Bundestag senkt befristet Umsatzsteuer auf Gas auf sieben Prozent und beschließt (lohn-)steuerfreie Inflationsausgleichsprämie

Schon vom 1. Oktober an soll Gas sowie Fernwärme nur noch mit sieben Prozent statt bisher 19 Prozent besteuert werden, befristet bis zum 31. März 2024. Der Bundestag hat am Freitag, 30. September 2022, mit breiter Mehrheit den Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz (20/3530) beschlossen. Für den Entwurf in einer vom Finanzausschuss geänderten Fassung stimmten SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. 

Die Einbeziehung der Fernwärme in die Steuersenkung hatte der Finanzausschuss zuletzt noch auf Antrag der Koalitionsfraktionen in einer Sondersitzung beschlossen. Zuvor hatten die Koalitionsfraktionen die Steuerfreiheit für Zahlungen der Arbeitgeber zum Ausgleich der Belastungen durch die Inflation in Höhe von 3.000 Euro bis Ende 2024 mit Änderungsanträgen in den Gesetzentwurf eingefügt. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (20/3744) zugrunde. Der Haushaltsausschuss hat gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages einen Bericht über die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt (20/3745) vorgelegt. Ein ursprünglich von der Unionsfraktion zum Gesetzentwurf vorgelegter Entschließungsantrag (20/3758), der namentlich abgestimmt werden sollte, wurde zurückgezogen. Darin hatten CDU/CSU gefordert, die Gaspreisanpassungsverordnung mit sofortiger Wirkung aufzuheben.

In der abschließenden Plenardebatte nahmen die am Vortag bekanntgegebenen Regierungspläne für ein neues Entlastungspaket im Volumen von bis zu 200 Milliarden Euro fast mehr Raum ein als der Gesetzentwurf, auch wenn sie noch nicht ins parlamentarische Verfahren eingebracht sind.

Minister Lindner: Befinden uns in einem Energiekrieg

Mit den Worten „wir befinden uns in einem Energiekrieg“ eröffnete Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Debatte. Knappheiten beim Gas würden zu einer Waffe gemacht. Das Kalkül des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei, „dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt erodiert“ und in der Folge „die Solidarität dieses Landes gegenüber der Ukraine endet“. Von den schon erfolgten und beabsichtigten Maßnahmen der Bundesregierung, gehe das Signal aus: „Er wird mit dieser Absicht scheitern.“

Konkret zur Steuersenkung auf Gas und Fernwärme erklärte Lindner: „Der Staat darf nicht Profiteur davon sein, dass für die Menschen das Leben teurer wird.“ Er verwies auf diverse Bemühungen, die Gaspreise zu senken, darunter die zur gleichen Zeit auf europäischer Ebene beratenen Maßnahmen. Trotz alledem werde der Gaspreis immer noch so hoch bleiben, dass er für die Menschen und die Wirtschaft eine Belastung darstellt, und deshalb leiste der Staat seinen Beitrag dadurch, dass er die Steuerlast auf den Gaspreis reduziert. Zu dem angekündigten 200-Milliarden-Euro-Paket sagte Lindner, es diene dazu, im Energiekrieg die wirtschaftliche Stabilität zu erhalten. Da aber ansonsten die Schuldenbremse weiter gelten solle, gehe das Signal an die Kapitalmärkte: „Hinter dem Abwehrschirm bleiben wir solide.“

CDU/CSU kritisiert zu zögerliches Handeln

Die Redner der Union verbanden ihre Zustimmung zu den Maßnahmen der Regierung mit der Kritik, dass diese zu zögerlich handle. So verwies Alois Rainer (CDU/CSU) darauf, dass die Koalitionsmehrheit eine schon im Februar von seiner Fraktion beantragte Umsatzsteuersenkung auf Gas, Strom und Fernwärme abgelehnt habe. Die Menschen hätten es „satt, dass Sie die Probleme immer erst in allerletzter Sekunde angehen“.

Sein Fraktionskollege Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) verwies darauf, dass die Bürger angesichts eines drei-, vier- oder fünffach erhöhten Gaspreises selbst bei reduziertem Steuersatz in der Summe immer noch mehr Steuer zahlen müssten als vor der Preissteigerung. An dem von Bundeskanzler Scholz als „Doppel-Wumms“ bezeichneten 200-Milliarden-Euro-Paket kritisierte Middelberg, es sei bisher nicht klar, wie konkret Bürger und Wirtschaft entlastet werden sollen. Bisher sei „dieses Papier nichts anderes als ein Schuldenwumms“.

SPD: Lösen unsere Verprechen ein

Tim Klüssendorf (SPD) hielt der Union vor, er habe von ihr „auch in dieser Debatte keinen einzigen Vorschlag gehört, wie Sie es besser machen wollen“. Unter Aufzählung bisheriger und beabsichtigter Maßnahmen bescheinigte er der Koalition, sie handele „entschlossen, schlagkräftig und schnell“.

Auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme zum 1. Oktober kommt nach Klüssendorfs Einschätzung zum richtigen Zeitpunkt, „weil die Heizperiode jetzt beginnt“. In Blick auch auf den am Vortag angekündigten „Abwehrschirm“ sagte er: „Wir haben versprochen, wir lassen niemand in diesem Land allein, und das lösen wir hiermit ein.“

AfD kritisiert parlamentarisches Verfahren

Heftige Kritik am parlamentarischen Verfahren bei der Beratung des Gesetzentwurfs übte, neben anderen Rednern aus den Oppositionsfraktionen, insbesondere Klaus Stöber (AfD). Er bemängelte, dass zwei Tage vor der Schlussabstimmung in zwei Ausschusssitzungen kurz hintereinander und ohne ausreichende Vorbereitungszeit noch gravierende Änderungen vorgenommen worden seien. Seine Fraktion stimme dennoch zu.

Die gegenwärtig zugespitzte Situation ist nach Stöbers Einschätzung auch Folge einer „total verkorksten Energiepolitik“. Zum Festhalten der Regierung am Atomausstieg erklärte er: „Bei Ihnen geht grüne Ideologie vor Vernunft.“ Zudem kritisierte Stöber die Russland-Sanktionen. Zwar sei auch nach seiner Einschätzung Putin kein Demokrat und der Krieg gegen die Ukraine völkerrechtswidrig, aber man schade sich damit selbst mehr als Russland. Und zum Bemühen der Bundesregierung, Gas aus Katar zu erhalten, bemerkte Stöber, der „Bückling“ von Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) vor dem dortigen Herrscher sei „eine Schande für die deutsche Außenpolitik“.

Grüne weisen Kritik an Schuldenaufnahme zurück

Dr. Sebastian Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte mit Blick auf die beabsichtigten zusätzlichen Schulden von 200 Milliarden, dass ihn diese als Finanz- und Haushaltspolitiker „sehr schmerzen“. Aber, hielt er der Union mit Verweis auf die unter ihren Regierungen gewachsene Abhängigkeit von russischen Energielieferungen vor, „das sind Ihre Schulden“.

Seine Fraktionskollegin Katharina Beck (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass zwei Drittel des Gasverbrauchs in Deutschland durch die Wirtschaft erfolge, bei der aber die Umsatzsteuer ein durchlaufender Posten und deren Senkung damit unwirksam sei. Daher sei es wichtig, dass der nun vorgesehene „Abwehrschirm“ gerade auch die Unternehmen entlaste. Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen) wies Kritik aus der Union, die Ampelkoalition verunsichere die Menschen durch zu langsame Entscheidungen, mit den Worten zurück: „Schüren Sie nicht zusätzlich Angst in der Bevölkerung.“

Linke kritisiert „Chaos“ bei der Gesetzgebung

„Was für ein Chaos“ stöhnte Christian Leye (Die Linke) angesichts des Vorgehens der Koalitionsfraktionen bei der parlamentarischen Beratung der Steuersenkung. Dieses Chaos sowie „handwerkliche Schnitzer“ im Gesetzentwurf seien der Grund, dass sich seine Fraktion bei der Abstimmung enthalten müsse.

Mit Blick auf das 200-Milliarden-Paket kam Leye zu der Feststellung, dass die Schuldenbremse „faktisch tot“ sei. Finanzminister Christian Lindner sei der einzige, der dies noch nicht wahrhaben wolle.

Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen

Der Gesetzentwurf sieht vor, die Umsatzsteuer auf die Lieferung von Gas zeitlich befristet von derzeit 19 Prozent auf sieben Prozent zu senken. Die Senkung betrifft den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 31. März 2024. Wie die Fraktionen schreiben, entspricht dies dem Zeitraum, in dem auch die Gasbeschaffungsumlage erhoben wird. Damit den Kunden keine zusätzlichen Belastungen aus der obligatorischen Erhebung der Umsatzsteuer auf die Gasbeschaffungsumlage entstehen, soll die Umsatzsteuer auf den Gasbezug insgesamt gesenkt werden.

Zur Begründung heißt es, die steigenden Energiepreise seien bereits jetzt eine große Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger. Die Bestrebungen, Deutschland schnellstmöglich unabhängig von russischem Erdgas zu machen, könnten diese Entwicklung verstärken. Auch die Umlage zur Finanzierung der Ersatzbeschaffungskosten der von ausbleibenden russischen Lieferungen betroffenen Gasimporteure werde weitere Preisanstiege nach sich ziehen. Von den Unternehmen erwarten die Koalitionsfraktionen, dass sie die Senkung der Umsatzsteuer in vollem Umfang an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Mindereinnahmen durch die Umsatzsteuersenkung werden bis zum Jahre 2024 auf insgesamt 11,265 Milliarden Euro veranschlagt.

Änderungen im Ausschuss

Der Finanzausschuss hatte dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf am Mittwoch, 28. September, zugestimmt. Mit Änderungsanträgen hatten die Koalitionsfraktionen zuvor noch die Steuerfreiheit für Zahlungen der Arbeitgeber zum Ausgleich der Belastungen durch die Inflation in Höhe von 3.000 Euro bis Ende 2024 eingefügt. Der Änderung stimmten im Ausschuss die Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie die CDU/CSU-Fraktion zu. Die AfD-Fraktion und die Fraktion Die Linke enthielten sich. 

In einer Sondersitzung am Nachmittag desselben Tages stimmte der Ausschuss einer weiteren Änderung zu: Die ab 1. Oktober vorgesehene Reduzierung der Umsatzsteuer auf Gaslieferungen wird auch für Fernwärme gelten. Für die von den Koalitionsfraktionen beantragte Einbeziehung der Fernwärme votierten alle Fraktionen. Für den Gesetzentwurf insgesamt stimmten alle Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion Die Linke, die sich wegen rechtsförmlicher Bedenken enthielt.

Quelle: Bundestag, Mitteilung vom 30.09.2022