BFH: Elektronisch übermittelte Daten berechtigen stets zur Änderung von Steuerbescheiden

📆 BFH, Urteil vom 27.11.2024 – X R 25/22
📢 Pressemitteilung Nr. 44/25 vom 10.07.2025


Worum geht es?

Ein Steuerbescheid ist eigentlich eine verbindliche Entscheidung – und kann nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden. Doch was gilt, wenn das Finanzamt nachträglich Daten auf elektronischem Weg erhält, etwa von der Rentenversicherung oder der Krankenkasse?

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun klargestellt: Jede elektronische Datenübermittlung kann eine Änderung des Steuerbescheids rechtfertigen – auch rückwirkend und selbst dann, wenn der Fehler ursprünglich beim Finanzamt lag.


Was wurde entschieden?

Im Streitfall hatten die Kläger ihre Rentenbezüge korrekt in der Steuererklärung angegeben. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte diese aber nicht im Bescheid – obwohl der Sachverhalt bereits bekannt war.

Erst später gingen die entsprechenden elektronischen Daten vom Rentenversicherungsträger beim FA ein. Daraufhin änderte das FA den Steuerbescheid zu Ungunsten der Steuerpflichtigen und erfasste die Rente nachträglich.

Der BFH hat diese nachträgliche Änderung nun für rechtmäßig erklärt – mit weitreichender Begründung:


Wichtige Klarstellungen des BFH

🔹 § 175b AO gilt ohne weitere Voraussetzungen
Die Norm erlaubt eine Änderung von Steuerbescheiden, sobald elektronisch übermittelte Daten eingehen, die im ursprünglichen Bescheid nicht oder nicht korrekt berücksichtigt wurden – unabhängig von Verschulden oder Vorwissen des Finanzamts.

🔹 Kein Vertrauensschutz durch Fehler des FA
Selbst wenn das FA einen offensichtlichen Bearbeitungsfehler gemacht hat, dürfen neue elektronische Daten zur nachträglichen Änderung verwendet werden.

🔹 Änderung auch zugunsten des Steuerpflichtigen möglich
Die Regelung gilt symmetrisch: Auch Steuerpflichtige können sich auf § 175b AO berufen, wenn etwa zu viel versteuert wurde und eine spätere Datenübermittlung dies korrigiert.


Was bedeutet das für Ihre Praxis?

Die Entscheidung betrifft insbesondere:

Rentner, bei denen Rentenbezüge automatisch übermittelt werden
Arbeitnehmer, bei denen Lohn- oder Krankenversicherungsdaten elektronisch fließen
Berater, die sich mit fehlerhaften Bescheiden oder automatisierten Änderungen konfrontiert sehen

Wichtig: Steuerbescheide sind im digitalen Zeitalter länger „offen“, als es auf den ersten Blick scheint – da jederzeit neue elektronische Datenflüsse (z. B. nach verspäteter Datenmeldung) zu Änderungen führen können.

Hier ist eine übersichtliche Tabelle zur Anwendbarkeit von § 175b AO, geordnet nach Datenquelle und Änderungsmöglichkeit:


Anwendbar – § 175b AO erlaubt Änderung auch nach Bestandskraft:

DatenquelleTypische übermittelte DatenÄnderung nach § 175b AO möglich?
RentenversicherungRentenbezugsmitteilungen✅ Ja
ArbeitgeberElektronische Lohnsteuerbescheinigung✅ Ja
KrankenkassenBeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung✅ Ja
Agentur für ArbeitArbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld✅ Ja
FamilienkasseKindergeldzahlungen✅ Ja
Banken / KreditinstituteKapitalerträge, Kirchensteuerabzug✅ Ja
VersicherungsunternehmenRiester-/Rürup-Beiträge, Lebensversicherungen✅ Ja
Versorgungswerke (bei Selbstständigen)Altersvorsorgebeiträge✅ Ja

Nicht anwendbar – § 175b AO greift nicht:

Datenquelle / ÜbermittlungTypische Daten / ErklärungenÄnderung nach § 175b AO möglich?
Steuerpflichtiger selbst (z. B. über Mein ELSTER)Steuererklärung, Anlagen❌ Nein
Steuerberater (z. B. per ELSTER oder DATEV)Einkommensteuererklärung, E-Bilanz, Einnahmen-Überschuss-Rechnung❌ Nein
Nachgereichte Papierunterlagen (Belege etc.)Spendenquittungen, Werbungskostenbelege❌ Nein
Eigenständig übersandte Daten per E-MailZ. B. Lohnnachweise außerhalb amtlicher Schnittstellen❌ Nein
Telefonisch oder formlos mitgeteilte ÄnderungenÄnderungen von Adressdaten, Kontonummern etc.❌ Nein

🧭 Praxistipp:

Wenn Sie eine Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids erreichen möchten, prüfen Sie:

  1. Wurde ein relevanter Datensatz elektronisch von einer amtlich anerkannten Stelle übermittelt?
  2. Wurde dieser Datensatz im ursprünglichen Bescheid nicht oder falsch berücksichtigt?

➡️ Dann liegt ein Fall des § 175b AO vor – und Sie können auch ohne Einspruch oder Vorbehalt der Nachprüfung eine Änderung beantragen.
▶️ Steuerbescheide sorgfältig prüfen – auch bei scheinbar vollständigen Angaben in der Erklärung
▶️ Bei späteren Änderungen durch das Finanzamt immer Grundlage prüfen: Erfolgte die Änderung auf Basis elektronisch übermittelter Daten, ist sie rechtlich zulässig (§ 175b AO)
▶️ Auch zugunsten von Mandanten anwendbar – etwa bei nachträglich übermittelten Beiträgen zur Krankenversicherung, Elterngeld, Renten oder Korrekturen von Arbeitgeberdaten


Fazit

Mit dem digitalen Datenaustausch in der Steuerverwaltung gehen auch neue Änderungsbefugnisse einher. Der BFH hat dies nun deutlich bestätigt: § 175b AO erlaubt eine umfassende Änderung von Steuerbescheiden, sobald eine elektronische Datenübermittlung erfolgt – unabhängig davon, wer den ursprünglichen Fehler gemacht hat.


📌 Quelle: Bundesfinanzhof, Pressemitteilung Nr. 44/25 vom 10.07.2025


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