6,5 Prozent Inflationsrate für ärmere Alleinlebende, 5,5 Prozent bei sehr Wohlhabenden

Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli leicht auf 6,2 Prozent gesunken. Die Teuerungsrate fiel für alle Haushaltstypen niedriger aus als im Juni. Alleinlebende mit niedrigen Einkommen sind aber mit einer Inflationsrate von 6,5 Prozent im Juli weiterhin etwas überdurchschnittlich von der Preissteigerung belastet, während Singles mit sehr hohen Einkommen mit 5,5 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt liegen. Wie schon seit Anfang 2022 verzeichnen sie die niedrigste haushaltsspezifische Belastung. Die Differenz betrug damit im Juli 1,0 Prozentpunkte, nachdem es im Juni 1,3 Prozentpunkte waren. Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Forschenden erwarten in den kommenden Monaten einen weiteren Rückgang der Inflation und empfehlen trotz der bisher nur zögerlich sinkenden Kernrate, mit weiteren Leitzinserhöhungen abzuwarten. Denn ein dadurch ausgelöster noch stärkerer konjunktureller Einbruch und steigende Arbeitslosigkeit würden ebenfalls Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders hart treffen.

Die IMK-Inflationsexpertin Dr. Silke Tober und IMK-Direktor Prof. Dr. Sebastian Dullien analysieren mit dem Monitor seit Anfang 2022 jeden Monat die Trends der Inflation und berechnen spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Personenzahl und Einkommen unterscheiden.

Ärmere Haushalte sind stärker durch die Inflation belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese Güter des Grundbedarfs sind nach wie vor die stärksten Preistreiber. Im Vergleich der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber nachgelassen, während Posten wie Pauschalreisen, Gaststättenbesuche oder Versicherungen die allgemeine Inflation etwas stärker beeinflussen. Solche Ausgaben fallen in den Warenkörben von Haushalten mit mittleren und höheren Einkommen stärker ins Gewicht. Deshalb sind die einkommensspezifischen Differenzen seit Monaten rückläufig und deutlich niedriger als auf dem Höhepunkt im Oktober 2022, als es 3,1 Prozentpunkte waren.

Erstmals seit Beginn der Untersuchung lagen im Juli auch Familien mit niedrigen Einkommen bei der Inflation geringfügig unter dem Durchschnitt aller Haushalte – mit 6,1 Prozent. Dagegen hatten zwischen Februar 2022 und Februar 2023 diese Familien durchgehend die höchste Inflationsbelastung tragen müssen, in den ersten beiden Monaten 2023 zusammen mit einkommensarmen Alleinlebenden. Dass die ärmeren Familien nun nicht mehr hervorstechen, beruht auf rückläufigen Kraftstoffpreisen. Diese schlagen sich rechnerisch im Ausgabenportfolio von Familien spürbar nieder. Arme Alleinstehende besitzen hingegen selten ein Auto, weshalb ihre Inflationsrate davon weniger beeinflusst wird.

Die Teuerungsraten der übrigen untersuchten Haushaltstypen lagen im Juli ebenfalls etwas unterhalb der allgemeinen Inflationsrate, wobei der Abstand zum Durchschnitt meist mit dem Einkommen steigt. So betrug die Inflation für Alleinerziehende, für Alleinlebende und für kinderlose Paare mit jeweils mittleren Einkommen je 6,0 Prozent. Bei Alleinlebenden mit höheren Einkommen schlug die Inflation mit 5,9 Prozent zu Buche, bei Familien mit mittleren und mit hohen Einkommen waren es jeweils 5,8 Prozent.

Trotz des nachlassenden Drucks bei den Preisen für Haushaltsenergie und Lebensmitteln spielen diese Kostenfaktoren für Haushalte mit niedrigeren Einkommen weiterhin eine besonders große Rolle, wie der Detailvergleich zeigt. Bei ärmeren Alleinlebenden trugen sie im Juli 3,8 Prozentpunkte zur haushaltsspezifischen Inflationsrate von 6,5 Prozent bei. Bei Familien mit zwei Kindern und niedrigeren Einkommen summierten sie sich auf 3,5 Prozentpunkte, bei Familien mit mittleren Einkommen immerhin noch auf 2,7 Prozentpunkte. Bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen trugen Nahrungsmittel und Haushaltsenergie hingegen lediglich 1,5 Prozentpunkte zur Inflationsrate von insgesamt 5,5 Prozent bei. Das Problem wird vor allem für Haushalte mit niedrigen Einkommen dadurch verschärft, dass die Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, kaum zu ersetzen sind und viele nur geringe finanzielle Rücklagen haben.

Für die kommenden Monate erwarten Tober und Dullien einen stärkeren Rückgang der Inflationsrate, vor allem ab September, wenn Sondereffekte durch den Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket wegfallen, die zwischen Juni und August 2022 die Preise dämpften. Die Fachleute des IMK rechnen auch mit einer spürbar sinkenden Kerninflation, also bei der Teuerung ohne die besonders schwankungsanfälligen Positionen Lebensmittel und Energie. Denn der Preisdruck lasse bei vielen Produkten und Dienstleistungen nach, weil die deutlich gesunkenen Energie- und Rohstoffpreise mit einigem Zeitverzug über die Produktionsketten hinweg auch bei den Endkund*innen ankommen werden. Zudem werden stärkere Lohnsteigerungen nach Analyse des IMK kompensiert durch die Auflösung von Lieferengpässen und einen Abbau der aktuell noch zu beobachtenden Übergewinne von Unternehmen.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der wirtschaftlichen Schwäche im Euroraum und insbesondere in Deutschland sollte die Europäische Zentralbank die Wirkung der bisherigen Leitzinserhöhungen abwarten und vorerst eine Zinspause einlegen, schreiben die Forschenden. Das sei auch im Interesse von ärmeren Haushalten – trotz der sozialen Spreizung bei der Inflation. Denn eine weitere Dämpfung der Konjunktur durch hohe Zinsen könnte zu spürbar mehr Arbeitslosigkeit führen. „Einkommensschwache Haushalte von Arbeitnehmenden sind auch jene, die von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit am stärksten getroffen werden“, analysieren Tober und Dullien. „Sofern ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Eindämmung der Inflation nicht erforderlich ist, sollte er daher vermieden werden.“

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 10.08.2023