Bundesverfassungsgericht zum Fremdvergleich: Schriftformerfordernis ist nur ein Kriterium

Kernaussage des Urteil BVerfG 27.05.2025 2 BvR 172/24:

Behandelt ein Finanzgericht die Schriftform im Rahmen des Fremdvergleichs wie ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG (Betriebsausgaben), verletzt das den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Entscheidend ist stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände.

Einordnung des Falls:
Im Streit standen Anlaufverluste inkl. einer Schadensersatzzahlung (4 Mio. €) zwischen Schwester-Personengesellschaften. Finanzamt und FG versagten den Betriebsausgabenabzug im Wesentlichen mit der Begründung, es habe an schriftlichen Vereinbarungen gefehlt; Beweisanträge zu mündlichen/konkludenten Abreden ließ das FG unberücksichtigt. Das BVerfG hob auf: Die Verselbständigung der Schriftform ist willkürlich, weil sie die gebotene Gesamtwürdigung ersetzt.


Was bedeutet das für die Praxis?

  • Schriftform hilft – ist aber nicht zwingend. Sie ist ein Beweiserleichterungs- und kein Tatbestandsmerkmal.
  • Gesamtwürdigung ist Pflicht. Auch mündliche/konkludente Vereinbarungen, gelebte Praxis, Buchungsunterlagen, Korrespondenz, Lieferscheine, Abrechnungen, interne Beschlusslagen u. Ä. sind zu berücksichtigen.
  • Behörden & Gerichte dürfen den Abzug nicht allein wegen fehlender Schriftform versagen, ohne die übrigen Indizien zu würdigen.
  • Rechtsmittelchancen steigen, wenn Beweisanträge zu tatsächlichen Abreden bislang übergangen wurden.

Checkliste „Fremdvergleich mit Gesamtwürdigung“

Nutzen Sie diese Liste für Betriebsprüfung und Einspruch/Klage:

  1. Leistungsinhalt & Preisbildung
    • Marktkonforme Konditionen? Vergleich mit Drittangeboten/Benchmarks.
  2. Durchführung wie unter Fremden
    • Bestellung, Lieferung, Abnahme, Abrechnung, Zahlungsfluss (Timing/Skonto/Mahnwesen).
  3. Risikoverteilung
    • Trägt die wirtschaftlich passende Partei das Risiko (z. B. Planungs-/Leistungsrisiken)?
  4. Dokumentation (auch ohne Vertrag)
    • E-Mails, Protokolle, Pflichtenhefte, Auftrags-/Projektpläne, Rechnungen, Kostenstellen, Leistungsnachweise.
  5. Kontinuität & Plausibilität
    • Übereinstimmung zwischen Plan/Claim und Buchführung; keine abweichenden Cash-Flows über Dritte.
  6. Geschäftsgrund & Vorteilsausgleich
    • Wirtschaftliche Motivation (z. B. Schadensausgleich) nachvollziehbar?
  7. Verfahrensseite
    • Wurden Beweisanträge gestellt (Zeugen, Urkunden, Sachverständige)? Wurden sie übergangen?

Do’s & Don’ts

Do:

  • Frühzeitig Indizienmappe anlegen (Korrespondenz, Projektakten, Buchungsbelege).
  • Im Rechtsbehelf Gesamtwürdigung strukturieren (Checkliste als Gliederung).
  • Explizit rügen, wenn das Amt/FG ausschließlich auf Schriftform abstellt.

Don’t:

  • Schriftformfetischismus: Kein Abzug allein wegen fehlender Vertragsurkunde akzeptieren.
  • Unterlagen „nach Aktenlage“ stehen lassen – Beweisanträge aktiv stellen.

Praxistipp für Mandanten

  • Verträge schriftlich festhalten, wenn möglich – das spart Streit.
  • Wo das versäumt wurde: Dokumente nachziehen, gelebte Praxis belegen (E-Mails, Abnahmen, Zahlungsflüsse).
  • In gruppeninternen Konstellationen Drittvergleich durch Benchmarks dokumentieren.