I. Vorbemerkung: Warum die Gewerbesteuer (wieder) Berater-Topthema ist
Gewerbliche Einkünfte unterliegen neben ESt/KSt (zzgl. SolZ) auch der Gewerbesteuer. Als Objektsteuer dient sie den Gemeinden zur Finanzierung der lokalen Infrastruktur. Charakteristisch sind u. a. der fehlende Verlustrücktrag und umfangreiche Hinzurechnungen. Innerhalb einer Gemeinde gilt ein einheitlicher Hebesatz – unabhängig von der Rechtsform.
Aktuelle Entwicklungen verschieben die Steuerlast: Während künftige Absenkungen des Körperschaftsteuersatzes diskutiert bzw. beschlossen sind, fehlt es vielerorts an einer Deckelung der Gewerbesteuerhebesätze. Für natürliche Personen bleibt die Anrechnung nach § 35 EStG auf das Vierfache des Messbetrags begrenzt; bei Körperschaften gibt es keine Anrechnung. In Summe kann das – je nach kommunaler Hebesatzpolitik – zu einer höheren Gesamtbelastung führen. Umso wichtiger ist die korrekte zeitliche Einordnung der sachlichen Gewerbesteuerpflicht, denn nur so lassen sich Anlaufverluste gewerbesteuerlich nutzbar machen (§ 10a GewStG).
II. Kernaussagen des BFH vom 20.02.2025 (IV R 23/22)
Streitfrage: Wann beginnt die sachliche GewSt-Pflicht, wenn eine Personengesellschaft ein Objekt errichtet – mit Blick auf eine Veräußerung oder einen späteren Eigenbetrieb?
Leitsätze in der Praxisformulierung:
- Maßgeblich ist die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der Personengesellschaft. Absichten der Gesellschafter bleiben außer Betracht; Ebenen von Gesellschaft und Gesellschaftern dürfen nicht vermengt werden.
- Beginn der GewSt-Pflicht = Beginn der werbenden Tätigkeit, nicht bloße Vorbereitungshandlungen.
- Unterscheidung nach Geschäftsmodell:
- Handel/Verkauf (Asset-Deal-Logik): frühestens mit Abschluss des ersten wirksamen Kaufvertrags bzw. mit Beginn der Herstellung von zur Veräußerung bestimmten Gütern.
- Dienstleistung/Betrieb (z. B. Hotelbetrieb): erst mit tatsächlicher Aufnahme der Dienstleistung (Eröffnung/Betriebsstart).
- § 7 S. 2 GewStG (Gleichstellung Share-/Asset-Deal) ist kein Anknüpfungspunkt für den Beginn der sachlichen GewSt-Pflicht; die Norm setzt die GewSt-Pflicht vielmehr voraus.
- Verfahrensrecht: Seit der Neufassung des § 35b Abs. 2 GewStG kann sogar ein Messbetrag „0 €“ beschweren, weil die Besteuerungsgrundlagen für die Verlustfeststellung „fortwirken“.
Konsequenz im Fall: Baut eine Ein-Objekt-Personengesellschaft ein Hotel, das sie selbst betreiben will, beginnt die GewSt-Pflicht erst mit Aufnahme des Hotelbetriebs – nicht schon während der Bauphase. Plant sie hingegen Veräußerung, kann die GewSt-Pflicht bereits mit der auf Verkauf gerichteten Marktteilnahme einsetzen (z. B. mit Abschluss des ersten Kaufvertrags bzw. Beginn der Herstellung zur Veräußerung).
III. Beginn der GewSt-Pflicht – Systematik für die Beratung
1) Einzelunternehmen & Personengesellschaften (originär gewerblich)
- Vorbereitungshandlungen (Mieten, Planung, Bau, Marketingvorlauf) sind gewerbesteuerlich unbeachtlich.
- Werbende Tätigkeit liegt vor, wenn Leistungen am Markt angeboten/erbracht werden.
- Handelsmodell: Beginn mit erstem wirksamen Kaufvertrag bzw. Herstellung zur Veräußerung.
- Dienstleistungsmodell: Beginn mit tatsächlicher Leistungserbringung (Betriebsstart/Eröffnung).
2) Gewerblich geprägte, vermögensverwaltende Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG)
- Maßgeblich ist die Aufnahme der vermögensverwaltenden Tätigkeit (z. B. Vermietungsbeginn).
- Soll später eine originär gewerbliche Tätigkeit erfolgen, beginnt die GewSt-Pflicht erst mit dieser originären Tätigkeit – nicht schon mit der üblichen vermögensverwaltenden Vorphase.
3) Kapitalgesellschaften (Gewerbebetrieb kraft Rechtsform)
- Beginn regelmäßig mit Handelsregistereintragung (bzw. Registerspezifika), unabhängig von Art/Umfang der Tätigkeit.
- Achtung Vorgesellschaft: Eine nach außen auftretende Tätigkeit der Vorgesellschaft kann die GewSt-Pflicht vorziehen (einheitlicher Steuergegenstand).
IV. Anlaufverluste und § 10a GewStG – Chancen & Stolpersteine
- Ziel: Anlauf-/Vorbereitungsverluste gewerbesteuerlich vortragsfähig machen.
- Knackpunkt: Verluste vor Beginn der sachlichen GewSt-Pflicht sind nicht als Fehlbeträge i. S. v. § 10a GewStG nutzbar.
- Praxisfolge: Präzise Dokumentation des Tätigkeitsbeginns, der Marktteilnahme und der Verträge (Zeitpunkte!) ist essenziell.
- Rechtsformwahl:
- Kapitalgesellschaft kann bei hohen Anlaufkosten vorteilhaft sein (früher Beginn der GewSt-Pflicht).
- Aber: Aufgabe-/Veräußerungsgewinne sind bei Kapitalgesellschaften immer gewerbesteuerpflichtig.
- Umwandlungen: § 18 Abs. 3 UmwStG (5-Jahres-Klausel) beachten; § 35 EStG-Anrechnung ist dann ausgeschlossen – Steuerlast kann empfindlich steigen.
V. Checkliste: Beginn der sachlichen GewSt-Pflicht sauber belegen
- Geschäftsmodell klar definieren: Verkauf vs. Betrieb/Dienstleistung.
- Gesellschaftsvertrag ≠ Realität: Der tatsächliche Business Case und die gelebte Tätigkeit sind entscheidend.
- Zeitpunkte festhalten:
- Erstes wirksames Rechtsgeschäft (Kauf-/Bau-, Generalübernehmer-, Veräußerungsvertrag).
- Eröffnungs-/Inbetriebnahmedatum (Dienstleistungen).
- Registereintragung (Kapitalgesellschaft/Vorgesellschaft).
- Marktteilnahme nachweisen: Angebote, Exposés, Vorverkäufe, Auftragseingänge, Abnahmen.
- Abgrenzung Vorbereitung vs. Werben: Bau/Innenausbau/Schulung = Vorbereitung; Eröffnung/Verkauf/erstes entgeltliches Geschäft = werbend.
- Verfahrensrecht mitdenken: § 35b Abs. 2 GewStG – Messbetrag „0 €“ kann beschweren (Auswirkungen auf Verlustfeststellung).
- Dokumentation für § 10a GewStG: Lückenlos, datensicher, revisionsfest.
VI. Beispiele aus der Praxis
A. Ein-Objekt-Hotel (Eigenbetrieb geplant)
– 2009–2010 Bau & Ausstattung → nur Vorbereitung.
– 2011 Eröffnung → Beginn GewSt-Pflicht 2011.
– Anlaufverluste 2009/2010 nicht § 10a-fähig.
B. Ein-Objekt-Projekt (Verkauf geplant)
– Beginn Herstellung zur Veräußerung bzw. erster Kaufvertrag → Beginn GewSt-Pflicht bereits in der Verkaufs-/Herstellungsphase.
– Anlaufverluste (nach Beginn) sind vortragsfähig.
C. GmbH mit hohen Vorlaufkosten
– HR-Eintragung im April → Beginn GewSt-Pflicht April.
– Bereits zuvor „nach außen“ tätig? → mögliches Vorziehen des Beginns.
– Spätere Aufgabe/Veräußerung: immer gewerbesteuerpflichtig.
VII. Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden
- Fehler 1: Absichten der Gesellschafter als Anknüpfungspunkt nehmen.
Richtig: Es zählt ausschließlich die Tätigkeit der Gesellschaft. - Fehler 2: Bau-/Planungskosten als gewerbesteuerliche Fehlbeträge behandeln.
Richtig: Nur nach Beginn der sachlichen GewSt-Pflicht zählen Verluste für § 10a. - Fehler 3: § 7 S. 2 GewStG als Startpunkt lesen.
Richtig: Die Norm setzt GewSt-Pflicht voraus – sie begründet sie nicht. - Fehler 4: Registereintragung (KapG) übersehen oder Vorgesellschaft unterschätzen.
Richtig: Eintragung bzw. Auftreten nach außen exakt datieren und belegen.
VIII. Fazit
Der BFH schärft die Linie: Beginn der sachlichen GewSt-Pflicht folgt der realen Marktteilnahme des Betriebsmodells.
- Verkauf/Handel: frühestens mit erstem wirksamen Vertrag bzw. Herstellung zur Veräußerung.
- Dienstleistung/Betrieb: mit tatsächlicher Aufnahme der Leistung.
- Kapitalgesellschaften: regelmäßig ab Eintragung (ggf. früher bei Außenauftritt).
Für die Beratungspraxis heißt das: Zeitpunkte, Verträge und Marktauftritt minutiös dokumentieren, um Anlaufverluste gewerbesteuerlich nutzbar zu machen – und Fehlvorträge nicht schon am falschen „Startsignal“ scheitern zu lassen.
Hinweis: Der Beitrag spiegelt die Linie des BFH-Urteils vom 20.02.2025 (IV R 23/22) sowie die einschlägige Rechtsprechung zum Beginn der GewSt-Pflicht, Ein-Objekt-Gesellschaften, gewerblichem Grundstückshandel und § 35b Abs. 2 GewStG wider. Für Einzelfälle empfehlen wir eine projektspezifische Prüfung (Gesellschaftsvertrag, Verträge, Ablauf- und Bauzeitenplan, Kommunikation mit Erwerbern/Betreibern).