FG Münster, Urteil vom 28.11.2025 – 7 K 615/25 Kg, AO
Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 28. November 2025 (7 K 615/25 Kg, AO) entschieden, dass der Anwendungsbereich des § 64 EStG nicht eröffnet ist, wenn der Kindergeldanspruch des anderen Elternteils bestandskräftig abgelehnt wurde. Die Entscheidung stellt klar, dass § 64 EStG ausschließlich der Vermeidung von Doppelzahlungen dient und nicht dazu verwendet werden kann, einen bestehenden und bestandskräftigen Kindergeldanspruch nachträglich zu verdrängen.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mutter eines Kindes, das nach der Trennung der Eltern zunächst in ihrem Haushalt lebte. Im Zeitraum von Juli bis Dezember 2023 wechselte das Kind vorübergehend in den Haushalt des Vaters.
Der Vater beantragte für diesen Zeitraum Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag im Jahr 2024 ab; der Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig. Im Jahr 2025 hob die Familienkasse daraufhin die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Mutter auf. Zur Begründung führte sie an, dass nach § 64 Abs. 1 EStG für jedes Kind nur einer Person Kindergeld zustehe. Da der Vater das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe, sei er vorrangig anspruchsberechtigt und schließe die Mutter von der Kindergeldzahlung aus.
Entscheidung des FG Münster
Das Finanzgericht gab der Klage der Mutter statt und erklärte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für rechtswidrig.
Das Gericht stellte zunächst klar, dass bei leiblichen Kindern – anders als bei Stiefkindern oder Enkeln – die Haushaltsaufnahme keine Anspruchsvoraussetzung für den Kindergeldanspruch ist. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG greift nur dann ein, wenn mehrere Berechtigte tatsächlich nebeneinander anspruchsberechtigt sind. In diesem Fall soll die Haushaltsaufnahme lediglich bestimmen, wem das Kindergeld ausgezahlt wird, um eine Mehrfachzahlung zu verhindern (§ 64 Abs. 1 EStG).
Kein Anwendungsbereich des § 64 EStG bei bestandskräftiger Ablehnung
Nach Auffassung des Gerichts war der Anwendungsbereich des § 64 EStG im Streitfall jedoch nicht eröffnet, da der Kindesvater kein „Berechtigter“ im Sinne der Vorschrift war. Einem möglichen Kindergeldanspruch des Vaters stand die bestandskräftige Ablehnung seines Antrags durch die Familienkasse entgegen.
Entscheidend ist dabei, dass § 64 EStG ausschließlich der Vermeidung einer Doppelzahlung von Kindergeld dient. Besteht gegenüber einem Elternteil bereits eine bestandskräftige Ablehnung, fehlt es im Regelfall an der Gefahr einer Doppelzahlung. Damit fehlt zugleich die rechtliche Grundlage, den Kindergeldanspruch des anderen Elternteils auf § 64 EStG zu stützen oder aufzuheben.
Unerheblich ist nach Auffassung des Gerichts, ob die Ablehnung des Kindergeldantrags des Vaters möglicherweise aus formalen Gründen erfolgt ist oder ob dem Grunde nach ein Anspruch bestanden hätte. Die Bestandskraft der Ablehnung ist maßgeblich.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des FG Münster hat erhebliche praktische Relevanz für Trennungs- und Wechselhaushaltsfälle:
- § 64 EStG greift nur bei konkurrierenden, rechtlich bestehenden Ansprüchen.
- Eine bloß theoretische Anspruchsmöglichkeit reicht nicht aus.
- Ist der Antrag eines Elternteils bestandskräftig abgelehnt, kann die Familienkasse nicht nachträglich unter Berufung auf § 64 EStG den Anspruch des anderen Elternteils aufheben.
- Die Bestandskraft eines Ablehnungsbescheids schützt den verbleibenden Kindergeldanspruch.
Für betroffene Elternteile bedeutet dies eine wichtige Klarstellung und eine deutliche Stärkung der Rechtssicherheit im Kindergeldrecht.
Ausblick
Ob die Familienkasse gegen das Urteil Rechtsmittel einlegt, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung fügt sich jedoch systematisch überzeugend in Zweck und Funktion des § 64 EStG ein und dürfte auch über den Einzelfall hinaus Beachtung finden.
Quelle: Finanzgericht Münster, Urteil vom 28.11.2025 – 7 K 615/25 Kg, AO, Newsletter Dezember 2025