Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen bringt kaum Entlastung

Neue WSI-Studie: Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen gehen weitgehend leer aus

Hans-Böckler-Stiftung, Mitteilung vom 17.10.2025


Hintergrund

Nach den Plänen der schwarz-roten Koalition sollen künftig Überstundenzuschläge unter bestimmten Bedingungen steuerfrei gestellt werden. Ziel der Regelung ist es, Mehrarbeit steuerlich zu begünstigen und so Anreize für zusätzliche Arbeitsstunden zu schaffen.

Eine aktuelle Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt nun jedoch: Der Effekt der Steuerbefreiung ist äußerst gering – sowohl was die Zahl der Begünstigten als auch die finanzielle Entlastung betrifft.


Nur 1,4 % der Beschäftigten profitieren

Laut der auf Daten des Statistischen Bundesamtes basierenden Studie könnten nur etwa 1,4 % aller Beschäftigten von der geplanten Steuerbefreiung profitieren.
Im Durchschnitt ergibt sich damit eine monatliche Steuerersparnis von lediglich 0,87 Euro, die mittlere Entlastung liegt sogar nur bei 0,31 Euro pro Monat.

Besonders deutlich zeigt sich die ungleiche Verteilung:

  • Vollzeitbeschäftigte: profitieren mit 2,4 % am häufigsten,
  • Teilzeitkräfte: nur 0,2 %,
  • geringfügig Beschäftigte: gehen vollständig leer aus.

Frauen besonders benachteiligt

Frauen sind laut Studie überproportional von der Regelung ausgeschlossen, da sie häufiger in Teilzeit arbeiten.
Nur 0,5 % der Frauen könnten vom Steuerbonus profitieren – bei Männern sind es 2,2 %.

Auch die Entlastungshöhe unterscheidet sich deutlich:

  • Männer: Ø 1,46 € steuerfrei pro Monat,
  • Frauen: Ø 0,23 € steuerfrei pro Monat.

Studienautor Dr. Malte Lübker sieht darin einen klaren Hinweis auf eine mittelbare Benachteiligung von Frauen: Das Vollzeiterfordernis führe faktisch zu einer systematischen Ungleichbehandlung.


Ungleichheit in der Einkommensverteilung

Rund 95 % des Entlastungsvolumens kämen laut Studie Beschäftigten aus der oberen Hälfte der Einkommensverteilung zugute.
Für Arbeitnehmer:innen mit einem Bruttomonatsverdienst unter 3.041 € liegt die durchschnittliche Steuerersparnis bei gerade einmal 3 Cent pro Monat, während das oberste Zehntel der Einkommen durchschnittlich 1,18 € mehr im Monat hätte.

WSI-Direktorin Prof. Dr. Bettina Kohlrausch kritisiert die soziale Schieflage des Vorhabens deutlich:

„Statt eine breite Entlastung zu bewirken, würde von dem Steuerprivileg in erster Linie eine kleine Gruppe profitieren, die ohnehin überdurchschnittlich verdient. Das trägt weiter zur Ungleichheit in der Gesellschaft bei.“


Kritik von Expert:innen und Wissenschaftlichem Beirat

Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hatte die geplante Steuerbefreiung bereits kritisiert. Neben der geringen Entlastung warnten die Expert:innen vor zusätzlicher steuerlicher Komplexität und Bürokratiekosten für Arbeitgeber und Finanzverwaltung.

Die neue WSI-Studie zeigt zudem: Der tatsächliche Steuerbonus pro Überstunde dürfte mit durchschnittlich 1,35 Euro noch deutlich geringer ausfallen als bislang angenommen. Für Beschäftigte mit niedrigen Einkommen liegt die Entlastung sogar nur bei 0,39 Euro pro steuerbegünstigter Überstunde.


Handlungsbedarf liegt woanders

Statt Steuerprivilegien für eine kleine Beschäftigtengruppe zu schaffen, sieht das WSI dringenden Reformbedarf bei der Arbeitszeiterfassung:
Mehr als die Hälfte aller geleisteten Überstunden wird derzeit weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen. Nach Berechnungen des Instituts haben sich inzwischen rund 500 Millionen Überstunden auf Arbeitszeitkonten angesammelt – im Gegenwert von rund 9,5 Milliarden Euro.

„Ob ein Überstundenzuschlag steuerfrei bleibt oder nicht, ist für viele Beschäftigte zweitrangig“, so Lübker. „Wichtiger ist, dass Überstunden überhaupt erfasst, vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen werden.“


Quelle

Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 17.10.2025
WSI Policy Brief Nr. 93, Oktober 2025: „Steuerliche Freistellung von Überstundenzuschlägen – Geringe Entlastung und problematische Verteilungswirkungen“