Zur Haftung von „YouTube“ und „uploaded“ für Urheberrechtsverletzungen

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Verfahren über die Haftung des Betreibers der Internetvideoplattform „YouTube“ und in sechs weiteren Verfahren über die Haftung des Betreibers des Internetsharehosting-Dienstes „uploaded“ für von Dritten auf der Plattform bzw. unter Nutzung des Dienstes begangene Urheberrechtsverletzungen entschieden.

Zum Verfahren I ZR 140/15

Sachverhalt

Der Kläger ist Musikproduzent. Er hat mit der Sängerin Sarah Brightman im Jahr 1996 einen Künstlerexklusivvertrag geschlossen, der ihn zur Auswertung von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt. Im November 2008 erschien das Studioalbum „A Winter Symphony“ mit von der Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich begann die Künstlerin die Konzerttournee „Symphony Tour“, auf der sie die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot.

Die Beklagte zu 3 betreibt die Internetplattform „YouTube“, auf die Nutzer kostenlos audiovisuelle Beiträge einstellen und anderen Internetnutzern zugänglich machen können. Die Beklagte zu 1 ist alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 3.

Anfang November 2008 waren bei „YouTube“ Videos mit Musikwerken aus dem Repertoire von Sarah Brightman eingestellt, darunter private Konzertmitschnitte und Musikwerke aus ihren Alben. Nach einem anwaltlichen Schreiben des Klägers sperrte die Beklagte zu 3 jedenfalls einen Teil der Videos. Am 19. November 2008 waren bei „YouTube“ erneut Tonaufnahmen von Darbietungen der Künstlerin abrufbar, die mit Standbildern und Bewegtbildern verbunden waren.

Der Kläger hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich dreier Musiktitel stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, Dritten in Bezug auf sieben näher bezeichnete Musiktitel zu ermöglichen, Tonaufnahmen oder Darbietungen der Künstlerin Sarah Brightman aus dem Studioalbum „A Winter Symphony“ öffentlich zugänglich zu machen. Ferner hat es die Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft über die Nutzer der Plattform verurteilt, die diese Musiktitel unter Pseudonymen auf das Internetportal hochgeladen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit den vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter und erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 13. September 2018 (YouTube I) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt und der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorgelegt (dazu Pressemitteilungen Nr. 150/2018 vom 13. September 2018).

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Fragen durch Urteil vom 22. Juni 2021 – C-682/18 und C-683/18 (YouTube und Cyando) entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat der Revision des Klägers stattgegeben, soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der Musiktitel auf dem Studioalbum „A Winter Symphony“ und einiger auf der „Symphony Tour“ dargebotener Musiktitel die gegenüber beiden Beklagten geltend gemachten Unterlassungsansprüche und die gegen die Beklagte zu 3 geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatzfeststellung und Auskunftserteilung abgewiesen hat. Der Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof stattgegeben, soweit das Berufungsgericht sie zur Unterlassung und zur Auskunft über die E-Mail-Adressen von Nutzern verurteilt hat. Hinsichtlich der Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatzfeststellung hat der Bundesgerichtshof die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche sind nur begründet, wenn die Bereitstellung von Nutzern hochgeladener rechtsverletzender Inhalte auf der von der Beklagten zu 3 betriebenen Plattform sowohl im Handlungszeitpunkt als auch nach der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Rechtslage eine die Rechte des Klägers verletzende öffentliche Wiedergabe darstellt.

Das nach der Rechtslage im Handlungszeitpunkt maßgebliche Recht der öffentlichen Wiedergabe ist nach Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, sodass die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform, der weiß oder wissen müsste, dass Nutzer über seine Plattform im Allgemeinen geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG vornimmt, wenn er nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen. Lediglich reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das Auffinden von bereits hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an den Plattformbetreiber erleichtern, genügen für die Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen nicht.

Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass die allgemeine Kenntnis des Betreibers von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform für die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe des Betreibers nicht genügt, dass es sich aber anders verhalte, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern. Der Bundesgerichtshof hält vor diesem Hintergrund für den durch Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollharmonisierten Bereich nicht an seiner Rechtsprechung fest, nach der in dieser Konstellation keine Haftung als Täter einer rechtswidrigen öffentlichen Wiedergabe, sondern allenfalls eine Haftung als Störer in Betracht kam. Hier tritt nun die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung. Dabei sind die schon bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung zu stellenden Anforderungen auf die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar.

Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der Betreiber einer Sharehosting-Plattform, der allgemeine Kenntnis von der Verfügbarkeit von Nutzern hochgeladener rechtsverletzender Inhalte hat oder haben müsste, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalte vornimmt, wenn er ein solches Verhalten seiner Nutzer dadurch wissentlich fördert, dass er ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.

Das Berufungsgericht hat keine hinreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Beklagte zu 3 die geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Plattform ergriffen hat, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer erwartet werden können. Die vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, die Beklagte habe ihre durch einen Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte des Klägers ausgelöste Pflicht verletzt, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu verhindern.

Sofern das Berufungsgericht aufgrund der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Feststellungen zur Annahme einer öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte zu 3 gelangt, wird es weiter zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (BGBl. I 2021 S. 1204) vorliegen.

Zu den Verfahren I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt den Sharehosting-Dienst „uploaded“ im Internet. Dieser Dienst bietet jedermann kostenlos Speicherplatz für das Hochladen von Dateien beliebigen Inhalts. Für jede hochgeladene Datei erstellt die Beklagte automatisch einen elektronischen Verweis (Download-Link) auf den Dateispeicherplatz und teilt diesen dem Nutzer automatisch mit. Die Beklagte bietet für die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein Inhaltsverzeichnis noch eine entsprechende Suchfunktion. Allerdings können Nutzer die Download-Links in sogenannte Linksammlungen im Internet einstellen. Diese werden von Dritten angeboten und enthalten Informationen zum Inhalt der auf dem Dienst der Beklagten gespeicherten Dateien. Auf diese Weise können andere Nutzer auf die auf den Servern der Beklagten abgespeicherten Dateien zugreifen.

Der Download von Dateien von der Plattform der Beklagten ist kostenlos möglich. Allerdings sind Menge und Geschwindigkeit für nicht registrierte Nutzer und solche mit einer kostenfreien Mitgliedschaft beschränkt. Zahlende Nutzer haben, bei Preisen zwischen 4,99 Euro für zwei Tage bis 99,99 Euro für zwei Jahre, ein tägliches Downloadkontingent von 30 GB bei unbeschränkter Downloadgeschwindigkeit. Zudem zahlt die Beklagte den Nutzern, die Dateien hochladen, Downloadvergütungen, und zwar bis zu 40 Euro für 1.000 Downloads.

Der Dienst der Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Die Beklagte erhielt bereits in der Vergangenheit in großem Umfang Mitteilungen über die Verfügbarkeit rechtsverletzender Inhalte von im Auftrag der Rechtsinhaber handelnden Dienstleistungsunternehmen. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist es den Nutzern untersagt, über die Plattform der Beklagten Urheberrechtsverstöße zu begehen.

Die Klägerinnen in den Verfahren I ZR 53/17 und I ZR 54/17 sind Verlage, die Klägerinnen in den Verfahren I ZR 55/17 und I ZR 135/18 sind Musikunternehmen, die Klägerin im Verfahren I ZR 56/17 ist die GEMA und die Klägerin im Verfahren I ZR 57/17 ist ein Filmunternehmen. Die Klägerinnen sehen jeweils Rechtsverletzungen darin, dass über die externen Linksammlungen Dateien auf den Servern der Beklagten erreichbar seien, die Werke enthielten, an denen ihnen beziehungsweise im Verfahren I ZR 56/17 den Rechtsinhabern, deren Rechte die GEMA wahrnehme, Nutzungsrechte zustünden. Außer in den Verfahren I ZR 57/17 und I ZR 135/18 haben die Klägerinnen die Beklagte in erster Linie als Täterin, hilfsweise als Teilnehmerin und weiter hilfsweise als Störerin auf Unterlassung sowie auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen und die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht beantragt. Im Verfahren I ZR 57/17 wird die Beklagte nur auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht und im Verfahren I ZR 135/18 auf Unterlassung und Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf

In den Verfahren I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 56/17 und I ZR 57/17 haben die Landgerichte die Beklagte wegen Teilnahme an den Rechtsverletzungen zur Unterlassung verurteilt, sofern dies beantragt war, und den Anträgen auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht stattgegeben. In den Verfahren I ZR 55/17 und I ZR 135/18 haben die Landgerichte die Beklagte als Störerin zur Unterlassung und im Verfahren I ZR 135/18 darüber hinaus zum Ersatz von Rechtsanwaltskosten verurteilt. Im Übrigen haben die Landgerichte die Klagen abgewiesen.

Die Oberlandesgerichte haben angenommen, die Beklagte sei nur als Störerin zur Unterlassung und im Verfahren I ZR 135/18 zudem zum Ersatz von Rechtsanwaltskosten verpflichtet; im Übrigen haben sie die Klagen abgewiesen. In den Verfahren I ZR 53/17 und I ZR 135/18 haben die Oberlandesgerichte darüber hinaus angenommen, dass sich hinsichtlich einzelner Werke nicht feststellen lasse, dass die Beklagte diesbezüglich Prüfpflichten verletzt habe; insoweit haben sie die Klagen vollständig abgewiesen.

Mit den im Verfahren I ZR 135/18 vom Oberlandesgericht und im Übrigen vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren I ZR 53/17 mit Beschluss vom 20. September 2018 (uploaded I) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG vorgelegt (dazu Pressemitteilungen Nr. 156/2018 vom 20. September 2018). Die Verfahren I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18 hat der Bundesgerichtshof bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren I ZR 53/17 ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auch über diese Fragen durch Urteil vom 22. Juni 2021 – C-682/18 und C-683/18 (YouTube und Cyando) entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat in sämtlichen Verfahren den Revisionen der Klägerinnen stattgegeben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.

Für den Betreiber einer Sharehosting-Plattform gelten nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union dieselben Grundsätze wie für den Betreiber einer Video-Sharing-Plattform.

In den Verfahren I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, und I ZR 57/17 bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte keine hinreichenden technischen Maßnahmen ergriffen hat, weil die von ihr eingesetzten proaktiven Maßnahmen (Stichwortfilter beim Download, Hashfilter, einige manuelle Kontrollen und Recherchen in Linkressourcen) Urheberrechtsverletzungen nicht hinreichend effektiv entgegenwirken und die weiteren von der Beklagten angeführten Maßnahmen (Bereitstellung eines „Abuse-Formulars“ und eines „Advanced-Take-Down-Tools“) lediglich reaktiv und daher ebenfalls unzureichend sind. Es bestehen zudem gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Geschäftsmodell der Beklagten auf der Verfügbarkeit rechtsverletzender Inhalte beruht und die Nutzer dazu verleiten soll, rechtsverletzende Inhalte über die Plattform der Beklagten zu teilen. Für eine abschließende Beurteilung sind allerdings noch tatsächliche Feststellungen zu treffen. Sind die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nach dem im Handlungszeitpunkt geltenden Recht begründet, ist zudem zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten vorliegen.

Im Verfahren I ZR 135/18 sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe der Beklagten nach der Rechtslage im Handlungszeitpunkt erfüllt, weil die Beklagte ihre durch den Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte der Klägerin am genannten Musikalbum ausgelöste Pflicht verletzt hat, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu verhindern. Die durch den Hinweis der Klägerin ausgelöste Prüfungspflicht umfasste sowohl die Pflicht zur unverzüglichen Verhinderung des Zugangs zur konkret beanstandeten Datei und zu weiteren, im Zeitpunkt der Beanstandung bereits hochgeladenen gleichartigen rechtsverletzenden Inhalten als auch die Pflicht zur Vorsorge, dass es künftig nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt. Auch hier ist allerdings noch zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe nach dem seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten vorliegen.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

§ 19a UrhG: Recht der öffentlichen Zugänglichmachung

Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.

§ 97 UrhG: Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. (…)

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (…)

Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zu den Urteilen I ZR 140/15, I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18 vom 02.06.2022

Abhängigkeit sozialrechtlichen Verwertungsschutzes für selbst bewohntes Wohneigentum von der aktuellen Bewohnerzahl verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vorlage entschieden, dass § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Vorlage betrifft die im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzuwendende Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 SGB II, wonach selbst bewohntes Wohneigentum angemessener Größe einem Bezug von Grundsicherungsleistungen nicht als anrechenbares Vermögen entgegensteht, also in der Sache vor Verwertung geschützt ist. Die angemessene Größe richtet sich dabei nach der aktuellen Bewohnerzahl. Die Regelung berücksichtigt daher nicht, wenn Eltern gegenwärtig gerade deshalb über größeren Wohnraum verfügen, weil sie zuvor noch den Wohnbedarf ihrer mittlerweile ausgezogenen Kinder decken mussten. Dass die Vorschrift für die Frage des Verwertungsschutzes von Wohneigentum nicht nach dessen familiärer Vorgeschichte differenziert, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorschrift dient der Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach im System der Grundsicherung staatliche Leistungen allgemein nachrangig gewährt werden. Das steht zu der Belastung der Betroffenen nicht außer Verhältnis.

Sachverhalt

Selbst genutztes Wohneigentum ist nach § 12 Abs. 3 SGB II bei der Bedürftigkeitsprüfung bei einem Bezug von Grundsicherungsleistungen geschützt, wenn es eine „angemessene Größe“ hat. Das Bundessozialgericht hat dies in ständiger Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass die angemessene Größe eines Hausgrundstücks mit Blick auf die Gesamtwohnfläche des darauf errichteten Hauses, differenziert nach der Anzahl der dort lebenden Personen zu bestimmen ist.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens lebte mit ihrem Ehemann in einem von ihnen erbauten und im Eigentum des Ehemannes stehenden Haus mit einer Wohnfläche von 143,69 m². Die Eheleute zogen 1997 mit ihren sechs Kindern dort ein. Das letzte Kind zog im April 2013 aus. Seitdem bewohnten die Eheleute das Haus allein. Das Jobcenter lehnte den Antrag der Klägerin auf zuschussweise Leistungsgewährung ab, weil der Ehemann der Klägerin Eigentümer eines Hauses sei und damit Vermögen besitze, das den für die Klägerin und ihn maßgeblichen Freibetrag übersteige. Das Hausgrundstück sei auch verwertbar, da es mangels angemessener Größe kein Schonvermögen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II sei. Angemessen seien bei einem Zwei-Personen-Haushalt 90 m².

Das Sozialgericht setzte das sich anschließende Verfahren aus. Nach Auffassung des Sozialgerichts erzeugen § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 SGB II in ihrem Zusammenwirken eine die Familie diskriminierende Wirkung, indem sie das Wohneigentum von Eltern in ihrer aktuellen Lebenssituation nur deshalb nicht schützen, weil sie in einer vorangegangenen Lebensphase Kinder betreut hätten, für die sie größeren Wohnraum hätten vorhalten müssen.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die vorgelegte Norm ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Hieraus folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung untersagt. Ebenso wenig ist er gehalten, Ungleiches unter allen Umständen ungleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem Umfang das Vermögen des Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird. Das Bundesverfassungsgericht kann insbesondere nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.

Danach verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 SGB II allen Betroffenen gleichermaßen die Verwertung von aktuell unangemessen großem Wohneigentum abverlangt, ohne danach zu unterschieden, ob es sich um schon immer in diesem Sinne unangemessen großes Wohneigentum handelt oder ob es früher mit Kindern bewohnt wurde und vor deren Auszug angemessen im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II war. Nicht zu berücksichtigen, ob in dem aktuell zu groß bemessenen Wohneigentum einst Kinder erzogen wurden, für die entsprechend größerer Wohnraum vorgehalten werden musste, entspricht dem allgemeinen System der Grundsicherung, staatliche Leistungen nachrangig zu gewähren. Den gegenwärtigen Bedarf als Bezugspunkt staatlicher Transferleistungen zu wählen, verfolgt einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck; das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber nicht, soziale Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können. Für die Frage der angemessenen Größe von Wohnraum auf die aktuelle Bewohnerzahl abzustellen, ist zur Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich und die daraus für Eltern ausgezogener Kinder resultierende Ungleichheit steht zu dem Regelungszweck nicht außer Verhältnis. Denn auch der soziale Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen aktuell Bedürftigkeit vorliegt. Auf der anderen Seite werden den Betroffenen hier nicht Leistungen verwehrt, die sie zur Existenzsicherung benötigten. Denn sie verfügen über Wohneigentum, das sie einsetzen und damit ihren Bedarf selbst sichern können.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 02.06.2022 zum Beschluss 1 BvL 12/20 vom 28.04.2022

Wettbewerbsregister beim Bundeskartellamt unterstützt Transparenz und fairen Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe

Seit heute ist das Wettbewerbsregister beim Bundeskartellamt vollständig in Betrieb. Ab sofort sind Auftraggeber vor der Vergabe eines öffentlichen Auftrags gesetzlich dazu verpflichtet, das Wettbewerbsregister über das Vorliegen von Ausschlussgründen anzufragen. Eingetragen in das rein elektronisch geführte Wettbewerbsregister werden Unternehmen, die schwere und für einen Ausschluss vom Vergabeverfahren relevante Rechtsverstöße begangen haben. Das betrifft etwa Verurteilungen wegen bestimmter Wirtschaftsdelikte, z. B. Korruption oder Steuerhinterziehung. Bislang waren Auftraggeber vor allem auf Selbsterklärungen der sich bewerbenden Unternehmen und Abfragen bei den vereinzelt existierenden Korruptionsregistern der Bundesländer angewiesen. Die Abfragen bei den Landeskorruptionsregistern entfallen mit dem heutigen Tag.

Neu ab dem 1. Juni ist neben der Abfragepflicht auch die Möglichkeit für Unternehmen und natürliche Personen, Auskünfte über den sie betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters einzuholen (Anspruch auf Selbstauskunft). Auch amtliche Verzeichnisstellen können das Register für die Präqualifizierung von Unternehmen von nun an konsultieren.

Bereits am 29. Oktober hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in der gesetzlich vorgesehenen Bekanntmachung im Bundesanzeiger festgestellt, dass die technischen Voraussetzungen für den Registerbetrieb vorliegen. Entsprechend den gesetzlichen Regelungen startete am 1. Dezember 2021 die Pflicht für mitteilungspflichtige Behörden, eintragungsrelevante Rechtsverstöße an das Bundeskartellamt zu melden. Seitdem hatten Auftraggeber außerdem die Möglichkeit, das Wettbewerbsregister auf freiwilliger Basis abzufragen.

Quelle: BMWK, Pressemitteilung vom 01.06.2022

Corona-Testpflicht für Arbeitnehmer

Der Arbeitgeber kann zur Umsetzung der ihn treffenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen berechtigt sein, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen.

Die Klägerin war als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 8.351,86 Euro beschäftigt. Zu Beginn der Spielzeit 2020/21 hat die Bayerische Staatsoper, nachdem sie zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen bereits bauliche und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenbereichs und die Neuregelung von Zu- und Abgängen ergriffen hatte, im Rahmen ihres betrieblichen Hygienekonzepts in Zusammenarbeit u. a. mit dem Institut für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum rechts der Isar eine Teststrategie entwickelt. Vorgesehen war die Einteilung der Beschäftigten in Risikogruppen und je nach Gruppe die Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests in unterschiedlichen Zeitabständen. Als Orchestermusikerin sollte die Klägerin zunächst wie alle Mitarbeiter zu Beginn der Spielzeit einen negativen PCR-Test vorlegen und in der Folge weitere PCR-Tests im Abstand von ein bis drei Wochen vornehmen lassen. Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an, alternativ konnten die Mitarbeiter PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass sie ohne Testung nicht an Aufführungen und Proben teilnehmen könne. Sie hat sich geweigert, PCR-Tests durchführen zu lassen und insbesondere gemeint, diese seien zu ungenau und stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit dar. Anlasslose Massentests seien unzulässig. Der beklagte Freistaat hat daraufhin in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 die Gehaltszahlungen eingestellt. Seit Ende Oktober 2020 legte die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht PCR-Testbefunde vor. Mit ihrer Klage hat sie für die Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt, hilfsweise die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens. Weiter verlangt sie, ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 beschäftigt zu werden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der Arbeitgeber ist nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeitsleistungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) konkretisieren den Inhalt der Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Zur Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Maßnahmen kann der Arbeitgeber Weisungen nach § 106 Satz 2 GewO hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erteilen. Das hierbei zu beachtende billige Ermessen wird im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.

Hiervon ausgehend war die Anweisung des beklagten Freistaats zur Durchführung von PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper rechtmäßig. Die Bayerische Staatsoper hat mit Blick auf die pandemische Verbreitung von SARS-CoV-2 mit diffusem Ansteckungsgeschehen zunächst technische und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenraums und Anpassungen bei den aufzuführenden Stücken ergriffen, diese aber als nicht als ausreichend erachtet. Sie hat sodann – auch um den Vorgaben der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung zu genügen – mit wissenschaftlicher Unterstützung durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und das Klinikum rechts der Isar ein Hygienekonzept erarbeitet, das für Personen aus der Gruppe der Orchestermusiker PCR-Tests alle ein bis drei Wochen vorsah. Hierdurch sollte der Spielbetrieb ermöglicht und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt werden. Die auf diesem Konzept beruhenden Anweisungen an die Klägerin entsprachen billigem Ermessen i. S. v. § 106 GewO. Der mit der Durchführung der Tests verbundene minimale Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist verhältnismäßig. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung macht die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnedies im Betrieb bekannt wird. Da hiernach die arbeitgeberseitige Anweisung zur Umsetzung des betrieblichen Hygienekonzepts rechtmäßig war, hat der beklagte Freistaat zu Recht eingewandt (§ 297 BGB), dass Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls mit Blick auf den fehlenden Leistungswillen der Klägerin, die die Durchführung von PCR-Tests verweigert hat, nicht bestehen.

Der auf die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens gerichtete Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet. Eine Vergütung dieser Zeiten ist nur geschuldet, soweit sie auf die tarifvertraglich geregelten Dienste – Proben und Aufführungen – bezogen sind. An diesen hat die Klägerin im Streitzeitraum nicht teilgenommen. Der Beschäftigungsantrag, mit dem die Klägerin ihren Einsatz ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 erreichen wollte, ist als Globalantrag schon deshalb unbegründet, weil bereits der für die Zahlungsanträge maßgebliche Zeitraum zeigt, dass wirksame Testanordnungen möglich sind.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 01.06.2022 zum Urteil 5 AZR 28/22 vom 01.06.2022

Keine Kürzung des Heimentgelts bei coronabedingten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2022 über die Frage entschieden, ob Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung wegen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hoheitlich angeordnet wurden, zu einer Kürzung des Heimentgelts berechtigt sind.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über rückständige Heimkosten sowie die Räumung und Herausgabe eines Zimmers in einem Seniorenwohnheim.

Die Parteien schlossen im Jahr 2017 einen Vertrag über die Unterbringung und vollstationäre Pflege der Beklagten in einem vom Kläger betriebenen Seniorenwohn- und Pflegeheim. Die Beklagte war in den Pflegegrad 3 eingestuft.

Seit dem 19. März 2020 hielt sie sich nicht mehr in der Pflegeeinrichtung auf, da ihr Sohn sie im Hinblick auf die durch das neuartige SARS-CoV-2-Virus verursachte Pandemie zu sich nach Hause geholt hatte. Das ihr in dem Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte sie allerdings nicht. Für die Monate Mai bis August 2020 erbrachte sie auf das sich inzwischen auf 3.294,49 Euro belaufende beziehungsweise im August 2020 auf 3.344,07 Euro angestiegene Monatsentgelt lediglich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.162,18 Euro. Nachdem die Klägerin die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 20. Juli 2020 die Kündigung des Pflegevertrags aus wichtigem Grund zum 31. August 2020.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe des von ihr weiterhin belegten Zimmers sowie – unter Anrechnung der vertraglich vereinbarten Pauschale von 25 Prozent für ersparte Aufwendungen ab dem vierten Abwesenheitstag – zur Zahlung von 8.877,13 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.

Die Beklagte beabsichtigt, gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts „das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde“ einzulegen, und begehrt dafür gemäß § 78b Abs. 1 ZPO die Bestellung eines Notanwalts, da auf ihre Anfrage keiner der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte zu einer Vertretung bereit gewesen sei.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der III. Zivilsenat hat den Antrag der Beklagten, ihr einen Notanwalt beizuordnen, abgelehnt.

Die Beiordnung eines Notanwalts für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde scheidet aus, weil ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO offensichtlich nicht vorliegt. Die Zulassung der Revision ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO geboten. Der von der Beklagten geltend gemachte Entgeltkürzungsanspruch besteht unzweifelhaft nicht.

Nach § 7 Abs. 2 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) i. V. m. Nr. 2.1 des Pflegevertrages war die Klägerin verpflichtet, der Beklagten ein bestimmtes Zimmer als Wohnraum zu überlassen sowie die vertraglich vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Diese den Schwerpunkt des Pflegevertrags bildenden Kernleistungen konnten trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem Umfang erbracht werden. Eine Entgeltkürzung gemäß § 10 Abs. 1 WBVG wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher von vornherein aus. Es kommt aber auch keine Herabsetzung des Heimentgelts wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Durch die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden Pflegevertrag nicht schwerwiegend geändert (siehe zu den Voraussetzungen einer Vertragsanpassung bei einer pandemiebedingten schwerwiegenden Änderung der Geschäftsgrundlage BGH, Urteile vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21, MDR 2022, 147 Rn. 41 ff; vom 16. Februar 2022 – XII ZR 17/21, ZIP 2022, 532 Rn. 27 ff und vom 2. März 2022 – XII ZR 36/21, juris Rn. 28 ff [jeweils Gewerberaummiete]). Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen) Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter, ohne den Vertragszweck in Frage zu stellen. Ein Festhalten am unveränderten Vertrag war der Beklagten daher zumutbar, zumal die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen sozialer Kontakte („Lockdown“) das gesamte gesellschaftlichen Zusammenleben, also auch Nichtheimbewohner, erfassten.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 78b ZPO – Notanwalt

(1) Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

§ 313 Abs. 1 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

§ 10 WBVG – Nichtleistung oder Schlechtleistung

(1) Erbringt der Unternehmer die vertraglichen Leistungen ganz oder teilweise nicht oder weisen sie nicht unerhebliche Mängel auf, kann der Verbraucher unbeschadet weitergehender zivilrechtlicher Ansprüche bis zu sechs Monate rückwirkend eine angemessene Kürzung des vereinbarten Entgelts verlangen.

Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 01.06.2022 zum Beschluss III ZR 240/21 vom 28.04.2022

Gesetzliche Neuregelungen im Juni 2022

Wegen hoher Energiepreise entlastet die Bundesregierung die Menschen steuerlich – bei Entfernungspauschale, Grundfreibetrag, Arbeitnehmerpauschbetrag.

Entlastungspaket II

Mit dem zweiten Entlastungspaket erhalten Bürgerinnen und Bürger ab dem 1. Juni weitere Unterstützung: Eine einmalige Energiepreispauschale, einen einmaligen Kinderbonus, die temporäre Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und das 9-Euro-Ticket.

Entlastungspaket I

Um die steigenden Energiepreise abzufedern, hat die Bundesregierung bereits mit dem ersten Entlastungspaket steuerliche Entlastungen auf den Weg gebracht. Rückwirkend zum Jahresbeginn steigen die Entfernungspauschale, der Grundfreibetrag und der Arbeitnehmerpauschbetrag.

Höherer Heizkostenzuschuss kommt

Zusätzlich werden 2,1 Millionen Menschen mit einem einmaligen Heizkostenzuschuss entlastet – vor allem Wohngeld-Haushalte und Studierende mit BAföG. Wegen der zuletzt noch stärker gestiegenen Energiekosten verdoppelt sich der Zuschuss gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Das Gesetz tritt am 1. Juni 2022 in Kraft.

Sichere Energieversorgung – auch in Krisenzeiten

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die angespannte Lage auf den Energiemärkten drastisch verschärft. Die Bundesregierung arbeitet fortlaufend daran, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ein wichtiger Schritt: die Modernisierung des Energiesicherungsgesetzes. Das entsprechende Gesetz trat am 22. Mai 2022 in Kraft.

Nationale Energieversorgung sichern

Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran, Deutschland unabhängig von russischen Gasimporten zu machen. Der Bau von Flüssiggas-Terminals soll kurzfristig einen Beitrag leisten, alternative Bezugsquellen zu erschließen. Das entsprechende Gesetz tritt am 1. Juni in Kraft.

Sanktionen gegen Russland effektiv durchsetzen

Die EU-Sanktionen gegen Russland umfassen das Einfrieren von Vermögenswerten gelisteter Personen, Reisebeschränkungen, Beschränkungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie Im- und Exportrestriktionen. Das Gesetz soll eine effektive Durchsetzung der Sanktionen in Deutschland sicherstellen.

Grundsicherung für ukrainische Geflüchtete

Die Bundesregierung ermöglicht registrierten Geflüchteten aus der Ukraine einen frühzeitigen Wechsel in die Grundsicherungssysteme. Sie werden ab 1. Juni wie anerkannte Asylsuchende behandelt und haben damit Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung. Die Geflüchteten erhalten zudem erleichterten Zugang zu Integrations- und Sprachkursen sowie zum Arbeitsmarkt.

(…)

Quelle: Bundesregierung, Pressemitteilung vom 27.05.2022, aktualisiert am 01.06.2022

Grunderwerbsteuer:

Befreiungsvorschrift des § 6a GrEStG findet auf die Ausgliederung eines Einzelunternehmens zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft Anwendung

Bei der Ausgliederung eines Einzelunternehmens auf eine neu zu gründende Kapitalgesellschaft findet die Begünstigungsvorschrift des § 6a GrEStG Anwendung. Dies hat der 8. Senat des Finanzgerichts Münster in einem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung mit Beschluss vom 03.05.2022 (Az. 8 V 246/22 GrE) entschieden.

Antragstellerin war eine GmbH, die im Zuge einer Ausgliederung gegründet worden war. Ihr alleiniger Gesellschafter war Alleineigentümer mehrerer Grundstücke, die er im Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens hielt. Er war als Einzelkaufmann im Handelsregister eingetragen. Im Jahr 2021 gliederte er sein Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva gemäß §§ 152, 158 ff., 123 ff. Umwandlungsgesetz (UmwG) auf die im Zuge der Ausgliederung gegründete Antragstellerin aus. Mitübertragen wurden auch die Anteile an einer weiteren GmbH, die Alleingesellschafterin weiterer, teils grundbesitzender Kapitalgesellschaften war.

Der Antragsgegner – das zuständige Finanzamt – setzte im Hinblick auf die Ausgliederung und die Übertragung der GmbH-Beteiligung Grunderwerbsteuer fest. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Sie trug zur Begründung im Wesentlichen vor, dass die Erwerbsvorgänge nach § 6a GrEStG steuerfrei seien. Das Finanzamt lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab.

Der gerichtliche Aussetzungsantrag hatte Erfolg. Es bestünden, so der 8. Senat, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids. Die mit der Ausgliederung erfolgte Übertragung der im Eigentum des späteren Alleingesellschafters stehenden Grundstücke und der Übergang der im Eigentum der Tochtergesellschaften der weiteren GmbH stehenden Grundstücke seien jeweils grunderwerbsteuerbar gewesen, es greife aber der Befreiungstatbestand des § 6a Satz 1 GrEStG. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt. Insbesondere sei die Anwendung des § 6a GrEStG nicht deshalb ausgeschlossen, weil der spätere Alleingesellschafter der Klägerin als Einzelunternehmer beteiligt gewesen sei. „Unternehmen“ im Rahmen des § 6a GrEStG seien alle Rechtsträger, die wirtschaftlich tätig seien unabhängig von der Rechtsform. Für Zwecke der Anwendung des § 6a GrEStG müsse die Beteiligung an den abhängigen Gesellschaften auch nicht im Betriebsvermögen gehalten werden. Dies gelte auch dann, wenn, wie im Streitfall, ein Einzelunternehmen im Wege der Ausgliederung zur Neugründung auf eine Kapitalgesellschaft übertragen werde. Hätte der Gesetzgeber bestimmte, nach dem UmwG zulässige Verschmelzungen vom Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ausnehmen wollen, hätte dies im Wortlaut des § 6a GrEStG einen Anklang finden müssen. Auch die Ausgliederung eines Einzelunternehmens auf eine Kapitalgesellschaft zur Neugründung sei deshalb von § 6a GrEStG erfasst. Insofern hat der 8. Senat entgegen der derzeitigen Verwaltungsauffassung entschieden, nach der § 6a GrEStG auf Fälle der Ausgliederung eines Einzelunternehmens zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft keine Anwendung finden soll (Gemeinsame Ländererlasse vom 22.09.2020, BStBl I 2020 S. 960, Tz. 2.1).

Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 01.06.2022 zum Beschluss 8 V 246/22 GrE vom 03.05.2022

Vorlagen zum Berliner Zweckentfremdungsverbot-Gesetz unzulässig

Mit am 01.06.2022 veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass mehrere Vorlagen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg unzulässig sind. Die Vorlageverfahren betreffen die Anwendung des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum des Landes Berlin vom 29. November 2013 (Zweckentfremdungsverbot-Gesetz – ZwVbG) auf Wohnraum, der bereits vor Erlass des Gesetzes zur Vermietung als Ferienwohnung genutzt wurde. Das Zweckentfremdungsverbots-Gesetz stellt eine solche Nutzung von Wohnraum grundsätzlich unter den Vorbehalt einer Genehmigung.

Nach Auffassung der Kammer sind die Vorlagen unzulässig, da das vorlegende Gericht weder seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift noch die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage hinreichend dargelegt hat.

Sachverhalt

Nach § 1 Abs. 1 ZwVbG darf, soweit die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, Wohnraum im Land Berlin nur mit Genehmigung des zuständigen Bezirksamts zweckentfremdet werden. Eine solche Zweckentfremdung liegt insbesondere dann vor, wenn Wohnraum als Ferienwohnung vermietet wird. Wohnraum im Sinne des Gesetzes sind nach § 1 Abs. 3 ZwVbG alle Räumlichkeiten, die zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet sind.

Die aufgrund von § 1 Abs. 2 Satz 1 ZwVbG erlassene Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 4. März 2014 (Zweckentfremdungsverbots-Verordnung – ZwVbVO) stellt fest, dass die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen im gesamten Berliner Stadtgebiet besonders gefährdet ist.

Die Kläger der Ausgangsverfahren vermieten als Eigentümer beziehungsweise Mieter in der Innenstadt von Berlin belegene, zu Wohnzwecken errichtete Räumlichkeiten als Ferienwohnungen; zum Teil erfolgt die Vermietung gewerblich. Alle Kläger wollen diese – jeweils vor Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes begonnene – Nutzung fortsetzen. Sie beantragten daher beim beklagten Land Berlin jeweils die Erteilung eines Negativattests nach § 5 ZwVbVO, dass für die jeweilige Nutzung der Räumlichkeiten als Ferienwohnung keine Genehmigung erforderlich ist. Das beklagte Land lehnte die Anträge ab. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Dagegen legten die Kläger jeweils Berufung ein.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1 Abs. 3 ZwVbG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach auch Räumlichkeiten, die zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet sind, aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zu anderen Zwecken bestimmt waren oder genutzt wurden, dem Zweckentfremdungsverbot unterfallen. Zur Begründung führt es aus, die vorgelegte Vorschrift sei, soweit sie Rückwirkung entfalte, mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

Die Vorlagen sind unzulässig. Das vorlegende Gericht hat die Vorlagen nicht hinreichend begründet.

I. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Das vorlegende Gericht muss gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen.

Um die Entscheidungserheblichkeit darzulegen, muss das vorlegende Gericht verdeutlichen, dass sich die Beantwortung der gestellten Verfassungsfrage als unerlässlich darstellt, damit es das Ausgangsverfahren fortführen und abschließend entscheiden kann. Der Vorlagebeschluss muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit.

II. Gemessen daran hat das Oberverwaltungsgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG nicht hinreichend dargelegt.

1. Es fehlt an der hinreichenden Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass es sich bei Baurecht und Zweckentfremdungsrecht um zwei unterschiedliche „Rechtskreise“ handele. Dies mag fachrechtlich zutreffen. Der hieraus vom Oberverwaltungsgericht gezogene Schluss, die durch § 1 Abs. 3 Satz 1 ZwVbG bewirkte tatbestandliche Rückanknüpfung beseitige bisher bestehende, durch die Eigentumsgarantie geschützte Rechtspositionen, zeigt jedoch das Vorliegen eines Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 GG nicht hinreichend auf. Das vorlegende Gericht übergeht, dass verfassungsrechtlich die Nutzungsbefugnisse des Grundeigentümers durch baurechtliche Vorgaben determiniert sind. Es verhält sich nicht dazu, ob und inwieweit die Nutzung baulicher Anlagen zur Vermietung als Ferienwohnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes nach dem historisch jeweils einschlägigen Bauplanungsrecht in Berlin überhaupt zulässig und damit durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt war.

2. Das vorlegende Gericht hat auch eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargelegt. Das vorlegende Gericht verweist lediglich auf seine Ausführungen zu Art. 14 Abs. 1 GG, was nicht ausreicht.

3. Im Hinblick auf das allgemeine Vertrauensschutzgebot hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Denn auch das allgemeine Vertrauensschutzgebot schützt nur vor Regelungen, die im Vergleich zum bislang bestehenden Recht belastendere Rechtsfolgen zeitigen, was bei einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 1 Abs. 3 ZwVbG bauplanungsrechtlich unzulässigen Nutzung baulicher Anlagen zur Vermietung als Ferienwohnung nicht gegeben wäre.

III. Das vorlegende Gericht hat auch die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargelegt.

1. Es hat nicht aufgezeigt, dass die Ausgangsverfahren Anlass geben, die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG zu untersuchen. Es fehlt an der Darlegung einer möglichen Verletzung der Kläger des Ausgangsverfahren in ihren Grundrechten.

Für die Beurteilung einer möglichen Verletzung von Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie im Rahmen des allgemeinen Vertrauensschutzgebots kommt es maßgeblich darauf an, ob die Nutzung der betroffenen Räumlichkeiten zur Vermietung als Ferienwohnung nach dem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes geltenden Baurecht erlaubt war. Die Darlegungen des Oberverwaltungsgerichts schließen nicht aus, dass die Nutzung als Ferienwohnung bereits bauplanungsrechtlich unzulässig, also nicht einmal genehmigungsfähig war und ihr daher insoweit kein Bestandsschutz zukam. Dann bedeutete das Zweckentfremdungsverbot aber keine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, weil Inhalt und Schranken der Eigentumsnutzung bereits durch das Bauplanungsrecht bestimmt gewesen wären und eine solche Nutzung untersagt hätten.

2. Ungeachtet dessen fehlt es im Hinblick auf die Ausgangsverfahren zum Teil auch an der erforderlichen Auseinandersetzung mit einem möglicherweise zerstörten Vertrauen der Kläger.

Selbst wenn § 1 Abs. 3 ZwVbG unechte Rückwirkung entfaltete, wären jedenfalls hinsichtlich derjenigen Ausgangsverfahren, in denen die Räumlichkeiten erst nach Einbringung des Gesetzesentwurfs über das Zweckentfremdungsverbot in das Berliner Abgeordnetenhaus zur Vermietung als Ferienwohnung genutzt wurden, für eine Darlegung der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG Ausführungen dazu erforderlich gewesen, dass überhaupt noch auf den Bestand der bisherigen Rechtslage vertraut werden durfte.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 01.06.2022 zum Beschluss 1 BvL 2/17, 1 BvL 6/17, 1 BvL 5/17, 1 BvL 4/17, 1 BvL 3/17 vom 29.04.2022

Geldwäsche:

Stellungnahme zur Evaluierung der GwGMeldV-Immobilien durch das BMF

Die Geldwäschegesetzmeldepflichtverordnung-Immobilien (GwGMeldV-Immoblilien) ist seit dem 1. Oktober 2020 in Kraft. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) wurde vom Finanzausschuss des Bundestages dazu aufgefordert, die GwGMeldV-Immoblilien zu evaluieren. Neben der FIU und den Strafverfolgungsbehörden sollen auch die Aufsichtsbehörden und die Verpflichteten in die Evaluierung eingebunden werden.

Das BMF wandte sich vor diesem Hintergrund auch an die WPK, als zuständige Geldwäscheaufsicht über WP/vBP, und bat um Beantwortung von konkreten Fragestellungen.

Die Fragen des BMF und die Antworten der WPK sind in der Stellungnahme der WPK vom 31. Mai 2022 zusammengefasst.

Quelle: WPK, Mitteilung vom 31.05.2022

Kommerzielles Sportangebot in Grünanlage ist erlaubnispflichtig

Kommerzielle Sportangebote in öffentlichen Grünanlagen im Land Berlin sind grundsätzlich erlaubnispflichtig. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.

Die Klägerin bietet u. a. in Berlin kostenpflichtige Freiluft-Gruppen-Fitnesstrainings mit bis zu 20 Teilnehmern an. Nachdem das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin ihr wiederholt die Durchführung derartiger Trainings im Park am Gleisdreieck untersagt und sie der öffentlichen Grünanlage verwiesen hatte, hatte die Klägerin zunächst erfolglos die Erteilung einer Genehmigung hierfür beantragt. Im Klageverfahren ging es der Klägerin nur noch um die Feststellung, dass sie für Veranstaltungen der genannten Art keiner Erlaubnis bedürfe.

Die 24. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin beabsichtigte Benutzung öffentlich gewidmeter Grün- und Erholungsanlagen zur Durchführung von Freiluft-Gruppen-Fitnesstrainings bedürfe einer Genehmigung nach dem Grünanlagengesetz. Diese Nutzung sei nicht vom Allgemeingebrauch abgedeckt. Zwar gestatte das Gesetz erlaubnisfrei auf besonders ausgewiesenen Flächen eine Reihe von Veranstaltungen und Tätigkeiten, etwa Kunst- oder Kulturveranstaltungen mit Live-Musik. Voraussetzung hierfür sei aber stets, dass es sich nicht um kommerzielle Veranstaltungen handeln dürfe. Daran fehle es im Fall der Klägerin. Als juristische Person sei sie schon nicht Teil der erholungsbedürftigen und erholungsuchenden Bevölkerung, der öffentliche Grün- und Erholungsanlagen allein zu dienen bestimmt seien. Ihre Veranstaltungen stünden zudem nicht allen Anlagenbesuchern zur Verfügung, sondern seien ausschließlich für ihre eigenen Kunden bestimmt und für diese mit Kosten verbunden. Es komme nicht darauf an, dass es sich bei den Kursteilnehmern (auch) um Erholungssuchende handele. Angesichts des hohen Nutzungsdrucks, der bereits im Rahmen des Allgemeingebrauchs auf öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen laste, liege es auf der Hand, dass die Inanspruchnahme dieser knappen Ressource durch kommerzielle Veranstaltungen der behördlichen Steuerung bedürfe, um konkurrierende Nutzungsinteressen in Ausgleich zu bringen.

Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich.

Quelle: VG Berlin, Pressemitteilung vom 31.05.2022 zum Urteil VG 24 K 284.20 vom 22.04.2022