Elektronisches Rezept wird stufenweise eingeführt

Von der laufenden Digitalisierung im Gesundheitswesen verspricht sich die Bundesregierung eine spürbar bessere und effizientere Versorgung. Mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und der für ihren Einsatz aufgebauten sicheren Telematikinfrastruktur seien die entscheidenden Weichen für die digitale Transformation in der Gesundheitsversorgung gestellt worden, heißt es in der Antwort (20/2233) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/1972) der AfD-Fraktion.

Mit der eGK könnten administrative und medizinische Daten bereitgestellt werden. Insbesondere mit der elektronischen Patientenakte, dem elektronischen Medikationsplan und den elektronischen Notfalldaten könnten Qualität und Sicherheit der medizinischen Behandlung entscheidend verbessert werden. Doppeluntersuchungen würden vermieden, Behandlungsrisiken besser erkannt. Für das elektronische Rezept (E-Rezept) ist den Angaben zufolge eine stufenweise Einführung vorgesehen. In der ersten Stufe gehe es um die Übermittlung und Verarbeitung von Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Weitere Arten von Verordnungen werden später auf das E-Rezept umgestellt, darunter solche über Betäubungsmittel und digitale Gesundheitsanwendungen. Spezifikationen der Gesellschaft für Telematik (gematik) würden laufend im Sinne der Anforderungen weiterentwickelt.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 24.06.2022

Bundestag beschließt erste wichtige Säulen des „Osterpakets“: Netzausbau wird beschleunigt und Verbraucherrechte werden gestärkt

Der Deutsche Bundestag hat am 24.06.2022 nach 2./3. Beratung den Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferunsogeng beschlossen. Damit wurden wichtige Teile des im April im Kabinett verabschiedeten Osterpakets final vom Bundestag verabschiedet. In einem nächsten Schritt berät der Bundesrat über die Maßnahmen.

Dazu der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck: „Erste wichtige Säulen unseres Osterpakets wurden heute vom Bundestag verabschiedet. Damit ist eine wichtige Etappe geschafft, die vor allem den Ausbau der Stromnetze beschleunigt. Denn für eine erfolgreiche Energiewende ist es entscheidend, dass der Netzausbau mit dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien Schritt halten kann. Dafür stellt das heute beschlossene Gesetz wichtige Weichen. Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Klammer russischer Importe befreien. Eine beschleunigte Energiewende ist hierfür das A und O.“

Mit dem Gesetz wird der sog. Bundesbedarfsplan für den Ausbau der Stromnetze aktualisiert. Zudem werden die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Stromnetze weiter gestrafft und beschleunigt. So können künftig Vorhaben stärker gebündelt werden. Beispielsweise kann unter bestimmten Voraussetzungen bei neuen Stromautobahnen (sog. Höchstspannungsgleichstromleitungen – HGÜ) auf die Bundesfachplanung verzichtet werden. Damit kann eine von mehreren Planungsebenen entfallen. Darüber hinaus werden der Einsatz und die Mitwirkungsmöglichkeiten von Projektmanagern verbessert, da häufig Personalknappheit in den Planungs- und Genehmigungsbehörden ein Hemmnis darstellt. Auch werden Regelungen getroffen, um den vorzeitigen Baubeginn bei bestimmten Projekten zu erleichtern, das heißt, der Bau kann dann parallel zum Zulassungsverfahren beginnen. Auch für die Verteilernetze gibt es Neuerungen. Der Rechtsrahmen der Verteilernetzplanung wird zu einer stärker vorausschauenden und integrierten Verteilernetzplanung weiterentwickelt. Zudem werden Netzanschlussprozesse vereinfacht und digitalisiert.

In Reaktion auf die Situation an den Energiemärkten sieht das Gesetz darüber hinaus Änderungen im Recht der Endkundenbelieferung und im Kartellrecht vor. Damit stärken wir die Verbraucher und sorgen für mehr Schutz vor überhöhten Preisen. Die Ersatzversorgung und die Grundversorgung mit Strom und Gas werden voneinander abgegrenzt, die preisliche Kopplung beider Instrumente generell aufgehoben. Damit wird Rechtsklarheit und Transparenz geschaffen, um Rechtsstreitigkeiten so wie wir sie in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben, künftig möglichst zu vermeiden. Die Bundesnetzagentur erhält zusätzliche Aufsichtsmöglichkeiten über Energielieferanten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Rückzug einzelner Energielieferanten aus dem Markt. Energielieferanten müssen einen Rückzug aus dem Markt künftig 3 Monate vorher ankündigen und das sowohl gegenüber ihren Kunden als auch gegenüber der Bundesnetzagentur.

„Ad-hoc Kündigungen wie wir sie im letzten Winter leider erlebt haben, haben einige Verbraucherinnen und Verbraucher kalt erwischt und stark verunsichert. Dem schieben wir jetzt einen Riegel vor. So etwas kann es künftig nicht mehr geben“, ergänzte Habeck.

Zum dritten enthält das am 24.06.2022 im Bundestag verabschiedete Gesetz Anpassungen im Wettbewerbsrecht. Konkret geht es um Anpassungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die eine stärkere Beobachtung der Raffinerien und des Kraftstoffhandels durch die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe beim Bundeskartellamt (MTS-K) ermöglichen. Zugleich wird die Datenbasis für die Arbeit des Bundeskartellamts verbessert und erweitert. Künftig erhält das Bundeskartellamt auch Daten zu den an Tankstellen im Tagesverlauf verkauften Kraftstoffmengen. Die verschärfte kartellrechtliche Preismissbrauchsaufsicht im Energiesektor wird um weitere fünf Jahre verlängert und auf den Bereich der Fernwärme ausgeweitet.

Quelle: BMWK, Pressemitteilung vom 24.06.2022

BFH zur Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei gewinnmindernder Ausbuchung einer unbesichert im Konzern begebenen Darlehensforderung

Leitsatz

  1. Die Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen ist anhand der Gesamtheit der objektiven Verhältnisse vorzunehmen. Einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs ist dabei nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beizumessen (Bestätigung des Senatsurteils vom 29.10.1997 – I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl II 1998 S. 573, unter II.2.).
  2. Die fehlende Darlehensbesicherung gehört zu den „Bedingungen“ i. S. des § 1 Abs. 1 AStG, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdunüblichkeit der Geschäftsbeziehung führen kann; Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-Belgien 1967) – Bestätigung der Senatsrechtsprechung.
  3. Ob ein unbesichertes Konzerndarlehen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls fremdvergleichskonform ist, hängt davon ab, ob auch ein fremder Dritter ‑ ggf. unter Berücksichtigung möglicher Risikokompensationen ‑ das Darlehen unter gleichen Bedingungen ausgereicht hätte (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
  4. Wäre ein unbesichertes Konzerndarlehen nur mit einem höheren als dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz fremdüblich, hat eine Einkünftekorrektur vorrangig in Höhe dieser Differenz zu erfolgen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
  5. Im Rahmen von Feststellungen zum Fremdvergleich ist die Ausreichung unbesicherter Darlehen durch fremde Dritte an die Konzernobergesellschaft nicht geeignet, die Würdigung des einer (Tochter-)Gesellschaft eingeräumten Darlehens am Maßstab einer fremdüblichen Kreditgewährung zu ersetzen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

Quelle: BFH, Urteil I R 15/21 vom 13.01.2022

BFH: § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG umfasst keine außerorganschaftlichen Mehrabführungen

Leitsatz

Das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG ist nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst (entgegen Rz. Org.33 des sog. Umwandlungssteuererlasses 2011, BMF-Schreiben vom 11.11.2011, BStBl I 2011 S. 1314).

Quelle: BFH, Urteil I R 51/19 vom 21.02.2022

BFH: Ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Steuerbescheids bei vermuteter Bevollmächtigung

Leitsatz

  1. Treten Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden auf, wird auch vor der Einfügung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl. I 2016 S. 1679) mit Wirkung vom 01.01.2017 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet.
  2. Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt.

Quelle: BFH, Urteil VIII R 19/19 vom 16.03.2022

BFH: Kein Betriebsausgabenabzug für bürgerliche Kleidung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 33/18 – entschieden, dass ein Betriebsausgabenabzug für bürgerliche Kleidung auch dann ausscheidet, wenn diese bei der Berufsausübung getragen wird.

Die Kläger waren als selbstständige Trauerredner tätig. Bei der Gewinnermittlung machten sie Aufwendungen u. a. für schwarze Anzüge, Blusen und Pullover als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt und das Finanzgericht (FG) lehnten die steuerliche Berücksichtigung dieser Aufwendungen ab.

Der BFH bestätigte, dass Aufwendungen für Kleidung als unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich nicht abziehbar sind. Sie sind nur dann als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, wenn es sich um Aufwendungen für typische Berufskleidung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG handelt. Schwarze Anzüge, Blusen und Pullover fallen nicht hierunter, da es sich um bürgerliche Kleidung handelt, die auch privat getragen werden kann. Für diese ist kein Betriebsausgabenabzug zu gewähren, selbst wenn die Kleidung ausschließlich bei der Berufsausübung benutzt oder das Tragen von schwarzer Kleidung von den Trauernden erwartet wird.

Aus anderen Gründen verwies der BFH die Sache an das FG zurück.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 25/22 vom 23.06.2022 zum Urteil VIII R 33/18 vom 16.03.2022

BFH: Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Mieten für Messestandflächen

Entgelte für Messestandflächen, die ein Unternehmen zu Ausstellungszwecken anmietet, unterliegen nur dann der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung, wenn die Messestandfläche bei unterstelltem Eigentum des ausstellenden Unternehmens zu dessen Anlagevermögen gehören würde. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 23.03.2022 – III R 14/21 – zu § 8 Nr. 1 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) entschieden. Nach dieser Vorschrift werden bei der Gewerbesteuer dem nach den Vorschriften des Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerrechts ermittelten Gewinn Miet- und Pachtzinsen, die zuvor gewinnmindernd berücksichtigt wurden, teilweise wieder hinzugerechnet, wenn die Wirtschaftsgüter dem Anlagevermögen des Betriebs des Steuerpflichtigen zuzurechnen sind.

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gegenstand die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Maschinen ist. Sie selbst hat keinen Direktvertrieb, sondern verkauft ihre Produkte durch ein stehendes Händlernetz. In den Streitjahren mietete die Klägerin wiederholt auf bestimmten turnusmäßig stattfindenden Messen Ausstellungsflächen und Räumlichkeiten an, um ihre Produkte dort zu präsentieren. Sie zog die Kosten hierfür von ihrem Gewinn ab, nahm jedoch keine Hinzurechnung eines Anteils dieser Ausgaben nach § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG vor.

Das Finanzamt war nach Durchführung einer Betriebsprüfung der Auffassung, dass der gewerbliche Gewinn um den gesetzlich vorgesehenen Teil der Mietzinsen erhöht werden müsse.

Das Finanzgericht (FG) entschied hingegen, dass eine Hinzurechnung nicht in Betracht komme. Der BFH bestätigte das Urteil. Die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung setze voraus, dass die gemieteten oder gepachteten Wirtschaftsgüter bei fiktiver Betrachtung Anlagevermögen des Steuerpflichtigen wären, wenn sie in seinem Eigentum stehen würden. Für die Zugehörigkeit zum Anlagevermögen kommt es darauf an, ob der Geschäftszweck des betreffenden Unternehmens und auch die speziellen betrieblichen Verhältnisse (z. B. Bedeutung der Messepräsenz innerhalb des von dem Unternehmen praktizierten Vertriebssystems) das dauerhafte Vorhandensein einer entsprechenden Messestandfläche erfordert. Auf dieser Grundlage ist das FG nach Ansicht des III. Senats des BFH ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Messestandflächen durch die vereinzelt kurzzeitige Anmietung unter Berücksichtigung des Geschäftsgegenstandes und der speziellen betrieblichen Verhältnisse nicht dem (fiktiven) Anlagevermögen zuzuordnen sind.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 27/22 vom 23.06.2022 zum Beschluss III R 14/21 vom 23.03.2022

BFH: Knock-out-Zertifikate sind keine Termingeschäfte

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 08.12.2021 – I R 24/19 – entschieden, dass der Verlust aus dem fallenden Kurs von Knock-out-Produkten in Form von Unlimited Turbo Bull-Zertifikaten steuerlich voll abziehbar ist und nicht dem Ausgleichs- und Abzugsverbot für Termingeschäfte unterfällt.

Nach § 15 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegen Verluste aus Termingeschäften grundsätzlich einem Ausgleichs- und Abzugsverbot, d. h. sie können nur sehr eingeschränkt mit Gewinnen aus eben solchen Geschäften verrechnet werden, sie mindern aber im Übrigen nicht die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer oder der Einkommensteuer. Aus Sicht des Gesetzgebers ist es gerechtfertigt, für besonders riskante Geschäfte derartige Beschränkungen vorzusehen.

Im Streitfall hatte die Klägerin, eine GmbH, von einer Bank ausgegebene Unlimited Turbo Bull-Zertifikate erworben. Als sog. Knock-out-Zertifikate zeichneten sie sich durch die Möglichkeit aus, mit relativ geringem Kapitaleinsatz überproportional an der Wertentwicklung des zugrunde liegenden Basiswerts zu partizipieren. Erreichte oder durchbrach der Basiswert jedoch eine bestimmte Kursschwelle, dann verfielen die Zertifikate nahezu wertlos. Bedingt durch ein Absinken des jeweiligen Indexstandes fiel der Wert der von der Klägerin erworbenen Zertifikate, wodurch diese einen erheblichen Verlust realisierte. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Zertifikatsverluste dem Ausgleichs- und Abzugsverbot unterliegen.

Der Bundesfinanzhof sah die Sache anders: Die Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG hänge entscheidend davon ab, ob ein Termingeschäft vorliege. Dieses sei vom sog. Kassageschäft abzugrenzen, bei dem der Leistungsaustausch sofort oder innerhalb einer kurzen Frist zu vollziehen sei. Bei Knock-out-Produkten in Form von Zertifikaten handelt es sich aber, so der BFH weiter, um gewöhnliche Schuldverschreibungen, die im Streitfall Zug um Zug gegen Bezahlung übertragen worden seien; an dem für ein Termingeschäft typischen Hinausschieben des Erfüllungszeitpunkts habe es gefehlt.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 26/22 vom 23.06.2022 zum Urteil I R 24/19 vom 08.12.2021

Staatliche Anerkennung einer genehmigten privaten Ersatzschule setzt in Baden-Württemberg nicht voraus, dass die Schule Religionsunterricht anbietet

Das Anbieten von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ist keine Voraussetzung, von der die staatliche Schulaufsicht die Verleihung der Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule abhängig machen darf. Das hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) mit einem jetzt zugestellten Urteil vom 9. Mai 2022 entschieden und der Berufung der privaten Schulträgerin (Klägerin) gegen das ihre Klage gegen das Land Baden-Württemberg (Beklagter) abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen stattgegeben (zum Gegenstand des Verfahrens siehe Pressemitteilung des VGH vom 27. April 2022 zur Geschäftstätigkeit 2021, unter 3.).

Zur Begründung seines Urteils führt der 9. Senat des VGH aus: Die Klage gegen die Auflage, das Fach Religionslehre (katholische und/oder evangelische Religion) entsprechend der für öffentliche Gymnasien geltenden Grundsätze auch in der gymnasialen Oberstufe zu unterrichten bzw. als Unterrichtsfach anzubieten, sei begründet. Die staatliche Anerkennung, durch die eine genehmigte private Ersatzschule das Recht erhalte, Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen, setze nicht voraus, dass dort Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach angeboten werde.

Gemäß § 10 Abs. 1 PSchG verleihe die obere Schulaufsichtsbehörde einer Ersatzschule, welche die Gewähr dafür biete, dass sie dauernd die aufgrund des Gesetzes an entsprechende öffentliche Schulen gestellten Anforderungen erfülle, die Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 PSchG würden die nach Absatz 1 gestellten Anforderungen von einer Ersatzschule erfüllt, wenn (u. a.)

a) dem Unterricht ein von der Schulaufsichtsbehörde genehmigter Lehrplan zugrunde liegt,

b) das Lehrziel der entsprechenden öffentlichen Schule erreicht wird,

c) …

d) die für die entsprechenden öffentlichen Schulen geltenden Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen angewendet werden,

e) …

f) …

Mit der enumerativen Aufzählung in § 10 Abs. 2 PSchG würden die in Absatz 1 normierten „aufgrund des Gesetzes an entsprechende öffentliche Schulen gestellten Anforderungen“ abschließend konkretisiert.

Damit sei es ausgeschlossen, das Erfordernis des Angebots von Religionsunterricht aus der allgemein formulierten Vorgabe in § 10 Abs. 1 PSchG in Verbindung mit anderen Vorschriften herzuleiten, die festlegten, dass der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen sei (vgl. § 96 Abs. 1 SchG; Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG sowie Art. 18 Satz 1 LV). Dieses Auslegungsergebnis folge bereits aus dem klaren Wortlaut der Bestimmung sowie der eindeutigen gesetzlichen Systematik. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes.

Das Gymnasium der Klägerin erfülle die in § 10 Abs. 2 PSchG normierten Anerkennungsvoraussetzungen auch ohne das Angebot von Religionsunterricht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats sei geklärt, dass eine private Ersatzschule, die keinen Religionsunterricht anbiete, nicht deshalb in ihren Lehrzielen hinter öffentlichen Schulen zurückstehe, so dass die Voraussetzung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 b) PSchG erfüllt sei. Deshalb dürfe der Beklagte die Verleihung der staatlichen Anerkennung auch nicht unter Verweis auf einen ohne das Angebot von Religionsunterricht nicht genehmigten Lehrplan (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 1 a) PSchG) versagen. Ein Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 d) PSchG folge auch nicht aus der Versetzungsrelevanz des Religionsunterrichts, die sich aus der geltenden Verordnungslage ergebe. Denn ungeachtet der umstrittenen Frage, ob die staatliche Anerkennung in materiell-rechtlicher Hinsicht überhaupt vom Angebot von Religionsunterricht abhängig gemacht werden dürfe, sei die Entscheidung darüber dem (Landes-)Gesetzgeber vorbehalten. Nach dem in Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verankerten Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen; er dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Ob die staatliche Anerkennung einer privaten Ersatzschule davon abhängig gemacht werden solle, dass sie Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anbiete, gehöre zu den wesentlichen Entscheidungen im (Privat-)Schulwesen. Diese Entscheidung bedürfe daher der – hinreichend bestimmten – Regelung durch Parlamentsgesetz. Hierfür spreche bereits, dass sowohl die Bundes- wie die Landesverfassung dem Religionsunterricht, der in vielfältiger Weise grundrechtliche Positionen etwa von Schülern, Eltern, Lehrern und Religionsgemeinschaften betreffe und in einem (besonderen) Spannungsverhältnis zu staatlichen Schulaufsicht stehe, eine Sonderstellung einräume. Außerdem stelle die normative Auferlegung der Pflicht, Religionsunterricht anzubieten, einen besonders intensiven Eingriff in die Privatschulfreiheit des Privatschulträgers aus Art. 7 Abs. 4 GG dar.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az. 9 S 994/21).

Quelle: VGH Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 24.06.2022 zum Urteil 9 S 994/21 vom 09.05.2022

Urlaubsanspruch bei Wechselschichttätigkeit

Nach Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sind bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Freischichten nicht zu berücksichtigen, wenn diese bei Fälligkeit des Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahres nicht dienstplanmäßig feststehen.

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land im Gefangenenbewachungsdienst in Wechselschicht beschäftigt. Das beklagte Land stellt die Dienstpläne für das jeweils folgende Kalenderjahr vor Beginn des Jahres auf und sieht bei der Dienstplanung einen durchgehenden Turnus im gesamten Kalenderjahr ohne Einplanung von Freischichten, Urlaubstagen und Zusatzurlaubstagen vor. Die Dienstpläne haben einen von der 5-Tage-Woche abweichenden Schicht-Rhythmus. Aufgrund der Abweichung ist die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Absatz 1 Satz 4 TV-L gesondert zu berechnen. Dies erfolgt nach der Formel:

Urlaubstage x Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung

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Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche

Streit besteht zwischen den Parteien darüber, wie die in der Formel einzusetzenden Arbeitstage zu ermitteln sind. Das beklagte Land hat bei der Ermittlung der Arbeitstage der Klägerin die durchschnittlich zum Zwecke der Einhaltung der tariflichen Jahresarbeitszeit in der Wechselschicht zu gewährenden Freischichten von den dienstplanmäßig vorgesehenen Schichten in Abzug gebracht. Die Freischichten seien in Abzug zu bringen, weil während dieser Schichten keine Arbeitspflicht bestehe. Die Klägerin hält den Abzug der Freischichten von den dienstplanmäßigen Arbeitstagen für unzulässig und hat auf die Feststellung weiterer Urlaubstage geklagt.

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Bei einer von der 5 Tage-Woche abweichenden Verteilung der Arbeitszeit sei zu ermitteln, an wie vielen Kalendertagen dienstplanmäßig gearbeitet werden muss oder – in Fällen des nachträglichen Wegfalls der Arbeitspflicht, etwa wegen Arbeitsunfähigkeit, Urlaubs oder sonstiger Freistellung – hätte gearbeitet werden müssen. Bei einem zu Beginn des Kalenderjahres durchgängig für das gesamte Jahr aufgestellten Dienstplan ohne Einplanung von Freischichten seien Arbeitstage alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten für einen Arbeitseinsatz in der Tag- oder Nachtschicht vorgesehen seien. § 26 Absatz 1 Satz 3 TV-L regele ausdrücklich, dass Arbeitstage solche Kalendertage seien, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig zur Arbeit vorgesehen seien. Nachträgliche Änderungen des Dienstplans hätten keinen Einfluss auf den Jahresurlaubsanspruch, der am 01.01. des Kalenderjahres fällig sei und genommen werden könne. Es könne nicht erst am Jahresende rückblickend geprüft und festgestellt werden, wie viele Freischichten an ursprünglich geplanten Arbeitstagen tatsächlich gewährt worden seien – im Falle der Klägerin deutlich weniger als die durchschnittlich zu gewährenden Freischichten.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 24.06.2022 zum Urteil 23 Sa 1135/21 vom 04.05.2022