FG Baden-Württemberg, Urteil 12 K 549/23 vom 28.11.2024
(nicht rechtskräftig – BFH-Az.: V R 2/25)
Versorgungsbezüge aus einer früheren gewerblichen Tätigkeit unterliegen auch nach einem Wegzug ins Ausland weiterhin der beschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland. Das entschied das FG Baden-Württemberg und stellte dabei klar: Der Besteuerungsanspruch knüpft an die ursprüngliche inländische Betriebsstätte an – selbst wenn diese längst aufgegeben wurde.
Sachverhalt
- Kläger war bis 2014 Versicherungsvertreter (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
- Aufgabe des Betriebs und Wegzug in die Slowakei
- Ab 2015: Versorgungsleistungen aus Versorgungswerk der Versicherung XY
(neben gesetzlicher Rentenversicherung) - Kläger erklärte die Leistungen nur in der Slowakei
- Finanzamt unterwarf die Bezüge in Deutschland der Steuer → Klage erfolglos
Die Kernargumente des FG
✅ Nationale Rechtslage
Die Versorgungsleistungen sind:
➡ nachträgliche gewerbliche Einkünfte (§ 15 i. V. m. § 24 Nr. 2 EStG)
➡ inländische Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
➡ daher beschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 4 EStG
Der Inlandsbezug bleibt erhalten, weil die Leistungen während der aktiven Tätigkeit „erdient“ wurden.
Auch eine nicht mehr existierende Betriebsstätte bleibt steuerlich relevant, solange der wirtschaftliche Ursprung dort liegt.
✅ Abkommensrechtliche Zuordnung (DBA-Slowakei)
Die Versorgungsleistungen gelten nicht als Pensionen aus unselbstständiger Arbeit (Art. 19 DBA),
sondern als Unternehmensgewinne (Art. 7 DBA):
➡ Besteuerungsrecht bleibt Deutschland
➡ Slowakei muss nach Art. 23 DBA die Freistellung gewähren
(ggf. mit Progressionsvorbehalt)
Damit wird eine Doppelbesteuerung vermieden.
Bedeutung für die Praxis
Diese Entscheidung ist steuerpolitisch brisant, denn:
Auch nach der Betriebsaufgabe kann Deutschland
→ weiterhin Steuerzugriff auf Versorgungsbezüge haben!
Besonders relevant für:
✔ Handels- und Versicherungsvertreter
✔ Berater, Agenturen und andere gewerbliche Einzelunternehmer
✔ Personen mit Versorgungswerken außerhalb der klassischen Betrieblichen AV
✔ Wegzugsfälle (Exit Tax Planning)
Praxishinweise zur Beratung
| Prüfpunkt | Bedeutung |
|---|---|
| Herkunft der Versorgungsbezüge | entscheidend für die Steuerzuordnung |
| Art der Tätigkeit (selbstständig vs. nichtselbstständig) | abkommensrechtlich relevant |
| Zeitpunkt des Wegzugs | steuerplanerisch gestaltbar |
| DBA-Auslegung | Progressionsvorbehalt beachten |
| Möglichkeit eines Verständigungsverfahrens | bei bereits erfolgter Doppelbesteuerung |
Fazit
📌 Versorgungsleistungen bleiben steuerlich am Ort der Ursprungstätigkeit verankert
📌 Wohnsitzverlagerung ins Ausland entzieht diese nicht der deutschen Besteuerung
📌 Steuerliche Auswirkungen frühzeitig in der Nachfolge- und Exitplanung berücksichtigen
Nicht rechtskräftig
Revision beim BFH anhängig: V R 2/25
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025
✅ 1) Checkliste
Versorgungsbezüge im Wegzugsfall – Wo sind sie steuerpflichtig?
| Prüffrage | Ja ✅ | Nein ❌ | Bedeutung |
|---|---|---|---|
| Beruhen die Versorgungsbezüge auf früherer selbstständiger Tätigkeit? | ☐ | ☐ | Dann Unternehmensgewinne nach DBA Art. 7 |
| Wurden die Ansprüche im Inland erdient? | ☐ | ☐ | Inländische Betriebsstättenzuordnung (§ 49 EStG) |
| Wohnsitz/gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland? | ☐ | ☐ | → beschränkte Steuerpflicht in DE prüfen |
| Wurden die Bezüge bereits im Ausland versteuert? | ☐ | ☐ | DBA-Entlastung / Progressionsvorbehalt |
| Liegt eine Versorgung aus unselbstständiger Tätigkeit vor? | ☐ | ☐ | → evtl. Art. 18/19 DBA statt Art. 7 |
Ergebnis:
➡ In der Regel weiterhin deutsche Steuerpflicht, wenn die Leistungen aus deutscher Tätigkeit stammen
✅ 2) Übersichtsgrafik zur abkommensrechtlichen Zuordnung
(auch für Präsentationen geeignet)
VERSORGUNGSBEZUG – AUSLÖSENDES MOMENT?
Selbstständige Tätigkeit?
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Ja Nein
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Art. 7 DBA Art. 18/19 DBA
Gewinne aus Unternehmen Ruhegehälter
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Betriebsstättenzuordnung Ansässigkeitsstaat
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Deutschland besteuert Ausland besteuert
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Freistellung im Ausland
Progressionsvorbehalt möglich
👉 Steuerfolgen richten sich nach der wirtschaftlichen Veranlassung – nicht nach dem Ort der Auszahlung