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Steuerberater

Mindestlohngesetz – DStV setzt sich für praxisgerechtere Ausgestaltung ein

Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) bringt sich aktiv in die laufende Diskussion der Bundesregierung um mögliche Korrekturen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) ein und hat dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hierzu im Rahmen einer Eingabe einige Aspekte vorgestellt, die aus Sicht der steuerberatenden und prüfenden Berufe gesetzliche Klarstellungen erforderlich machen.

Nach Ansicht des DStV bedürfen beispielsweise die Regelungen zu den besonderen Aufzeichnungspflichten zur täglichen Arbeitszeit nach § 17 MiLoG einer Korrektur. Um hier den bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen zu reduzieren, sollte zumindest die derzeitige Entgeltgrenze von 2.958 Euro, bis zu der diese Dokumentationspflicht gilt, deutlich abgesenkt werden. Für sog. Minijobber sollten die Aufzeichnungspflichten darüber hinaus komplett entfallen, wenn ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, aus dem sich der vereinbarte Stundenlohn und die Arbeitszeit eindeutig ergeben. Außerdem fordert der DStV bezüglich der Regelungen zur Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung, dass damit die Haftung des Generalunternehmers in den Fällen klassischer Subunternehmerketten gemeint ist.

Die vollständige Eingabe des DStV ist auf der DStV-Homepage abrufbar.

www.dstv.de

Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e.V., Pressemitteilung vom 16.02.2015

 

Vorläufige Steuerfestsetzung – Aussetzung der Vollziehung – Verfassungsmäßigkeit von Aufwendungen für Berufsausbildung oder Studium

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird die Anlage zum BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011 (BStBl I S. 464), die zuletzt durch BMF-Schreiben vom 11. Dezember 2014 (BStBl I S. 1571) neu gefasst worden ist, mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:

„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen:

1. Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b EStG)

2.a) Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG) – für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2014 –

2.b) Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 EStG)
– für Veranlagungszeiträume ab 2015 –

3.a) Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) – für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 –

3.b) Beschränkte Abziehbarkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG – für Veranlagungszeiträume ab 2010 –

4. Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005

5. Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005

6. Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG

7. Höhe des Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG)

8. Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG)

9. Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 1 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten folgenden Bescheiden beizufügen: Sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2008, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfassen, sämtlichen Körperschaftsteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2008 sowie sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften, soweit diese Bescheide Feststellungszeiträume ab 2008 betreffen und für die Gesellschaft oder Gemeinschaft ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt wurde.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 2 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2004 beizufügen. Ferner ist er im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Ablehnungen einer Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) beizufügen, wenn der Ablehnungsbescheid einen Feststellungszeitpunkt nach dem 31. Dezember 2003 betrifft und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben beantragt wurde.

Für eine Aussetzung der Vollziehung in den Fällen der Nr. 2 gilt Folgendes:

  • Ein mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochtener Einkommensteuerbescheid für einen Veranlagungszeitraum ab 2004 ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, soweit die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben strittig ist und bei einer Berücksichtigung dieser Aufwendungen die Einkommensteuer herabzusetzen wäre. Die Vollziehungsaussetzungsbeschränkung gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 AO und § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO gilt nicht (AEAO zu § 361, Nr. 4.6.1, vierter Abs.).

    Ein Einkommensteuerbescheid, der die Steuer auf 0 Euro festsetzt, ist kein vollziehbarer Verwaltungsakt (AEAO zu § 361, Nr. 2.3.2, erster Beispielsfall) und kann auch nicht im Hinblick auf die Bindungswirkung der Besteuerungsgrundlagen für eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in der Vollziehung ausgesetzt werden, da § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG zwar § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO, nicht aber § 361 Abs. 3 Satz 1 AO und § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO für entsprechend anwendbar erklärt.

  • Die Ablehnung der Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, wenn sie einen Feststellungszeitpunkt nach dem 31. Dezember 2003 betrifft, die Ablehnung der Feststellung mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochten wurde und der Steuerpflichtige die Feststellung zur Berücksichtigung von Aufwendungen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben beantragt hatte. Weitere Voraussetzung für eine Aussetzung der Vollziehung ist, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollziehungsaussetzungsantrag erkennbar ist, dass sich eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in den Folgejahren steuerlich auswirken würde. Solange dies nicht der Fall ist, sind Anträge auf Aussetzung der Vollziehung wegen eines fehlenden Rechtsschutzinteresses abzulehnen. Zur Tenorierung einer Bewilligung der Aussetzung der Vollziehung gelten die Ausführungen im dritten Satz der Nr. 5.3 des AEAO zu § 361 entsprechend.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 3 Buchst. b ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2010 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 4 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen. In die Bescheide ist zusätzlich folgender Erläuterungstext aufzunehmen: „Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten stützt sich auch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO und umfasst deshalb auch die Frage einer eventuellen einfachgesetzlich begründeten steuerlichen Berücksichtigung.“

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 5 erfasst sämtliche Leibrentenarten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 6 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 7 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 8 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfassen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 9 ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen.

Außerdem sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2010 hinsichtlich der Anrechnung der gesamten steuerfreien Zuschüsse zu einer Kranken- oder Pflegeversicherung auf Beiträge zu einer privaten Basiskrankenversicherung oder Pflege-Pflichtversicherung (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz EStG) gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO vorläufig vorzunehmen, falls steuerfreie Zuschüsse zur Kranken- oder Pflegeversicherung gewährt worden sind.

Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorzunehmen.

Zur vorläufigen Festsetzung der Einkommensteuer hinsichtlich der Berechnung des Höchstbetrags für die Anrechnung ausländischer Steuer auf die deutsche Einkommensteuer nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG in Fällen eines Anrechnungsüberhangs wird auf das BMF-Schreiben vom 30. September 2013 (BStBl I S. 1612) verwiesen.“

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0338 / 07 / 10010-04 vom 20.01.2015

 

Kein Billigkeitserlass wegen Folgen der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 19.02.2015 entschieden, dass einer sog. Projektgesellschaft kein Billigkeitserlass der Gewerbesteuer wegen des endgültigen Wegfalls des Verlustvortrags nach § 10a GewStG zu gewähren ist.

Die Klägerin wurde 1997 als Leasing-Objektgesellschaft zur Finanzierung eines einzigen Projekts (Erwerb und Vermietung einr Müllverbrennungsanlage) gegründet. Nach abschreibungsbedingten Verlusten in den Anfangsjahren fiel erst im Jahr 2008, dem letzten Jahr ihrer Geschäftstätigkeit, aufgrund des planmäßigen Ausscheidens des stillen Gesellschafters ein hoher Gewinn von ca. 140 Mio. Euro an (sog. Exitgewinn). Zwar standen diesem Gewinn festgestellte Gewerbeverluste in Höhe von ca. 110 Mio. Euro gegenüber. Diese konnten aufgrund der sogenannten Mindestbesteuerung gemäß § 10a GewStG – einer Regelung, die erst im Jahr 2004, also während der Laufzeit der o. g. Verträge eingeführt worden ist – aber nur teilweise zur Verrechnung zugelassen werden. Hiervon ausgehend setzte die beklagte Gemeinde die Gewerbesteuer für 2008 auf ca. 4,7 Mio. Euro fest. Ohne die Mindestbesteuerung hätte die Gewerbesteuer nur ca. 2,5 Mio. Euro betragen.

In der Folge beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Erlass des Differenzbetrages von ca. 2,2 Mio. Euro wegen des Vorliegens eines Härtefalls. Der Antrag blieb ohne Erfolg. Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München die Beklagte verpflichtet, den begehrten Erlass nach § 163 Abgabenordnung zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine zum Erlass verpflichtende unbillige Härte liege immer dann vor, wenn die Mindestbesteuerung – wie hier – zu einer endgültigen Belastung führe (sog. Definitivverlust), zu der der Steuerpflichtige nicht durch eigenes Verhalten beigetragen habe.

Der dagegen gerichteten Sprungrevision der beklagten Gemeinde gab das Bundesverwaltungsgericht jetzt statt und wies die Klage ab. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen nur dann unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Dies ist hier nicht der Fall, denn dem Gesetzgeber war bei Einführung der Mindestbesteuerung – nicht zuletzt aufgrund von Sachverständigenanhörungen – das Problem etwaiger Definitivverluste durchaus bekannt. Er hat diese aber bewusst in Kauf genommen und auf Ausnahmeregelungen verzichtet. Die Gewährung eines Billigkeitserlasses käme bei dieser Sachlage einer strukturellen Gesetzeskorrektur gleich, die aber nicht Sinn einer Härtefallregelung im Einzelfall ist.

Ob die Mindestbesteuerung in ihrer gegenwärtigen Form verfassungsgemäß ist, ließ das Bundesverwaltungsgericht offen. Denn diese Frage ist nicht in dem vorliegenden Rechtsstreit, sondern in einem finanzgerichtlichen Verfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid zu klären.

Quelle: BVerwG, Pressemitteilung vom 19.02.2015 zum Urteil BVerwG 9 C 10.14 vom 19.02.2015

 

Umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Leistungen von Umgangspflegern (§ 1684 BGB)

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 27. Januar 2015 – IV D 2 – S-7240 / 14 / 10001 (2015/0065212), BStBl I S. …., geändert worden ist, in Abschnitt 4.25.2 nach Absatz 7 folgender neuer Absatz 7a eingefügt:

„(7a) 1Als eine Form der Ergänzungspflegschaft fallen auch die Leistungen, die von einer Einrichtung erbracht werden, die als Umgangspfleger nach § 1684 Abs. 3 BGB bestellt worden ist, unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchstabe c UStG. 2Für die Umgangspflegschaft, die als ein Sonderfall der Pflegschaft den Umgang zwischen Eltern(-teil) und Kind regelt, sind ebenfalls die Regelungen über die Pflegschaft (§ 1909 ff. BGB) entsprechend anzuwenden (vgl. § 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB).“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7183 / 14 / 10002 vom 19.02.2015

 

Auslegungsfragen zu § 18 InvStG (Personen-Investitionsgesellschaften)

Nach Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder nehme ich zu Einzelfragen im Zusammenhang mit § 18 InvStG wie folgt Stellung:

1. Anwendungsbereich des § 18 InvStG
Aus der Gesetzesbegründung zum AIFM-Steueranpassungsgesetz (BR Drs. 740/13, 29 – 31) ergibt sich, dass der damalige steuerrechtliche Status quo, nach dem geschlossene Fonds in der Rechtsform einer Personengesellschaft den allgemeinen für Personengesellschaften und deren Beteiligten geltenden Besteuerungsregelungen unterliegen, fortgeführt werden sollte. Da in Ausnahmefällen auch andere inländische Personengesellschaftstypen als eine Investmentkommanditgesellschaft vorkommen können, ist § 18 InvStG nach dessen Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift auf alle Investitionsgesellschaften in der Rechtsform einer Personengesellschaft (z. B. GmbH & Co. KG) und vergleichbarer ausländi-scher Rechtsformen anzuwenden ist.

2. Rechtlicher Vertreter einer Investmentkommanditgesellschaft bei der Wahrnehmung von steuerlichen Pflichten
Mangels einer spezialgesetzlichen Regelung in § 1 Absatz 2a Satz 3 InvStG hat nach § 34 Absatz 1 Satz 1 AO der Geschäftsführer die steuerlichen Pflichten einer Investmentkommanditgesellschaft zu erfüllen. Sofern im Gesellschaftsvertrag keine anderweitigen Abreden getroffen wurden, steht nach § 164 HGB die Geschäftsführung bei einer Kommanditgesell-schaft dem Komplementär zu. Aus den Vorschriften des Kapitalanlagegesetzbuchs, insbeson-dere aus § 154 KAGB ergeben sich keine davon abweichenden Rechtsfolgen.

3. Gesonderte und einheitliche Feststellung
Nach § 18 Satz 2 InvStG sind die Einkünfte von Personen-Investitionsgesellschaften nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO gesondert und einheitlich festzustellen. Diese Einkünfte sind von den Anlegern nach den allgemeinen steuerrechtlichen Regelungen zu versteuern (§ 18 Satz 3 InvStG). Eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte einer ausländischen Personen-Investitionsgesellschaft ist in entsprechender Anwendung des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AO nicht vorzunehmen, wenn nur ein Anleger mit diesen Einkünften im Inland steuerpflichtig ist.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 1 – S-1980-1 / 14 / 10004 vom 12.02.2015

 

EU-Kommission schafft Grundlagen für mehr Fairness und Transparenz bei der Besteuerung in der EU

Die Europäische Kommission hat am 18.02.2015 ihre ehrgeizige Agenda zur Bekämpfung von Steuervermeidung und aggressiver Steuerplanung in Angriff genommen. Im Kollegium der Kommissionsmitglieder fand eine erste Orientierungsdebatte darüber statt, wie die Besteuerung in der EU fairer und transparenter werden kann.

Für Präsident Juncker ist die Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung ein vorrangiges politisches Ziel der Kommission. In den heutigen Diskussionen ging es um die dringendsten Maßnahmen, die in diesem Bereich ergriffen werden müssen. Es herrschte Einvernehmen darüber, dass Unternehmen dort besteuert werden müssen, wo sie ihre gewinnbringenden wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben, und nicht durch aggressive Steuerplanung einer angemessenen Besteuerung entgehen dürfen. Somit gab es im Kollegium einen breiten Konsens darüber, dass die Steuertransparenz im Bereich der Körperschaftbesteuerung unbedingt verbessert werden muss.

In diesem Sinne kam das Kollegium der Kommissionsmitglieder überein, im März ein Paket zur Steuertransparenz vorzustellen.

„Ein prosperierendes Europa benötigt faire, transparente und berechenbare Steuersysteme, damit die Unternehmen investieren und die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder Vertrauen fassen. Im Zuge unserer Ziels, den Binnenmarkt zu vertiefen und fairer zu gestalten, möchten wir in der EU und weltweit die Steuertransparenz verbessern und einen faireren Steuerwettbewerb erreichen. Es ist inakzeptabel, dass die Steuerbehörden auf zugespielte Informationen angewiesen sind, um Steuervorschriften durchsetzen zu können“, erklärte Valdis Dombrovskis, für den Euro und den sozialen Dialog zuständiger Vizepräsident der Kommission.

Pierre Moscovici, Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll erklärte: „Missbräuchliche Steuerpraktiken und schädliche Steuerregelungen scheuen das Licht. Transparenz und Zusammenarbeit sind ihre natürlichen Feinde. Nunmehr ist es an der Zeit, eine neue Offenheit zwischen den Steuerverwaltungen und ein neues Zeitalter der Solidarität zwischen den Regierungen einzuleiten, um Steuergerechtigkeit zu gewährleisten. Die Kommission setzt sich nachdrücklich für die höchstmögliche Steuertransparenz in Europa ein.“

Die Kommission lässt den Ankündigungen ihres Arbeitsprogramms vom Dezember rasch Taten folgen. So wird sie im kommenden Monat Rechtsvorschriften zur Ausdehnung des automatischen Austauschs von Informationen auf verbindliche Steuerauskünfte vorschlagen. Nach den derzeitigen EU-Vorschriften tauschen die Mitgliedstaaten kaum Informationen über solche Vorentscheide aus, die ihre oft sehr komplexen Körperschaftsteuerregelungen betreffen. Daher ist es für die Steuerbehörden schwierig, zu beurteilen, wo ein Unternehmen seine Wirtschaftstätigkeiten tatsächlich ausübt, und auf dieser Grundlage Steuervorschriften angemessen anzuwenden. Die Folge davon ist, dass viele multinationale Unternehmen versuchen, Gewinne zu verlagern und ihre Steuerschuld zu minimieren, wodurch den Regierungen in der EU wertvolle Steuereinnahmen entgehen und eine faire Besteuerung behindert wird.

Der im März erfolgende Vorschlag wird von verschiedenen Maßnahmen zur Erhöhung der Steuertransparenz begleitet. In der heutigen Orientierungsdebatte wurden verschiedene Optionen – legislativer und nichtlegislativer Art – geprüft.

Auf dieses Paket zur Steuertransparenz sollen im Laufe des Jahres weitere Arbeiten folgen. Im Sommer wird die Kommission ein zweites Maßnahmenpaket – zur fairen und effizienten Körperschaftbesteuerung – vorlegen, in dem auch aktuelle Initiativen der G20 und der OECD zur Bekämpfung von Steuervermeidung berücksichtigt werden.

Hintergrund
Die Kommission wird im März ein Paket zur Steuertransparenz vorlegen, das einen Legislativvorschlag für den automatischen Austausch von Informationen über verbindliche Steuerauskünfte umfasst.

In ihrem Arbeitsprogramm vom Dezember kündigte die Kommission Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung an, um zu gewährleisten, dass die Steuern in dem Land entrichtet werden, in dem die Gewinne anfallen.

Präsident Juncker erklärte in seinen Politischen Leitlinien, die er am 15. Juli 2014 dem Europäischen Parlament vorstellte: „Wir brauchen mehr Fairness in unserem Binnenmarkt. Während wir die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Steuersysteme anerkennen, sollten wir unsere Anstrengungen im Kampf gegen Steuerumgehung und Steuerbetrug verstärken, damit alle ihren gerechten Teil beitragen.“

Parallel dazu setzt die Kommission vier eingehende beihilferechtliche Prüfungen (siehe auch hier) von verbindlichen Steuerauskünften in den Niederlanden, Irland und Luxemburg fort. Am Monatsanfang hat sie die Prüfung einer belgischen Steuerregelung eingeleitet, die multinationalen Unternehmen ermöglicht, ihre Körperschaftsteuerschuld in Belgien erheblich zu verringern. Außerdem hat die Kommission alle Mitgliedstaaten gebeten, sie über ihre Praxis hinsichtlich verbindlicher Steuerauskünfte zu unterrichten, damit sie feststellen kann, ob und wo der Wettbewerb im Binnenmarkt durch selektive Steuervergünstigungen verfälscht wird.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der EU-Kommission.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 18.02.2015

 

Die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens gewinnt an Kontur

Mit dem Ende November 2014 veröffentlichten, rund hundertseitigen Diskussionsentwurf, welcher auch auf der Internetseite des BMF abrufbar ist, gehen Bund und Länder einen großen Schritt in Richtung der Digitalisierung der Steuerverwaltung. In seiner umfangreichen Stellungnahme S 02/15 zum Konzept zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens begrüßt es der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) außerordentlich, dass die geplanten grundlegenden Neuerungen in einem so frühen Stadium, noch vor Veröffentlichung eines Referentenentwurfs zur Erörterung stehen. Zudem erachtet er eine Reihe von geplanten Maßnahmen als positiv. Andere Überlegungen sieht der DStV hingegen äußerst kritisch und adressiert konstruktive Lösungsvorschläge.

Ziele und Struktur des Konzepts
Das gemeinsame Konzept von Bund und Ländern zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens verfolgt ambitionierte Ziele. Unter anderem sollen Kommunikationsprozesse und Arbeitsabläufe strukturell neu gestaltet werden. Mit verstärktem IT-Einsatz soll zudem das steuerliche Massenverfahren optimiert werden. Zur Umsetzung des Gesamtpaketes erachten Bund und Länder rechtliche, technische und organisatorische Anpassungen als notwendig, die im Rahmen des Diskussionsentwurfs als gesetzliche sowie untergesetzliche Maßnahmen gekennzeichnet sind. Die organisatorische und die IT-Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen sollen schrittweise erfolgen und werden erhebliche zusätzliche Investitionen von Bund und Ländern erfordern.

Zeitliches Ineinandergreifen sowie Pilotphasen
Der DStV befürwortet in seiner Stellungnahme die weitere Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens. Die geplanten Maßnahmen könnten wesentlich zum Bürokratieabbau beitragen. Durch die so in der Praxis gewonnenen Spielräume können beispielsweise die Beratungsschwerpunkte neu ausgerichtet werden. Der DStV folgt zudem der in der Einführung des vorgelegten Entwurfs formulierten Leitlinie des Gesamtvorhabens, das Besteuerungsverfahren zum Nutzen aller Verfahrensteilnehmer, Bürger und Unternehmen, ihrer Berater und der Steuerverwaltung, fortzuentwickeln. In diesem Sinne fordert er, dass bei der Umsetzung maßgeblich auf eine gleichmäßige Lasten- und Risikoverteilung geachtet werden muss.

Damit das Gesamtkonzept dem Ziel der gleichmäßigen Lasten- und Risikoverteilung gerecht wird, müssen aus Sicht des DStV die geplanten gesetzlichen sowie untergesetzlichen Maßnahmen zuvorderst in zeitlicher Hinsicht ausgewogen ineinandergreifen. Da die zeitlichen Vorgaben des Diskussionsentwurfs noch unbestimmt sind, empfiehlt der DStV insofern ein Inkrafttreten der gesetzlich geplanten Maßnahmen ab 1.1.2017, statt wie vorgesehen ab 1.1.2016. Darüber hinaus sollte aus in der Vergangenheit angegangenen IT-Projekten gelernt werden und in Pilotprojekten die technischen Prozesse sowie rechtlichen Wirkungen mit allen Verfahrensbeteiligten erprobt werden. Die aus Sicht des DStV erfolgreich verlaufene Pilotphase für die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) sollte dabei als Vorbild gelten.

Positive Überlegungen
Erfreulicherweise greifen Bund und Länder eine Reihe von Maßnahmen auf, die der DStV in der Vergangenheit gefordert hat. Dem Bürokratieabbau sowie einer ausgeglichenen Risiko- sowie Lastenverteilung dienen insbesondere:

  • die technische Ermöglichung des elektronischen Belegversands im Verbund mit der elektronischen Steuererklärung sowie auf Anforderung des Finanzamts zur Reduzierung von Medienbrüchen,
  • die Einführung einer Korrekturvorschrift bei Schreib- oder Rechenfehlern des Steuerpflichtigen in der (elektronischen) Steuererklärung,
  • die technische Erweiterung des Informationsgehalts der sog. vorausgefüllten Steuererklärung,
  • die Harmonisierung der Vorschriften über elektronische Datenübermittlungspflichten Dritter inklusive einer Mitteilungspflicht des Dritten gegenüber dem Steuerpflichtigen über die übermittelten Daten,
  • die technische Ermöglichung der elektronischen Übermittlung des Schriftverkehrs (wie Anträge oder Einsprüche) auf freiwilliger Basis,
  • die Verankerung von bereichsspezifischen datenschutzrechtlichen Regelungen inklusive eines Auskunftsanspruchs des Steuerpflichtigen.

Erhöhung des Haftungsrisikos für Steuerberater
Der DStV lehnt die im Diskussionsentwurf vorgesehene, neue Sanktion zulasten der Steuerberater kategorisch ab. Nach der geplanten Verschärfung des § 6 der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung (StDÜV) soll der Dritte (Steuerberater) für Steuerverkürzungen oder zu Unrecht erlangte Steuervorteile des Mandanten haften, wenn er darauf verzichtet, dem Mandanten die Daten der elektronischen Steuererklärung unverzüglich in leicht nachprüfbarer Form zur Überprüfung zur Verfügung zu stellen.

Statt neue Sanktionsmechanismen einzuführen, sollte vielmehr die bisherige Risikoabwälzung auf den Berufsstand zurückgenommen werden. Zur Stärkung des Steuerberaters in steuerstraf- sowie haftungsrechtlichen Streitigkeiten fordert der DStV eine gesetzliche Verankerung des Beweises des ersten Anscheins, wie sie im BMF-Schreiben zur StDÜV vorgesehen ist. Danach ist davon auszugehen, dass eine von einem Angehörigen eines steuerberatenden Berufs übermittelte Steuererklärung tatsächlich von dem betreffenden Steuerpflichtigen genehmigt worden ist.

Die seit 2011 eingeführte Pflicht zur Abgabe von elektronischen Steuererklärungen hat aufgrund des Wegfalls des Erfordernisses der Unterschrift durch den Steuerpflichtigen zu latenten steuerstraf- sowie haftungsrechtlichen Risiken für den Steuerberater geführt. Um diesen Risiken zu begegnen, haben die Kanzleien organisatorischen Mehraufwand auf sich genommen. Durch eine Freigabeerklärung lässt sich der Steuerberater vom Mandanten bestätigen, dass der Inhalt der elektronischen Steuererklärung vollständig sowie richtig ist und die elektronische Übermittlung erfolgen darf.

Störungen des Kanzleiablaufs sowie Mandatsverluste durch zufallsbasierte Vorabanforderungen?
Der DStV begrüßt es sehr, dass der Diskussionsentwurf eine gesetzliche Frist zur Abgabe der Steuererklärungen von beratenen Steuerpflichtigen bis zum 28.2. des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres vorsieht. Dieser Abgabetermin ist seit Jahren vom Berufsstand gefordert worden. Bisher mussten die Erklärungen von beratenen Steuerpflichtigen auf Basis eines jährlich von den obersten Finanzbehörden der Länder herausgegebenen Erlasses bis zum 31.12. des Folgejahres abgegeben werden. Die nunmehr geplante Fixierung ist gerade durch die zum Teil sehr späte Zurverfügungstellung der Steuererklärungsformulare sowie durch den Termin für die Bereitstellung der Daten von Seiten Dritter (bis 28.2.) gerechtfertigt. Die Verlängerung des Abgabezeitraums trägt den Arbeitsabläufen in den Kanzleien hinreichend Rechnung und schafft spürbare Erleichterungen, da damit die in der Praxis vielfach erforderlichen Fristverlängerungsanträge für die Abgabe von Erklärungen nach dem 31.12. entfallen.

Die Finanzverwaltung hält sich bei den Planungen aber eine weite Tür für zeitlich deutlich frühere Anforderungen offen. Die Finanzämter dürfen nach einer automationsgestützten Zufallsauswahl anordnen, dass die Steuererklärungen vor dem 28.2. abzugeben sind. Eine solche zufallsbasierte Vorabanforderung muss dann innerhalb einer Frist von drei Monaten bearbeitet werden. Sollte die Abgabe der Steuererklärung nicht innerhalb von drei Monaten gelingen, wird automatisch, ohne weitere Prüfung des Einzelfalls einVerspätungszuschlag erhoben. Eine Verlängerung der Abgabefrist über die drei Monate hinaus kann künftig nur noch gewährt werden, wenn der Steuerpflichtige bzw. sein Berater nachweisen, dass sie kein Verschulden an der Verspätung der Abgabe trifft.

Das gesetzlich geplante Gesamtpaket rund um die zufallsbasierten Vorabanforderungen soll den kontinuierlichen Eingang der Steuererklärungen bei der Finanzverwaltung gewährleisten. Es weicht aber in jeder Hinsicht von der bisherigen Rechtslage sowie Praxis zu Lasten des Steuerpflichtigen sowie der Kanzleien ab. Bereits deshalb sieht der DStV diese Überlegungen äußerst kritisch.

Vorabanforderungen durch eine automationsgestützte Zufallsauswahl sind ein verfahrensrechtliches Novum. Neben den im Erlass, welcher von den obersten Finanzbehörden der Länder herausgegeben wird, aufgeführten Gründen bleibt es den Finanzämtern gegenwärtig lediglich im Einzelfall vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf des 31.12. anzufordern. Die Festsetzung von Verspätungszuschlägen steht aktuell im Ermessen der Finanzbehörde, so dass sie die Umstände des Einzelfalls abzuwägen hat und der Steuerpflichtige sich gegebenenfalls gegen eine entsprechende Festsetzung wehren kann. Der Fristverlängerungsantrag ist bisher grundsätzlich nicht begründungsbedürftig. Nur in Ausnahmefällen, z.B. für einen Antrag auf eine weitere, über den 31.12. hinausgehende Verlängerung, ist eine in sich schlüssige Begründung erforderlich.

Darüber hinaus bergen die geplanten gesetzlichen Neuerungen das Risiko der Erdrosselung eines reibungslosen Kanzleiablaufs sowie des Verlusts von Mandaten, wie der DStV in seiner Stellungnahme aufzeigt. Mangels weiterer Ausführungen im Diskussionsentwurf ist davon auszugehen, dass die Finanzämter jedes für sich und unabgestimmt je nach Lage des Erklärungseingangs die zufallsbasierten Vorabanforderungen durchführen. Es steht entsprechend zu befürchten, dass ein Steuerberater gleichzeitig von verschiedenen Finanzämtern Vorabanforderungsschreiben erhält. Da der Steuerberater in der Regel keine übermäßige Personaldecke vorhalten kann, würde der durchgeplante Kanzleiablauf durch eine solche Ballung erheblich ins Wanken geraten. Solche Belastungsspitzen dürften zudem erheblich zu Lasten des meist jahrelang gewachsenen Mandatsverhältnisses gehen. Der Mandant ist es regelmäßig gewohnt, seinen Steuerberater als Vertrauten in die laufenden Geschäfte einzubinden und nach rechtlicher Beratung sowie tatsächlichem Bedarf mit Sonderprojekten zu beauftragen. Könnte der Steuerberater dem Mandanten nicht mehr in der gewohnten Weise zeitlich flexibel zur Seite stehen, besteht bereits aufgrund der enttäuschten Erwartungshaltung das Risiko, dass der Mandant sich umorientiert.

Die gesetzliche Eröffnung von Vorabanforderungen durch eine automationsgestützte Zufallsauswahl lehnt der DStV vor diesem Hintergrund kategorisch ab. Soweit an den geplanten Vorschriften festgehalten wird, fordert der DStV zwingend die Umsetzung der folgenden Maßnahmen:Zur Entlastung des Steuerberaters muss gesetzlich eine wirksame, unbürokratische sowie verschuldensunabhängige Härtefallregelung eingeführt werden.

Zur Vermeidung der Ballungen von Vorabanforderungen muss die automationsgestützte Zufallsauswahl technisch eine wirksame Feinsteuerung zwischen den Finanzämtern eines Bundeslandes sowie zwischen den Bundesländern vorsehen.

Finanzverwaltung plant, sich Liquiditätsvorteile zu verschaffen
Der Diskussionsentwurf sieht zum Thema „Vorabanforderungen von Steuererklärungen“ eine weitere kritische gesetzliche Neuerung vor. Danach dürfen Finanzämter künftig Vorabanforderungen durchführen, wenn Vorauszahlungen für den Besteuerungszeitraum außerhalb einer Veranlagung herabgesetzt wurden. Auch diese Neuerung lehnt der DStV entschieden ab.

Diese Regelung kann dazu führen, dass künftig vermehrt von Herabsetzungsanträgen abgesehen wird, um nicht der Gefahr einer faktischen Fristverkürzung zu unterliegen. Mit dieser Vorschrift wird frappierend verkannt, dass es für Herabsetzungsanträge regelmäßig gewichtige Gründe gibt, die aus einer Veränderung der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen resultieren. Diese Gründe sind derzeit von der Finanzverwaltung zu prüfen. Künftig müsste der Steuerpflichtige sich durch das Absehen von einem Herabsetzungsantrag die gesetzlich geregelte Frist bis zum 28.2. erkaufen und die damit einhergehende Liquiditätseinbuße hinnehmen. Die entsprechend eingeschränkte Liquidität würde den Steuerpflichtigen dann angesichts seiner ohnehin verschlechterten wirtschaftlichen Situation zusätzlich belasten. Da die gesetzliche Frist für alle anderen beratenen Steuerpflichtigen, die kein Bedürfnis nach einem Herabsetzungsantrag haben, weiterhin gelten würde, käme es zudem zu einer inakzeptablen Ungleichbehandlung.

DStV sieht weitere Kritikpunkte
Neben den Vorgenannten sieht der DStV in seiner Stellungnahme auch bei weiteren Themen des Diskussionsentwurfs Nachjustierungsbedarf, um eine gleichmäßige Lasten- sowie Risikoverteilung zu erzielen. In diesem Sinne besteht beispielsweise Handlungsbedarf bei den geplanten Einschränkungen des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie der geplanten Zweiteilung des Steuerfestsetzungsverfahrens in eine vollmaschinelle Veranlagung sowie eine personell geprüfte Veranlagung.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des DStV www.dstv.de.

Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e.V., Pressemitteilung vom 16.02.2015

 

Umsatzsteuerfreie Unterrichtsleistungen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 7.1.2015, V B 102/14

Leitsätze

An der Steuerpflicht für Leistungen, die freie Mitarbeiter des Besucherdienstes beim Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erbringen, bestehen im Hinblick auf die Steuerfreiheit für Unterrichtsleistungen von anerkannten Einrichtungen und Privatlehrern nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL ernstliche Zweifel.

Tatbestand

1
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erbrachte in den Streitjahren 2003 bis 2010 als freier Mitarbeiter aufgrund eines mit der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) abgeschlossenen Vertrages Dozentenleistungen für den Besucherdienst beim Deutschen Bundestag. Zu seinen Aufgaben gehörte es, in Vorträgen und Führungen im Bereich der Liegenschaften des Deutschen Bundestages dessen Gäste über die deutsche Parlamentsgeschichte, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise der deutschen Volksvertretung sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren. Zur Zielgruppe dieser Veranstaltungen gehörten Schüler, die im Rahmen von mit öffentlichen Geldern bezuschussten Bildungsfahrten den Deutschen Bundestag besuchten. Das Besucherangebot richtete sich auch an Ausbildungsgänge der Bundeswehr, Lehrer und andere Ausbilder sowie an sonstige Multiplikatoren im Bereich der politischen Bildung.
2
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) erließ am 9. Oktober 2012 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2003 bis 2010, in denen er die Leistungen des Antragstellers für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages als steuerpflichtig ansah. Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Über die vom Antragsteller eingereichte Klage zum Finanzgericht (FG) hat das FG noch nicht entschieden.
3
Im Anschluss an eine Finanzkassenkontenmitteilung vom 8. November 2013, nach der fällige und nicht getilgte Steuerbeträge zur Umsatzsteuer 2006 in Höhe von 5.527,44 EUR, zur Umsatzsteuer 2008 in Höhe von 7.166,05 EUR, zur Umsatzsteuer 2009 in Höhe von 10.576,15 EUR und zur Umsatzsteuer 2010 in Höhe von 8.419,10 EUR bestanden, beantragte der Antragsteller am 22. November 2012 Aussetzung der Vollziehung (AdV). Diesen Antrag lehnte das FA mit Verfügung vom 8. Januar 2014 ab. Auch der beim FG gestellte Aussetzungsantrag hatte keinen Erfolg.
4
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass seine Leistungen zumindest nach der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) steuerfrei seien und ihm daher AdV zu gewähren sei.
5
Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2010 vom 9. Oktober 2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2012 ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer erstinstanzlichen Entscheidung im Klageverfahren gegen diese Bescheide in Höhe von 31.688,74 EUR auszusetzen.

6
Das FA beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des Antragstellers, mit der sich der Antragsteller nicht gegen seine Unternehmereigenschaft, sondern gegen die Steuerpflicht seiner Leistungen wendet, ist begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die beantragte AdV zu gewähren. Der Senat legt dabei das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahingehend aus, dass er die Vollziehungsaussetzung der nach der Finanzkassenkontenmitteilung vom 8. November 2013 fälligen Umsatzsteuerbeträge erstrebt. Die Summe der dort fällig gestellten Beträge entspricht dem bezifferten Antrag des Antragstellers.
8
In der Sache bestehen an der sich nach nationalem Recht ergebenden Steuerpflicht im Hinblick auf das Recht des Antragstellers, sich auf das für ihn günstigere Unionsrecht zu berufen, ernstliche Zweifel.
9
1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2., m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.).
10
2. Im Streitfall sind die Leistungen des Antragstellers nach nationalem Recht steuerpflichtig. Weder in der Person des Antragstellers noch in der seines Auftraggebers liegen die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vor. Daher können die Leistungen des Antragstellers auch nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei sein.
11
3. Entgegen dem Beschluss des FG ist jedoch ernstlich zweifelhaft, ob die nach nationalem Recht bestehende Steuerpflicht mit dem Unionsrecht in Einklang steht.
12
a) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- und Hochschulunterricht, die Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung und die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen. Begünstigt werden die Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder durch andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung. Steuerfrei ist zudem nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht.
13
b) Die vom Antragsteller erbrachten Leistungen stellen bei summarischer Prüfung Schulunterricht i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL dar. Der Antragsteller behandelte in seinen Führungen und Vorträgen staatspolitische und historische Themen. Aufgabe war es, die Ausbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu vervollständigen und Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln, die relevant sind im Kontext der Rahmenlehrpläne für Geschichte und Sozialkunde.
14
Bestätigt wird dies durch die Feststellungen des FG, nach denen es zu den Aufgaben des Antragstellers gehörte, in Vorträgen und Führungen im Bereich der Liegenschaften des Deutschen Bundestages dessen Gäste insbesondere über die deutsche Parlamentsgeschichte, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise der deutschen Volksvertretung sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren. Zu den wesentlichen Zielgruppen dieser Veranstaltungen zählten Schüler, die im Rahmen mit öffentlichen Geldern bezuschusster Bildungsfahrten den Bundestag besuchten. Des Weiteren richtete sich das Besuchsangebot an Ausbildungsgänge der Bundeswehr, Lehrer und andere Ausbilder sowie an sonstige Multiplikatoren im Bereich der politischen Bildung. Vornehmlich gegenüber Schülern der 12. und 13. Jahrgangsstufe bezogen sich die Veranstaltungen auch auf zum Teil auf mehrere Tage angelegte Planspiele, die den Gesetzgebungsprozess im Deutschen Bundestag simulieren und den Teilnehmern neben inhaltlichen und prozeduralen Kenntnissen ein besseres Verständnis von den Möglichkeiten und Grenzen politischer Gestaltung im parlamentarischen System vermitteln sollten. Die vorhergehende enge Abstimmung zwischen den die Schüler begleitenden Fachlehrern und den für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages eingesetzten Honorarkräften zielte dabei auf eine Einbindung des Informationsstoffs in die jeweiligen Lehrpläne. Ähnlichen Zwecken dienten auch die Parlamentsseminare, in denen Schüler vornehmlich höherer Klassenstufen, Auszubildende von Landes- und Bundesbehörden oder etwa Polizei- und Offiziersanwärter politische Fragestellungen mit entsprechenden Fachpolitikern aller Fraktionen erörtern konnten.
15
c) Der Antragsteller erfüllte bei summarischer Prüfung auch die unternehmerbezogenen Voraussetzungen für die nach dem Unionsrecht zu gewährende Steuerfreiheit. Dies gilt gleichermaßen für Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL wie auch für Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL.
16
aa) Bei Leistungen durch Unternehmer, die keine Einrichtung öffentlichen Rechts sind, setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eine Leistung durch eine andere Einrichtung voraus, die über eine von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannte vergleichbare Zielsetzung verfügt, wie eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit den Aufgaben der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, des Schul- und Hochschulunterrichts, der Aus- und Fortbildung oder der beruflichen Umschulung betraut ist. Bei summarischer Prüfung kann es sich bei dem Antragsteller um eine anerkannte Einrichtung in diesem Sinne handeln.
17
(1) Entsprechend der Beurteilung im Bereich der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Zu berücksichtigen ist dabei das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (BFH-Urteil vom 25. April 2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, unter II.2.c aa, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH). Bei summarischer Prüfung ist zumindest ernstlich zweifelhaft, ob diese zur Anerkennung im Bereich der sozialen Sicherheit und Sozialfürsorge ergangene Rechtsprechung nicht ebenso auf den Unterrichtsbereich zu übertragen ist.
18
(2) Somit kann sich im Bereich des Unterrichts nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL die Anerkennung insbesondere aus dem mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenen Gemeinwohlinteresse oder auch daraus ergeben, dass die Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil z.B. durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts übernommen werden.
19
Beides begründet ernstliche Zweifel an der Steuerpflicht der vom Antragsteller erbrachten Leistungen. An seiner Tätigkeit im Rahmen des Besucherführungsdienstes des Deutschen Bundestages besteht zum einen ein hohes Gemeinwohlinteresse. Zum anderen wird er für seine Tätigkeit durch die Bundesrepublik Deutschland und damit durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts vergütet.
20
bb) Entgegen dem Beschluss des FG kommt auch die Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL in Betracht. Zwar hat der EuGH im Urteil vom 28. Januar 2010 C-473/08, Eulitz (Slg. 2010, I-907, Rz 52) entschieden, dass diese Bestimmung nicht die Leistungen von Lehrern erfasst, die im Rahmen von Lehrgängen tätig sind, die von einer dritten Einrichtung angeboten werden, da dann diese Einrichtung, nicht aber der Lehrer „Träger der Bildungseinrichtung“ ist, an der der Lehrer Unterricht erteilt und Ausbildungsleistungen für die Unterrichtsteilnehmer erbringt.
21
Fraglich ist aber, ob der Deutsche Bundestag mit seinem Besucherführungsdienst als Träger einer Bildungseinrichtung in diesem Sinne anzusehen ist. Denn zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung ist „Träger einer Bildungseinrichtung“ nur, wer selbst entgeltliche Unterrichtsleistungen erbringt (Abschn. 4.21.2 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses). Dies trifft auf den Besucherführungsdienst des Deutschen Bundestages, der seine Leistungen, wie gerichtsbekannt ist, unentgeltlich in der Öffentlichkeit anbietet, nicht zu.

Zur Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen

Nach dem Urteil des V. Senats des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 4. Dezember 2014 sind ästhetische Operationen („Schönheitsoperationen“) als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen anzusehen, wenn der Eingriff aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels erforderlich ist. Darüber ist auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zu entscheiden. Das Regelbeweismaß ist auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern.

Konkret bedeutet dies: Eine Beweiserhebung über ästhetische Operationen als Heilbehandlung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass Name und Anschrift des behandelten Patienten genannt werden. Stattdessen ist auf der Grundlage der anonymisierten Patientenunterlagen ein Sachverständigengutachten über die mit der Operation verfolgte Zielsetzung einzuholen. Der BFH betont auch die den Steuerpflichtigen (Klinik oder Arzt) treffenden Mitwirkungspflichten. Dieser muss – auf anonymisierter Grundlage – detaillierte Angaben zu der mit dem jeweiligen Behandlungsfall verfolgten therapeutischen oder prophylaktischen Zielsetzung machen.

Im konkreten Streitfall hob der BFH das Urteil der Vorinstanz auf, das eine Beweiserhebung von einer Benennung der behandelten Patienten abhängig gemacht hatte. Die Sache wurde an das Finanzgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Mit einem weiteren Urteil vom gleichen Tag hat der V. Senat ebenfalls zur Steuerfreiheit von Schönheitsoperationen entschieden (V R 33/12).

BFH, Pressemitteilung Nr. 13/15 vom 18.02.2015 zu den Urteilen V R 16/12 und V R 33/12 vom 04.12.2014

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.12.2014, V R 33/12

Steuerfreie Heilbehandlungsleistungen

Leitsätze

1. Ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen sind nur dann als Heilbehandlung steuerfrei, wenn sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist.

2. Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist es bei Überprüfung der Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen erforderlich, das für richterliche Überzeugungsbildung gebotene Regelbeweismaß auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GbR, führte im Streitjahr 2003 ihrem Gesellschaftsvertrag entsprechend kosmetische Eingriffe und Operationen durch. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) davon aus, dass die Klägerin mit ihren ästhetisch-plastischen Operationen Leistungen erbracht habe, die nicht medizinisch indiziert gewesen seien, so dass von steuerpflichtigen Umsätzen mit Recht auf Vorsteuerabzug auszugehen sei. Gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 31. Oktober 2005 legte die Klägerin Einspruch ein, der nur insoweit Erfolg hatte, als weitere Vorsteuerbeträge berücksichtigt wurden.
2
Der hiergegen eingelegten Klage gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt. Das FG ging auf der Grundlage eines gerichtlich bestellten Sachverständigen davon aus, dass von den insgesamt 129 Behandlungsfällen 45 ästhetisch indiziert veranlasst gewesen seien, im Übrigen aber physisch-medizinische oder psycho-medizinische Indikationen gegeben seien.
3
Hiergegen wenden sich Klägerin und FA mit ihren Revisionen.
4
Die Klägerin macht geltend, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die bei der Auslegung des nationalen Rechts die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) berücksichtigt habe, die bei der Auslegung zu beachtende Wortlautgrenze überschreite und damit zu einer unzulässigen unmittelbaren Anwendung der Richtlinie zu Lasten der Unternehmer führe. Durch die Rechtsprechung komme es zu einem strukturellen Vollzugsdefizit. Die Abrechnung steuerfreier und steuerpflichtiger Leistungen nach einer einheitlichen Gebührenordnung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zu berücksichtigen sei auch die Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation. Nach Maßgabe des nationalen Rechts seien ihre Leistungen in vollem Umfang steuerfrei. Das FG habe ihren Beweisanträgen nachkommen müssen.
5
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben, soweit es der Klage nicht stattgegeben hat und unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids vom 31. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 die Umsatzsteuer auf 0 EUR festzusetzen und die Revision des FA zurückzuweisen.

6
Die Klägerin begehrt zudem die Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens, mit dem sinngemäß geklärt werden soll,
ob nach der unionsrechtlichen Rechtslage dem behandelnden Arzt die Entscheidung über das Vorliegen einer medizinischen, insbesondere psychologischen Indikation jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland zukommt, in der der Arzt mit Approbation die uneingeschränkte Diagnosekompetenz erhält und die Hinzuziehung eines Konsiliararztes in sein Ermessen gestellt ist und
ob die Gewährung der Befreiung im Nachhinein von der Steuerverwaltung in Frage gestellt werden kann, wenn der Arzt seiner berufsrechtlich vorgeschriebenen Dokumentationspflicht entsprochen hat und die Diagnose einer medizinischen Indikation festgehalten worden ist.
7
Das FA beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben, die Umsatzsteuer 2003 in Höhe von 87.545,32 EUR festzusetzen und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8
Nach der BFH-Rechtsprechung habe der behandelnde Arzt festzustellen, ob bei chirurgisch-plastischen Operationen eine hinreichende medizinische Indikation vorliege. Dies unterliege der vollen finanzgerichtlichen Überprüfung. Im Streitfall führe die Beurteilung des behandelnden Arztes, wie er sie in seinen Honorarvereinbarungen dokumentiert habe, zur Steuerpflicht der Leistungen. Aus den Honorarvereinbarungen ergebe sich, dass Arzt und Patient kosmetische Operationen vereinbart hätten. Die Honorare seien abweichend von den in § 5 der Gebührenordnung für Ärzte vorgesehenen Sätzen pauschal festgelegt worden, es fehlten Spezifikationen, die auf eine Erstattung durch private oder gesetzliche Krankenkassen hinwiesen. Die Operationen seien daher nicht Mittel für eine Behandlung, sondern Selbstzweck gewesen. Auf die Beurteilung durch einen Gutachter komme es somit nicht an. Zudem habe es für den Gutachter an ausreichenden Tatsachengrundlagen gefehlt. Der Gutachter habe die Patienten nicht selbst untersucht und keine hierauf beruhende eigene Befunderhebung vorgenommen. Die medizinische Indikation sei nur dann nachträglich feststellbar, wenn einem später bestellten Gutachter eine umfassende Dokumentation vorliege. Fehle diese, müsse er eine eigene körperliche Untersuchung vornehmen. Der Gutachter müsse auch den Patienten befragen, um feststellen zu können, ob dieser von einer medizinischen Indikation ausgegangen sei. Im Streitfall habe der Gutachter nach Maßgabe anonymisierter Unterlagen, meist ohne Bild und ohne Rücksprache mit dem jeweiligen Patienten entschieden. In den Patientenblättern wie auch im gerichtlichen Gutachten hätten Angaben zur Anamnese und Diagnose der angeführten psychischen Erkrankung ebenso gefehlt wie Angaben zu den Gründen, aus denen eine Operation die notwendige Therapie gewesen sein soll. Zudem habe das FG den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Sachaufklärungspflicht verletzt.

Entscheidungsgründe

9
II. A. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass Maßnahmen der plastischen Chirurgie nur dann als Heilbehandlung steuerfrei sind, wenn sie therapeutischen Zwecken dienen. Dies hat das FG verfahrensfehlerfrei verneint.
10
1. Nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), der nach dem Senatsurteil vom 18. August 2011 V R 27/10 (BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.2.c) auch auf Heilbehandlungsleistungen der Klägerin anzuwenden ist, waren steuerfrei „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt … oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes [EStG]“.
11
a) Diese Vorschrift ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG auszulegen. Daher setzt die Steuerfreiheit voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und die dafür erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.1.a). Da die Begriffe der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG und der „ärztlichen Heilbehandlung“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG gleichbedeutend sind (EuGH-Urteil vom 21. März 2013 C-91/12, PFC Clinic, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2013, 335, Rz 24), ist bei der Auslegung des nationalen Rechts die zu diesen beiden Bestimmungen ergangene Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen. Da es aufgrund der Neuregelungen durch die Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) zu keinen inhaltlichen Änderungen gekommen ist, gilt dies auch für die zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL ergangene Rechtsprechung (EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-86/09, Future Health Technologies Ltd., UR 2010, 540, Rz 27).
12
Der Senat hält trotz der Einwendungen der Klägerin an seiner bisherigen Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG fest. Diese überschreitet trotz der Verweisung auf § 18 EStG nicht die bei der Auslegung zu beachtende Wortlautgrenze. Zudem spricht das Erfordernis der Rechtssicherheit (vgl. z.B. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 12. Oktober 1995 I R 47/95, BFH/NV 1996, 503, unter II.2.) für ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung, zumal es sich bei § 4 Nr. 14 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung um ausgelaufenes Recht handelt, wobei die Verweisung auf § 18 EStG bereits durch Art. 5 Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. aa und Art. 25 Abs. 1 StÄndG 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) mit Wirkung zum 20. Dezember 2003 entfiel und das im Übrigen aufgrund der Neuregelung durch das Jahressteuergesetz 2009 nur auf bis zum 31. Dezember 2008 ausgeführte Umsätze anzuwenden ist (vgl. zum Inkrafttreten der Neuregelung in § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG Art. 7 Nr. 4 Buchst. b des Gesetzes vom 19. Dezember 2008, BGBl I 2008, 2794).
13
b) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen danach der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Hierzu gehören auch Leistungen zum Zweck der Vorbeugung und zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit. „Ärztliche Leistungen“, „Maßnahmen“ oder „medizinische Eingriffe“ zu anderen Zwecken sind keine Heilbehandlungen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.1.b).
14
c) Für den Bereich der sog. Schönheitsoperationen hat der EuGH seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass „ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen … unter den Begriff ‚ärztliche Heilbehandlungen‘ oder ‚Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin‘ [fallen] …, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz erster Gedankenstrich). Die Leistungen müssen „dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 29). Dabei können die gesundheitlichen Probleme, die zu einer steuerfreien Heilbehandlung führen, auch „psychologischer Art“ sein (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 33). Erfolgt „der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken“, reicht dies nicht aus (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 29). Im Übrigen ist die „rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, … als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz zweiter Gedankenstrich). Von Bedeutung ist demgegenüber, dass die Leistungen, „von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz dritter Gedankenstrich). Denn die Beurteilung medizinischer Fragen „muss … auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 35).
15
Nichts anderes ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der als Heilbehandlung nur die Tätigkeiten steuerfrei sind, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden, so dass eine ärztliche Leistung, die in einem Zusammenhang erbracht wird, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, nicht steuerfrei ist und es daher für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden können, sondern es vielmehr erforderlich ist, dass auch derartige Operationen dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen, womit es nicht zu vereinbaren ist, Leistungen der Schönheitschirurgen ohne Rücksicht auf ihre medizinische Indikation als steuerfrei zu behandeln (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.3.b).
16
2. Die nach der EuGH-Rechtsprechung erforderliche Feststellung, welche Zwecke mit ärztlichen Leistungen verfolgt werden, ist in vielen Fällen, bei denen sich die Zielsetzung bereits aus der Leistung selbst ergibt, unproblematisch. Anders ist es im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloßen kosmetischen Zwecken dienen können. Im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen kommt es daher auf eine Einzelprüfung an. Diese ist unter größtmöglicher Wahrung des zwischen Arzt und Patient bestehenden und auch durch § 84 Abs. 1 FGO i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c der Abgabenordnung geschützten Vertrauensverhältnisses vorzunehmen. Daher ist die gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO von Amts wegen erforderliche Sachverhaltsaufklärung auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen durchzuführen. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses erfordert zudem, das für die richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch ausreichende Beweismaß gegenüber dem Regelbeweismaß zu reduzieren. Das Beweismaß kann sich dabei auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern (vgl. BFH-Urteile vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, und vom 4. Dezember 2014 V R 16/12).
17
3. Diesen Anforderungen entspricht das Urteil des FG, das sowohl mit den materiell-rechtlichen Anforderungen des § 4 Nr. 14 UStG übereinstimmt, als auch mit der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten den vorstehenden Grundsätzen zur Beweiserhebung Rechnung getragen hat.
18
4. Die weiteren Einwendungen der Klägerin hiergegen greifen nicht durch.
19
a) Durch die vom EuGH verlangte Prüfung der Zielsetzung der jeweiligen ärztlichen Maßnahme kommt es nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit. Es ist jeder Steuerfreiheit immanent, dass ihre Voraussetzungen finanzgerichtlich überprüfbar sein müssen. Der erkennende Senat trägt den Schwierigkeiten bei der nachträglichen Überprüfung des Heilbehandlungscharakters zudem dadurch Rechnung, dass das erforderliche Beweismaß auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern ist (s. oben II.A.2.).
20
b) Auf die Überlegungen der Klägerin zur Abrechnung nach Gebührenordnungen, die nicht nach der Umsatzsteuerfreiheit oder Umsatzsteuerpflicht der abgerechneten Leistungen differenzieren, kommt es nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind Preisvereinbarungen grundsätzlich als sog. Bruttopreisvereinbarungen einschließlich ggf. entstehender Umsatzsteuer anzusehen (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 28. Februar 2002 I ZR 318/99, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 2312). Trägt eine Gebührenordnung des nationalen Rechts den Unterschieden, die sich aus Steuerfreiheit oder Steuerpflicht ergeben, nicht Rechnung, kann dies die Auslegung des unionsrechtlich harmonisierten Steuerrechts hinsichtlich der Frage, ob eine Steuerbefreiung anzuwenden ist, gleichwohl nicht beeinflussen.
21
c) Der von der Klägerin angestrebten Vorlage an den EuGH bedarf es nicht. Aus dem EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 folgt nur, dass es für die Steuerfreiheit von Bedeutung ist, dass die Leistungen „von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz dritter Gedankenstrich). Hieraus folgt nicht, dass die Vorstellungen des behandelnden Arztes für das Besteuerungsverfahren bindend sind.
22
d) Im Hinblick auf die eigenständige steuerrechtliche Begriffsbildung durch den EuGH kommt es auch nicht auf die Gesundheitsdefinitionen der Weltgesundheitsorganisation an.
23
e) Auch die Verfahrensrüge der Klägerin greift nicht durch, da für das FG aufgrund der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten keine Notwendigkeit für eine weitere Beweiserhebung bestand. Für die Beauftragung eines weiteren Gutachters bestand keine Veranlassung. Ob die Leistungen dem allgemeinen Ziel der Gesundheitsvorsorge dienten, ist nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung unerheblich. Ebenso kam es nicht auf die Anzahl der nicht operierten Personen an.
24
B. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
25
1. Das FG hat in Übereinstimmung mit der finanzgerichtlichen Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung (s. oben II.A.2.) Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 81 Abs. 1 FGO, § 82 FGO i.V.m. §§ 402 ff. der Zivilprozessordnung) erhoben.
26
Entgegen der Auffassung des FA war das FG daher nicht verpflichtet, über die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen nach Maßgabe von Honorarvereinbarungen, aus denen sich nach Ansicht des FA der fehlende Heilbehandlungscharakter ergeben soll, zu entscheiden. Ebenso kommt es unter Berücksichtigung des zu schützenden Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient (s. oben II.A.2.) nicht in Betracht, für die Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten eine eigene Untersuchung und Befunderhebung durch den Gutachter zu verlangen. Vielmehr konnte sich das FG mit einer Erstattung des Gutachtens auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zufrieden gegeben.
27
2. Es liegt auch kein Verfahrensfehler vor.
28
a) Das FG hat nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine derartige Verletzung nicht daraus, dass das FG das FA nicht ausdrücklich auf das Vorliegen von Honorarvereinbarungen hingewiesen hat. Denn im Hinblick auf die Beweiserhebung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen kam es hierauf nicht an (s. oben II.A.1.).
29
b) Aus diesem Grund ergibt sich auch keine Verletzung der „Sachaufklärungspflicht“ daraus, dass das FG entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt habe, indem es Honorarvereinbarungen und Abrechnungen mit den Patienten unbeachtet gelassen habe.

Fahrten zwischen Wohnung und ständig wechselnden Betriebsstätten bei Selbständigen

Der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 23. Oktober 2014 III R 19/13 entschieden, dass Fahrtkosten eines Selbständigen zu ständig wechselnden Betriebsstätten, denen keine besondere zentrale Bedeutung zukommt, mit den tatsächlichen Kosten und nicht nur mit der Entfernungspauschale abzugsfähig sind.
Die Klägerin erteilte als freiberuflich tätige Musiklehrerin in mehreren Schulen und Kindergärten Musikunterricht. Sie machte die Fahrtkosten für ihr privates Kfz als Betriebsausgaben geltend und setzte für jeden gefahrenen Kilometer pauschal 0,30 Euro an. Das Finanzamt (FA) erkannte dagegen die Fahrtkosten nur mit 0,30 Ero pro Entfernungskilometer an. Die Klage vor dem Finanzgericht war erfolgreich.

Der III. Senat des BFH ist nun der Rechtsauffassung der Klägerin gefolgt. Er hat damit an der bisherigen Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate zum Begriff der „Betriebsstätte“ festgehalten (zuletzt BFH-Urteil vom 22. Oktober 2014 X R 13/13, s. Pressemitteilung Nr. 10/2015). Im Unterschied zu der Entscheidung des X. Senats vom 22. Oktober 2014 (X R 13/13) lagen im Streitfall nicht nur eine Betriebsstätte vor, sondern ständig wechselnde Tätigkeitsorte und damit mehrere Betriebsstätten. Da keinem dieser Tätigkeitsorte eine zentrale Bedeutung beigemessen werden konnte, sind diese Fälle unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug nach den von der Rechtsprechung des VI. Senats für den Fahrtkostenabzug von Arbeitnehmern entwickelten Grundsätze zu behandeln. Hiernach ist der Betriebsausgabenabzug nicht auf die Entfernungspauschale von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer begrenzt, wenn der Arbeitnehmer auf ständig wechselnden Einsatzstellen, unabhängig vom Einzugsbereich, tätig ist. In diesen Fällen sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten absetzbar.

Auch nach der Änderung des Reisekostenrechts zum 1. Januar 2014 (Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013) sind die Fahrtkosten zu ständig wechselnden Tätigkeitsorten, wie vom III. Senat entschieden, grundsätzlich unbeschränkt als Betriebsausgaben abziehbar.

BFH, Pressemitteilung Nr. 12/15 vom 18.02.2015 zum Urteil III R 19/13 vom 23.10.2014

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 22.10.2014, X R 13/13

Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bei den Gewinneinkünften

Leitsätze

1. Aufwendungen eines Erzielers von Gewinneinkünften für regelmäßige PKW-Fahrten zu seinem einzigen Auftraggeber sind nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben abziehbar.

2. Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist –abweichend von § 12 AO– bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden (Bestätigung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung).

3. Betrieblich genutzte Räume, die sich in der im Übrigen selbstgenutzten Wohnung des Steuerpflichtigen befinden, können wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich nicht als Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angesehen werden.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielt als Einzelunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr 2008 hatte er lediglich einen einzigen Auftraggeber, für den er die Finanzbuchhaltung, die Lohn- und Gehaltsabrechnungen sowie das EDV-System betreute. Er suchte dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich auf; weitere betriebliche Tätigkeiten führte er in Räumen durch, die im Obergeschoss des von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnten Einfamilienhauses liegen.
2
In seiner Gewinnermittlung zog der Kläger die Kosten für den zu seinem Betriebsvermögen gehörenden PKW auch insoweit in voller Höhe ab, als sie auf die Fahrten zwischen dem Einfamilienhaus und dem Betrieb des Auftraggebers entfielen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte hingegen nur die Entfernungspauschale an und erhöhte den Gewinn entsprechend. Zur Begründung verwies er auf die Regelungen der § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale vom 20. April 2009 (BGBl I 2009, 774), die gemäß § 52 Abs. 12 Satz 8, Abs. 23d Satz 1 EStG i.d.F. des genannten Gesetzes bereits für das Streitjahr anzuwenden sind.
3
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 765) und setzte wieder den vom Kläger erklärten Gewinn an. Die für Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte geltende Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG sei nicht anwendbar, weil der Kläger im Betrieb des Auftraggebers keine Betriebsstätte unterhalten habe. Zwar sei der in der genannten Vorschrift verwendete Begriff der Betriebsstätte in der bisherigen Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) abweichend von der gesetzlichen Definition in § 12 der Abgabenordnung (AO) ausgelegt worden. Daran könne aber angesichts der neueren Rechtsprechung des VI. Senats des BFH, wonach eine betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers anzusehen sei, nicht mehr festgehalten werden, so dass die Definition des § 12 AO auch für Zwecke der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG uneingeschränkt heranzuziehen sei. Daher sei die Abzugsbeschränkung hier nur dann noch anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige bei seinem Auftraggeber eine eigene Betriebsstätte unterhalte. Vorliegend sei dies mangels der hierfür erforderlichen Verfügungsbefugnis des Klägers über Einrichtungen des Auftraggebers aber nicht der Fall gewesen. Danach komme es nicht mehr darauf an, ob die vom Kläger im Einfamilienhaus genutzten Räume als Betriebsstätte oder aber als häusliches Arbeitszimmer anzusehen seien.
4
Mit seiner Revision beruft das FA sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach als Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG auch der Ort anzusehen sei, an dem der Unternehmer die geschuldete Leistung zu erbringen habe. Dies müsse erst recht bei Unternehmern gelten, die nur einen einzigen Auftraggeber hätten. Vor diesem Hintergrund hätte das FG die Frage, ob die Räume im selbstgenutzten Einfamilienhaus eine Betriebsstätte darstellten, nicht offenlassen dürfen.
5
Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6
Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
8
Zur Abgeltung der Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG u.a. die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale) entsprechend anzuwenden. Das FG hat zu Unrecht in bewusster Abkehr von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Betriebsstätte des Klägers bei seinem Auftraggeber verneint (dazu unten 1.). Die Sache ist nicht spruchreif, weil es für die Entscheidung des Streitfalls darauf ankommt, ob der Kläger auch in dem ansonsten zu eigenen Wohnzwecken genutzten Einfamilienhaus eine Betriebsstätte unterhalten hat, das FG diese Frage aber ausdrücklich offengelassen hat (unten 2.).
9
1. Der Kläger hat bei seinem Auftraggeber eine Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG unterhalten.
10
a) Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers (mit ausführlicher Begründung BFH-Urteil vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; ferner BFH-Urteile vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, BFH/NV 1994, 701, und vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41). In anderen Entscheidungen wird die Formulierung verwendet, es handele sich um den Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden (BFH-Urteile vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.2.; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279, unter II.1., und vom 29. April 2014 VIII R 33/10, BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.c aa; ebenso Hessisches FG, Urteil vom 20. Juni 2012  12 K 1511/09, Revision III R 59/13), ohne dass in diesem Formulierungsunterschied allerdings eine inhaltliche Abweichung zu sehen ist.
11
Die für Arbeitnehmer entwickelten Ausnahmen von der –für PKW-Nutzer– mit der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verbundenen Abzugsbeschränkung gelten allerdings auch zugunsten der Bezieher von Gewinneinkünften. Dies ist bisher vor allem für Steuerpflichtige entschieden worden, die an –so die Terminologie der damaligen Rechtsprechung– ständig wechselnden Einsatzstellen tätig waren (vgl. –im Ergebnis jeweils nicht tragend– die Ausführungen in den BFH-Urteilen vom 5. November 1987 IV R 180/85, BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334, unter 2.a; in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.3.; in BFH/NV 1994, 701, unter II.3., und in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.c aa; tragend im BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 279, unter II.2.; im Ergebnis ebenso, wenn auch mit abweichender Begründung Urteile des FG Baden-Württemberg vom 27. Oktober 2011  3 K 1849/09, EFG 2012, 310, Revision VIII R 47/11, und des FG Münster vom 22. März 2013  4 K 4834/10, EFG 2013, 839, Revision III R 19/13).
12
Die dargestellte, zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, der eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die von ihm genutzte Einrichtung voraussetzt (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 2008 I R 30/07, BFHE 222, 14, BStBl II 2008, 922, unter II.2.a, m.w.N.). Diese normspezifische Gesetzesauslegung ist jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Oktober 1969  1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, unter C.II.3.c), geboten (ausführlich BFH-Urteil in BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23). Demgegenüber dient der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO im Wesentlichen der Abgrenzung von Besteuerungsbefugnissen zwischen verschiedenen Steuergläubigern (z.B. Gewerbesteuerzerlegung nach § 28 des Gewerbesteuergesetzes, nationales Zugriffsrecht auf die Einkünfte von Steuerausländern nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, Aufrechterhaltung des nationalen Zugriffsrechts in Anwendung des im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen entwickelten Betriebsstättenbegriffs), was für den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG indes nicht von Bedeutung ist.
13
b) An der dargestellten Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist –entgegen der Auffassung des FG– ungeachtet der neueren Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zu dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verwendeten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte festzuhalten.
14
Der VI. Senat hat für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in seiner neueren Rechtsprechung allerdings angenommen, regelmäßige Arbeitsstätte könne nur eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, nicht aber die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers (BFH-Urteile vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818, unter II.1.b; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822, und vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852). Dies soll selbst dann gelten, wenn der Arbeitnehmer jahrzehntelang ausschließlich in derselben Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers tätig wird (vgl. den Sachverhalt zum BFH-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169).
15
Auch nach Bekanntwerden dieser Rechtsprechung haben verschiedene für die Gewinneinkünfte zuständige Senate des BFH hinsichtlich des Begriffs der Betriebsstätte an der dargestellten, langjährigen Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG festgehalten (z.B. BFH-Entscheidungen vom 25. Juli 2012 X B 11/11, BFH/NV 2013, 245, und in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.b aa). Der erkennende Senat schließt sich dem an.
16
Eine Abweichung von der neueren Rechtsprechung des VI. Senats liegt darin schon deshalb nicht, weil umgekehrt auch der VI. Senat bei Begründung seiner neueren Rechtsprechung keine Abweichung von der –wesentlich älteren– Rechtsprechung aller für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH zum Betriebsstättenbegriff des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG gesehen und folgerichtig von einer Anfrage nach § 11 Abs. 3 FGO bei diesen Senaten abgesehen hat. Vor allem aber ist das vom VI. Senat für Zwecke der Besteuerung von Arbeitnehmern entwickelte Differenzierungskriterium, ob deren Arbeitgeber bei dem Kunden, in dessen Räumen der Arbeitnehmer tätig sei, eine eigene Betriebsstätte unterhalte oder nicht, auf die Gewinneinkünfte nicht übertragbar. Denn dort fehlt es bei typisierender Betrachtung an dem für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit typischen Dreiecksverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer, seinem Arbeitgeber und dem Kunden des Arbeitgebers. Vielmehr ist allein das zweipolige Rechtsverhältnis zwischen dem Gewerbetreibenden und seinem Kunden maßgebend. Zudem fehlt es an einem Direktionsrecht eines Arbeitgebers, das der VI. Senat als entscheidend für seine Differenzierung angesehen hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822, unter II.1.c). Der Gewerbetreibende ist vielmehr regelmäßig selbst Herr seiner Entscheidungen.
17
Im Übrigen hat der Gesetzgeber der neueren Rechtsprechung des VI. Senats mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2014 durch Änderungen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 EStG teilweise die Grundlage entzogen. Der erkennende Senat erachtet es aber auch im Interesse der Kontinuität der Rechtsanwendung nicht für sachgerecht, die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des Betriebsstättenbegriffs des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG für Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, zu ändern –zumal dies ohnehin erst nach einer Anfrage bei den meisten für Gewinneinkünfte zuständigen Senaten bzw. nach Anrufung des Großen Senats möglich wäre–, um dann für Veranlagungszeiträume ab 2014 aufgrund der gesetzgeberischen Reaktion auf die Rechtsprechung des VI. Senats wieder zu der bisherigen Handhabung zurückzukehren. Auch die Finanzverwaltung will für die Zeit ab 2014 weiterhin ausdrücklich den dargestellten, normspezifischen Betriebsstättenbegriff i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG anwenden (vgl. Rz 1 des Entwurfs eines Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen zur ertragsteuerlichen Beurteilung von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und von Reisekosten unter Berücksichtigung der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts zum 1. Januar 2014 IV C 6 – S 2145/10/10005:001).
18
c) Vorliegend hatte der Kläger nach den Feststellungen des FG nur einen einzigen Auftraggeber und hat dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich aufgesucht. Damit stellt der Betrieb des Auftraggebers für Zwecke des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in Anwendung der dargestellten ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zugleich eine Betriebsstätte des Klägers dar. Die für ständig wechselnde Einsatzstellen entwickelte Ausnahme ist im Streitfall nicht einschlägig, da der Kläger nicht an unterschiedlichen Einsatzstellen tätig war.
19
2. Die Sache ist nicht spruchreif, weil es nach dem Vorstehenden für die Entscheidung des Streitfalls darauf ankommt, ob der Kläger auch in den von seiner Lebensgefährtin angemieteten Räumen des im Übrigen selbstgenutzten Einfamilienhauses eine Betriebsstätte unterhalten hat, das FG diese Frage aber ausdrücklich offengelassen hat.
20
a) Sind auch die Räume im Einfamilienhaus als Betriebsstätte anzusehen, stellen die Fahrten des Klägers zu seinem Auftraggeber Wege zwischen zwei Betriebsstätten dar. Derartige Aufwendungen fallen nach ständiger Rechtsprechung nicht unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564, unter 2.b, betreffend Fahrten von einer Produktionsstätte, die sich auf demselben Grundstück wie die Privatwohnung befindet, zu der auswärtigen Hauptproduktionsstätte; BFH-Urteil vom 29. März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700, betreffend Fahrten von einem Ingenieurbüro, das sich im selben Gebäude wie die Privatwohnung befindet, zu einem weiteren auswärtigen Ingenieurbüro). Die Sachverhalte, die den beiden vorstehend zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, waren allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die Betriebsstätten von den jeweils selbstgenutzten Wohnungen räumlich getrennt waren (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744); eine solche räumliche Trennung ist für die Annahme von Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten zwingend erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23).
21
b) Sind die Räume wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich hingegen nicht als Betriebsstätte anzusehen, überlagert die Nutzung des Gebäudes als Wohnung die dort auch verwirklichten betrieblichen Zwecke. In einem solchen Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass der Steuerpflichtige seine auswärtige Betriebsstätte von einer in der Wohnung befindlichen Betriebsstätte aufsucht; Ausgangs- und Endpunkt der Fahrten ist vielmehr die Wohnung (BFH-Urteil in BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744). Damit würde es sich bei den streitgegenständlichen Fahrtkosten um Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte handeln, die unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG fallen.
22
Der BFH hat in diesem Zusammenhang bereits vielfach entschieden, dass insbesondere ein häusliches Arbeitszimmer stets derart in den privaten Bereich eingebunden ist, dass seine Existenz die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht ausschließt (BFH-Entscheidungen vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421; in BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.1.; in BFH/NV 1994, 701, unter II.1.a; in BFH/NV 1997, 279, unter II.1.; in BFH/NV 1999, 41, und vom 28. Juni 2006 IV B 75/05, BFH/NV 2006, 2243, unter II.2.c). Auch dies dient der Gleichbehandlung der Bezieher von Gewinneinkünften mit Arbeitnehmern, bei denen allein die Existenz eines häuslichen Arbeitszimmers nicht dazu führt, dass die Entfernungspauschale auf ihre Wege zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte keine Anwendung mehr findet.
23
Schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Verwaltungs- und Klageverfahren spricht zwar Vieles dafür, dass die Räume im Einfamilienhaus lediglich als häusliches Arbeitszimmer anzusehen sind und ihre betriebliche Nutzung der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG daher nicht entgegensteht. Da das FG hierzu aber keine Feststellungen getroffen hat, ist dem Senat eine eigene Entscheidung verwehrt.