Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 9. Juli 2025 (XI R 29/23) entschieden, dass Verlage in den Jahren 2009 bis 2012 den erstmaligen Zugang zum E-Paper umsatzsteuerlich mit 0 Euro bewerten durften, wenn Print-Abonnenten das digitale Angebot ohne Mehrkosten zusätzlich nutzen konnten.
Die Entscheidung betrifft zwar einen zurückliegenden Zeitraum, hat aber Signalwirkung für Geschäftsmodelle, in denen Leistungen scheinbar „kostenlos“ angeboten werden – etwa gegen Daten oder freiwillige Zahlungen.
✅ Kernaussage des Urteils
- Print-Zeitung und E-Paper sind zwei selbständige Hauptleistungen.
- Nicht untrennbar miteinander verbunden
- Beide haben eigenen Zweck
- E-Paper dient nicht nur als „bessere Papierzeitung“
- Trotzdem: In den Streitjahren durfte der E-Paper-Zugang mit 0 Euro bewertet werden, da:
- der Preis des Print-Abos unverändert blieb
- nur ca. 15 % der Abonnenten den digitalen Zugang nutzten
- nach Einführung eines Aufpreises (0,99 €) 95 % der Nutzer absprangen
- der Verlag somit keinen wirtschaftlichen Mehrwert aus der digitalen Zusatzleistung zog
➡️ Folge: Es lag aus damaliger Sicht kein gesondert entgeltlicher Leistungsteil vor – daher keine Umsatzsteuer auf einen hypothetischen Entgeltanteil.
🔎 Hintergrund des Falls
- Zwei Zeitungen wurden zunächst ausschließlich als Print-Abo angeboten
- Ab 2010 zusätzlich ein reines E-Abo (13,99 € pro Monat)
- Print-Abonnenten konnten sich ohne Zuzahlung online registrieren
- Erst 2012 wurden Zuschläge für Print-Kunden eingeführt, woraufhin die Nachfrage fast vollständig einbrach
Finanzamt und Finanzgericht wollten rückwirkend den digitalen Anteil schätzen (1,99 € pro Monat, Regelsteuersatz 19 %).
➡️ Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt.
💡 Warum durfte der Wert „0 Euro“ angesetzt werden?
Der BFH stellt klar:
- Ein Leistungsbündel ist grundsätzlich aufzuteilen
- „0 Euro“ ist nur ausnahmsweise zulässig
- Im Zeitraum 2009–2012 hatte das E-Paper:
- kaum wirtschaftlichen Wert
- geringen Nutzungsgrad
- keine Auswirkung auf den Abo-Preis
- geringe Produktions- und Bereitstellungskosten
Der BFH folgt damit der Rechtsprechung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs zu einer vergleichbaren Sachlage.
✅ Heute anders: E-Paper ebenfalls ermäßigt besteuert
Seit § 12 Abs. 2 Nr. 14 UStG gilt auch für digitale Presseprodukte der ermäßigte Steuersatz.
→ Dadurch ist die steuerliche Problematik bei Zeitungen praktisch entfallen.
🚩 Aber: Urteil relevant für andere Geschäftsmodelle
Besonders spannend ist der Hinweis des BFH am Ende:
- Viele Geschäftsmodelle bieten „kostenlose“ Leistungen gegen:
- Nutzerdaten
- freiwillige Zahlungen
- Werbeeinwilligungen
- Der BFH sagt ausdrücklich:
✅ Dieses Urteil legt NICHT fest, dass solche Modelle steuerfrei sind.
❗ Die Bewertung bleibt künftigen Entscheidungen vorbehalten.
Für digitale Plattformen, Apps oder Medienunternehmen ist das ein deutliches Warnsignal:
„kostenlos“ könnte steuerlich trotzdem ein entgeltlicher Leistungsaustausch sein.
📌 Fazit
| Punkt | BFH-Ergebnis |
|---|---|
| Print-Abo + E-Paper | zwei eigenständige Hauptleistungen |
| Aufteilung des Gesamtentgelts? | grundsätzlich ja |
| Streitjahre 2009–2012 | 0-Euro-Bewertung zulässig |
| Heute | keine Relevanz, da E-Paper ermäßigt besteuert wird |
| Bedeutung für andere Geschäftsmodelle | hoch – weitere Urteile zu erwarten |
Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 75/25 vom 06.11.2025 zum Urteil XI R 29/23 vom 09.07.2025