BFH: Geldentschädigung ist Regelfall bei überlanger Verfahrensdauer – Wiedergutmachung in anderer Weise bleibt Ausnahme

📅 BFH-Urteil vom 06.11.2024 – X K 1/24


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 6. November 2024 seine bisherige Rechtsprechung zur Entschädigung wegen überlanger Gerichtsverfahren bestätigt und weiter geschärft. Die Zuerkennung einer Geldentschädigung bleibt der Regelfall, wenn ein Nichtvermögensnachteil entstanden ist – bloße Feststellungen als Ersatz genügen in der Regel nicht.


⚖️ Rechtlicher Hintergrund: § 198 GVG – Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Nach § 198 Abs. 1 GVG hat derjenige, dessen Verfahren unangemessen lange dauert, einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld – insbesondere, wenn ihm daraus ein Nichtvermögensnachteil (z. B. psychische Belastung, Vertrauensverlust, Reputationsschaden) entsteht.


🔍 Kernaussagen des BFH-Urteils

Vermutung eines Nichtvermögensnachteils

Es gilt eine „starke, aber widerlegbare“ Vermutung, dass eine überlange Verfahrensdauer zu einem immateriellen Schaden führt (in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).

Geldentschädigung ist Regelfall

Die Entschädigung in Form einer Geldzahlung (derzeit: 1.200 € pro Jahr der Verzögerung) ist die Regel.
➡️ Wiedergutmachung in anderer Weise, etwa durch bloße gerichtliche Feststellung, bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt – z. B. bei völlig fehlender Beeinträchtigung.

🔁 Wirkung von Verzögerungsrügen

Verzögerungsrügen (§ 198 Abs. 3 GVG) wirken rückwirkend nur sechs Monate – auch bei früherer Untätigkeit des Gerichts.

⚠️ Abweichung vom gesetzlichen Entschädigungsbetrag nur bei besonderen Umständen

Eine höhere oder niedrigere Entschädigung als 1.200 € pro Verzögerungsjahr ist nur bei nachgewiesenen besonderen Umständen möglich (z. B. überdurchschnittliche Belastung oder geringfügige Beeinträchtigung).


🧾 Finanzgerichtsverfahren: Keine automatische Übertragung zivilprozessualer Fristen

Der BFH stellt außerdem klar, dass zivilprozessuale Fristen- und Beschleunigungsregelungen (z. B. aus der ZPO) nicht auf finanzgerichtliche Verfahren übertragbar sind.
➡️ Eine Berufung auf § 216 Abs. 2 ZPO („mündliche Verhandlung unverzüglich“) ist nicht einschlägig.


🧠 Praxishinweis: Entschädigung bei Verfahrensverzögerungen gezielt einfordern

Wer ein finanzgerichtliches oder anderes Gerichtsverfahren mit ungewöhnlich langer Verfahrensdauer durchlebt, sollte:

  • frühzeitig eine Verzögerungsrüge erheben (§ 198 Abs. 3 GVG),
  • die Verfahrensakte und Zeitabläufe dokumentieren,
  • den Nachweis des Nichtvermögensnachteils nicht überstrapazieren – die Vermutung gilt regelmäßig.

💡 Tipp: Die bloße Feststellung der Verfahrensverzögerung genügt meist nicht – es lohnt sich, die Geldentschädigung aktiv einzufordern.


📌 Fazit: Finanzgerichte müssen sich an Entschädigungsgrundsatz halten

Der BFH bekräftigt: Die Rechte der Verfahrensbeteiligten auf effektiven Rechtsschutz dürfen durch überlange Prozesse nicht faktisch unterlaufen werden. Der Gesetzgeber hat mit § 198 GVG ein scharfes Instrument geschaffen – und der BFH wendet es konsequent an.


📌 Quelle: BFH, Urteil vom 06.11.2024 – X K 1/24


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