BFH: Beginn der Festsetzungsfrist bei Auffinden eines Testaments – maßgeblich ist der rechtsgültige Erwerb

BFH, Urteil vom 04.06.2025 – II R 28/22

Das Auffinden eines Testaments kann Jahre nach dem Erbfall steuerliche Konsequenzen auslösen. Entscheidend ist dann die Frage: Ab wann läuft die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer? Der Bundesfinanzhof (BFH) hat hierzu erneut klare Leitplanken gesetzt – insbesondere, wenn die Wirksamkeit des Testaments bestritten wird.

Worum geht es rechtlich?

Grundsätzlich beginnt die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO erst dann zu laufen, wenn das Finanzamt Kenntnis vom Erwerb hat.
Die Vorschrift schützt die Verwaltung in Fällen, in denen Erbfälle oder Erbquoten lange unklar bleiben – z. B. bei spät auftauchenden Testamenten, Streit unter Erben oder komplexen Nachlassverfahren.

Doch was bedeutet „Kenntnis vom Erwerb“ konkret?
Reicht das bloße Vorliegen eines Testaments? Oder ist ein gerichtlicher Nachweis erforderlich?

Die Entscheidung des BFH

Der BFH stellt klar:

Es kommt auf den rechtsgültigen Erwerb an.
Nicht das bloße Auffinden eines Testaments, sondern die gesicherte Kenntnis darüber, dass der Erbanspruch tatsächlich besteht, löst die Festsetzungsfrist aus.

Anlaufhemmung gilt nur für den jeweiligen Rechtsgrund.
Hat das Finanzamt einmal sichere Kenntnis von einem bestimmten „Erwerbstatbestand“ (z. B. Testament, gesetzliche Erbfolge), beginnt für diesen Teil die Frist zu laufen – unabhängig davon, ob weitere Erbfälle oder Erbrechtsansprüche später auftauchen.

Gerichtsentscheidung im Erbscheinverfahren maßgeblich
Tritt ein anderer möglicher Erbe der Erteilung des Erbscheins entgegen, erhält der testamentarisch eingesetzte Erbe erst mit der Entscheidung des Nachlassgerichts sichere Kenntnis im Sinne des § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO.

➡️ Ob diese Entscheidung später mit Rechtsmitteln angefochten wird oder werden kann, spielt keine Rolle.
Der BFH verweist hierzu ausdrücklich auf sein Urteil vom 27.04.2022 – II R 17/20.

Warum ist das wichtig?

Gerade in Nachlassfällen mit mehreren Testamentsversionen, Erbstreitigkeiten oder später entdeckten Urkunden kann es Jahre bis zur gerichtlichen Klärung dauern.
Die Folge:

  • Die Festsetzungsfrist beginnt nicht bereits mit dem Erbfall,
  • und nicht bereits mit dem Auffinden des Testaments,
  • sondern erst, wenn der Erbe sicher feststeht – nach gerichtlicher Entscheidung.

Praxisbeispiele

Fall 1: Testament wird sofort anerkannt
→ Frist beginnt, sobald das Finanzamt von Testament und Erbfall Kenntnis erhält.

Fall 2: Testament wird bestritten oder Unwirksamkeit behauptet
→ Frist beginnt erst mit der Entscheidung des Nachlassgerichts über die Wirksamkeit und Erbenstellung.

Fall 3: Entscheidung anfechtbar oder angefochten
→ trotzdem Beginn der Festsetzungsfrist mit der gerichtlichen Entscheidung – Rechtsmittel hemmen den Start nicht.

Relevanz für Steuerpflichtige und Berater

✅ Glasklare Abgrenzung, wann Verjährungsfristen laufen
✅ Wichtig für Nachlassabwicklungen, insbesondere bei internationalen Sachverhalten
✅ Relevanz für Fälle, in denen „vergessene“ oder neu gefundene Testamente auftauchen
✅ Kann zur Korrektur von Steuerbescheiden führen, wenn Festsetzungsfristen abgelaufen sind


Fazit

Der BFH bekräftigt:
Die Festsetzungsfrist beginnt erst mit der gesicherten Kenntnis des rechtsgültigen Erbanfalls.
Wird ein Testament bestritten, verschiebt sich der Fristbeginn auf die gerichtliche Entscheidung im Erbscheinverfahren – unabhängig von späteren Rechtsmitteln.