Anspruch auf Kindergeld setzt nicht voraus, dass sich der Kindergeldberechtigte in einer „typischen Unterhaltssituation“ befindet

In seinem Urteil vom 25. Juli 2013 (Aktenzeichen: 1 K 16/13) hatte der 1. Senat des Finanzgerichts darüber zu befinden, ob der ab März 2012 geltend gemachte Kindergeldanspruch für die Tochter des Klägers deshalb ausgeschlossen war, weil der Tochter gegen den Vater ihres eigenen Kindes ein Unterhaltsanspruch zustand. Diese Sichtweise hatte die Familienkasse unter Berufung auf die früher hierzu ergangene BFH-Rechtsprechung sowie auf ihre auf dieser Grundlage ergangene Dienstanweisung vertreten.

Der 1. Senat ist dem nicht gefolgt, er hat das begehrte Kindergeld zugesprochen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld lägen vor. Hierfür sei es nicht erforderlich, dass sich der Kindergeldberechtigte in einer „typischen Unterhaltssituation“ befinde. Soweit der BFH eine solche früher für erforderlich gehalten habe, habe er seine Sichtweise mittlerweile geändert. Ob ein Kind wegen eigener Einkünfte und/oder Bezüge typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen und deshalb nicht als Kind zu berücksichtigen sei, sei nicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG zu ermitteln, sondern sei – bis 2011 – erst auf einer zweiten Stufe bei der Prüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag überschritten hätten.

Nach der seit 2012 geltenden gesetzlichen Regelung komme es gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für die Festsetzung des Kindergeldes aber auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht mehr an. Damit habe der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass Kindergeld bei Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes auch dann zu gewähren sei, wenn dem Kind unabhängig vom Elternhaushalt ausreichende Mittel – z. B. in Gestalt von Unterhaltsansprüchen gem. § 1615 l BGB oder Ausbildungsvergütungen – zur Bestreitung seines Unterhaltes zur Verfügung stünden.

Zahlreiche Finanzgerichte teilen diese Sichtweise (vgl. z. B. FG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013, 10 K 1940/13 Kg, EFG 2013, 1863; FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10. September 2013, 4 K 951/12; FG Münster, Urteil vom 20. September 2013, 4 K 4146/12 Kg; FG Düsseldorf, Urteil vom 29. Oktober 2013, 10 K 3113/13 Kg; Niedersächsisches FG, Urteil vom 3. Dezember 2013, 13 K 194/13).

Der Senat hat die Revision zugelassen, das Revisionsverfahren wird beim BFH unter dem Aktenzeichen VI R 60/13 geführt. Außerdem sind weitere Revisionsverfahren zu der geschilderten Problemlage anhängig.

Quelle: FG Schleswig-Holstein