Abschaffung der kalten Progression würde nur 3,8 Mrd. Euro pro Jahr kosten

Die heimliche Steuererhöhung durch die kalte Progression wird bei unveränderter Gesetzeslage in den Jahren 2015 und 2016 zu staatlichen Mehreinnahmen von jeweils 3,8 Milliarden Euro führen. Das haben aktuelle Berechnungen des RWI ergeben. Zur Kasse gebeten werden die Bürger: Ihre Steuerlast steigt auch ohne offizielle Steuererhöhungen stetig an. Eine Abschaffung der kalten Progression würde alle Steuerzahler um durchschnittlich 98 Euro pro Jahr entlasten. Dafür müssten die Tarifgrenzen fest an die Entwicklung der Verbraucherpreise gekoppelt werden. Geringverdiener wären relativ zu ihrem Einkommen die größten Profiteure. Aufgrund der günstigen Wirtschaftslage sowie der anhaltend geringen Inflation ist daher jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Reform.

Jedes Jahr profitiert der Staat durch zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe: Über den progressiven Einkommensteuertarif müssen Steuerzahler bei inflationsausgleichenden Lohnzuwächsen mehr zahlen, obwohl ihre Einkommen real nicht gestiegen sind. Wird der Steuertarif nicht oder nur unzureichend an diese so genannte kalte Progression angepasst, ergeben sich über die Jahre hinweg immense schleichende Mehrbelastungen. Mit dem Jahr 2007 als Bezugspunkt, seit welchem sich die Tarifstruktur der Einkommensteuer nicht mehr verändert hat, summieren sich die Steuermehrbelastungen der Bürger im Jahr 2014 auf 7,6 Mrd. Euro.

Nach aktuellen Berechnungen des RWI würde die Abschaffung der kalten Progression durch Kopplung der Steuertarifgrenzen an die Entwicklung der Verbraucherpreise den Fiskus in den Jahren 2015 und 2016 jeweils nur knapp 3,8 Mrd. Euro kosten. Unter der Annahme, dass in den betrachteten Jahren der Grundfreibetrag ohnehin an das jeweilige Existenzminimum angepasst werden müsste, entgingen dem Staat sogar nur 2,2 Mrd. Euro jährlich. Aufgrund der derzeit hohen Steuereinnahmen wäre eine Abschaffung der kalten Progression daher auch ohne umfangreiche Gegenfinanzierung auf der Einnahmenseite vertretbar.

Besondere Entlastung für mittlere und niedrige Einkommensgruppen
Auch angesichts der Reformbemühungen der vergangenen Jahre, vor allem mittlere Einkommensgruppen zu entlasten, wäre die endgültige Abschaffung der kalten Progression der richtige Schritt. RWI-Analysen der Verteilungseffekte einer derartigen Reform zeigen, dass relativ zu ihrem Einkommen vor allem Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen und damit der Großteil der Bevölkerung profitieren würde.

Für steuerlich einzeln Veranlagte mit einem jährlichen Bruttoeinkommen zwischen 10.000 und 20.000 Euro würde sich die Steuerlast um 11,9 %, für gemeinsam Veranlagte mit einem Einkommen zwischen 20.000 und 30.000 Euro sogar um 14 % reduzieren. Danach nehmen die relativen Entlastungseffekte kontinuierlich ab, bis die Entlastung bei den gemeinsam Veranlagten ab einem Bruttojahreseinkommen von über 120.000 Euro bzw. bei den übrigen Veranlagungsarten bereits ab einem Einkommen von 80.000 Euro weniger als 1 % gegenüber der derzeitigen Steuerlast beträgt.

Absolut betrachtet würde eine Abschaffung der kalten Progression zwar Bezieher hoher Einkommen stärker entlasten als Geringverdiener. Allerdings unterliegen die höheren Einkommen im progressiven Steuertarif auch einer höheren Steuerlast, so dass die absoluten Werte die Verteilung der Entlastungseffekte nur unvollständig abbilden. Im Durchschnitt könnte jeder Steuerzahler gegenüber dem aktuell gültigen Tarif rund 98 Euro pro Jahr sparen. In Relation zu der Steuerzahlung im Status quo wäre das eine Entlastung um durchschnittlich knapp 4 %.

Jährliche Steuererhöhung durch die Hintertür
Dem progressiven Verlauf des deutschen Einkommensteuertarifs liegt das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zugrunde, nach dem höhere Einkommen stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden sollen. Doch erhöht sich die Leistungsfähigkeit nur dann, wenn das nominale Einkommen stärker steigt als das Preisniveau. Gleicht hingegen eine Einkommenserhöhung lediglich die Inflation aus, verbessert sich die Leistungsfähigkeit nicht, es kommt aber dennoch zu einer stärkeren Besteuerung des Einkommens. In der Folge steigt die durchschnittliche Steuerbelastung, ohne dass der Steuersatz erhöht worden wäre – die kalte Progression.

Datengrundlage für die Schätzungen mit dem ESt-Mikrosimulationsmodell des RWI ist die „Faktisch Anonymisierte Lohn- und Einkommensteuerstatistik“ (FAST) aus dem Veranlagungsjahr 2007. Die Einkommen wurden nach Maßgabe der gesamtwirtschaftlichen Einkommensentwicklung und mithilfe der aktuellen Prognosen der Gemeinschaftsdiagnose (GD) fortgeschrieben.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des RWI Essen.

Quelle: RWI Essen, Pressemitteilung vom 30.07.2014