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Rückwirkende Nachweisanforderungen von Krankheitskosten sind verfassungsgemäß

Rückwirkende Nachweisanforderungen von Krankheitskosten sind verfassungsgemäß

Kernproblem

Im November 2010 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) seine ständige Rechtsprechung zum Nachweis der Zwangsläufigkeit bestimmter Aufwendungen im Krankheitsfall und deren Abzugsfähigkeit als außergewöhnliche Belastungen komplett umgekrempelt. War vormals die medizinische Indikation der Behandlung durch ein vorab gefertigtes amtsärztliches oder vertrauensärztliches Gutachten oder ein Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers nachzuweisen, sollte zukünftig mangels gesetzlicher Regelung eine freie Beweiswürdigung stattfinden. Der Gesetzgeber sah sich daraufhin veranlasst, die alte Rechtslage durch Gesetzesänderung wieder herbeizuführen und das formalisierte Nachweisverlangen rückwirkend anzuordnen. Das geschah mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011. Der BFH musste sich jetzt erstmals mit der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung beschäftigen.

Sachverhalt

Der Sachverhalt entsprach denen, die noch zum Ende des Jahres 2010 (vor der Gesetzesänderung) für Furore gesorgt hatten. Eheleute machten die Kosten für einen im Jahr 2006 durchgeführten Kuraufenthalt als außergewöhnliche Belastungen geltend. Die medizinische Notwendigkeit der Kur war jedoch nicht durch ein vor Kurbeginn ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares Attest belegt, weshalb der Antrag bei Finanzamt und Finanzgericht scheiterte.

Entscheidung

Der BFH toleriert die rückwirkende Gesetzesänderung und wies die Revision zurück. Auf die strenge Art des Nachweises könne nach geltendem Recht nicht mehr verzichtet werden. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung sei hierbei nicht zu beklagen, denn dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach.

Konsequenz

Weil der Streitfall das Jahr 2006 und damit einen Zeitraum betraf, in dem das Nachweisverlangen der ständigen Rechtsprechung entsprach, musste der BFH auch nicht über eine im Vertrauen auf die erfolgte Rechtsprechungsänderung getätigte Disposition in der Zeit nach November 2010 urteilen. Hier hätte die Entscheidung (zumindest bis zur Einbringung der Gesetzesinitiative im März 2011) anders lauten können. Es bleibt abzuwarten, ob dennoch gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt wird.