.08.2012 – S 2252 – 117 – St 214
Steuerliche Behandlung von Erstattungszinsen; § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010
Zinsen i. S. v. § 233a AO, die das Finanzamt an den Steuerpflichtigen zahlt (Erstattungszinsen), gehören bislang unabhängig von der Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen gem. § 12 Nr. 3 EStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG).
Mit Urteil vom 15.06.2010 – VIII R 33/07 , BStBl 2011 II S. 503, ist der BFH von seiner langjährigen Rechtsprechung abgewichen und hat festgestellt, dass Erstattungszinsen beim Empfänger nicht der Besteuerung unterliegen, soweit sie auf Steuern entfallen, die gemäß § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbar sind.
Der BFH hält zwar an seiner Rechtsprechung fest, dass der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch eine ‚sonstige Kapitalforderung jeder Art’ i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist und die Erstattungszinsen nach § 233a AO auch als Gegenleistung dafür gezahlt werden, dass der Steuerpflichtige dem Fiskus Kapital zur Nutzung überlassen hat, zu dessen Leistung er letztlich nicht verpflichtet war. Damit können Erstattungszinsen beim Empfänger grundsätzlich der Besteuerung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen.
Das gilt jedoch nicht, wenn die (Einkommen-)Steuer und darauf entfallende Nachzahlungszinsen gem. § 12 Nr. 3 EStG vom Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ausgeschlossen und damit dem nichtsteuerbaren Bereich zugewiesen sind. Diese gesetzgeberische Entscheidung strahlt auf den umgekehrten Vorgang der Erstattung solcher Steuern in der Weise aus, dass sie dem Steuerpflichtigen nicht im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nrn. 4 bis 7 EStG zufließen. Erstattungszinsen teilen als steuerliche Nebenleistungen das ‚Schicksal’ der Hauptforderung mit der Folge, dass sie von § 12 Nr. 3 EStG ebenfalls dem nicht steuerbaren Bereich zugewiesen werden.
Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 08.12.2010 (Verkündung am 14.12.2010 im BGBl. 2010 Teil 1 Nr. 62, S. 1768) ist der § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG neu in das Gesetz aufgenommen worden. Danach stellen nunmehr Erstattungszinsen nach § 233a AO Erträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG dar (klarstellende Gesetzesänderung). Die Änderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG ist in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52a Abs. 8 ESG).
Die vorgenannte Anwendungsvorschrift hat somit zur Folge, dass die Gesetzesänderung nicht nur für zukünftige Kalenderjahre, sondern auch für vorangegangene Kalenderjahre zu beachten ist. Erstattungszinsen sind daher wie bislang bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Die Gesetzesänderung bewirkt quasi, dass das o. g. Urteil des BFH über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht angewendet werden kann.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass Nachzahlungszinsen, die vom Steuerpflichtigen an das Finanzamt zu zahlen sind, nach wie vor nicht steuerlich geltend gemacht werden können.
Zur Frage der – generellen – Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Erstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen ist beim BFH unter dem Az. VIII R 36/10 ein Revisionsverfahren anhängig.
Des Weiteren hat das FG Münster entschieden, dass die durch das JStG 2010 rückwirkend angeordnete Besteuerung von Zinsen verfassungsgemäß sei ( Urteil vom 16.12.2010 – 5 K 3626/03 E ). Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Revision beim BFH eingelegt. Das Revisionsverfahren wird beim BFH unter dem Az. VIII R 1/11 geführt.
Mit zwei weiteren Urteilen vom 10.05.2012 – 2 K 1947/00 E und 2 K 1950/00 E . hat das FG Münster (jedoch der 2. Senat) entgegen der Verwaltungsauffassung entschieden, dass Erstattungszinsen ungeachtet der durch das JStG 2010 eingefügten Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG nicht steuerbar sind. Dies gilt nach Auffassung des FG auch dann, wenn die Erstattungszinsen in Zeiträumen angefallen sind. in denen vom Steuerpflichtigen gezahlte Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben abziehbar waren.
Zur Begründung führt das FG in Anlehnung an das BFH-Urteil vom 15.06.2010 – VIII R 33/07 . a. a. O.. aus, dass Erstattungszinsen zur Einkommensteuer nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 12 Nr. 3 EStG dem nichtsteuerbaren Bereich zugewiesen würden.
Auf die Frage, ob die durch das JStG 2010 als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH neu eingefügte Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG, die Erstattungszinsen ausdrücklich den Einkünften aus Kapitalvermögen zuordne, auch rückwirkend auf die Streitjahre Anwendung finde, komme es nicht an. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG sei keine Spezialregelung gegenüber § 12 Nr. 3 EStG. Vielmehr gehe § 12 Nr. 3 EStG als eine den einzelnen Einkunftsarten systematisch vorangestellte Vorschrift § 20 Abs. 1 EStG vor.
Die Revisionsverfahren werden beim BFH unter den Aktenzeichen VIII R 28/12 und VIII R 29/12 geführt.
Einsprüche, die in vergleichbaren Fällen auf die vorgenannten Verfahren gestützt werden, ruhen kraft Gesetzes gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.
Mit Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 190/11 , hat der BFH entschieden, dass es ernstlich zweifelhaft ist, ob 2008 zugeflossene Erstattungszinsen zur Einkommensteuer der Jahre 2001 bis 2003 als Einnahmen aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i. d. F. des JStG 2010 der Steuer unterliegen. In einem weiteren Verfahren zu im Kalenderjahr 2009 zugeflossene Erstattungszinsen hat der BFH seine Rechtsauffassung bestätigt ( Beschluss vom 09.01.2012 – VIII B 95/11 ). Die Zweifel bestehen nach Auffassung des BFH insbesondere wegen der rückwirkenden Anwendung der Vorschrift (§ 52a Abs. 8 Satz 2 EStG), sodass diese auf alle Fälle anzuwenden ist, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. In vergleichbaren Fällen ist daher auf Antrag Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.