Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht dem Ausschluss auf elektronischem Weg gelieferter digitaler Bücher, Zeitungen und Zeitschriften von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht entgegen

Die Mehrwertsteuerrichtlinie ist in dieser Hinsicht gültig.

Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten auf gedruckte Publikationen wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden.

Für digitale Publikationen gilt hingegen der normale Steuersatz, mit Ausnahme digitaler Bücher, die auf einem physischen Träger wie etwa einer CD-ROM geliefert werden.

Das vom polnischen Bürgerbeauftragten angerufene polnische Verfassungsgericht zweifelt an der Gültigkeit dieser unterschiedlichen Besteuerung. Es möchte vom Gerichtshof zum einen wissen, ob diese Besteuerung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, und zum anderen, ob das Europäische Parlament am Gesetzgebungsverfahren hinreichend beteiligt wurde.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass durch die Regelung in der Mehrwertsteuerrichtlinie, soweit mit ihr die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg ausgeschlossen wird, während sie bei der Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, zwei Sachverhalte ungleich behandelt werden, die in Anbetracht des vom Unionsgesetzgeber mit der Gestattung der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei bestimmten Arten von Büchern verfolgten Zwecks, und zwar dem der Förderung des Lesens, vergleichbar sind.
Sodann prüft der Gerichtshof, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu einer solchen unterschiedlichen Behandlung führt, verfolgt wird, und wenn die unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht. Beim Erlass einer steuerlichen Maßnahme muss der Unionsgesetzgeber Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art treffen, divergierende Interessen in eine Rangfolge bringen oder komplexe Beurteilungen vornehmen. Infolgedessen ist ihm in diesem Rahmen ein weites Ermessen zuzuerkennen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der genannten Voraussetzungen auf offensichtliche Fehler beschränken muss. In diesem Kontext weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Ausschluss der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg die Konsequenz der für den elektronischen Handel geltenden Mehrwertsteuer-Sonderregelung ist. In Anbetracht der fortwährenden Weiterentwicklungen, denen 1 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze (ABl. 2009, L 116, S. 18). 2 Es sei denn, diese Druckerzeugnisse dienen vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken.  Oder auch zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze.  In diesem Fall darf auch auf digitale Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden. Werden sie hingegen per Download oder Streaming übermittelt, gilt der normale Steuersatz. Für digitale Zeitungen und Zeitschriften gilt stets der normale Steuersatz, unabhängig davon, in welcher Form sie geliefert werden. Rzecznik Praw Obywatelskich. Er hat beim polnischen Verfassungsgericht beantragt, die polnischen Bestimmungen über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Publikationen auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen. Der Wortlaut von Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 weicht nämlich vom Wortlaut des Richtlinienvorschlags, auf dessen Grundlage das Parlament angehört wurde, ab.
elektronische Dienstleistungen als Ganzes unterworfen sind, wurde es nämlich als erforderlich angesehen, für diese Dienstleistungen klare, einfache und einheitliche Regeln aufzustellen, damit der für sie geltende Mehrwertsteuersatz zweifelsfrei ermittelt werden kann und so die Handhabung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen und die nationalen Finanzverwaltungen erleichtert wird. Durch den Ausschluss der elektronischen Dienstleistungen von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erspart es der Unionsgesetzgeber den Steuerpflichtigen und den nationalen Finanzverwaltungen, bei jeder Art solcher Dienstleistungen zu prüfen, ob sie unter eine der Kategorien von Dienstleistungen fällt, die nach der Mehrwertsteuerrichtlinie in den Genuss eines ermäßigten Satzes kommen können. Eine solche Maßnahme muss deshalb als zur Verwirklichung des mit der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für den elektronischen Handel verfolgten Ziels geeignet angesehen werden. Würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wie es bei der Lieferung solcher Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, würde überdies die Kohärenz der gesamten vom Unionsgesetzgeber angestrebten Maßnahme beeinträchtigt, die darin besteht, alle elektronischen Dienstleistungen von der Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auszunehmen.

Zur Pflicht, das Europäische Parlament im Gesetzgebungsverfahren anzuhören, führt der Gerichtshof aus, dass sie impliziert, das Parlament immer dann erneut anzuhören, wenn der letztlich verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem es bereits angehört wurde, es sei denn, die Änderungen entsprechen im Wesentlichen einem vom Parlament selbst geäußerten Wunsch. Sodann prüft der Gerichtshof, ob in Bezug auf die Bestimmung der Richtlinie, mit der die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von Büchern auf physischen Trägern beschränkt wird, eine erneute Anhörung des Parlaments erforderlich war. Der Gerichtshof sieht dabei in der Endfassung der betreffenden Bestimmung nur eine redaktionelle Vereinfachung des Textes des Richtlinienvorschlags, dessen Wesen in vollem Umfang erhalten blieb. Der Rat war daher nicht verpflichtet, das Parlament erneut anzuhören. Die Richtlinienbestimmung ist folglich nicht ungültig.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Private PKW-Nutzung: Keine Besteuerung für Zeiten der Fahruntüchtigkeit

Dem Kläger wurde von seinem Arbeitgeber ein Firmenwagen zur Verfügung gestellt, den er auch zu privaten Zwecken nutzen darf. Der hierin liegende geldwerte Vorteil wurde für das Streitjahr 2014 zunächst nach der sog. 1 % – Regelung mit 433 €/Monat versteuert.

Im Einspruchs- und Klageverfahren machte der Kläger geltend, dass der Arbeitslohn um 2.165 € (5 Monate à 433 €) zu kürzen sei, da er den Firmenwagen für fünf Monate nicht habe nutzen können und dürfen. Am 23.02.2014 habe er einen Hirnschlag erlitten, woraufhin ihm ein Fahrverbot durch den behandelnden Arzt erteilt worden sei. Das Fahrverbot sei erst am 29.07.2014 durch eine Fahrschule aufgehoben worden. Für die Zeit des Fahrverbotes dürfe jedoch keine Besteuerung erfolgen, da überhaupt kein Vorteil entstanden sei und mithin kein fiktiver Arbeitslohn vorliege. Die Nutzung des Fahrzeugs sei nach der Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber untersagt, wenn er aufgrund einer Erkrankung nicht ausschließen könne, dass seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sei. Dritte seien nach dieser Vereinbarung nur bei dringenden dienstlichen Anliegen zur Nutzung befugt. Tatsächlich sei das Fahrzeug auch nicht von Dritten genutzt worden.

Das Gericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben.

Für die Monate März bis Juni 2014 sei kein Nutzungsvorteil zu erfassen. Zwar sei es für die Besteuerung des Nutzungsvorteils grundsätzlich unerheblich, ob der Arbeitnehmer den auf der allgemeinen Lebenserfahrung gründenden Beweis des ersten Anscheins, dass dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt werden, durch die substantiierte Darlegung eines atypischen Sachverhalts (Gegenbeweis) zu entkräften vermag. Damit sei jedoch nur der Fall gemeint, dass der Steuerpflichtige belastbar behaupte, das betriebliche Fahrzeug nicht für Privatfahrten genutzt oder Privatfahrten ausschließlich mit anderen Fahrzeugen durchgeführt zu haben. Nicht gemeint seien dagegen Situationen, wie die vorliegende, in denen der Steuerpflichtige zur privaten Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs nicht (länger) befugt sei.

Es lasse sich bis zum 29.07.2014 nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Kläger aufgrund der Folgen des Hirnschlags fahruntüchtig gewesen sei, mit der Folge, dass er den Firmenwagen nach der Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber bis dahin auch nicht nutzen durfte, und zwar weder für berufliche noch für private Zwecke. Die Befugnis des Klägers, den Wagen zu nutzen, sei vollständig entfallen. Dritte seien zur privaten Nutzung ebenfalls nicht befugt gewesen. Auch sei nicht ersichtlich, dass eine vertragswidrige Nutzung stattgefunden habe.

Für die Monate Februar und Juli sei ein Nutzungsvorteil zu erfassen, weil der Kläger den Firmenwagen bis zum Hirnschlag am 23.02.2014 und ab Bestehen der Fahrprüfung am 29.07.2014 uneingeschränkt nutzen konnte. Eine zeitanteilige Aufteilung innerhalb eines Monats komme nach der herrschenden Meinung nicht in Betracht.

Die Entscheidung im Volltext: 10 K 1932/16 E

Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung – Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen bei einer Gaststätte

FG Hamburg 6. Senat, Beschluss vom 26.08.2016, 6 V 81/16

§ 96 Abs 1 S 1 FGO, § 140 AO, § 141 AO, § 142 AO, § 143 AO, § 144 AO, § 145 AO, § 146 AO, § 147 AO, § 148 AO, § 158 AO, § 162 AO, §§ 238ff HGB, § 238 HGB, § 162 Abs 2 S 2 Alt 2 AO

Tatbestand

I.

1
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Hinzuschätzungen von Gewinnen und Umsätzen aufgrund einer Betriebsprüfung für den Gaststättenbetrieb der Antragstellerin betreffend die Streitjahre 2011 bis 2013.

2
Die Antragstellerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom … 2011 gegründet. Unternehmensgegenstand ist der Betrieb einer Gaststätte für südländische Speisen. Alleiniger Gesellschafter ist Herr A. Die Eröffnungsbilanz wurde auf den 24.03.2011 erstellt. Mit Vertrag vom … 2011 wurde A zum Geschäftsführer bestellt.

3
Seit dem … 2011 betreibt die Antragstellerin die Gaststätte als türkisches Restaurant unter dem Namen “ XXX“ in …, X-Straße … Herr B, der Onkel von A, hatte das Restaurant bereits seit mindestens 2008 geführt und war nach Gründung der Antragstellerin mit Vertrag vom … 2011 als Geschäftsleiter angestellt. Das Restaurant verfügt über ca. 80 Sitzplätze. Neben Beilagen werden ca. 40 Gerichte auf der Speisekarte angeboten. Die Antragstellerin verwendete zur Aufzeichnung der Tageseinnahmen eine elektronische Registrierkasse (Casio QT 6000).

4
Die Antragstellerin reichte für 2011 am 19.03.2013, für 2012 am 07.04.2014 und für 2013 am 24.02.2015 die jeweiligen Steuererklärungen ein. Der Antragsgegner veranlagte die Antragstellerin zunächst erklärungsgemäß.

5
Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 09.03.2015 für den Zeitraum 2011 bis 2013 fand in der Zeit vom 07.04.2015 bis 26.02.2016 eine Betriebsprüfung statt, die mit geändertem Bericht über die Außenprüfung vom 07.04.2016 abgeschlossen wurde.

6
1. Der Außenprüfer stellte fest, dass A und B im Restaurant unentgeltlich essen und trinken konnten, während andere Angestellte der Antragstellerin lediglich Wasser und Tee erhielten. Der Außenprüfer legte Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben (Sachentnahmen) entsprechend der Richtsatzsammlungen des Bundesministeriums der Finanzen für die Kalenderjahre 2011 bis 2013 – für 2011 zeitanteilig für 9 Monate – in folgender Höhe zu Grunde:
Warenentnahmen
2011: 5.341 €
2012: 7.442 €
20013: 7.235 €

7
2. Des Weiteren stellte der Prüfer fest, dass die Antragstellerin für mehrere Tage keine Betriebseinnahmen in der Buchhaltung erfasst hatte, obwohl in den Listen der Tagesumsätze Beträge notiert waren; zum Teil befanden sich auch Z-Bons bei den Belegen. Tageseinnahmen waren in folgender Höhe nicht erfasst worden: Hinzuschätzung fehlender Tageseinnahmen
2011: 4.005 €
2012: 3.397 €

8
3. Die Antragstellerin legte dem Außenprüfer Z-Bons vor, die keine Stornobuchungen auswiesen. Journaldaten und Programmierprotokolle zur elektronischen Registrierkasse QT 6000 von Casio wurden dem Prüfer nicht zur Verfügung gestellt. Auch führte die Antragstellerin kein Kassenbuch. Die Tageseinnahmen der Z-Bons wurden lediglich in einer Liste summiert. Tägliche Kassenanfangs- und -endbestände wurden nicht aufgezeichnet. Da dem Prüfer von der Antragstellerin erklärt worden war, dass ein Abgleich zwischen Soll und Ist in der Kasse nicht durchgeführt worden sei, wertete dieser die Kasse als nicht kassensturzfähig.

9
In ihren Bilanzen zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 aktivierte die Antragstellerin unter dem Umlaufvermögen zu „Fertige Erzeugnisse und Waren“ unverändert jeweils 3.430 €, die sich jeweils aus „Bestand Lebensmittel“ 2.930 € und „Bestand Holzkohle“ 500 € zusammensetzten.

10
Die Antragstellerin bezog umfangreiche Warenlieferungen von der C GmbH, D, deren Geschäftsgegenstand der An- und Verkauf von Fleisch und Fleischprodukten sowie die Verarbeitung von Fleisch, insbesondere die Döner-Produktion ist. Die Kundennummer der Antragstellerin bei der C-GmbH lautete: YY.

11
Anlässlich der Durchsuchung der Geschäftsräume der C-GmbH durch die Steuerfahndung E wurden auch die Daten des von der C-GmbH verwendeten Warenwirtschaftssystems sichergestellt und ausgewertet. Alle Programmzugriffe wurden nummeriert und in einer sog. Protokolldatei dokumentiert. Diese Protokolldateien wurden monatlich in einem Unterverzeichnis abgelegt und liegen nach Darlegung des Prüfers für den Zeitraum bis Juli 2011 vollständig vor. Für den nachfolgenden Zeitraum liegen Daten fragmentarisch vor, weil diese teils gelöscht wurden.

12
Bei der C-GmbH wurden in erheblichem Umfang Umbuchungen vorgenommen. Sämtliche Umbuchungen wurden von den Prüfern durch einen Ausdruck aus der Protokolldatei dokumentiert und die dazugehörige Rechnung aus den sichergestellten Rechnungsdaten der C-GmbH ausgedruckt. In der Buchführung der C-GmbH ist jeweils nur die Rechnung mit der letzten Adressangabe, die aus der eingegebenen Kunden-Nummer generiert wird, vorhanden, z. B. „Rg.Nr. …-1; Kd.Nr. ZZ (Lagerverkauf)“.

13
Beim Abgleich der aufgefundenen handschriftlichen Kunden-Bestelllisten mit den auf den jeweiligen Personenkonten gebuchten Rechnungsbeträgen stellten die Prüfer fest, dass sämtlichen Lieferungen, die die C-GmbH verlassen, ein Lieferschein bzw. Rechnungen mit den Adressangaben des Empfängers beigefügt werden, damit der Fahrer weiß, wohin die Auslieferung zu erfolgen hat. In die Bestelllisten wird die regelmäßig telefonisch erfolgte Döner-Bestellung des Kunden eingetragen.

14
Die Lieferungen werden nahezu ausschließlich in bar bezahlt. Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfer haben die Kunden der C-GmbH die Möglichkeit, die Rechnung an den Auslieferungsfahrer zurückzugeben, damit dieser die Rechnung in die C-GmbH zurückbringt und sie dort durch die Änderung der Kundennummer umgebucht wird (z. B. aus “ YY“ – Antragstellerin – wird im EDV-Programm “ ZZ“ – Lagerverkauf -) und die Rechnung auf dem Personenkonto des Kunden nicht mehr sichtbar ist.

15
Nach den aufgefundenen Bestelllisten erhielt die Antragstellerin jeden Tag von Montag bis Samstag eine Lieferung.

16
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben des Betriebsprüfers an die Antragstellerin vom 02.12.2015 nebst Anlagen (Bl. … Bp-Arbeitsakten Teil 2/3) Bezug genommen.

17
Der Außenprüfer gelangte zu der Annahme, dass es zu den Warenlieferungen an die Antragstellerin teilweise keine Rechnungen gebe und diese die entsprechenden Lieferungen in der Buchhaltung nicht berücksichtigt habe. Aus bei der Lieferantin sichergestellten Unterlagen gingen Bestelllisten und Aufzeichnungen zu einzelnen Lieferungen sowie Umbuchungen hervor. Die Zusammenhänge ergäben sich aus dem Ablauf, den einzelnen Preisen und Umbuchungen sowie Kundennummern.

18
Die aufgrund nicht verbuchter Lieferungen von der C-GmbH zu erhöhenden Wareneinsätze ermittelte der Prüfer aufgrund des Teilzeitraums für 2011 mit 15.000 € und für 2012 und 2013 jeweils mit 20.000 €. Dabei legte der Betriebsprüfer die erklärten Wareneinkäufe und die fragmentarischen Aufzeichnungen der Steuerfahndung E zu Grunde. Er kam zu dem Schluss, dass allein für Januar und Februar 2013 fragmentarische Aufzeichnungen über ca. 3.660 € netto vorhanden seien. Dies ergebe einen Wert von 21.960 € jährlich. Dabei sei ein Unsicherheitszuschlag für fehlende bzw. gelöschte Tage nicht einmal berücksichtigt. Es handele sich deshalb um eine vorsichtige Hinzuschätzung; die Werte lägen an der Untergrenze.

19
Der Betriebsprüfer nahm eine Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen mittels einer Quantilschätzung anhand der zur Verfügung gestellten Buchhaltungsdaten vor. Dabei extrahierte er die Netto-Wareneinsätze sowie die Netto-Umsätze. Hierbei berücksichtigte er die fehlenden Tagesumsätze sowie die Warenentnahmen für Eigenverbrauch. Nach Bereinigung des Rohgewinnaufschlagsatzes für den Monat Juli 2012, in dem nach einem Brand die Wiederherstellung der Restauranträumlichkeiten erfolgte, ermittelte er für den Prüfungszeitraum einen Rohgewinnaufschlagssatz von 199 %.

20
Dementsprechend nahm der Betriebsprüfer folgende Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen vor:
Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen
2011: 119.558 €
2012:   55.297 €
2013: 103.384 €

21
Die Hinzuschätzung der Betriebseinnahmen wertete der Außenprüfer als verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 S. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in folgender Höhe:
2011: 128.904 €
2012:   66.136 €
2013: 110.619 €

22
4. Im Jahr 2012 wurden von der Antragstellerin 6 Leuchtkästen im Wert von insgesamt 3.200 € angeschafft. Nach Feststellungen der Betriebsprüfung handelt es sich hierbei um Wirtschaftsgüter, deren Nutzungsdauer über einem Jahr liegt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Abschnitt 1.4 des Betriebsprüfungsberichts vom 07.04.2016 sowie dessen Anl. 4 Bezug genommen.

23
5. Die Antragstellerin schloss am … 2011 mit der F … GmbH (F-GmbH) einen Stromliefervertrag, der zum …07.2014 gekündigt wurde. Mit Rechnung vom 14.12.2014 forderte die F-GmbH die Antragstellerin zur Zahlung eines Restbetrages von 42.881,16 € inklusive Umsatzsteuer, zahlbar bis zum 28.12.2014, auf. Mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom … 2016 wurde die Antragstellerin zur Zahlung von 42.881,16 € nebst Zinsen und Mahnkosten an die F-GmbH aufgrund des Stromliefervertrages verurteilt. Auf die Anlagen zum Schreiben der Antragstellerin vom 30.05.2016 (Bl. … Anlagenband) wird Bezug genommen.

24
Im Übrigen wird auf den geänderten Bericht über die Außenprüfung vom 07.04.2016 einschließlich der Anl. 1 bis 10 Bezug genommen.

25
Am 28.04.2016 erließ der Antragsgegner Änderungsbescheide für 2011 bis 2013 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuermessbetrag, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 S. 3 KStG, auf den 31.12.2011 und 31.12.2012 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer sowie auf den 31.12.2011 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes.

26
Gegen diese Bescheide legte die Antragstellerin am 12.05.2016 mit Schreiben vom 10.05.2016 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide. Den Aussetzungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.05.2016 ab.

27
Am 30.05.2016 hat sich die Antragstellerin zum Zwecke der AdV der angefochtenen Bescheide an das Gericht gewandt.

28
Die Antragstellerin trägt vor:

29
1. Verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe der Sachentnahmen des B lägen nicht vor. B sei Betriebsleiter, die Sachentnahmen seien in seiner Funktion begründet und nicht darin, dass es sich um eine nahestehende Person handele.

30
2. Die fehlenden Tageseinnahmen laut Anl. 7 zum Betriebsprüfungsbericht bezögen sich lediglich auf 7 Tage. Hieraus könne keine sachliche Unrichtigkeit der gesamten Buchhaltung abgeleitet werden. Allenfalls lägen geringfügige formelle Mängel der Buchführung als Ausgangspunkt für eine Schätzung vor. Auch der BFH habe in seinem Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13 darauf hingewiesen, dass der Zeitreihenvergleich keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen und den Umfang auch materieller Unrichtigkeiten der Buchführung zulasse.

31
3. Die Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen sei rechtswidrig. Es fehle sowohl an der Schätzungsbefugnis als auch an dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Schätzung.

32
Die der Betriebsprüfung vorgelegten Z-Bons hätten zwar keine Stornobuchungen enthalten; daraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass Stornobuchungen vorgenommen worden seien. Eine nachträgliche Manipulation der Kasse seitens der Antragstellerin sei nicht erfolgt. Zwar habe ein Kassenbuch nicht vorgelegen, die Tageseinnahmen seien jedoch in einer Liste summiert worden. Die Buchführung könne erst dann verworfen werden, wenn die festgestellten Mängel sich als wesentlich herausstellten und die in der vorhandenen Buchführung dokumentierten Besteuerungsgrundlagen bar jeglicher Realität erschienen.

33
Eine Hinzuschätzung sei nur insoweit möglich, als auch materielle Mängel, die eine sachliche Unrichtigkeit begründeten, festgestellt worden seien. Einen entsprechenden Nachweis habe die Betriebsprüfung zu keinem Zeitpunkt geführt. Deshalb sei selbst bei einer formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung, bei der materielle Unrichtigkeiten nicht konkret nachgewiesen worden seien, der Zeitreihenvergleich als ungeeignete Schätzungsmethode zur Feststellung einer sachlichen Unrichtigkeit sowie höherer Einnahmen ungeeignet (BFH Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13). Bei den nicht nachvollziehbaren Berechnungen des Antragsgegners fehle eine Trennung von Verprobung und Schätzung. Die Anl. 8 des Bp-Berichts korrespondiere nicht mit Seite 8 des Bp-Berichts; die angeblich im Zeitreihenvergleich ermittelten Mehrerlöse fänden sich nicht im Textteil des Bp-Berichts. Es sei nicht ersichtlich, wie der Antragsgegner zu dem seiner Kalkulation zugrunde gelegten Wareneinsatz gekommen sei. Eine freie Schätzung, von der auch nicht klar sei, wie sie durchgeführt worden sei, sei nicht zulässig.

34
Sie, die Antragstellerin, bestreite nicht, Kundin der C-GmbH gewesen zu sein und regelmäßige Einkäufe bei dieser getätigt zu haben; aus ihrer Buchhaltung ergäben sich Einkaufsrechnungen dieser Firma. Sie bestreite, die Abnehmerin der bei der C-GmbH angeblich dokumentierten Warenverkäufe zu sein, insbesondere, dass Warenverkäufe nachträglich bei der C-GmbH auf die Position Lagerverkauf umgebucht worden seien und dies auf ihren, der Antragstellerin, geäußerten Wunsch erfolgt sei. Das von der Betriebsprüfung vorgetragene Beweismaterial belaufe sich auf fragmentierte Rechnungsstücke, angebliche Kundenbestelllisten, von denen keiner wisse, woher sie kämen, wer sie ausgefüllt habe, wann sie ausgefüllt worden seien und zu welchem Zweck sie erstellt worden seien.

35
Die von der Betriebsprüfung angewandte Quantilschätzung sei eine besondere Methode des Zeitreihenvergleichs. Fraglich sei, ob diese Methode von der Betriebsprüfung richtig angewendet worden sei; die Anl. 8 des Bp-Berichtes gebe hierüber keinen Aufschluss. Schätzungsgrundlagen seien jedoch von der Finanzbehörde so darzulegen, dass ihre Nachprüfung, insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses der Schätzung, möglich sei (BFH Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10).

36
Die Quantilschätzung der Betriebsprüfung, die sich auf die Anl. 8 beschränke, leide unter erheblichen Mängeln. Obgleich in der Monatszeitreihe auf dem Blatt 2 der Anlage 8 in der Legende ein Quantilwert von 80 % bezeichnet sei, sei nicht zu erkennen, wo dieser in der Monatszeitreihe dokumentiert sei. Dieser könne vielmehr eindrucksvoll entnommen werden, dass die monatlichen Wareneinkäufe und -verkäufe ein plausibles Schaubild ergäben. Aus der Gegenüberstellung von Einkäufen in den Jahren 2011 bis 2013 zeigten sich unterschiedliche Rohgewinnaufschlagsätze, die unter den zugrunde gelegten 199 % lägen. Selbst bei einer Anwendbarkeit der Quantilschätzung sei der daraus angeblich ermittelte Rohgewinnaufschlagssatz lediglich pro Jahr zugrunde zu legen.

37
Auch die fehlerfreie Übernahme der vorhandenen Buchhaltungsdaten sei im Streitfall nicht gewährleistet. Das ergebe sich bereits daraus, dass in Bl. 1 der Anl. 8 von „freigeschätzter Einsatz“ die Rede sei. In diesem Zusammenhang sei unklar, wie die Mehr-Wareneinsätze der C-GmbH errechnet worden seien. Es erschließe sich nicht, wie fragmentarische Aufzeichnungen aus einem Jahr hochgerechnet worden seien und weshalb dies möglich sei. Die für die Anwendung des Zeitreihenvergleichs erforderliche Konstanz des Wareneinsatzes und des Warenverkaufs könne nicht aus Einzelvorfällen hergeleitet werden.

38
Zudem lasse die Quantilschätzung die Berücksichtigung von Sachentnahmen, Verderb und Schwund vermissen. Berücksichtige man einen höchstrichterlich für Gastronomiebetriebe festgestellten Schwund und Verlust von 30 %, ergebe sich selbst bei einem Rohgewinnaufschlagsatz von 199 % ein völlig anderes Bild. Dieser Rohgewinnaufschlagsatz sei auch durch die von ihren abgegebenen Kalkulationen widerlegt. 3 Gerichte seien kalkuliert worden, die auf einen Rohgewinnaufschlagsatz von 105 bis 134 % kämen.

39
4. Bei den in 2012 angeschafften Leuchtkästen handele es sich um geringwertige Wirtschaftsgüter. Die Anschaffungskosten i. H. v. 3.200 € seien aufwandswirksam im Jahr 2012 abzuschreiben und nicht zu aktivieren.

40
5. Sie, die Antragstellerin, werde von der F GmbH wegen angeblich rückständiger Kosten der Stromversorgung i. H. v. 42.881,16 € in Anspruch genommen und könne in den Streitjahren im Rahmen einer Bilanzberichtigung eine Rückstellung bilden. Sie habe im Sekundärprozess zwischenzeitlich eine Gegenklage auf Rückzahlung des Urteilsbetrages gegen die F-GmbH erhoben. Die F-GmbH sei an sie, die Antragstellerin, mit ihrem Begehren erst im Jahr 2014 herangetreten. Damit handele es sich um werterhellende Tatsachen, die im Rahmen der Bilanzberichtigung zu berücksichtigen seien. Grundlage der Inanspruchnahme sei die Rechnung der F-GmbH vom 14.12.2014, in der Verbrauchszeiträume von 2/2011 bis 2/2014 benannt seien. Der streitige Stromverbrauch sei in den Jahren 2012 und 2013 erfolgt, bevor es zu einem Zählerwechsel gekommen sei. Entsprechend führe das Landgericht in seinem Urteil vom … 2016 aus, dass der beanstandete Verbrauch im Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum Ausbau des Zählers erfolgt sei; ausweislich der zur Antragsschrift gereichten Rechnung der F-GmbH sei der Zähler am 15.05.2013 ausgebaut worden.

41
Die Nachforderungen des Antragsgegners von insgesamt 156.905,33 € seien existenzbedrohend.

42
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung der Bescheide
1. für 2011 bis 2013 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuermessbetrag, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, jeweils vom 28.04.2016,
2. zum 31.12.2011, zum 31.12.2012 und zum 31.12.2013 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 S. 3 KStG, jeweils vom 28.04.2016,
3. über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2011 und 31.12.2012, jeweils vom 28.04.2016, sowie
4. über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011 vom 28.04.2016
auszusetzen.

43
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

44
Der Antragsgegner trägt vor:

45
1. Die unentgeltlichen Warenabgaben an A und B stellten verdeckte Gewinnausschüttungen an A dar.

46
2. Gleiches gelte für die aus der Anl. 7 des Betriebsprüfungsberichts sich ergebenden fehlenden, d. h. in der Buchhaltung der Antragstellerin nicht erfassten, Tageseinnahmen.

47
3. Die im Rahmen der Außenprüfung von dem Betriebsprüfer festgestellten Mängel in der Buchführung der Antragstellerin seien bei bargeldintensiven Geschäften wie dem der Antragstellerin als gravierend einzustufen und berechtigten dazu, die Buchführung als unzutreffend zu verwerfen und Hinzuschätzungen vorzunehmen (vergleiche BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10).

48
Anweisungen zur Kassenprogrammierung, insbesondere Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentierten, seien als sonstige Organisationsunterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) aufbewahrungspflichtig; das Fehlen der Programmierprotokolle der Registrierkasse stelle einen formellen Mangel dar.

49
Im Rahmen der Betriebsprüfung sei Kontrollmaterial betreffend den Wareneinkauf der Antragstellerin bei der C-GmbH in D ausgewertet worden. Die Antragstellerin sei entgegen ihrer Behauptung in den Streitjahren täglich außer sonntags von der C-GmbH mit Waren, hauptsächlich Döner, beliefert worden. Dies ergebe sich aus dem überlassenen Kontrollmaterial der Steuerfahndungsstelle E und könne vom dortigen Fahndungsprüfer Herrn G als Zeugen bestätigt werden.

50
Das angeführte Kontrollmaterial sei von der Steuerfahndungsstelle E anlässlich einer Durchsuchung bei der C-GmbH im Jahr 2013 sichergestellt worden. Im Rahmen der Durchsuchung der C-GmbH sei das dort verwendete Warenwirtschaftssystem „flagranto“ für die Jahre 09/2010 bis 10/2013 sichergestellt und später ausgewertet worden. Dieses System protokolliere sämtliche Programmzugriffe. Die Programmzugriffe würden fortlaufend nummeriert in einer Datei „reo-proto_JJJJMM.dat“. Diese Datei werde monatlich in einem Unterverzeichnis im System abgelegt. Für die Monate September 2010 bis Juli 2011 lägen diese Dateien der Steuerfahndungsstelle E vollständig vor. Für spätere Zeiträume seien diese von der C-GmbH teilweise gelöscht worden und lägen daher für die Monate August 2011 bis Oktober 2013 nur noch fragmentarisch für einzelne Tage des jeweiligen Monats vor.

51
Die Antragstellerin sei laut von der Steuerfahndungsstelle E sichergestellter Kundenbestellliste täglich außer sonntags von der C-GmbH mit Dönerfleisch und weiteren Produkten (z. B. Hähnchenschenkel, Getränke, Pommes-Frites, Pflanzenöl) beliefert worden. Die Antragstellerin habe bei der C-GmbH die Kunden-Nr. YY gehabt. Ihre Bestellungen seien telefonisch aufgegeben und bei der C-GmbH handschriftlich in eine Kundenbestellliste unter der jeweiligen Kundennummer eingetragen worden. Anschließend sei ein Produktionsaufkleber gefertigt und die Bestellung in der Liste abgehakt worden. Die fertige Bestellung sei zusammen mit einem Lieferschein und einer Rechnung an einen Fahrer übergeben und von diesem zum Kunden gebracht worden. Die mit einer Rechnungsnummer versehene Rechnung enthalte neben der Kundennummer die jeweilige Auftragsnummer und die Nummer des Lieferscheins. Die Bezahlung der gelieferten Waren sei zumeist in bar an den Fahrer erfolgt. Soweit der jeweilige Kunde es gewünscht habe, sei die mitgelieferte Rechnung dem Fahrer wieder mit zurückgegeben worden, und im System der C-GmbH sei anschließend eine Umbuchung der entsprechenden Rechnungsnummer (im Fall der Antragstellerin vom Kto. YY) auf das Kto. ZZ – Lagerverkauf vorgenommen worden. Alternativ seien Lieferungen unter der Kundennummer direkt als „Lagerverkäufe“ gebucht worden. Im Ergebnis sei die jeweilige Lieferung durch diese Handhabung nicht mehr auf dem Kundenkonto des Bestellers erschienen. Zu diesem Sachverhalt werde der Fahndungsprüfer G, zu laden über die Steuerfahndung E, Y-Straße …, E, als Zeuge benannt.

52
Aufgrund der Regelmäßigkeit der Einkäufe der Antragstellerin bei der C-GmbH und der aufgefundenen Warenlieferungsbelege sei von einer dauerhaften Lieferung ohne Rechnung neben den nachgewiesenen Eingangsrechnungen auszugehen. Die Buchungen über die Kundennummer der Antragstellerin bei der C-GmbH mit anschließender Stornierung seien belegt. Ein Lagerverkauf scheide aus, da zum einen die erforderliche Kühlkette bei der Selbstabholung nicht gewährleistet sei und zum anderen dem widersprechende Lieferscheine für Lieferungen an die Antragstellerin vorlägen. Der Betriebsprüfer habe durch Hochrechnung anhand der für die Antragstellerin vorliegenden Unterlagen für 2011 einen um 15.000 € und für 2012 und 2013 einen um jeweils 20.000 € hören Wareneinsatz als in der Buchführung verzeichnet ermittelt. Einzelheiten hierzu ergäben sich aus seinem, des Antragsgegners, Schreiben vom 29.10.2015, auf das Bezug genommen werde.

53
Es stehe dem Antragsgegner grundsätzlich frei, welche der anerkannten und ihm zur Verfügung stehenden Schätzungsmethoden er wähle. Bei Schätzungen wie im Streitfall sei bereits ein Schwund durch Garverluste, Verderb etc. in Höhe von etwa 33 % des Wareneinsatzes berücksichtigt worden.

54
Er, der Antragsgegner, habe mit seiner Schätzung einen niedrigen Rohgewinnaufschlag von 199 % zu Grunde gelegt; dieser liege unterhalb des sich aus der Buchführung der Antragstellerin ermittelten Rohgewinnaufschlags. Eine eigene Kalkulation habe die Antragstellerin nicht vorgelegt; hierzu könne die eingereichte Kalkulation von lediglich 3 Gerichten bei rund 40 Gerichten laut Speisekarte nichts ändern. Zudem gehe die Antragstellerin von nicht nachvollziehbaren Portionsangaben von über 1.000 g pro Mahlzeit und einem Rohgewinnsatz von 105 % bis 134 % aus. Zur weiteren Begründung werde auf die ausführliche Stellungnahme des Prüfers im Schreiben vom 29.10.2015 Bezug genommen. Aber auch die von der Antragstellerin in der Kalkulation der Gerichte berücksichtigten Netto-Einkaufspreise stimmten nicht mit den Eingangsrechnungen ihrer eigenen Buchführung überein. Es ergäben sich Abweichungen von mehr als 1 € pro Gericht, selbst unter Berücksichtigung ihrer Gewichtsangaben. Auch berücksichtige die Kalkulation der Antragstellerin nicht, dass es sich im Streitfall um eine Mischkalkulation handele. Die Rohgewinnsätze für Getränke seien regelmäßig höher als die für Speisen. Insgesamt lasse sich die Kalkulation der einzelnen Gerichte nicht mit den Werten der vorgelegten Buchführung in Einklang bringen.

55
4. Der Wert jedes einzelnen in 2012 angeschafften Leuchtkastens betrage 533,33 € netto und übersteige damit dem Betrag von 410 €; folglich handele es sich nach § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr um sofort abzugsfähige geringwertige Wirtschaftsgüter. Diese Wirtschaftsgüter könnten nach § 6 Abs. 3 EStG in einem Sammelposten zusammengefasst und über 5 Jahre mit einem Fünftel abgeschrieben werden. Die Prüfungsfeststellung sei entsprechend umgesetzt worden.

56
5. Die aus dem Rechtsstreit mit der F-GmbH resultierenden Verbindlichkeiten seien von der Antragstellerin im geänderten Prüfungsbericht vom 07.04.2016 mangels Nachweisen nicht berücksichtigt worden. Erst am 12.05.2016 sei mit dem Einspruchsschreiben gegen die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide die Übersendung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom … 2016 erfolgt; damit habe die Antragstellerin erklärt, das Urteil anfechten zu wollen, da aus Ihrer Sicht keine Zahlungsverpflichtung bestehe. Hinsichtlich der aufgrund des Urteils bestehenden Verpflichtung der Antragstellerin zur Zahlung von 42.881,16 € für Stromlieferungen sei nicht ersichtlich, dass am 31.12.2013 oder bereits davor mit einer Inanspruchnahme durch die F-GmbH in dieser Höhe zu rechnen gewesen sei. Zudem betreffe ein nicht unerheblicher Teil der Forderung der F-GmbH einzig den Stromverbrauch des Jahres 2014 und damit nicht der Streitjahre. Zu einer Abgrenzung der Gesamtforderung auf die einzelnen Streitjahre und das Jahr 2014 habe die Antragstellerin aber bisher nichts vorgetragen. Für die Jahre 2011 bis 2013 seien Vorauszahlungen entrichtet worden, die teilweise zu einem Guthaben (für 2011) geführt hätten.

57
Dem Gericht haben die Körperschaftsteuerakten Bd. I, die Bilanz- und Bilanzberichtsakten, die Gewerbesteuerakten Bd. I, die Umsatzsteuerakten Bd. I, die Akten Allgemeines Bd. I, die Rechtsbehelfsakten, die Betriebsprüfungsakten Bd. I und die Bp-Arbeitsakten Teil 1/3 und Teil 2/3, jeweils zur Steuernummer …/…/…, vorgelegen.

Entscheidungsgründe

II.

58
Der Antrag ist zum Teil unzulässig und im Übrigen teilweise begründet.

59
1. Der Antrag auf AdV des Solidaritätszuschlags und der Gewerbesteuer ist unzulässig.

60
Die Antragstellerin hat den Antrag ausschließlich mit Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Körperschaftsteuerbescheides bzw. des Gewerbesteuermessbescheides begründet. Die Einwendungen der Antragstellerin betreffen ausschließlich die Ermittlung ihres zu versteuernden Einkommens gemäß § 8 KStG bzw. ihres Gewerbeertrags gemäß § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Insoweit ist der Körperschaftsteuerbescheid aber Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags (vgl. § 1 Abs. 5 des Solidaritätszuschlaggesetz 1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4130) – SolZG -); ebenso ist der Gewerbesteuerbescheid im Verhältnis zu dem Gewerbesteuermessbescheid (§ 184 Abs. 1 AO) ein Folgebescheid. Die Einwendungen gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Gewerbesteuer können deshalb gemäß § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 351 Abs. 2 AO nur im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid bzw. gegen den Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags als Grundlagenbescheide, nicht aber in den Verfahren gegen die Folgebescheide geltend gemacht werden (vgl. z. B. BFH Urteile vom 12.10.2010 I R 99/09, BFH/NV 2011, 650; vom 11.09.2013 I R 26/12, BFH/NV 2014, 728). Entsprechendes gilt für den AdV-Antrag.

61
2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.

62
Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

63
a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben Umständen, die für seine Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.02.1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 23.05.2016 V B 20/16, juris). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 18.02.2015 V S 19/14, BFH/NV 2015, 866). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung – ZPO -), soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschlüsse vom 20.03.2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809; vom 10.02.2010 V S 24/09, BFH/NV 2010, 930).

64
Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist zur Gewährung der AdV nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Beschlüsse vom 20.07.2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809; vom 23. Mai 2016 V B 20/16, juris).

65
b) Bei summarischer Prüfung anhand des Vortrags der Beteiligten und des Akteninhalts bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide vom 28.04.2016.

66
aa) Der Antragsgegner hat nach summarischer Prüfung dem Grunde nach zu Recht die Besteuerungsgrundlagen für die Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 8 KStG, des Gewerbeertrags gemäß § 7 Abs. 1 GewStG und der Umsatzsteuer gemäß § 162 AO geschätzt.

67
aaa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO gelten die Vorschriften der §§ 158 und 162 AO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß. Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden. Danach sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Nur wenn die Würdigung des Sachverhalts ergibt, dass eine formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist, kann das Ergebnis der Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden. Die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt der Antragsgegner (BFH, Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96, BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51).

68
bbb) Im Streitfall war der Antragsgegner gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO zur Schätzung befugt, weil die Buchführung der Antragstellerin der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann. Die Buchführung der Antragstellerin ist nach summarischer Prüfung nicht ordnungsgemäß. Den Buchungen lagen keine inhaltlich richtigen Belege zugrunde.

69
(1) Eine Buchführung ist ordnungsgemäß, wenn sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 145 Abs. 1 AO). Die Buchungen und die sonstigen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Dazu gehört die Sammlung von Belegen. Buchungsbelege sind alle Unterlagen über die einzelnen Geschäftsvorfälle. Sie sind die Grundlagen für die einzelnen Eintragungen in die Bücher und Aufzeichnungen. Jede Buchung muss im Zusammenhang mit einem Beleg stehen. Die Belege sind geordnet aufzubewahren (§ 147 Abs. 1 Nr. 4 AO). Fehlen sie, so ist eine Buchführung nicht ordnungsgemäß (vgl. BFH-Urteile vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226; vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683; vom 24.06.1997 VIII R 9/96, a. a. O.; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 1. Aufl. 2006, 143. Lieferung 01.2016, § 147 AO, Rn. 18).

70
Da zu jeder Buchung ein Beleg vorhanden sein muss, ist der Begriff des Belegs funktional zu verstehen. Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 AO müssen sich die Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Das ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Zusammenhang zwischen Buchung und Beleg sichtbar gemacht wird. Jeder Geschäftsvorfall muss sich vom Beleg zur Bilanz und umgekehrt verfolgen lassen. Diesem Prinzip der Belegsicherung dienen die Grundaufzeichnungen, die auch die Möglichkeit garantieren, von der späteren Buchung bis zum Beleg zurück den Geschäftsvorfall zu identifizieren (vgl. BFH, Urteil vom 26.03.1968 IV 63/63, BFHE 92, 264B, BStBl II 1968, 527). Das erfordert Belege, die den Geschäftsvorfall entweder selbst angeben oder auf die entsprechenden Geschäftsunterlagen verweisen (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 1. Aufl. 2006, 143. Lieferung 01.2016, § 145 AO, Rn 23). Aufzubewahren sind danach auch Eigenbelege und interne Buchungsanweisungen, selbst wenn sie sich nur auf eine Stornobuchung beziehen (vgl. Cöster in Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 147 Rn 12; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO a. a. O., § 147 AO Rn 20).

71
(2) (a) Im Streitfall benutzte die Antragstellerin, die ganz überwiegend Bargeschäfte tätigte, eine Registrierkasse der Marke Casio QT 6000. Entsprechend dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 09.01.1996 (IV A 8-S 0310-5/95), der im Streitfall auch unter Berücksichtigung des Erlasses des BMF vom 26.11.2010 (IV A 4-S 0316/08/10004-07) weiter anzuwenden ist, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO die Tagesendsummenbons mit Ausdruck des Nullstellungszählers (fortlaufende sog. „Z-Nummer“ zur Überprüfung der Vollständigkeit der Kassenberichte), der Stornobuchungen (sog. Managerstornos und Nach-Stornobuchungen), Retouren, Entnahmen sowie der Zahlungswege (bar, Scheck, Kredit) und alle weiteren im Rahmen des Tagesabschlusses abgerufenen Ausdrucke der EDV-Registrierkassen (z. B. betriebswirtschaftliche Auswertungen, Ausdrucke der Trainingsspeicher, Kellnerberichte, Spartenberichte) im Belegzusammenhang mit dem Tagesendsummenbon aufzubewahren.

72
Nach den von der Antragstellerin nicht widersprochenen Feststellungen des Prüfers wiesen die von der Antragstellerin vorgelegten Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) keine Stornobuchungen aus. Im Auslieferungszustand einer elektronischen Kasse wie der Casio QT 6000 werden Stornos grundsätzlich auf dem Abschlussbon ausgewiesen (vgl. Kuhni in juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben). Stornobuchungen erfolgen in der Regel, wenn das Bedienpersonal eine falsche Eingabe in den Computer tätigt, sei es, dass ein falsches Gericht, die unzutreffende Menge oder eine falsche Tischnummer eingegeben werden. Es widerspricht der Lebenserfahrung und ist somit nicht glaubhaft, dass in einem Speiserestaurant über einen ganzen Tag oder Monat oder gar über ein ganzes Jahr die Eingaben in das Kassensystem ohne Fehler erfolgen und keine Stornobuchungen erforderlich werden. Der Umstand, dass im Streitfall Stornobuchungen nicht ausgewiesen wurden und die Antragstellerin auch keine Erklärung für das Fehlen von Stornobuchungen gegeben hat, lässt vielmehr darauf schließen, dass Stornobuchungen im Kassensystem nachträglich gelöscht wurden. Infolge der fehlenden Stornobuchungen lässt sich nicht mehr feststellen, ob lediglich Fehlbuchungen oder auch Einnahmebuchungen an sich gelöscht wurden. Die erforderliche Vollständigkeit der Buchungen ist infolge dieser Veränderungen nicht gewährleistet, und diese Unvollständigkeit ergreift die gesamte Buchführung (Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 02.09.2004 10 V 52/04, juris). Damit waren die Tagesendsummenbons unvollständig. Diese Unvollständigkeit ist ein formeller Mangel, der grundsätzlich als gravierend anzusehen ist, da die vollständige Erfassung der Bareinnahmen nicht gesichert ist.

73
(b) Auch das Fehlen der Journaldaten und Programmierprotokolle zur elektronischen Registrierkasse QT 6000 von Casio stellt einen formellen Mangel dar, der als gravierend einzustufen ist.

74
Neben den außersteuerlichen und steuerlichen Büchern und Aufzeichnungen i. S. d. § 140 AO i. V. m. §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) sind alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind, aufzubewahren (§ 147 Abs. 1 AO; vgl. BFH, Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452). Dazu zählen neben Unterlagen in Papierform auch alle Unterlagen in Form von Daten, Datensätzen und elektronischen Dokumenten, die dokumentieren, dass die Ordnungsvorschriften umgesetzt und deren Einhaltung überwacht wurde (vgl. Bundesministerium der Finanzen – BMF -, 14.11.2014, IV A 4-S 0316/13/10003, juris, Rn 5). Dies betrifft insbesondere die Journaldaten und Programmierprotokolle.

75
(aa) Das Journal dient der Dokumentation des Rechnungswesens und enthält die Buchungen in jener Reihenfolge, in welcher sie erfasst bzw. verbucht wurden. Bei der elektronischen Erstellung der Journaldatei wird jede neue Buchung an das Dateiende angefügt; Änderungen oder Löschungen sind nicht möglich. Damit enthält diese Datei alle Buchungen in chronologischer Folge. Beim Druck des Buchungsjournals wird die Journaldatei von Beginn bis zum letzten Datensatz gelesen, wobei die Journalzeilen in derselben Folge ausgedruckt werden, in der die Datensätze in der Datei gebucht wurden. Damit ist gewährleistet, dass die Konten dieselben Daten enthalten wie das Journal, da dieselben Datensätze (nur in veränderter Reihenfolge) in die Auswertung übernommen werden. Überdies sind die Buchungen auf dem Konto selbst ebenfalls streng chronologisch und erscheinen in derselben Reihenfolge wie im Buchungsjournal (vgl. http://www.dialogdata.com/software/rechnungswesen/buchhaltung/journal /index.html, Dialog Data GmbH, Graz, Steiermark/Österreich; siehe auch Bedienungsanleitung für die elektronische Registrierkasse QT-6000).

76
Wird – wie im Streitfall – das elektronisch erstellte Journal nicht vorgelegt, können Manipulationen nicht ausgeschlossen werden. Das Fehlen der elektronischen Journaldatei, mit der alle Buchungen in chronologischer Folge nachvollzogen werden können, stellt deshalb einen gravierenden formellen Mangel dar.

77
(bb) Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als „sonstige Organisationsunterlagen“ aufbewahrungspflichtig. Diese Unterlagen, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt werden, sind während der Dauer der Aufbewahrungsfrist (§ 147 Abs. 3 AO) jederzeit verfügbar, unverzüglich lesbar und maschinell auswertbar aufzubewahren (§ 147 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die von der Antragstellerin genutzte Registrierkasse sowie die mit ihrer Hilfe erstellten digitalen Unterlagen müssen gemäß § 147 Abs. 6 AO der Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung zur Einsicht in die gespeicherten Daten nutzbar gemacht werden.

78
Eine Buchung oder eine Aufzeichnung darf nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind (§ 146 Absatz 4 AO, § 239 Absatz 3 HGB). Veränderungen und Löschungen von und an elektronischen Buchungen oder Aufzeichnungen müssen daher so protokolliert werden, dass die Voraussetzungen des § 146 Absatz 4 AO bzw. § 239 Absatz 3 HGB erfüllt sind. Für elektronische Dokumente und andere elektronische Unterlagen, die gemäß § 147 AO aufbewahrungspflichtig und nicht Buchungen oder Aufzeichnungen sind, gilt dies sinngemäß (vgl. BMF-Schreiben vom 14.11.2014, IV A 4-S 0316/13/10003, Rn 58, 59).

79
Danach sind auch Programmierprotokolle für das Registrierkassensystem Casio QT 6000 anzufertigen und aufzubewahren. Das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung steht in seinen Auswirkungen auf die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der Eröffnung der Schätzungsbefugnis dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleich und stellt einen formellen Mangel dar. Systembedingt gibt es keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, auch wenn eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre (BFH, Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, a. a. O.). Danach stellt auch das Fehlen der Programmierprotokolle der Registrierkasse Casio QT 6000 im Streitfall einen formellen Mangel dar.

80
(3) Schließlich liegen materielle Mängel in den Wirtschaftsjahren 2011 und 2012 vor, die nicht nur eine Korrektur des Buchführungsergebnisses erfordern, sondern unter Berücksichtigung der formellen Mängel des Buchführungssystems einen weiteren Anlass zur Schätzung darstellen.

81
Die Antragstellerin erfasste in den Wirtschaftsjahren 2011 und 2012 für jeweils mehrere Tage keine Betriebseinnahmen in der Buchhaltung, obwohl in den Listen der Tagesumsätze Beträge notiert waren (insgesamt 3.434,60 € für 2011 und 2.921,20 € für 2012).

82
(4) Auch die offensichtlich – jedenfalls zum 31.12.2012 und 31.12.2013 – nicht erfolgte Inventur und lediglich griffweise Schätzung der Beträge des jeweiligen Warenendbestandes stellt einen materiellen Mangel dar. Zum 31. Dezember eines jeden Streitjahres wurde derselbe Betrag für den Bestand an Lebensmitteln (2.930 €) und Holzkohle (500 €) aktiviert, was offensichtlich nicht dem tatsächlichen Wert der vorhandenen Waren entspricht. Für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Kassenbuchführung (Vollständigkeit der Einnahmenerfassung) ist dieser materielle Mangel zwar ohne Bedeutung, da die Unrichtigkeit des Warenendbestands keine Wechselwirkung mit der Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen aufweist (BFH, Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, a. a. O.).

83
Unter Berücksichtigung der gravierenden formellen Mängel wie des Fehlens der Stornobuchungen in den Z-Bons sowie der fehlenden Journale und Programmierprotokolle wie auch der materiellen Mängel hat der Antragsgegner nach summarischer Prüfung zu Recht die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Vollschätzung im Sinne des § 162 AO angenommen.

84
bb) Nach summarischer Prüfung ist die Schätzung des Gewinns der Höhe nach niedriger vorzunehmen.

85
aaa) Der Betriebsprüfer hat hierzu im Streitfall die Methode der Quantilschätzung angewandt. Dabei werden Prozentränge – sog. Quantile -, die in der beschreibenden Statistik zur Einteilung einer Datenmenge in den Standardbereich, in schwache und in starke Ausreißer verwendet werden, bestimmt. Überträgt man dabei die Verhältnisse der Standardnormalverteilung, definiert sich der Bereich Mittelwert plus/minus mittlere Abweichung – die sog. Standardabweichung – mit dem 16 %- und dem 84 %-Quantil. Die 68 % der dazwischenliegenden Daten umfassen die „Normalfälle“, außerhalb liegen die schwachen und starken Ausreißer. Diese Erkenntnisse werden bei der Quantilschätzung dazu genutzt, um – noch einmal vorsichtiger und wie im Streitfall angewendet – zwischen dem 20 %- und dem 80 %-Quantil der betriebseigenen Werte zum monatlichen Aufschlagssatz oder Wareneinsatz den Regelgeschäftsbereich festzustellen, also den normalen Betriebsverlauf ohne relevante Ausreißer (vgl. Arno Becker, Außenprüfung digital – Prüfungsmethoden im Fokus (Teil II), DStR 2016, 1430). Auf diese Weise wird aus den betriebseigenen Daten des Steuerpflichtigen eine Spannweite des „Normalen“ herausgelesen.

86
Nach den von der Antragstellerin ihren Bilanzen zugrunde gelegten Umsätzen und Einkäufen ergaben sich Rohgewinnaufschlagsätze mit einem Median (Zentralwert der Rangreihe) von 123 % für 2011, 193 % für 2012 (ohne Berücksichtigung des Monats Juli) und 163 % für 2013 (vgl. Anl. 8 zum Betriebsprüfungsbericht vom 07.04.2016). Unter Berücksichtigung sämtlicher monatlicher Rohgewinnaufschlagsätze der Streitjahre (April 2011 bis Dezember 2013 – ohne Juli 2012 -) auf der Grundlage der von der Antragstellerin erklärten Umsätze und Wareneingänge ergibt sich ein 80 %-Quantil von 199 %. Dieses legte der Antragsgegner seiner Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu Grunde.

87
Das Gericht folgt insoweit der Methode der Hinzuschätzung von Besteuerungsgrundlagen mittels des 80 %-Quantils. Im Allgemeinen ist der Antragsgegner nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, in diesem Schätzungsrahmen an die obere Grenze zu gehen. Denn Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung aber erforderlich, weil der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 15.05.2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415; vom 15.07.2014 X R 42/12, BFH/NV 2015, 145; vom 28.07.2015 VIII R 2/09, BFHE 251, 162, BStBl II 2016, 447).

88
bbb) Bei der Schätzung der Betriebseinnahmen mittels eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 199 % auf der Grundlage des 80 %-Quantils hat der Antragsgegner dabei zu Gunsten der Antragstellerin nach summarischer Prüfung zu Recht Beträge wegen Bestandsveränderung (2.930 € in 2011) sowie zusätzlicher Entnahmen (jeweils in den Jahren 2011, 2012 und 2013: 2.298 € zu 7 % und 4.098 € zu 19 %) bei der Ermittlung des Wareneinsatzes berücksichtigt.

89
ccc) Andererseits hat der Antragsgegner nach summarischer Prüfung zu Recht aber auch den Wareneinsatz um nicht berücksichtigte Lieferungen der C-GmbH erhöht.

90
(1) Die Antragstellerin bezog ihre Frischwaren im Wesentlichen von der C-GmbH. Aus den in diesem Verfahren vorgelegten Unterlagen in Gestalt von Kunden-Bestelllisten der C-GmbH, Protokolldateien, geschredderten und wiederhergestellten Rechnungen und sonstigen Unterlagen folgt nach summarischer Prüfung, dass Rechnungen der C-GmbH über Lieferungen an die Antragstellerin, die nicht im Wareneingang der Antragstellerin verzeichnet sind, bei der C-GmbH auf Lagerverkauf umgebucht wurden.

91
So verhält es sich beispielsweise bei der Bestellung der Antragstellerin bei der C-GmbH vom 11.02.2013. Ausweislich der Kunden-Bestellliste der C-GmbH vom 11.02.2013 (Bp-Arbeitsakten Teil 2/3, Bl. …) gab die Antragstellerin an diesem Tag eine Bestellung über „Geflügel Döner 1 x 15“ und „Kalb Döner 1 x 20“ auf. Ausweislich der Rechnung Nr. …-1 vom 11.02.2013 wurde diese Lieferung (Lieferschein-Nr. …) an die Antragstellerin (Kunden-Nr. YY) am selben Tag über das Konto Nr. ZZ (Lagerverkauf) abgerechnet (Bp-Arbeitsakten Teil 2/3, Bl. …). Ausweislich des Rechnungsausgangsbuchs bei der C-GmbH für die Antragstellerin ist diese Rechnung Nr. …-1 vom 11.02.2013 nicht enthalten (Bp-Arbeitsakten Teil 2/3, Bl. …). Laut der Protokolldatei (Bp-Arbeitsakten Teil 2/3, Bl. …) fand die Umbuchung auf das Konto Nr. ZZ (Lagerverkauf) bei der C-GmbH unter dem 20.02.2013 statt.

92
Entsprechendes gilt für die Lieferungen vom 13.02.2013 (Rechnung Nr. …-2) und 15.02.2013 (Rechnung Nr. …-3).

93
Wenn die Antragstellerin in diesem Zusammenhang ausführt, dass das von der Betriebsprüfung vorgetragene Beweismaterial sich auf fragmentierte Rechnungsstücke, angebliche Kundenbestelllisten, von denen keiner wisse, woher sie kämen, wer sie ausgefüllt habe, wann sie ausgefüllt worden seien und zu welchem Zweck sie erstellt worden seien, so sind diese Einwände nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide zu generieren.

94
Die fragmentierten Rechnungsstücke sind so vollständig zusammengefügt, dass sich hieraus die Rechnungsnummer, die Artikelnummern, die Artikelbezeichnungen, Menge, Gewicht, Einzelpreis und Gesamtpreis ablesen lassen. Über die Protokolldateien ist auch die Zuordnung der Rechnungsnummer zur Antragstellerin mit der Kunden-Nr. YY gewährleistet. Auch die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Kundenbestelllisten sind nicht geeignet, Zweifel an der Tatsache zu begründen, dass die Antragstellerin Lieferungen erhalten hat, die nicht in ihrer Buchhaltung erfasst sind. Schließlich befinden sich auf den von der Steuerfahndung E bei der C-GmbH beschlagnahmten Kundenbestelllisten auch Lieferungen, für die der Antragstellerin Rechnungen ausgestellt wurden (siehe Lieferung vom 12.02.2013 zur Rechnung Nr. …-4, Bp-Arbeitsakten Teil 2/3, Bl. …).

95
(2) Wenn der Antragsgegner hinsichtlich der Höhe der Hinzuschätzungen zum Wareneinsatz aus den Lieferungen der C-GmbH darlegt, dass insoweit für Januar und Februar 2013 fragmentarische Aufzeichnungen über ca. 3.660 € netto vorhanden seien, und den Wareneinsatz aus Rechnungen der C-GmbH um 15.000 € für 2011 und um jeweils 20.000 € für 2012 und 2013 erhöht, so wird der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren Gelegenheit haben, die Berechnung nachvollziehbar anhand von Unterlagen darzulegen. Das Gericht kürzt im vorliegenden Verfahren die Hinzuschätzungen zum Wareneinsatz um die Hälfte. Dabei wird berücksichtigt, dass ausweislich des Rechnungsausgangsbuches (Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin an den Antragsgegner vom 16.11.2015) im Monat Februar 2013 Lieferungen an die Antragstellerin an 19 Werktagen verzeichnet sind. Ausgehend von 24 Werktagen dieses Monats und einer Rechnungssumme von 151,85 € vom 11.02.2013 wird der nicht verbuchte Wareneinsatz mit 760 € geschätzt (5 × 151,85 € = 759,25 €); auf das Jahr hochgerechnet folgen hieraus 9.111 €. Dieser Betrag wird auf 10.000 € pro Jahr hochgerechnet, da andere, nicht im Wareneinsatz der Antragstellerin verbuchte Rechnungen höhere Beträge ausweisen (vgl. Schreiben des Antragsgegners vom 02.12.2015, Bp-Arbeitsakten Bd. 2/3, Bl. …: 189,98 € bzw. 162,10 €) und zu einem jährlichen Ergebnis von mehr als 10.000 € führen würden.

96
Nach alledem hat der Antragsgegner nach summarischer Prüfung auf der Grundlage der in diesem Verfahren vorgelegten Unterlagen nebst Erläuterungen zu Recht Hinzuschätzungen von Betriebseinnahmen (BE) in folgender Höhe vorgenommen:

97
            2011           2012            2013
Wareneinsatz (WE) bisher 103.695,84 €  111.423,10 €  132.254,51 €
geschätzter WE C-GmbH 7.500,00 € 10.000,00 € €10.000,00 €
Summe 111.195,84 € 121.423,10 € 142.254,51 €
80%-Quantil Rohgewinnaufschlagsatz 199 199 199
Umsatz neu 332.475,56 € 363.055,07 € 425.340,98 €
Umsatz vor Bp 252.454,82 € 345.400,12 € 364.789,85 €
Mehrerlös durch Schätzung 80.020,74 € 17.654,95 € 60.551,13 €
USt 7% (geschätzt 30%) 1.680,44 € 370,75 € 1.271,57 €
USt 19% (geschätzt 70%) 10.642,76 € 2.348,11 € 8.053,30 €
Mehr-Umsatzsteuer durch Schätzung 12.323,19 € 2.718,86 € 9.324,87 €
Hinzuschätzung von BE brutto neu 92.343,94 € 20.373,81 € 69.876,01 €
98
cc) Diese Hinzuschätzungen von Betriebseinnahmen nebst der Hinzuschätzung von fehlenden Tageseinnahmen für 2011 in Höhe von 4.005 € und für 2012 in Höhe von 3.397 € sowie die Hinzurechnungen von Warenentnahmen in Höhe von 5.341 € für 2011, 7.442 € für 2012 und 7.235 € für 2013 stellen insgesamt verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 S. 2 KStG dar.

99
Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis liegt regelmäßig vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung des BFH seit Urteil vom 16.03.1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626). Ist der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender, so kann eine verdeckte Gewinnausschüttung auch dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn oder an eine ihm nahe stehende Person erbringt, für die es an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung fehlt (ebenfalls ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH, Urteile vom 17.12.1997 I R 70/97, BFHE 185, 224, BStBl II 1998, 545; vom 27.03.2001 I R 27/99, BFHE 195, 228, BStBl II 2002, 111). Außerdem muss der Vorgang geeignet sein, bei dem begünstigten Gesellschafter einen Bezug i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH, Urteile vom 07.08.2002 I R 2/02, BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131; vom 08.09.2010 I R 6/09, BFHE 231, 75, BStBl II 2013, 186; vom 11.11.2015 I R 26/15, BFHE 252, 359, BStBl II 2016, 489).

100
Die aufgrund der nach Nachkalkulation hinzugeschätzten und von der Antragstellerin nicht verbuchten Betriebseinnahmen stellen im Streitfall eine verhinderte Vermögensmehrung dar, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Sie wirkt sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG aus; ein Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung ist nicht gegeben.

101
Ob und in welcher Höhe die Hinzuschätzungen als Zuwendungen an den verantwortlichen Gesellschafter-Geschäftsführer i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu beurteilen sind oder aber ob die nicht erklärten Betriebseinnahmen betrieblich verwendet wurden (vgl. BFH, Urteil vom 24.06.2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501), ist nicht in diesem Verfahren, sondern auf der Ebene der Besteuerung des Gesellschafters der Antragstellerin zu entscheiden.

102
Ebenso sind die verhinderten Vermögensmehrungen aufgrund der fehlenden Tageseinnahmen wie auch die Sachentnahmen zu Gunsten des B durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst; anderen Bediensteten der Antragstellerin war es im Unterschied zu B als dem Onkel des Gesellschafter-Geschäftsführers (dem Gesellschafter nahestehende Person) nicht gestattet, im Restaurant unentgeltlich zu essen.

103
Danach sind verdeckte Gewinnausschüttungen in folgender Höhe zu berücksichtigen:

104
          2011        2012       2013
Warenentnahmen       5.341 €   7.442 €   7.235 €
Hinzuschätzung fehlender Tageseinnahmen       4.005 €   3.397 €
Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen     92.344 € 20.374 € 69.876 €
verdeckte Gewinnausschüttungen neu   101.690 € 31.213 € 77.111 €
105
dd) Nach summarischer Prüfung hat der Antragsgegner auch zu Recht die in 2012 angeschafften 6 Leuchtkästen zum Wert von insgesamt 3.200 € nicht als sofort abzugsfähige geringwertige Wirtschaftsgüter behandelt.

106
Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 EStG können die Anschaffungskosten von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die einer selbständigen Nutzung fähig sind, im Wirtschaftsjahr der Anschaffung des Wirtschaftsguts in voller Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn die Anschaffungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9b Abs. 1 EStG) für das einzelne Wirtschaftsgut 410 Euro nicht übersteigen. Abweichend hiervon kann für die abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die einer selbständigen Nutzung fähig sind, im Wirtschaftsjahr der Anschaffung ein Sammelposten gebildet werden, wenn die Anschaffungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9b Abs. 1 EStG), für das einzelne Wirtschaftsgut 150 €, aber nicht 1.000 € übersteigen (§ 6 Abs. 2a S. 1 EStG).

107
Entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 2a S. 1 EStG ist der Antragsgegner verfahren und hat für das Jahr 2012, in dem die 6 Leuchtkästen angeschafft worden waren, eine zeitanteilige AfA für 5 Monate gewinnmindernd berücksichtigt.

108
ee) Die angefochtenen Bescheide sind nach summarischer Prüfung auch insoweit nicht rechtmäßig, als der Antragsgegner die Bildung einer Rückstellung für Ansprüche der F-GmbH in Höhe von 42.881,16 € versagt hat.

109
Die F-GmbH hat mit Rechnung vom 14.12.2014 für die Energieversorgung der Antragstellerin eine Schlussrechnung über Stromkosten i. H. v. 112.039,32 € brutto unter Stornierung vormaliger Rechnungen erstellt. Unter Hinzurechnung von Kosten für sonstige Rechnungspositionen i. H. v. 15,50 € abzüglich bisher geleisteter Zahlungen i. H. v. 69.770,35 € und unter Hinzurechnung einer Forderung aus Guthabenauszahlung i. H. v. 596,69 € ergab sich ein Rechnungsbetrag von 42.881,16 € brutto. Die zuvor geleisteten Zahlungen der Antragstellerin in Höhe von insgesamt 69.770,35 € brutto betrafen den Zeitraum Mai 2011 bis Juni 2014.

110
Im Streitfall sind in den Streitjahren 2011 bis 2013 Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus dem Stromlieferungsvertrag mit der F-GmbH im Wege der Bilanzberichtigung zu bilden. Der bisherige Bilanzansatz ist angesichts des Fehlens dieser Rückstellungen objektiv unrichtig.

111
aaa) Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind u. a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dieses Gebot stellt einen nach § 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch steuerrechtlich zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) dar.

112
Ungewisse Verbindlichkeiten in diesem Sinne sind einerseits Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach bestehen, deren Höhe aber noch ungewiss ist, andererseits Verbindlichkeiten, deren künftiges Entstehen, ggf. zusätzlich auch deren Höhe, noch ungewiss ist (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteile vom 27.06.2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 30.11.2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251).

113
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt; zu dem maßgebenden Bilanzstichtag bestanden dem Grunde nach Ansprüche der F-GmbH aus einem in 2011 geschlossenen Stromlieferungsvertrag, die nur teilweise von der Antragstellerin erfüllt waren.

114
bbb) Für eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit ist nach den GoB eine Rückstellung zu bilden, wenn sie erstens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie zweitens ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet (vgl. BFH-Urteile vom 08.11.2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349; vom 30.01.2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279). Beide Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

115
(1) Die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen, wobei grundsätzlich auf das einzelne Rechtsverhältnis abzustellen ist (BFH, Urteil vom 30.11.2005 I R 110/04, BFHE a. a. O). Diese Voraussetzung ist nicht nach den subjektiven Erwartungen des Steuerpflichtigen zu prüfen, sondern auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender und spätestens bei Aufstellung der Bilanz erkennbarer Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 01.08.1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44).

116
Im Streitfall gingen aus dem mit der F-GmbH geschlossenen Stromliefervertrag weitere Ansprüche, als sie von der Antragstellerin erfüllt wurden, hervor. Ihre Inanspruchnahme war deshalb auf der Grundlage des Dauerschuldverhältnisses mit der F-GmbH zum Schluss des jeweiligen Wirtschaftsjahres hinreichend wahrscheinlich und wurde mit dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom … 2016 bestätigt.

117
(2) Die wirtschaftliche Verursachung einer Verpflichtung vor dem maßgebenden Bilanzstichtag setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgeblich ist dabei die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalles vor dem Hintergrund der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (BFH, Urteil vom 30.11.2005 I R 110/04, BFHE a. a. O).

118
Eine ungewisse Verbindlichkeit ist danach insbesondere dann wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht, wenn sie schon vor Ablauf des Bilanzstichtags hätte erfüllt werden müssen. Das gilt bei Verpflichtungen zu Dauerleistungen hinsichtlich des in der Vergangenheit zu erfüllenden Teils. Bei diesen besteht die Besonderheit, dass die wechselseitigen Verpflichtungen fortlaufend erfüllt werden (vgl. BFH, Urteil vom 20.05.1992 X R 49/89, BFHE 168, 182, BStBl II 1992, 904). Deshalb sind hier die allgemeinen Grundsätze mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Rechtsverhältnis in einzelne zeitliche Segmente aufgeteilt wird, von denen eins am Bilanzstichtag endet. Danach ist das Dauerschuldverhältnis als am Bilanzstichtag erfüllt anzusehen, wenn der Dienst- oder Sachleistungsverpflichtete die von ihm bis dahin geschuldeten Leistungen (ganz oder fast) vollständig erbracht hat (vgl. BFH, Beschluss vom 23.06.1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735; Krumm in Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, EStG § 5, Rn. 800a, 245).

119
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall insoweit erfüllt, als die Stromlieferungen der F-GmbH jeweils bis zum jeweiligen 31. Dezember erfolgt waren und die Antragstellerin die erforderlichen Zahlungen an die F-GmbH nicht geleistet hatte.

120
Im Streitfall hatte die Antragstellerin an die F-GmbH im Zeitraum seit Gründung der Gesellschaft bis zum Juni 2014 Zahlungen in Höhe von 58.630,55 € netto zuzüglich Umsatzsteuer (insgesamt 69.770,35 €) geleistet. Ausweislich der Erläuterungen zur Stromrechnung vom 14.12.2014 entfielen hiervon jeweils netto 10.762,10 € auf das Jahr 2011, 21.378,15 € auf das Jahr 2012, 22.523,91 € auf das Jahr 2013 und 3.966,39 € auf das Jahr 2014; auf die Streitjahre entfielen danach insgesamt 54.664,16 €. Das Gericht berechnet danach die Rückstellungsbeträge für die Streitjahre wie folgt: …

121
ff) Schließlich ist entsprechend der niedrigeren Hinzuschätzung des Gewinns nach summarischer Prüfung auch die Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung entsprechend auszusetzen. Diese errechnet sich danach wie folgt: …

122
Die zur Aussetzung der Vollziehung erforderliche Ermittlung und Berechnung der festzusetzenden Körperschaftsteuer, der festzusetzenden Gewerbeerträge und der festzustellenden Beträge wird nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung dem Antragsgegner übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

123
3. Eine Aussetzung der Vollziehung kann auch nicht im Hinblick auf eine „unbillige Härte“ gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO darüber hinausgehend gewährt werden.

124
Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325; vom 02.06.2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834).

125
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar hat die Antragstellerin behauptet, dass sie durch die Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sei. Die Voraussetzungen für eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte sind hier jedoch nicht glaubhaft gemacht.

126
4. Die Kostenentscheidung beruht auf 136 Abs.1 FGO.

BFH verwirft Sanierungserlass des BMF

Die im Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vorgesehene Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Diese Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 2016 GrS 1/15 ist von grundlegender Bedeutung für die Besteuerung insolvenzgefährdeter Unternehmen.

1. Rechtslage

Ein Sanierungsgewinn, der dadurch entsteht, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise vom Gläubiger erlassen werden, erhöht das Betriebsvermögen und ist grundsätzlich steuerbar. Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 des Einkommen-steuergesetzes (EStG) a.F. in voller Höhe steuerfrei. Voraussetzung war die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens, der volle oder teilweise Erlass seiner Schulden, die insoweit bestehende Sanierungsabsicht der Gläubiger sowie die Sanierungseignung des Schuldenerlasses. Seit Aufhebung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590) ist ein Sanierungsgewinn demgegenüber grundsätzlich steuerpflichtig. Eine Steuerbefreiung solcher Sanierungsgewinne kann nur durch Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall erreicht werden.

In dem Sanierungserlass, der sich auf die Billigkeitsregelungen der § 163 und § 227 der Abgabenordnung (AO) stützt, hat das BMF in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung geregelt, dass Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn unter ähnlichen Voraussetzungen wie unter der früheren Rechtslage erlassen werden können (BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6 S 2140 8/03, BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6 S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18). Liegt ein Sanierungsplan vor, wird davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Prüfung im Einzelfall, ob persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe vorliegen, findet nicht mehr statt.

2. Streitfall

Die Entscheidung des Großen Senats erging im Streitfall eines Klägers, der als Einzelunternehmer seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte. Er war mit seinem Betrieb über mehrere Jahre mit Verlust tätig. Im Dezember 2007 verzichteten eine Sparkasse und eine Bankengruppe auf „nicht bedienbare Forderungen“. Das für den Kläger zuständige Finanzamt (FA) berücksichtigte bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb auch die Forderungsverzichte der Banken in Höhe von ca. 620.000 € und setzte mit Steuerbescheid vom 17. Februar 2009 Einkommensteuer entsprechend fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der Kläger beantragte zudem den „Erlass der Steuern für 2007 aus dem Sanierungsgewinn“. Auch diesen Antrag lehnte das FA ab. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. April 2012 entschied das FA, dass dem Kläger kein Billigkeitserlass nach dem Sanierungserlass zustehe. Es fehle insbesondere an einer Sanierungseignung, da der Kläger auch im Folgejahr einen Verlust erlitten habe. Die Klage zum Finanzgericht hatte keinen Erfolg.

Im Revisionsverfahren, dem das BMF beigetreten ist, legte der X. Senat des BFH dem Großen Senat die Frage vor, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt.

3. Entscheidung des Großen Senats

Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH verstößt der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dass Sanierungsgewinne der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen sollen, hat der Gesetzgeber im Jahr 1997 ausdrücklich entschieden, indem er die bis dahin hierfür geltende gesetzliche Steuerbefreiung (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.) abschaffte.

Der Finanzverwaltung ist es verwehrt, diese Gewinne aufgrund eigener Entscheidung gleichwohl von der Besteuerung zu befreien. Sie verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, indem sie mit dem Sanierungserlass die Besteuerung eines trotz Ausschöpfung der Verlustverrechnungs-möglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinns unter Bedingungen, die der damaligen gesetzlichen Steuerbefreiung ähnlich sind, allgemein als sachlich unbillig erklärt und von der Besteuerung ausnimmt. Die im Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen beschreiben keinen Fall sachlicher Unbilligkeit i.S. der §§ 163, 227 AO. Mit der Schaffung typisierender Regelungen für einen Steuererlass außerhalb der nach §§ 163 und 227 AO im Einzelfall möglichen Billigkeitsmaßnahmen nimmt das BMF eine strukturelle Gesetzeskorrektur vor und verletzt damit das sowohl verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) als auch einfachrechtlich (§ 85 Satz 1 AO) normierte Legalitätsprinzip.

4. Bedeutung der Entscheidung

Der Sanierungserlass gewährte in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen eine steuerliche Begünstigung. Dies beruhte darauf, dass die Gläubiger mit ihrem Forderungsverzicht zu erkennen geben, dass sie die Unternehmenssanierung für erforderlich und die ergriffenen Maßnahmen für erfolgversprechend halten. Das Bedürfnis für die Begünstigung wurde aus dem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Interesse am Erfolg der Unternehmenssanierung abgeleitet. Wichtig war und ist dies insbesondere für insolvenzgefährdete Unternehmen.

Für den Erfolg des Forderungsverzichts als Sanierungsmaßnahme kommt es auch auf die Beteiligung des Steuergläubigers an. Denn der aus betrieblichen Gründen vom Gläubiger erklärte Verzicht auf eine betriebliche Darlehensforderung ist als Betriebseinnahme beim Schuldner zu erfassen. Damit führt der Forderungsverzicht zu einem steuerpflichtigen Gewinn. Die Besteuerung dieses Gewinns wird im Hinblick auf das mit dem Forderungsverzicht verfolgte Sanierungsziel teilweise als problematisch angesehen. In der Literatur wird zudem darüber diskutiert, ob die Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne den Charakter einer europarechtswidrigen Beihilfe in Form einer Steuervergünstigung aufweist.

Aus der Entscheidung des Großen Senats folgt nicht, dass Billigkeitsmaßnahmen auf der Grundlage einer bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung generell unzulässig sind. Vorauszusetzen ist nur, dass in jedem davon betroffenen Einzelfall tatsächlich ein Billigkeitsgrund für die Ausnahme von der Besteuerung vorliegt. Die Entscheidung des Großen Senats steht auch nicht einem im Einzelfall möglichen Erlass von Steuern auf einen Sanierungsgewinn aus persönlichen Billigkeitsgründen entgegen.

Auf der Grundlage des Beschlusses des Großen Senats ist davon auszugehen, dass finanzgerichtliche Klagen auf Gewährung einer Steuerbegünstigung nach dem Sanierungserlass keinen Erfolg mehr haben werden. Unberührt bleiben individuelle Billigkeitsmaßnahmen, die auf besonderen, außerhalb des Sanierungserlasses liegenden Gründen des Einzelfalls wie etwa auf persönlichen Billigkeitsgründen beruhen.

Bundesfinanzhof:  Beschluss des Großen Senats vom 28.11.2016 – GrS 1/15 –

Bundesfinanzhof: Firmenwagenbesteuerung: Zuzahlungen des Arbeitnehmers mindern geldwerten Vorteil

Nutzungsentgelte und andere Zuzahlungen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung eines betrieblichen Kfz mindern den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit zwei Urteilen vom 30. November 2016 (VI R 2/15 und VI R 49/14) zur Kfz-Nutzung für private Fahrten und für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte entschieden. Der BFH hat dabei seine Rechtsprechung zugunsten der Steuerpflichtigen insoweit modifiziert, als nunmehr nicht nur ein pauschales Nutzungsentgelt, sondern auch einzelne (individuelle) Kosten des Arbeitnehmers –entgegen der Auffassung der Finanzbehörden– bei Anwendung der sog. 1 %-Regelung steuerlich zu berücksichtigen sind.

Im ersten Fall (Az: VI R 2/15) hatten sich der Kläger und sein Arbeitgeber die Kosten des Dienstwagens, den der Kläger auch für private Zwecke nutzen durfte, geteilt. Der Kläger trug sämtliche Kraftstoffkosten (ca. 5.600 €). Die übrigen PKW-Kosten übernahm der Arbeitgeber. Der geldwerte Vorteil aus der Kfz-Überlassung wurde nach der 1 %-Regelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) berechnet und betrug ca. 6.300 €. Der Kläger begehrte, die von ihm im Streitjahr getragenen Kraftstoffkosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte den Vorteil aus der Privatnutzung lediglich in Höhe von 700 € fest.

Der BFH hat die Vorinstanz im Ergebnis bestätigt. Leistet der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung eines Dienstwagens ein Nutzungsentgelt, mindert dies den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung. Ebenso ist es, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der privaten Nutzung einzelne (individuelle) Kosten (hier: Kraftstoffkosten) des betrieblichen PKW trägt. Der Umstand, dass der geldwerte Vorteil aus der Kfz-Überlassung nach der 1 %-Regelung ermittelt worden ist, steht dem nach dem jetzt veröffentlichten Urteil nicht mehr entgegen. Der BFH war demgegenüber bislang davon ausgegangen, dass vom Arbeitnehmer selbst getragene Kfz-Kosten nicht steuerlich berücksichtigt werden können, wenn der Nutzungsvorteil pauschal nach der sog. 1 %-Regelung (anstelle der sog. Fahrtenbuchmethode) bemessen wird.

Allerdings kann der Wert des geldwerten Vorteils aus der Dienstwagenüberlassung durch Zuzahlungen des Arbeitnehmers lediglich bis zu einem Betrag von 0 € gemindert werden. Ein geldwerter Nachteil kann aus der Überlassung eines Dienstwagens zur Privatnutzung nicht entstehen, und zwar auch dann nicht, wenn die Eigenleistungen des Arbeitnehmers den Wert der privaten Dienstwagennutzung und der Nutzung des Fahrzeugs zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte übersteigen. Ein verbleibender „Restbetrag“ bleibt daher ohne steuerliche Auswirkungen. Er kann insbesondere nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden.

Deshalb hat der BFH die Revision des Klägers im zweiten Fall (Az: VI R 49/14) zurückgewiesen. Der Arbeitnehmer hatte für die Privatnutzung des Dienstwagens an seinen Arbeitgeber ein Nutzungsentgelt von ca. 6.000 € geleistet, das höher als der nach der Fahrtenbuchmethode ermittelte geldwerte Vorteil (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) von ca. 4.500 € war und in seiner Einkommensteuererklärung den überschießenden Betrag bei seinen Arbeitnehmereinkünften steuermindernd geltend gemacht. Dem sind Finanzamt und FG entgegengetreten. Der BFH hat dies bestätigt.

Bundesfinanzhof:  Urteil des VI.  Senats vom 30.11.2016 – VI R 2/15 -, Urteil des VI.  Senats vom 30.11.2016 – VI R 49/14 –

Bundesfinanzhof: Häusliches Arbeitszimmer: Personenbezogene Ermittlung

Nutzen mehrere Steuerpflichtige ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam, ist die Höchstbetragsgrenze von 1.250 € personenbezogen anzuwenden, so dass jeder von ihnen seine Aufwendungen hierfür bis zu dieser Obergrenze einkünftemindernd geltend machen kann. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit zwei Urteilen vom 15. Dezember 2016 VI R 53/12 und VI R 86/13 entschieden und dabei seine Rechtsprechung zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zugunsten der Steuerpflichtigen geändert.

Der BFH ist bislang von einem objektbezogenen Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ausgegangen. Die abziehbaren Aufwendungen waren hiernach unabhängig von der Zahl der nutzenden Personen auf 1.250 € begrenzt. Nunmehr kann der Höchstbetrag von jedem Steuerpflichtigen in voller Höhe in Anspruch genommen werden, der das Arbeitszimmer nutzt, sofern in seiner Person die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG erfüllt sind.

Im ersten Fall (Az: VI R 53/12) nutzten die Kläger gemeinsam ein häusliches Arbeitszimmer in einem Einfamilienhaus, das ihnen jeweils zur Hälfte gehörte. Finanzamt und Finanzgericht (FG) erkannten die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer von jährlich ca. 2.800 € nur in Höhe von 1.250 € an und ordneten diesen Betrag den Klägern je zur Hälfte zu.

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben. Der auf den Höchstbetrag von 1.250 € begrenzte Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist jedem Steuerpflichtigen zu gewähren, dem für seine betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, wenn er in dem Arbeitszimmer über einen Arbeitsplatz verfügt und die geltend gemachten Aufwendungen getragen hat. Der BFH hat zudem klargestellt, dass die Kosten bei Ehegatten jedem Ehepartner grundsätzlich zur Hälfte zuzuordnen sind, wenn sie bei hälftigem Miteigentum ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam nutzen. Im Streitfall hatte das FG jedoch nicht geprüft, ob der Klägerin in dem Arbeitszimmer ein eigener Arbeitsplatz in dem für ihre berufliche Tätigkeit konkret erforderlichen Umfang zur Verfügung stand. Der BFH hat die Sache deshalb an das FG zurückverwiesen.

Im zweiten Fall (Az: VI R 86/13) hat der BFH darüber hinaus betont, dass für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer feststehen muss, dass dort überhaupt eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit entfaltet wird. Außerdem muss der Umfang dieser Tätigkeit es glaubhaft erscheinen lassen, dass der Steuerpflichtige hierfür ein häusliches Arbeitszimmer vorhält. Dies hatte das FG nicht aufgeklärt. Der BFH musste die Vorentscheidung daher auch in diesem Verfahren aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen.

Bundesfinanzhof:  Urteil des VI.  Senats vom 15.12.2016 – VI R 86/13 -, Urteil des VI.  Senats vom 15.12.2016 – VI R 53/12 –

Ist die Höhe der Kinderfreibeträge zu niedrig?

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat in dem Verfahren 7 K 83/16 mit Beschluss vom 02.12.2016 das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber die Kinderfreibeträge in § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (nicht nur) im Streitjahr 2014 in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen hat. Der vollständige Vorlagebeschluss (Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) liegt jetzt vor.

Der 7. Senat hat die tragenden Gründe der Entscheidung in folgenden neun Orientierungssätzen zusammengefasst:

  1. Das vorlegende Gericht hält die Regelung in § 32 Absatz (Abs.) 6 Sätze 1 bis 3 Einkommensteuergesetz (EStG), nach der bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2014 für jedes zu berücksichtigende Kind der Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 2.184 Euro für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1.320 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen werden – diese Beträge verdoppeln sich u.a. bei zusammen veranlagten Ehegatten oder bei einer verwitweten Steuerpflichtigen – für verfassungswidrig. Das vorlegende Gericht setzt deshalb das Verfahren aus und holt gemäß Artikel (Art.) 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein.
  2. Das vorlegende Gericht ist davon überzeugt, dass die in § 32 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 EStG bestimmte Höhe des Freibetrags für das sächliche Existenzminimum (Kinderfreibetrag) gegen das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Gebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums der Steuerpflichtigen und ihrer unterhaltsberechtigten Familie und gegen das Gleichbehandlungsgebot verstößt, weil die typisierende Regelung dieses Freibetrags, dem ein nach Lebensaltern gewichteter Durchschnittsbetrag der sozialrechtlichen Regelsätze für Kinder von der Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zugrunde liegt, in einer Vielzahl von Fällen (für alle Kinder ab dem 6. Lebensjahr) den entsprechenden Bedarf (das sächliche Existenzminimum) dieser Kinder nicht abdeckt.
  3. Der monatliche sozialrechtliche Regelsatz betrug im Jahr 2014:

    eines Kindes im Alter bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres € 229
    eines Kindes im Alter von 6 bis unter 14 Jahren € 261
    eines Kindes im Alter von 14 bis unter 18 Jahren € 296
    eines erwachsenen (volljährigen) Kindes ohne eigenen Haushalt € 313
    eines mit einer anderen erwachsenen Person in einem gemeinsamen Haushalt lebenden erwachsenen Kindes € 353
    eines erwachsenen Kindes, das einen eigenen Haushalt führt € 391.

    Der von der Bundesregierung im Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2014 (Neunter Existenzminimumbericht) als im Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum in § 32 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 EStG anzusetzende Betrag ist monatlich € 258.

    Dieser (tatsächlich für 2014 im Kinderfreibetrag nicht in voller Höhe berücksichtigte) Betrag wäre zur Überzeugung des vorlegenden Gerichts für alle Kinder ab Vollendung des 6. Lebensjahres evident zu niedrig, da er unter deren sozialrechtlichem Regelbedarf liegt.

    Er trägt der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen mit älteren Kindern (ab Vollendung des 6. Lebensjahres) gegenüber Steuerpflichtigen ohne Kinder und gegenüber Steuerpflichtigen mit Kindern in einer niedrigeren Altersstufe nicht Rechnung.

  4. Das vorlegende Gericht ist davon überzeugt, dass § 32 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 EStG auch deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen, weil sie das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit verletzen, da zur Ermittlung des auch für volljährige Kinder geltenden Kinderfreibetrages der – gegenüber minderjährigen Kindern anders geartete – Bedarf volljähriger Kinder nicht ermittelt worden ist.

    Das betrifft sowohl die im sozialrechtlichen Regelsatz berücksichtigten laufenden Lebenshaltungskosten als auch den zusätzlich zu berücksichtigenden Bildungs- und Teilhabebedarf.

    Die Nichtermittlung des Bedarfs volljähriger Kinder steht im Widerspruch dazu, dass das EStG die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kindern auch über das 18. Lebensjahr hinaus vorsieht, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen. Das betrifft z.B. unter 25 Jahre alte volljährige Kinder in der Ausbildung oder auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder – ohne Altersgrenze – volljährige behinderte Kinder mit Eintritt der Behinderung vor dem 25. Lebensjahr, die sich behinderungsbedingt nicht selbst unterhalten können.

    Kinder, die über das 18. Lebensjahr hinaus einkommensteuerlich zu berücksichtigen sind, sind keine zu vernachlässigende seltene Ausnahme.

  5. Das vorlegende Gericht hält es für nicht folgerichtig, wenn bei behinderten Menschen für dieselbe Person zwei verschiedene Existenzminima angesetzt werden: für die Frage, ob sie außerstande sind, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG), wird ihr Existenzminimum mit dem höheren Grundfreibetrag angesetzt, ist dies nicht der Fall, werden sie als Kind mit dem im Kinderfreibetrag geregelten niedrigeren Existenzminimum berücksichtigt.
  6. Das vorlegende Gericht hält es für nicht folgerichtig, wenn für dasselbe Kind unterschiedlich hohe Existenzminima angesetzt werden, je nachdem, ob das Kind eigene Einkünfte erzielt (Ansatz des Existenzminimums mit dem höheren Grundfreibetrag), ob es steuerlich nicht als Kind zu berücksichtigen ist, aber ein Abzug der tatsächlichen Unterhaltsaufwendungen nach § 33 a EStG erfolgt (Abzug bis zur Höhe des höheren Grundfreibetrages) oder ob es steuerlich als Kind bei seinen Eltern zu berücksichtigen ist (Ansatz des Existenzminimums mit dem niedrigeren Kinderfreibetrag).
  7. Stellt man die Nichtberücksichtigung des höheren Bedarfs aller Kinder ab Vollendung des 6. Lebensjahres im einheitlichen Kinderfreibetrag dessen Zweck gemäß § 31 EStG – steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes – gegenüber, ergibt sich kein zulässiger Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Dadurch wird auch das Kindeswohl unzureichend berücksichtigt.
  8. Eine Typisierung zur Vereinfachung der Gesetzesanwendung im Massenverfahren stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar, weil ein unter dem sozialrechtlichen Existenzminimum liegendes Existenzminimum nicht besteuert werden darf.
  9. Im Neunten Existenzminimumbericht hat die Bundesregierung ausgeführt, dass der für eine verfassungsgerechte Besteuerung für das Jahr 2014 erforderliche Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum € 4.440 betragen müsse. Der gesetzliche Freibetrag für das Jahr 2014 beträgt € 4.368. Er ist auch dann, wenn die im Existenzminimumbericht vorgenommene Typisierung für verfassungsgemäß erachtet würde, um € 72 niedriger als das nach dem Existenzminimumbericht steuerfrei zu stellende Existenzminimum eines Kindes und deshalb nach der Überzeugung des vorlegenden Gerichts verfassungswidrig. Die Unterdeckung ist auch nicht so niedrig, dass sie als geringfügig von den Steuerpflichtigen hinzunehmen ist, zumal die Unterdeckung nicht nur einzelne, sondern sämtliche Steuerpflichtige mit Kindern betrifft, die zumindest Solidaritätszuschlag oder Kirchensteuer zahlen.

Ein Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts liegt derzeit noch nicht vor, wird jedoch umgehend nach Erteilung an dieser Stelle ergänzt.

Dr. Jörg Grune
Vorsitzender Richter am Finanzgericht
Pressereferent