Kindergeld für ein volljähriges verheiratetes Kind nach Wegfall des Grenzbetrags

Die Beteiligten stritten um die Gewährung von Kindergeld für ein volljähriges verheiratetes Kind. Die Klägerin hatte im Jahr 2012 für ihren im Oktober 1987 geborenen Sohn, der seit November 2012 eine Berufsausbildung absolviert, Kindergeld beantragt. Nachdem die Klägerin die Einkommensverhältnisse ihres Sohnes und seiner Ehefrau offen gelegt hatte, lehnte die Familienkasse die Kindergeldgewährung unter Hinweis auf den Unterhaltsanspruch des Sohnes der Klägerin gegenüber seiner Ehefrau ab.

Das FG Düsseldorf hat der Klage stattgegeben und darauf hingewiesen, dass für ein in Berufsausbildung befindliches Kind Kindergeld bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt werde, wobei der Endzeitpunkt – wie im Streitfall – um die Dauer des geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes hinausgeschoben werde. Weitere Voraussetzungen enthalte das Gesetz für Streitzeiträume ab dem 1. Januar 2012 nicht mehr. Die Regelung bezüglich der Einkünfte und Bezüge des Kindes sei durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 weggefallen.

Vor diesem Hintergrund sei die Höhe der Ausbildungsvergütung des Sohnes der Klägerin ebenso wenig von Bedeutung wie dessen Unterhaltsanspruch gegen seine Ehefrau. Gleiches gelte für die Einkünfte der Ehefrau des Sohnes. Ob ein sog. Mangelfall vorliegt, müsse nicht geprüft werden.

Das Finanzgericht Düsseldorf ist damit den Entscheidungen der Finanzgerichte Köln, München, Münster und Sachsen gefolgt, die sich ebenfalls gegen die bundesweit geltende Verwaltungsanweisung für die Familienkassen gestellt hatten. Es hat auch hier die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

 

Finanzgericht Düsseldorf, 10 K 1940/13 Kg

Datum:
27.03.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1940/13 Kg
Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 27. März 2013 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe für ihren Sohn für die Monate November 2012 bis Mai 2013 zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:2Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges verheiratetes Kind.

3Die Klägerin ist die Mutter des am ……… 1987 geborenen Sohns. Der Sohn selbst ist seit dem ………… 2006 verheiratet und seinerseits Vater eines Kindes.

4Unter dem 25. November 2012 beantragte die Klägerin die Gewährung von Kindergeld für ihren Sohn. Dem Antrag fügte sie eine Wehrdienstzeitbescheinigung für …….. bei. Danach hatte dieser in der Zeit vom 01. Januar 2010 bis 30. November 2011 Wehrdienst geleistet, „zuletzt als Freiwilliger Wehrdienstleistender“.

5Seit dem 1. November 2012 befindet sich der Sohn, der unstreitig bislang über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, ausweislich des vorgelegten Berufsausbildungsvertrages in Ausbildung zum ……………….

6Nachdem die Klägerin die Einkommensverhältnisse des Sohnes und seiner Ehefrau offen gelegt hatte, lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Bescheid vom 27. März 2013 den Antrag der Klägerin auf Kindergeld ab.

7Zur Begründung führte sie aus, dass Kind sei verheiratet. Ab dem Folgemonat der Heirat bestehe kein Anspruch mehr auf Kindergeld, weil ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Eltern des Kindes, sondern dessen Ehegatte zum Unterhalt verpflichtet seien. Nachdem die Prüfung ergeben habe, dass sich das Kind unter Berücksichtigung des Unterhaltsbeitrages des Ehegatten selbst unterhalten könne, komme ein Kindergeldanspruch nicht in Betracht.

8Dagegen legte die Klägerin unter Berufung auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30. November 2012 (Az.: 4 K 1569/12 Kg) mit Schreiben vom 10. April 2013 Einspruch ein.

9Sie führte aus, dass es sich bei ihrem Sohn ebenfalls um die berufliche Erstausbildung handele und aufgrund der Gesetzesänderung 2012 nicht zu prüfen sei, ob ein Mangelfall vorliege, da weder die Einkünfte ihres Sohnes noch seiner Ehefrau zu berücksichtigen seien.

10Mit Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

11Mit der am 10. Juni 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholung ihres Vortrages weiter.

12Die Klägerin beantragt,

13die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2013 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 zu verpflichten, ihr für ihren Sohn ab November 2012 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewäh-ren.

14Die Beklagte beantragt,

15die Klage abzuweisen.

16Zur Begründung nimmt sie auf die Einspruchsentscheidung Bezug.

17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

18Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 31. Juli 2013 und 8. August 2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

19Entscheidungsgründe:

20Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung –FGO-).

21Die Klage ist begründet.

22Die Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat für den hier streitigen Zeitraum November 2012 bis Mai 2013 Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn.

23Dabei legt das Gericht den Antrag der Klägerin dahingehend aus, dass sie die Gewährung von Kindergeld für die Monate November 2012 bis Mai 2013 begehrt. Denn der „zeitliche Regelungsumfang“ eines einen Kindergeldanspruch betreffenden Ablehnungsbescheides beschränkt sich auch für den Fall eines zunächst außergerichtlichen und dann gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens auf das Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, ohne dass eine nachfolgende Klageerhebung hieran etwas ändert (vgl. Bundesfinanzhof –BFH‑ Urteil vom 7. März 2013 V R 61/10, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes ‑BFH/NV‑ 2013, 1025).

24Nach §§ 62, 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Einkommensteuergesetz –EStG‑ wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt. Über diese Altersgrenze hinaus wird ein Kind gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird dann um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum hinausgeschoben.

25Danach besteht vorliegend der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Kindergeld jedenfalls für die hier streitigen Monate November 2012 bis Mai 2013.

26Der Sohn der Klägerin, der im Oktober 2012 sein 25. Lebensjahr vollendet hatte, befand sich in diesen sieben Monaten unstreitig in einer erstmaligen Berufsausbildung zum …………… . Der Sohn hatte zudem in der Zeit von Januar 2010 bis November 2011 insgesamt 23 Monate Wehrdienst geleistet, wovon neun Monate Grundwehrdienst waren (vgl. § 5 Abs. 1 Buchst. a Wehrpflichtgesetz –WPflG‑ i.d.F. vom 16. September 2008), da das WPflG zum Zeitpunkt des Diensteintritts des Kindes am 1. Januar 2010 einen neunmonatigen Grundwehrdienst vorsah. Einen Anspruch auf Verkürzung des Grundwehrdienstes aufgrund des Wehrrechtsänderungsgesetzes –WehrRÄnderG‑ 2010 (Bundesgesetzblatt –BGBl‑ I 2010, 1052), mit welchem ab dem 1. Dezember 2010 der sechsmonatige Grundwehrdienst eingeführt wurde, hatte der Sohn der Klägerin gemäß § 53 Abs. 1 WehrRÄnderG nicht, da er zum 31. Dezember 2010 bereits den längeren, neunmonatigen Grundwehrdienst abgeleistet hatte.

27Weitere Voraussetzungen enthält das Gesetz für Streitzeiträume ab dem 1. Januar 2012 nicht.

28Die Höhe der Ausbildungsvergütung des Sohnes ist für den Kindergeldanspruch ab Januar 2012 nicht mehr maßgeblich, da die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 gültigen Fassung enthaltene Regelung bezüglich der Einkünfte und Bezüge des Kindes zum 1. Januar 2012 entfallen ist (Art. 1 Nr. 17 Buchst. a, Art. 18 Abs. 1 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011, BGBl I 2011, 2131 ff).

29Ebenso ist der Unterhaltsanspruch des Sohnes gegen seine Ehefrau nach §§ 1608 Satz 1, 1360, 1360a Bürgerliches Gesetzbuch –BGB‑, der bis zum 31. Dezember 2011 bei den maßgeblichen Einkünften und Bezügen zu berücksichtigen war (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2011 III R 8/08, Bundessteuerblatt –BStBl‑ II 2012, 340), in Streitzeiträumen ab Januar 2012 nicht mehr von Bedeutung.

30Die Einkünfte der Ehefrau des Sohnes sind für den Kindergeldanspruch der Klägerin ebenfalls nicht von Relevanz. Ob ein sog. „Mangelfall“ vorliegt, ist unerheblich, weil der Umstand, dass der Sohn verheiratet ist, dem Kindergelanspruch nicht entgegensteht. Das Gesetz sieht für verheiratete Kinder keine Einschränkungen vor.

31Nach der älteren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 32 EStG, in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung setzte der Anspruch auf Kindergeld zwar eine „typische Unterhaltssituation“ voraus. Nach diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal war ein Kindergeldanspruch nicht gegeben, wenn ein Kind verheiratet war und aufgrund der hinreichenden Einkünfte des Ehepartners kein sog. Mangelfall vorlag (BFH-Urteil vom 19. April 2007 III R 65/06, BStBl II 2008, 756) oder das Kind einer Vollzeitbeschäftigung nachging (BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 78/04, BFH/NV 2006, 2248).

32Das Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der „typischen Unterhaltssituation“ hat der Bundesfinanzhof nachfolgend für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung jedoch ausdrücklich mit der Begründung aufgegeben, dass eine typische Unterhaltssituation kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigungstatbestände sei (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982). Die Frage, ob ein Kind typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen seiner Eltern angewiesen ist, sei nach der gesetzlichen Regelung erst im Rahmen der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.) zu prüfen.

33Da seit dem 1. Januar 2012 die Einkünfte und Bezüge des Kindes jedoch nicht mehr zu berücksichtigen sind und bereits unter diesem Gesichtspunkt eine typische Unterhaltssituation nicht erforderlich ist, können auch den Bedarf des Kindes deckende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Ehegatten einem Kindergeldanspruch nicht entgegenstehen. Mangels gesetzlicher Regelung kann das Fehlen einer typischen Unterhaltssituation einen nach dem Gesetz bestehenden Unterhaltsanspruch nicht ausschließen.

34Der Senat folgt damit der Ansicht der Finanzgerichte Köln, München, Münster und Sachsen (vgl. FG Köln, Urteil vom 16. Juli 2013, 9 K 935/13, juris; Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 13. Juni 2013 2 K 458/13 Kg, juris; FG München, Urteil vom 20. Februar 2013 9 K 3405/12, juris; FG Münster, Urteile vom 2. Juli 2013, 11 K 4300/12 Kg, juris und vom 30. November 2012, 4 K 1569/12 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑EFG‑ 2013, 298 mit zustimmender Anm. Siegers, EFG 2013, 299; a.A. Bering/ Friedenberger, Neue Wirtschaftsbriefe –NWB‑ 20/2013, S. 1564).

35Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 FGO.

36Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung –ZPO-.

37Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Kindergeldberechtigung für verheiratete Kinder nach Wegfall des Grenzbetrages zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Zudem widerspricht die Entscheidung der bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung (DA 31.2.2 FamEStG, Stand: 2013).