Wer seine Steuererklärung verspätet abgibt, riskiert einen Verspätungszuschlag – so viel ist bekannt. Doch wann darf das Finanzamt diesen tatsächlich festsetzen? Ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Münster bringt mehr Klarheit: In Erstattungsfällen ist eine differenzierte Ermessensprüfung zwingend erforderlich. Das bloße Abstellen auf die Verspätung reicht nicht aus.
Der Fall: Steuererstattung trotz Fristversäumnis – trotzdem Zuschlag?
Der Kläger hatte seine Einkommensteuererklärung 2020 erst am 29.03.2023 abgegeben – die Frist endete am 31.08.2022. Das Finanzamt verhängte daraufhin einen Verspätungszuschlag von 175 Euro mit Verweis auf das fehlende Verschulden und die erhebliche Verspätung.
Doch: Die Veranlagung führte zu einer Steuererstattung – nicht zu einer Nachzahlung. Zudem machte der Kläger geltend, dass seine steuerliche Beraterin durch Arbeitsüberlastung an der fristgerechten Abgabe gehindert gewesen sei.
Die Entscheidung: Keine umfassende Ermessensprüfung = rechtswidrig
Das FG Münster hob den Zuschlagsbescheid vollständig auf. Die Begründung:
🔍 Das Finanzamt hatte sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, wie es § 152 AO fordert.
Insbesondere wurde nicht geprüft,
- ob die Verspätung entschuldbar war,
- ob durch die verspätete Abgabe Verzögerungen im Veranlagungsverfahren entstanden,
- ob die wirtschaftlichen Auswirkungen – in diesem Fall eine Erstattung – für oder gegen den Zuschlag sprechen,
- ob Verhältnismäßigkeit gewahrt blieb.
Der bloße Verweis auf die Dauer der Verspätung reichte nicht aus. In Erstattungsfällen sei – so das Gericht – eine besonders sorgfältige Ermessensausübung nötig, da der Gesetzgeber in § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO bewusst zwischen Nachzahlung und Erstattung unterscheidet.
Konsequenz: Verspätungszuschläge sind kein Automatismus
Das Urteil betont einen zentralen Punkt:
Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist eine Ermessensentscheidung – keine automatische Sanktion.
Die Finanzbehörde muss sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, vor allem auch:
- Wiederholung oder Einzelfall?
- Eigenes Verschulden oder fremde Gründe?
- Steuererstattung oder Nachzahlung?
- Auswirkungen auf das Verfahren?
Praxistipp für Mandanten
💡 Betroffene Steuerpflichtige – insbesondere in Erstattungsfällen – sollten einen Verspätungszuschlag nicht einfach hinnehmen. Prüfen Sie genau, ob das Finanzamt sein Ermessen korrekt ausgeübt hat.
➡️ Im Zweifel kann sich ein Einspruch mit Verweis auf das FG Münster (4 K 2351/23) lohnen.
Die Revision ist zwar zugelassen worden – ob sie vom Finanzamt eingelegt wurde, ist bislang jedoch offen.
💬 Fazit: Klare Grenzen für Zuschläge – auch nach neuer Rechtslage
Auch unter der verschärften Fassung des § 152 AO bleibt es dabei: Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist nicht beliebig, sondern muss auf ermessensgerechter Abwägung beruhen. Wer eine Erstattung erhält, darf nicht mit derselben Strenge behandelt werden wie jemand, der Nachzahlungen lange hinauszögert.
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