Dividenden und Gewerbesteuer: Warum die deutsche Regelung unionsrechtswidrig sein könnte
Die Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) verfolgt das Ziel, eine Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen innerhalb der EU auf Ebene der Muttergesellschaft zu vermeiden. In Deutschland wurde sie körperschaftsteuerlich durch § 8b KStG umgesetzt: Schachteldividenden sind bei einer Mindestbeteiligung von 10 % grundsätzlich zu 95 % steuerfrei.
Doch wie steht es um die gewerbesteuerliche Behandlung von Dividenden? Hier gelten strengere Regeln: Das sogenannte gewerbesteuerliche Schachtelprivileg nach § 9 Nr. 7 GewStG setzt eine Mindestbeteiligung von 15 % voraus und knüpft zusätzlich an ein Stichtagsprinzip an. Ob dies mit der MTR vereinbar ist, war lange umstritten.
Das EuGH-Urteil „Banca Mediolanum“ (1.8.2025)
Mit Urteil vom 1. August 2025 (C-92/24 bis C-94/24) hat der EuGH in den italienischen Rechtssachen „Banca Mediolanum I bis III“ eine wegweisende Klarstellung getroffen:
- Auch Steuern neben der Körperschaftsteuer können in den Anwendungsbereich der MTR fallen.
- Konkret: Die teilweise Einbeziehung von Dividenden in die Bemessungsgrundlage der italienischen Regionalsteuer IRAP war nach Ansicht des EuGH nicht mit der MTR vereinbar.
- Entscheidender Punkt: Für den EuGH war es unerheblich, dass die IRAP keine Körperschaftsteuer ist. Maßgeblich ist allein, dass Dividenden Teil der Bemessungsgrundlage sind.
Damit ist klar: Auch die deutsche Gewerbesteuer fällt in den sachlichen Schutzbereich der MTR.
Folgen für das deutsche Schachtelprivileg (§ 9 Nr. 7 GewStG)
Die aktuelle Ausgestaltung der gewerbesteuerlichen Behandlung von Dividenden wirft gleich mehrere Probleme im Hinblick auf die MTR auf:
- Mindestbeteiligung von 15 %
- Die MTR verlangt lediglich 10 %.
- Die deutsche Vorschrift geht also über die unionsrechtlichen Vorgaben hinaus.
- Strenges Stichtagsprinzip
- Nach deutschem Recht muss die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums bestehen.
- Die MTR enthält ein solches Erfordernis nicht.
- Pauschalierter Betriebsausgabenabzug von 5 %
- Sowohl körperschaftsteuerlich (§ 8b Abs. 5 KStG) als auch gewerbesteuerlich wird ein Anteil von 5 % der Dividenden als nicht abziehbare Betriebsausgaben erfasst.
- Fraglich ist, ob diese doppelte Hinzurechnung mit der MTR vereinbar ist.
Mögliche Konsequenzen und Ausstrahlwirkung
- Für EU-Dividenden an eine deutsche Muttergesellschaft spricht vieles dafür, dass die gegenwärtige deutsche Regelung unionsrechtswidrig ist.
- Auch Inlandsdividenden könnten betroffen sein: Zwar gilt die MTR hier nicht unmittelbar, doch eine Ungleichbehandlung von EU- und Inlandsfällen könnte gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstoßen.
Fazit
Das EuGH-Urteil hat erhebliche Sprengkraft für die deutsche Gewerbesteuer. Unternehmen, die Dividenden aus EU-Beteiligungen erhalten, sollten prüfen, ob sich gegen eine gewerbesteuerliche Belastung Einspruch einlegen und auf das anhängige europarechtliche Verfahren berufen lässt.
👉 Praxis-Tipp: Unternehmen mit Beteiligungen innerhalb der EU sollten ihre laufenden Steuerbescheide offenhalten und die weitere Entwicklung in Rechtsprechung und Gesetzgebung im Blick behalten.
Praxis-Hinweis: Was Sie jetzt tun sollten
✔️ Steuerbescheide offenhalten:
Legen Sie Einspruch gegen Gewerbesteuerbescheide ein, soweit Dividenden aus EU-Beteiligungen betroffen sind. Verweisen Sie dabei auf das EuGH-Urteil vom 1.8.2025 („Banca Mediolanum“).
✔️ Aussetzungsantrag stellen:
Beantragen Sie ggf. das Ruhen des Verfahrens bis zur endgültigen Klärung durch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit.
✔️ Dokumentation sichern:
Halten Sie Beteiligungsquoten, Erwerbszeitpunkte und Dividendenzahlungen sorgfältig fest, um die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie nachweisen zu können.
✔️ Inlandsdividenden prüfen:
Auch bei reinen Inlandsfällen könnte eine Ungleichbehandlung im Lichte des Gleichheitssatzes relevant werden.
✔️ Beratung einholen:
Lassen Sie sich zu möglichen Rückforderungen und Gestaltungsspielräumen beraten – insbesondere zur 5%-Hinzurechnung und zum gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg.