Berufsstand – 3. Juni 2022

Elektronischer Rechtsverkehr für WP/vBP und ihre Berufsgesellschaften: Start des Elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs

Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und ihre Berufsgesellschaften können ihre Mandanten im Rahmen der Prozessordnungen vor den Finanz-, den Sozial- und den Verwaltungsgerichten vertreten. Alle Prozessordnungen forcieren den elektronischen Rechtsverkehr, d. h. den Austausch von Schriftsätzen zwischen dem Prozessvertreter und dem Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg. Letzteres sind die DE-Mail und die besonderen elektronischen Postfächer (z. B. beA, beStB). Steht dem Prozessvertreter ein besonderes elektronisches Postfach zur Verfügung, so muss er dies nutzten. Schriftsätze, die auf anderem Weg eingereicht werden, sind regelmäßig unwirksam.

Verpflichtende besondere elektronische Postfächer

Rechtsanwälte und Notare und zukünftig auch Steuerberater haben sich vor diesem Hintergrund für alle verpflichtende besondere elektronische Postfächer, die jeweils durch die Bundeskammer administriert werden, entschieden. Diese Individuallösung ermöglicht den Kammern zwar im Rahmen der engen gesetzlichen Vorgaben einzelne Gestaltungsmöglichkeiten, ist zugleich aber mit erheblichem administrativem und wirtschaftlichem Aufwand für die Kammern und ihre Mitglieder verbunden.

Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für jedes WPK-Mitglied

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile hat sich der Vorstand der Wirtschaftsprüferkammer gegen die Einführung eines besonderen elektronischen Postfachs für Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer und ihre Berufsgesellschaften entschieden und damit die Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit jedem einzelnen Kammermitglied überlassen.

Möglichkeit zur Anmeldung von elektronischem Bürger- und Organisationenpostfach

Möchten Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer und ihre Berufsgesellschaften, die keinen Zugriff auf ein Anwalts- oder Steuerberaterpostfach haben, mit einem besonderen elektronischen Postfach am Rechtsverkehr teilnehmen, haben sie die Möglichkeit, ein besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) anzumelden.

Dieses ermöglicht auch die Berufsbezeichnung und die berufliche Anschrift im System zu hinterlegen und bei der Übertragung mit zu übermitteln. Damit haben Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer und ihre Berufsgesellschaften letztlich dieselben Gestaltungsmöglichkeiten wie auf einem Briefbogen oder in einer E-Mail und können, soweit die Praxisabläufe dies erfordern, wie Rechtsanwälte oder Steuerberater am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen.

Angebote für spezielle notwendige Software

Die Justiz hat alle für die Anmeldung eines elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs erforderlichen Informationen im Internet zusammengestellt.

Für die Verwendung eines elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs wird ausweislich der Hinweise der Justiz eine bestimmte Software benötigt. Drei Anbieter halten entsprechende Angebote bereit.

Die Wirtschaftsprüferkammer wird ihren Digitalisierungskompass um einen Vergleich dieser drei Anbieter erweitern.

Quelle: WPK, Mitteilung vom 02.06.2022

2,5 Millionen Steuerpflichtige zahlen Solidaritätszuschlag

Die durch den Solidaritätszuschlag erzielten Steuereinnahmen betrugen im Jahr 2020 18,676 Milliarden Euro und im Jahr 2021 11,028 Milliarden Euro. Dies teilt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/1969) auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (20/664) mit. Wie es in der Antwort weiter heißt, werden aufgrund des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 im Jahr 2022 noch rund 2,5 Millionen Steuerpflichtige mit Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer belastet sein, die meisten davon aufgrund von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (1,9 Millionen).

Trotz des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlages müssen auch Kleinanleger und Sparer den Zuschlag zahlen, obwohl dieser bei entsprechenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht hätte bezahlt werden müssen. Wie die Bundesregierung erläutert, haben Banken keine Kenntnis über die Höhe des zu versteuernden Einkommens ihrer Kunden. Daher würden die Banken in jedem Fall die Abgeltungssteuer inklusive Solidaritätszuschlag von ihren Kunden einbehalten, wenn die Kapitalerträge den Sparerpauschbetrag übersteigen. Eine Überprüfung und Erstattung des gegebenenfalls zu viel einbehaltenen Solidaritätszuschlags sei jedoch mit der Durchführung der Einkommensteuerveranlagung und der Günstigerprüfung möglich.

(…)

Quelle:Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 02.06.2022

Anwendung der Mitteilungsverordnung (MV)

Aufgrund der Ermächtigung in § 93a Abs. 1 AO hat die Bundesregierung am 7. September 1993 die Mitteilungsverordnung erlassen (BGBl. I Seite 1554). Diese Verordnung wurde zuletzt durch die Sechste Verordnung zur Änderung der Mitteilungsverordnung vom 25. Mai 2022 (BGBl. I Seite 816) geändert.

Nach der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Anwendung der Mitteilungsverordnung (MV) ab sofort bis zum 31. Dezember 2024 das neue Schreiben.

Dieses Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 21. Januar 2021 – IV A 3 – S 0229/20/10003 :011 – BStBl I Seite 136, das durch die BMF-Schreiben vom 18. Juni 2021 – IV A 3 – S 0229/20/10003 :011 – BStBl I Seite 810, und vom 29. September 2021 – IV A 3 – S 0229/21/10001 :006 – BStBl I Seite 1765, geändert worden ist.

Das Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0229 / 21 / 10002 :009 vom 02.06.2022

Entschädigung nach dem AGG – Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung i. S. v. § 22 AGG* begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehört § 168 SGB IX**, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf.

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG*** wegen einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung zu zahlen.

Der Kläger war bei dem Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Er wurde auf der Grundlage eines zwischen dem Beklagten und der Stadt L. geschlossenen „Vertrags über eine Personalgestellung“ mit Hausmeisterleistungen an einer Grundschule beschäftigt. Seit dem 11. Februar 2018 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Hierüber wurden Mitarbeiter des Beklagten am 12. Februar 2018 durch die spätere vorläufige Betreuerin des Klägers telefonisch in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 kündigte die Stadt L. den o. g. „Vertrag über eine Personalgestellung“. Ende März/Anfang April 2018 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen ihm und der Stadt L. ende. Der Kläger wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses; das Verfahren wurde durch einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht erledigt.

Seine auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage stützt der Kläger darauf, der Beklagte habe ihn wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt. Dies ergebe sich u. a. daraus, dass der Beklagte bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegen Vorschriften verstoßen habe, die Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthielten. Insbesondere habe er nicht ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts kündigen dürfen. Zwar habe zum Kündigungszeitpunkt noch kein Nachweis seiner Schwerbehinderung durch eine behördliche Feststellung vorgelegen, auch sei ein Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch noch nicht gestellt gewesen, allerdings sei seine Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung offenkundig gewesen. Er habe am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen. Dies sei dem Beklagten am 12. Februar 2018 mitgeteilt worden. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Kläger hat – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Kläger, der durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine unmittelbare Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG erfahren hat, hat nicht dargelegt, dass die Benachteiligung wegen seiner (Schwer)Behinderung erfolgte. Zwar kann der Verstoß des Arbeitgebers gegen § 168 SGB IX im Einzelfall die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründen, dass die Schwerbehinderung (mit)ursächlich für die Benachteiligung war. Allerdings hat der Kläger einen Verstoß des Beklagten gegen diese Bestimmung nicht schlüssig dargetan. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Kläger am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und noch am 12. Februar 2018 mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation behandelt wurde, lägen keine Umstände vor, nach denen im Zeitpunkt der Kündigung durch den Beklagten von einer offenkundigen Schwerbehinderung auszugehen war. Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger auch keine anderen Indizien i. S. v. § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung dargetan hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Hinweise zur Rechtslage

*§ 22 AGG

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

** § 168 SGB IX

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.

***§ 15 Abs. 2 AGG

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Urteil 8 AZR 191/21 vom 02.062022

Mindestsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) in der Fassung aus dem Jahr 2013 sind in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin anwendbar

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren durch Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. In der Instanzrechtsprechung sowie im Schrifttum war daraufhin ein Meinungsstreit darüber entstanden, ob die betreffenden Vorschriften der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfalten, dass die der Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI), wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen grundsätzlich verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind.

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Architekten- und Ingenieurverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat daraufhin in dem Revisionsverfahren VII ZR 174/19, dem die HOAI in der Fassung aus dem Jahre 2013 zugrunde liegt, mit Beschluss vom 14. Mai 2020 dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV mehrere Fragen zur Unionsrechtswidrigkeit des verbindlichen Preisrechts der HOAI (2013) vorgelegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 59/2020). Der EuGH hat durch Urteil vom 18. Januar 2022 (C-261/20 – Thelen Technopark Berlin) entschieden, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen die in Rede stehenden Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juni 2022 in dem zugrundeliegenden Revisionsverfahren VII ZR 174/19 eine abschließende Entscheidung getroffen.

Sachverhalt

Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten die Zahlung restlicher Vergütung aufgrund eines im Jahre 2016 abgeschlossenen Ingenieurvertrages, in dem die Parteien für die vom Kläger zu erbringenden Ingenieurleistungen bei einem Bauvorhaben der Beklagten ein Pauschalhonorar in Höhe von 55.025 Euro vereinbart hatten.

Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag gekündigt hatte, rechnete er im Juli 2017 seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) in der Fassung aus dem Jahr 2013 ab. Mit der Klage hat er eine noch offene Restforderung in Höhe von 102.934,59 Euro brutto geltend gemacht.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 100.108,34 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 96.768,03 Euro verurteilt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein restlicher vertraglicher Zahlungsanspruch nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) zu. Die im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalpreisvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam. Das in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangene Urteil des EuGH ändere nichts an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts hat damit Bestand.

Wie der Bundesgerichtshof bereits in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH vom 14. Mai 2020 ausgeführt hat, sind nach nationalem Recht die Vorschriften der HOAI, die das verbindliche Preisrecht (hier: die Mindestsätze) regeln, unbeschadet des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17 – Kommission/Deutschland) anzuwenden und führen zu einem Honoraranspruch des Klägers in der vom Oberlandesgericht zuerkannten Höhe. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die zwischen den Parteien im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalhonorarvereinbarung nach nationalem Recht unwirksam, weil sie das sich bei Anwendung der Mindestsätze ergebende Honorar unterschreitet, ohne dass ein Ausnahmefall gemäß § 7 Abs. 3 HOAI vorliegt. Der Kläger kann danach von der Beklagten das Mindestsatzhonorar, dessen Berechnung der Höhe nach nicht angegriffen ist, abzüglich bereits geleisteter Zahlungen verlangen.

Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten, die sich unter anderem auf einen Verstoß des Klägers gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB berufen hat, greifen nicht durch. Der Bundesgerichtshof hat insoweit auf seine Ausführungen im Beschluss vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) Bezug genommen, von denen abzuweichen kein Anlass besteht. Ergänzend hierzu hat er in seinem heute verkündeten Urteil darauf hingewiesen, dass die Geltendmachung eines Anspruchs durch eine Partei insbesondere nicht deshalb gemäß § 242 BGB als treuwidrig und damit unzulässig bewertet werden kann, weil die nationale Rechtsvorschrift, aus der der Anspruch hergeleitet wird, gegen eine Richtlinie der Europäischen Union verstößt. Eine Partei kann sich vielmehr grundsätzlich auf eine nationale Rechtsvorschrift berufen, solange diese weiterhin gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung ist nur dann einschlägig, wenn die Anwendung einer Rechtsvorschrift einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt ausnahmsweise nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen Beteiligten ein unzumutbares unbilliges Ergebnis zur Folge hätte. Es dient jedoch nicht dazu, eine vom nationalen Gesetzgeber mit einer Rechtsvorschrift getroffene Wertung generell durch eine andere Regelung zu ersetzen.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 HOAI unter Berücksichtigung der im Vertragsverletzungsverfahren ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17 – Kommission/Deutschland) führt, wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits mit Beschluss vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) im Einzelnen ausgeführt hat, gleichfalls nicht zum Erfolg der Revision der Beklagten. § 7 HOAI kann nicht richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen.

Nach dem nunmehr im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil des EuGH vom 18. Januar 2022 (C-261/20 – Thelen Technopark Berlin) steht fest, dass der Bundesgerichtshof im Streitfall nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen. Der EuGH hat insoweit festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen – wie hier – nicht zukommt. Die betreffende Richtlinie steht der Anwendung der verbindlichen Mindestsätze daher nicht entgegen. Der EuGH hat ferner ausgeführt, dass die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines im Vertragsverletzungsverfahren erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen.

Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts stehen der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall ebenfalls nicht entgegen. Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass die Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden. Da der vorliegende Rechtsstreit durch Merkmale charakterisiert sei, die sämtlich nicht über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinauswiesen, könne ohne die Angabe eines Anknüpfungspunktes bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten durch das vorlegende nationale Gericht nicht davon ausgegangen werden, dass das entsprechende Ersuchen um Auslegung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sei. Wenngleich der EuGH die diesbezügliche Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs deshalb als unzulässig beschieden hat, steht danach fest, dass die betreffenden Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall nicht entgegenstehen. Über die sich bereits aus dem Vorabentscheidungsersuchen vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) ergebenden Ausführungen hinaus sind keine Anknüpfungspunkte bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts festzustellen. Veranlassung für ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht daher nicht.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 242 Leistung nach Treu und Glauben

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (2013)

§ 1 Anwendungsbereich

Diese Verordnung regelt die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen (Auftragnehmer oder Auftragnehmerinnen) mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden.

§ 7 Honorarvereinbarung

(1) Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.

(2) …

(3) Die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden.

(4) …

(5) Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Absatz 1 vereinbart sind.

(6) …

Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie)

Art. 15 Zu prüfende Anforderungen

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.

(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

g) der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;

(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a) Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b) Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c) Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

(5-7) …

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

Art. 267

Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung

a) über die Auslegung der Verträge,

b) …

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.

Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. …

Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Urteil VII ZR 174/19 vom 02.06.2022

DStV setzt sich für Klarstellungen bei der Energiepreispauschale ein

Das Steuerentlastungsgesetz 2022 und damit auch die Energiepreispauschale ist beschlossen. Zur konkreten Umsetzung der Energiepreispauschale bestehen jedoch noch zahlreiche Praxisfragen. Der DStV hat gegenüber dem BMF Fragen aus der Praxis adressiert und eine Berücksichtigung in dem geplanten FAQ-Katalog angeregt.

Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) hat sich bereits frühzeitig in die Diskussion um die Energiepreispauschale eingebracht (vgl. DStV-Information vom 06.04.2022). Auch in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zum Steuerentlastungsgesetz 2022 hat er deutlichen Handlungsbedarf bei der Energiepreispauschalge signalisiert (DStV-Information vom 04.05.2022). Nun hat sich der DStV mit seiner Stellungnahme S 10/22 an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) gewandt. Der DStV begrüßt die geplante Erstellung eines FAQ-Katalogs, da ihn viele Fragen und Hinweise aus der Praxis zur Umsetzung der Energiepreispauschale erreicht haben.

Anspruch auf die Energiepreispauschale für die Praxis teilweise noch unklar

Für den Fragenkatalog hat der DStV angeregt, detaillierte Hinweise zum Personenkreis aufzunehmen, die Anspruch auf die Energiepreispauschale haben. Auch in Zusammenhang mit Minijob-Arbeitsverhältnissen erreichten den DStV viele Fragen. Beispielsweise welche Mindestanforderungen es an ein Minijob-Arbeitsverhältnis gibt und wie das erste Dienstverhältnis zu erklären ist, beschäftigt die steuerberatende Praxis.

Regelungen zur Auszahlung durch den Arbeitgeber werden begrüßt

Bei Auszahlung der Energiepreispauschale durch den Arbeitgeber soll der Arbeitgeber diese vom Gesamtbetrag der einzubehaltenden Lohnsteuer entnehmen. Der DStV hatte in diesem Zusammenhang auf drohende Liquiditätsbelastungen aufgrund unterschiedlicher Lohnsteuer-Anmeldezeiträume hingewiesen (vgl. DStV-Information vom 13.05.2022). Mit Erfolg! Im Steuerentlastungsgesetz 2022 sind nun verschiedene mögliche Auszahlungszeitpunkte für die Arbeitgeber berücksichtigt, um die Liquidität der Unternehmen zu schonen. Weitere Fragen zur Auszahlung der Energiepreispauschale wurden vom DStV in der Stellungnahme adressiert. So gibt es in der Praxis hinsichtlich der Frage, in welchen Fallkonstellationen die Auszahlung über den Arbeitgeber erfolgt, besonders großen Klärungsbedarf.

Klarstellung zur Besteuerung und Sozialversicherungspflicht gewünscht

Zur Besteuerung der Energiepreispauschale bei Minijobbern regt der DStV eine Erläuterung im FAQ-Katalog an. Bzgl. der Frage, ob die Energiepreispauschale sozialversicherungspflichtig ist, besteht in der Praxis ebenfalls noch Unklarheit. Der DStV empfiehlt in seiner Stellungnahme eine Klarstellung sowie eine Nennung der Energiepreispauschale in der Sozialversicherungsentgeltverordnung.

Umsetzung im FAQ-Katalog für Rechtsklarheit empfohlen

Der DStV legt dem BMF nahe, die in seiner Stellungnahme adressierten detaillierten Fragen im Rahmen des geplanten FAQ-Katalogs zu beantworten. Die bereits guten Hinweise in der Gesetzesbegründung sollten sich im FAQ-Katalog wiederfinden. Dies würde Rechtsklarheit für die Steuerpflichtigen schaffen und Haftungsrisiken für die kleinen und mittleren Kanzleien reduzieren.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 02.06.2022

Maltesische Betreiberin von Online-Glücksspielen muss Glücksspieleinsätze zurückzahlen

Die Betreiberin von Online-Glücksspielen ohne Konzession in Hessen ist zur Rückzahlung von Einsätzen eines hessischen Spielers verpflichtet. Der Vertrag zwischen dem Spieler und ihr ist wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Das eigene gesetzeswidrige Verhalten des Spielers steht dem Anspruch jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Betreiberin nicht nachweisen kann, dass der Spieler Kenntnis von dem Gesetzesverstoß hatte. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit am 02.06.2022 veröffentlichtem Hinweisbeschluss die durch das Landgericht ausgesprochene Verurteilung zur Rückzahlung von gut 10.000 Euro bestätigt.

Der Kläger nahm zwischen Februar und Mai 2017 an Online-Glücksspielen teil, die die Beklagte mit Sitz in Malta anbot. Die Beklagte besaß in diesem Zeitraum keine Konzession für die Veranstaltung von Glücksspielen in Hessen. Der Kläger begehrt die Rückerstattung verlorener Glücksspieleinsätze.

Das Landgericht hatte die Beklagte zur Zahlung von gut 10.000 Euro verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte nach Einschätzung des OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne Rückzahlung der geleisteten Einsätze verlangen, bestätigte das OLG die landgerichtliche Bewertung. Die Einzahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt, da der Vertrag mit der Beklagten nichtig gewesen sei. Er habe gegen das Verbot, öffentliche Glücksspiele im Internet zu veranstalten, verstoßen (§ 4 Abs. 4 GlüStV i. d. F. v. 2012).

Diese Vorschrift sei auch unionsrechtskonform gewesen. Soweit sie die Dienstleistungsfreiheit einschränkte, habe das dem mit der Vorschrift verfolgten Gemeinwohlinteresse gedient.

Anhaltspunkte für eine Duldung des Glücksspielangebots der Beklagten durch Verwaltungshandeln bestünden nicht.

Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich der Kläger durch gesetz- und sittenwidriges Verhalten selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt habe. Die Einzahlung eines Guthabens auf ein Spielerkonto habe zwar ebenfalls gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verstoßen. Die Beklagte habe aber nicht nachweisen können, dass dem Kläger dieser Verstoß bekannt war oder er sich jedenfalls dieser Erkenntnis leichtfertig verschlossen hatte. Die Regelung des Glücksspielverbots (§ 4 Abs. 1, 4 GlüStV 2012) könne nicht ohne weiteres als generell bekannt vorausgesetzt werden. Durch das „Wegklicken“ der von der Beklagten bereitgestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe sich der Kläger dieser Kenntnis auch nicht leichtfertig verschlossen.

Da die Beklagte selbst gesetzeswidrig gehandelt habe, könne sie dem Anspruch des Klägers auch nicht den Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit entgegenhalten.

Die Beklagte hat zwischenzeitlich die Berufung zurückgenommen, sodass das landgerichtliche Urteil vom 25.02.2021 nunmehr rechtskräftig ist.

Hinweis zur Rechtslage

§ 4 GlüStV lautete bis zu seinem Außerkrafttreten im Juni 2021 wie folgt:

§ 4 GlüStV Allgemeine Bestimmungen

(1) 1Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. 2Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sowie die Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel sind verboten.

(2) …

(4) Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.

Quelle: OLG Frankfurt, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Beschluss 23 U 55/21 vom 08.04.2022 (vorausgehend LG Gießen, Urteil 4 O 84/20 vom 25.02.2021 (rkr))

Bahnmitarbeiter wird Zeuge eines Gleissuizids: Unfallversicherung muss PTBS als Unfallfolge anerkennen

Ein 52-jähriger Kundendienstmitarbeiter der Deutschen Bahn AG erteilte am Bahnsteig im Düsseldorfer Hauptbahnhof einem Mann Auskunft, der sich nach einem Zug erkundigte. Der Mann stieg jedoch nicht in den Zug ein, sondern rannte los. Nachdem der angefahrene Zug gestoppt hatte, fand der Mitarbeiter den zweigeteilten Leichnam.

Nach einer kurzen Arbeitsunfähigkeit übte der Mitarbeiter seine Tätigkeit zunächst weiter aus, litt aber an Flash-backs, Albträumen und Schlafstörungen. Die ihn später behandelnden Fachärzte und Psychotherapeuten diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Der mittlerweile voll erwerbsgeminderte Versicherte aus dem Wetteraukreis beantragte gegenüber der Unfallversicherung Bund und Bahn die Anerkennung als Arbeitsunfall.

Die Unfallversicherung stellte als Unfallfolge lediglich eine vorübergehende akute Belastungsreaktion fest. Die aktuellen Beschwerden des Klägers seien unfallunabhängig. Gegen eine PTBS als Folge des Unfalls spreche, dass der Versicherte zunächst lediglich zwei Wochen arbeitsunfähig gewesen sei und danach weitergearbeitet habe. Eine fortlaufende Traumafolgestörung hätten die eingeholten Gutachten nicht ergeben. Auch habe der Versicherte weitere Schicksalsschläge erlitten, die ebenfalls als Ursachen zu berücksichtigen seien.

Der Versicherte erhob Klage und beantragte die Anerkennung einer PTBS als weitere Unfallfolge. Er befinde sich wegen der andauernden Erkrankung in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung.

Unfallereignis war für die Entstehung der PTBS die wesentliche Ursache

Die Darmstädter Richter verurteilten die Unfallversicherung, eine PTBS als weitere Unfallfolge anzuerkennen. Die Diagnosekriterien einer PTBS seien erfüllt. Das Unfallereignis sei ein objektiv schwerwiegendes Ereignis. Flash-Backs und Albträume seien bestätigt. Auch vermeide der Versicherte inzwischen Reize, die mit dem traumatischen Erlebnis verbunden seien, insbesondere Bahnhöfe und Bahnsteige.

Die PTBS hätte sich ohne das Unfallereignis nicht entwickelt. Den konkurrierenden Ursachen – Tod des Bruders und weitere Schicksalsschläge – kämen keine überragende Bedeutung zu, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt habe. Insbesondere sei der Bruder des Versicherten erst ein Jahr nach dem Arbeitsunfall gestorben. Danach habe sich das psychische Befinden des Versicherten nicht verschlechtert, sodass auch keine Verschiebung der Wesensgrundlage belegt sei.

Mit dem Erleben des Gleissuizids hat sich ein vom Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung umfasstes Risiko verwirklicht, welches die Entstehung der PTBS derart wesentlich geprägt hat, dass die übrigen in Persönlichkeit und Lebensgeschichte des Klägers begründeten Mitursachen als nicht überragend erscheinen, so die Richter des 3. Senats des Hessischen Landessozialgerichts in einem am 02.06.2022 veröffentlichten Urteil.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Hinweise zur Rechtslage

§ 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

  1. Beschäftigte, (…)

§ 8 SGB VII

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz (…) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). (…)

Quelle: LSG Hessen, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Urteil L 3 U 146/19

Kein Schmerzensgeld für Quarantäne

Keine Amtshaftungsansprüche aufgrund einer Quarantäne-Anordnung

Die Städte, Kreise und Gemeinden haben in den letzten beiden Jahren vielfach Quarantäne für Bürgerinnen und Bürger angeordnet, die Kontakt zu Corona-infizierten Personen hatten, auch wenn bei ihnen selbst keine Krankheitssymptome vorlagen.

In einem jetzt vom 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg entschiedenen Fall hatte eine vierköpfige Familie aus dem Landkreis Vechta daraufhin den Landkreis verklagt. Der Landkreis hatte zunächst für die Mutter, deren unmittelbare Arbeitskollegin ein positives PCR-Testergebnis erhalten hatte, Quarantäne angeordnet, nach einem positiven PCR-Test der Mutter auch für den Vater und die beiden Kinder. Die Familie begehrte später Schmerzensgeld. Sie argumentierte, für die Quarantäne-Anordnung habe es keine gültige Rechtsgrundlage gegeben. Die PCR-Methode sei zudem ungeeignet. Die Quarantäne habe unter anderem zu sozialen Einschränkungen und psychischen Belastungen geführt.

Das Landgericht Oldenburg hat die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen, nach denen nach dem Infektionsschutzgesetz eine Quarantäne habe angeordnet werden können, hätten vorgelegen. Diese gelte auch für „Ansteckungsverdächtige“, die selbst keine Krankheitssymptome aufwiesen.

Die Berufung der Kläger vor dem Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg. Der Senat entschied, dass das Vorgehen des Landkreises rechtmäßig gewesen sei. Der Landkreis habe zu Recht den vom RKI anerkannten PCR-Test herangezogen. Angesichts der Gefährlichkeit der Corona-Infektion sei die Quarantäne-Anordnung insgesamt verhältnismäßig.

In einem zweiten Fall hatte eine Lehrerin – ebenfalls aus dem Landkreis Vechta – mit einer ähnlichen Argumentation geklagt. Auch sie hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Obgleich ihr PCR-Test nach dem Kontakt mit einer positiv getesteten Schülerin negativ ausgefallen war, sei die Quarantäne-Anordnung wegen der auf Grund der längeren Inkubationszeit einer COVID-19-Erkrankung fortbestehenden Ansteckungsgefahr rechtmäßig gewesen, so der Senat.

In beiden Fällen hat der Senat darauf hingewiesen, dass es sich bei einer Quarantäne-Anordnung nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern nur um eine Freiheitsbeschränkung handele; diese rechtmäßige Maßnahme verlange den Betroffenen ein zwar spürbares, angesichts der schwerwiegenden Gefahren für die Gesellschaft insgesamt aber geringfügiges Opfer zu Gunsten der Gemeinschaft ab, das ohnehin weder unter Ausgleichs- noch unter Genugtuungsaspekten einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen könne.

Die Kläger haben ihre Berufungen nach Hinweisbeschlüssen des Senats jeweils zurückgenommen.

Quelle: OLG Oldenburg, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zu den Beschlüssen 6 U 15/22 und 6 U 12/22 vom 30.03.2022

Kein Beschäftigungsverbot im Krankenhaus trotz fehlender Impfung gegen SARS-CoV-2

Ein bereits vor dem 15.03.2022 in einem Krankenhaus beschäftigter Auszubildender hat nach einer unwirksamen Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses auch ohne Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG Anspruch auf Annahmeverzug gegen seinen Arbeitgeber. Es besteht nach § 20a Abs. 1 und Abs. 2 IfSG kein gesetzliches Beschäftigungsverbot, welches den Anspruch des Auszubildenden auf Annahmeverzugslohn nach § 297 BGB ausschließen würde.

Der Kläger war seit Oktober 2019 bei der Beklagten, einem regionalen Krankenhaus, als Auszubildender zum Gesundheits- und Krankenpfleger beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 01.12.2021 fristlos, nachdem dieser u. a. in dem Testzentrum der Beklagten seine Maske unter die Nase zog und auf eine Anweisung des Geschäftsführers, seine Maske ordnungsgemäß zu tragen, nicht sogleich reagierte. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und begehrte Annahmeverzugslohn für den Zeitraum ab Dezember 2021 bis April 2022 von der Beklagten. Der Kläger ist nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft oder hiervon genesen.

Die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn hat mit einem Urteil vom 18.05.2022 entschieden, dass die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers mangels vorheriger Abmahnung unwirksam ist. Weiterhin hat das Arbeitsgericht Bonn dem Kläger trotz der Einführung der sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 15.03.2022 und trotz der fehlenden Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn zugesprochen.

Nach dem Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung steht einem Auszubildenden grundsätzlich nach §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i. V. m. § 615 Satz 1 BGB, 293 ff BGB Annahmeverzug betreffend seiner Ausbildungsvergütung gegen den Arbeitgeber zu. Zum 15.03.2022 ist jedoch mit § 20a IfSG eine sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht in Kraft getreten, die u. a. für Krankenhäuser vorsieht, dass alle dort tätigen Personen über einen Impf- oder Genesenennachweis gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 verfügen müssen, welche sie dem Einrichtungsleiter vorlegen müssen.

Im Hinblick auf die Rechtsfolge der fehlenden Vorlage eines Impf- bzw. Genesenennachweises differenziert die gesetzliche Regelung in § 20a Abs. 2 und Abs. 3 IfSG jedoch danach, ob ein Arbeitnehmer bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigt war oder erst ab dem 16.03.2022 neu eingetreten ist. Ausschließlich für ab dem 16.03.2022 neu eintretende Arbeitnehmer ist in § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG ein Beschäftigungsverbot ausdrücklich gesetzlich geregelt. Für die bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmer, welche dem Einrichtungsleiter keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen, besteht hingegen lediglich eine Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt. Dieses kann sodann nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG im Wege einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot erlassen. Da der Kläger bereits vor dem 15.03.2022 bei der Beklagten beschäftigt war und ein behördliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot für ihn nicht vorlag, war die Beklagte auch über den 15.03.2022 hinaus verpflichtet, dem Kläger Annahmeverzugslohn zu zahlen.

Quelle: ArbG Bonn, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Urteil 2 Ca 2082/21 vom 18.05.2022