Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Jährliche Inflationsrate im Euroraum im Dezember 2019 auf 1,3 % gestiegen

Anstieg in der EU auf 1,6 %

Eurostat, Pressemitteilung vom 17.01.2020

Die jährliche Inflationsrate im Euroraum lag im Dezember 2019 bei 1,3 %, gegenüber 1,0 % im November. Ein Jahr zuvor hatte sie 1,5 % betragen. Die jährliche Inflationsrate in der Europäischen Union lag im Dezember 2019 bei 1,6 %, gegenüber 1,3 % im November. Ein Jahr zuvor hatte sie 1,6 % betragen. Diese Daten werden von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, veröffentlicht.

Die niedrigsten jährlichen Raten wurden in Portugal (0,4 %), Italien (0,5 %) und Zypern (0,7 %) gemessen. Die höchsten jährlichen Raten wurden in Ungarn (4,1 %), Rumänien (4,0 %), Tschechien und der Slowakei (je 3,2 %) gemessen. Gegenüber November ging die jährliche Inflationsrate in zwei Mitgliedstaaten zurück, blieb in drei unverändert und stieg in dreiundzwanzig an.

Im Dezember kam der höchste Beitrag zur jährlichen Inflation im Euroraum von Dienstleistungen (+0,80 Prozentpunkte, Pp.), gefolgt von Lebensmitteln, Alkohol und Tabak (+0,38 Pp.), Industriegütern ohne Energie (+0,12 Pp.) sowie Energie (+0,02 Pp.).

https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10159215/2-17012020-AP-DE.pdf

Quelle: Eurostat

Was tut die Bundesregierung für Familien?

Bundesregierung, Mitteilung vom 17.01.2020

Die meisten Eltern möchten Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Sie brauchen dafür familienfreundliche Arbeitszeiten, gute Kinderbetreuung und finanzielle Sicherheit. Die Bundesregierung unterstützt Familien mit einer Vielzahl von Maßnahmen. Ein Überblick.

Familien halten unsere Gesellschaft zusammen. Sie stehen im Mittelpunkt der Politik der Bundesregierung. Es gilt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Familien ein Leben nach ihren Vorstellungen ermöglichen.

Deshalb hat die Bundesregierung sich in dieser Legislaturperiode folgende Schwerpunkte in der Familienpolitik gesetzt:

  • Familien finanziell entlasten
  • die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern
  • Familien mit kleinem Einkommen stärker unterstützen und Kinderarmut bekämpfen
  • Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder von bedürftigen Familien verbessern
  • die Länder bei der Schaffung von Kita-Plätzen weiter unterstützen
  • die Qualität in den Kitas verbessern
  • den Erzieherberuf aufwerten
  • pflegende Angehörige entlasten
  • einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen schaffen

Diese Ziele knüpfen an bestehende familienpolitische Maßnahmen an:

So gibt es beispielsweise zur Unterstützung aller Familien Kindergeld, Elternzeit und Elterngeld. Um Familien mit kleinen Einkommen, die ohne die Leistung auf die Grundsicherung (Arbeitslosengeld II) angewiesen wären, besser zu unterstützen, gibt es – zusätzlich zum Kindergeld – den Kinderzuschlag. Alleinerziehende, die vom anderen Elternteil keinen oder nicht regelmäßig Unterhalt für ihr Kind erhalten, können Unterhaltsvorschuss beantragen.

Durch bedarfsgerechte Kinderbetreuung können Eltern Beruf und Familie besser vereinbaren – häufig die Grundvoraussetzung dafür, dass Mütter und Väter arbeiten können. Deshalb unterstützt der Bund die Länder seit Jahren mit massiven Finanzhilfen bei der Schaffung von Kita-Plätzen. Für eine gute frühkindliche Bildung und Betreuung braucht es aber auch qualifizierte und motivierte Fachkräfte. Der Bund unterstützt deshalb verschiedene Länderinitiativen und Modellprojekte zur Qualifizierung von Wieder- und Quereinsteigerinnen und -einsteigern.

Das haben wir bisher erreicht…

…für Familien allgemein

  • Um Familien weiter zu entlasten, hat die Bundesregierung das Kindergeld erhöht: In der ersten Stufe seit Juli 2019 ist es um zehn Euro monatlich pro Kind gestiegen. 2021 wird es um weitere 15 Euro steigen. Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend. Davon profitieren insgesamt 17 Millionen Kinder und ihre Eltern.
  • Fast alle Eltern wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten. Vor allem Mütter mit geringer Wochenarbeitszeit würden nach einer Teilzeitphase oft gerne mehr arbeiten. Bisher sah das Teilzeitrecht lediglich den Anspruch auf unbegrenzte Teilzeitarbeit vor. Die neue Brückenteilzeit ermöglicht Beschäftigten seit dem 1. Januar 2019, auch befristet ein bis fünf Jahre Teilzeit zu arbeiten und danach wieder zur vorherigen Arbeitszeit zurückzukehren.
  • Die Reform des Adoptionsrechts führt zu einer umfassenden und guten Beratung von gleichermaßen aufnehmenden und abgebenden Eltern sowie Kindern – auch in Stieffamilien.

…für Familien mit geringem Einkommen und Alleinerziehende

  • Mit dem Starke-Familien-Gesetz hat die Bundesregierung den Kinderzuschlag in zwei Schritten neu gestaltet: Bereits zum 1. Juli 2019 ist er von vorher 170 Euro auf nun bis zu 185 Euro pro Monat und Kind gestiegen. Zum 1. Januar 2020 sind die oberen Einkommensgrenzen entfallen. Dadurch können auch Familien mit etwas höheren Einkommen Kinderzuschlag beziehen. Durch die nur noch anteilige Anrechnung von Kindeseinkommen – zum Beispiel aus Unterhaltszahlungen oder einer Ausbildungsvergütung – werden auch Kinder von Alleinerziehenden mit der Leistung wirksam unterstützt.
  • Bedürftige Familien erhalten Bildungs- und Teilhabeleistungen für ihre Kinder. Das Starke-Familien-Gesetz hat diese Leistungen seit dem 1. August 2019 verbessert: Der Betrag für den Schulbedarf und der monatliche Betrag für soziale und kulturelle Aktivitäten wurden erhöht, das Mittagessen in Kita und Schule sowie das Schülerticket für Bus und Bahn sind seitdem kostenlos und auch die Kosten für die Lernförderung werden übernommen – nicht erst bei Versetzungsgefährdung.
  • Alleinerziehende, die vom anderen Elternteil keinen oder nicht regelmäßig Unterhalt für ihr Kind erhalten, können Unterhaltsvorschuss beantragen. Die Sätze dafür haben sich zum 1. Januar 2020 erhöht: Je nach Alter des Kindes liegt der Unterhaltsvorschuss nun zwischen 165 und 293 Euro pro Monat und Kind.

…bei der Kinderbetreuung

  • Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Qualität der frühen Bildung dauerhaft zu verbessern und Familien mit geringem Einkommen zu entlasten. Dafür unterstützt sie die Länder durch das Gute-Kita-Gesetz bis 2022 mit insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Jedes Bundesland entscheidet selbst, wie es die Mittel des Bundes einsetzt – ob beispielsweise für längere Öffnungszeiten, zusätzliche Erzieher, gezielte Sprachförderung oder weniger Gebühren. Familien mit geringem Einkommen müssen außerdem seit dem 1. August 2019 keine Kita-Gebühren mehr zahlen.
  • Die Bundesregierung stellt im Rahmen des Bundesprogramms „Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher“ bis 2022 Ländern und Einrichtungen vor Ort rund 300 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel ist, junge Menschen für den Erzieherberuf zu gewinnen und Fachkräfte zu halten.

…bei der Pflege von Angehörigen

  • Erwachsene Kinder werden erst dann zu Unterhaltszahlungen für ihre pflegebedürftigen Eltern herangezogen, wenn ihr Jahreseinkommen 100.000 Euro brutto übersteigt. Dafür hat die Bundesregierung mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz gesorgt.

Und das werden wir als nächstes tun

Ein wichtiger Schwerpunkt wird der Ausbau der Ganztagsbetreuung in der Grundschule sein. Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote stärken Grundschulkinder und helfen den Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da der Bedarf an diesen Angeboten noch nicht gedeckt ist, wird die Bundesregierung die Länder in den Jahren 2020 und 2021 mit insgesamt zwei Milliarden Euro für den Ganztagsausbau unterstützen. Bis zum Jahr 2025 will die Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter einführen.

Ein weiteres wichtiges Vorhaben: Familienleistungen sollen künftig einfach, leicht und schnell online beantragt werden können. „Nicht der Bürger läuft, sondern seine Daten“ – so der Grundgedanke. In einem ersten Schritt sollen Kindergeld, Elterngeld und Kinderzuschlag künftig bundesweit online und papierlos beantragt werden können. Ziel ist die umfassende Digitalisierung aller Familienleistungen.

Quelle: Bundesregierung

Mutterschaftsgeld: Das zweite Kind zur falschen Zeit?

LSG Niedersachsen-Bremen, Pressemitteilung vom 20.01.2020 zum Urteil L 16 KR 191/18 vom 17.12.2019

Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld kann durch eine Reihe von Erhaltungstatbeständen aufrechterhalten werden. Wie weit diese Kette reicht, hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) in einem aktuellen Urteil aufgezeigt.

Geklagt hatte eine Mutter (geb. 1981) aus Göttingen, die bis Ende 2015 befristet beschäftigt war. Während ihrer ersten Schwangerschaft lief der Zeitvertrag aus. Sie bezog für drei Wochen Arbeitslosengeld, danach Mutterschaftsgeld und zuletzt bis März 2017 Elterngeld. Sie wurde erneut schwanger und noch in der Zeit des ersten Elterngeldes begann die Mutterschutzfrist für das zweite Kind.

Ihre Krankenkasse lehnte die Zahlung von weiterem Mutterschaftsgeld ab. Zur Begründung verwies sie auf ein älteres Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Das Arbeitsverhältnis der Frau sei bei Beginn der neuen Schutzfrist beendet gewesen und sie sei lediglich durch den Elterngeldbezug beitragsfrei versichert gewesen. In solchen Fällen bestehe kein neuer Anspruch auf Mutterschaftsgeld.

Dem hielt die Frau entgegen, dass sie zumindest ihren Pflichtversicherungsstatus als Arbeitslose aufrechterhalten habe. Hätte die zweite Schwangerschaft nur wenig später begonnen, so wäre sie erneut arbeitslos gewesen. Dass die zweite Schutzfrist rein zufällig in die erste Elterngeldzeit falle, könne daran nichts ändern.

Das LSG hat die Krankenkasse zur Zahlung verurteilt. Es hat darauf verwiesen, dass der vollwertige Versicherungsstatus als Arbeitslose durch eine Kette von nahtlosen Erhaltungstatbeständen aufrechterhalten wurde. Denn die Frau habe sich – anders als im Leiturteil des BSG – nicht vollständig aus dem Arbeitsleben gelöst bzw. ihre Beziehung zum Erwerbsleben abgebrochen. Es sei gerade nicht erforderlich, zunächst das erste Elterngeld auslaufen zu lassen und sich vor der zweiten Schutzfrist kurzzeitig arbeitslos zu melden.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen

Keine Überwachung des ruhenden Verkehrs durch private Dienstleister

OLG Frankfurt, Pressemitteilung vom 20.01.2020 zum Beschluss 2 Ss-Owi 963/18 vom 03.01.2020

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat in einer Grundsatzentscheidung die Überwachung des ruhenden Verkehrs durch „private Dienstleister“ für gesetzeswidrig erklärt. Die so ermittelten Beweise unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot, entschied das OLG mit am 20.01.2020 veröffentlichten Beschluss.

Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main (Stadt Frankfurt) hatte als Ortspolizeibehörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot gegen den Betroffenen ein Verwarngeld von 15 Euro verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Frankfurt am Main das Verwarngeld durch Urteil vom 19.07.2018 bestätigt. Die Feststellungen zu dem Parkverstoß beruhen auf der Angabe des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen H.. Dieser war der Stadt Frankfurt durch „die Firma W. überlassen“ und von der Stadt als „Stadtpolizist“ bestellt worden. Die Tätigkeit übte der Zeuge in Uniform aus.

Gegen diese Verurteilung wendete sich der Betroffene vor dem OLG mit Erfolg. Das Verfahren sei einzustellen, da die zugrundeliegenden Beweise einem absoluten Beweisverwertungsverbot unterlägen, begründete das OLG seine Entscheidung. Der Einsatz „privater Dienstleister“ zur Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs sei gesetzeswidrig. Das Recht, Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, sei ausschließlich dem Staat – hier konkret der Polizei – zugewiesen. Dieses im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte staatliche Gewaltmonopol beziehe sich auf die gesamte Verkehrsüberwachung, d. h. sowohl den fließenden als auch den ruhenden Verkehr.

Im Einzelnen:

Das OLG hatte zunächst das Innenministerium gebeten, die Rechtsstruktur des Vorgehens der Stadt Frankfurt mitzuteilen. Nach Rücksprache mit der Stadt Frankfurt erklärte das Ministerium, dass die Stadt Frankfurt für die Kontrolle des ruhenden Verkehrs Leiharbeitskräfte eines privaten Dienstleisters auf Basis einer Stundenvergütung einsetze. Die von der privaten Firma überlassenen Leiharbeitskräfte würden „unter dem Einsatz des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sowie einer physisch-räumlichen und organisatorischen Integration in die Gemeindeverwaltung“ durch „das Regierungspräsidium Darmstadt gem. § 99 Abs. 3 Nr. 4e HSOG zu Hilfspolizeibeamtin und -beamten bestellt“ (Stellungnahme der Stadt Frankfurt vom 20.05.2019). Gemäß § 99 Abs. 2 S.1 HSOG hätten Hilfspolizeibeamte im Rahmen ihrer Aufgaben die Befugnisse von Polizeivollzugsbeamten. Diese umfassenden Rechte seien einzelvertraglich wieder beschränkt. Das Innenministerium teilte zudem mit, dass neben der Stadt Frankfurt auch weitere Kommunen in Hessen Aufgaben bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs an Leiharbeitskräfte übertragen hätten und diese jeweils zu Hilfspolizeibeamten bestellt worden seien. Diese Leiharbeitskräfte trügen in einigen Kommunen Uniformen, aber nicht in allen.

Dieses Vorgehen erklärte das OLG nun für gesetzeswidrig: Die der Stadt Frankfurt als Polizeibehörde gesetzlich zugewiesene Verpflichtungen, den ruhenden Verkehr zu überwachen und Verstöße zu ahnden, seien hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürften diese Aufgaben nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben sei unzulässig. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden sei gesetzeswidrig.

Es gebe keine vom Parlament erlassene Ermächtigungsgrundlage, die die Stadt Frankfurt berechtigte, die Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs auf „Dritte“ zu übertragen. Ein über die Arbeitnehmerüberlassung entliehener Mitarbeiter werde nicht „Bediensteter“ der Stadt Frankfurt und könne deshalb auch nicht durch einen hoheitlichen Bestellungsakt „Stadtpolizist“ werden. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz diene dazu, den Missbrauch von Arbeitnehmerüberlassung im privatwirtschaftlichen Bereich einzudämmen. Ein Wirtschaftsunternehmen (und nicht der Staat) dürfe kurzfristige auftretende Tätigkeitsspitze durch die kurzfristige Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgleichen, wobei entscheidend sei, dass der entliehene Arbeitnehmer im verleihenden Unternehmen verbleibe.

Das Regierungspräsidium Darmstadt habe für die vorliegend vorgenommene Bestellung einer Privatperson zu einem „Stadtpolizisten“ auch keine Zuständigkeit. Sie ergebe sich insbesondere nicht aus § 99 Abs. 3 Nr. 4 HSOG. § 99 HSOG erfülle vielmehr nicht die Voraussetzungen für eine Ermächtigungsnorm und könne als Landespolizeigesetz diese auch nicht erfüllen. § 99 HSOG regele lediglich die Frage einer möglichen landesspezifischen Umsetzung bei der Durchführung („Wie“), wenn dies in einer Ermächtigungsgrundlage vorgesehen wäre („Ob“). Für die Verkehrsüberwachung fehle jedoch diese Ermächtigungsgrundlage. Mit Hilfe des Polizeirechts der Länder könne eine verfassungsrechtlich verankerte und in Bundesgesetzen geregelte Kompetenz-, Regelungs- und Sanktionierungszuweisung nicht umgangen oder außer Kraft gesetzt werden.

§ 99 Abs. 3 HSOG sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen (polizeilichen) Tätigkeiten jeweils eigene Bedienstete und Bedienstete der jeweils nachgeordneten Behörden als „Hilfspolizeibeamte“ bestellen könne. Die Stadt Frankfurt könne daher nach § 99 Abs. 3 HSOG für die eigene „Stadtpolizei“ „eigene Bedienstete“ bestellen. Das habe sie indes nicht getan.

Stattdessen habe sie die „Verkehrsüberwachung den privaten Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchführen“ lassen. Es sei nach Außen der „täuschende(n) Schein der Rechtstaatlichkeit“ aufgebaut worden, „um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln“. Tatsächlich seien diese aber durch einen „privaten Dienstleister“ durchgeführt worden, der im Ergebnis durch Verwarngelder finanziert werde, deren zu Grunde liegende Verstöße er selbst erhebe.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.1.2020, Az: 2 Ss-Owi 963/18
(vorausgehend Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 19.7.2018, Az: 979 OWi – 858 Js 47749/17)

Erläuterungen:

In Frankfurt wurden 2018 über 700.000 Parkverstöße geahndet mit einem Sanktionswert von über 10 Mio. €. Das OLG Frankfurt ist laut der Beschlussbegründung das erste OLG, welches sich mit der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes „privater Dienstleister“ im Bereich der Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs befasst.

Den Einsatz sog. „privater Dienstleister“ bei der Überwachung des fließenden Verkehrs hatte das OLG bereits grundsätzlich für gesetzeswidrig erklärt (Grundsatzentscheidungen v. 26.04.2017 – 2 Ss-Owi 295/17 sog. Lauterbach-Entscheidung; Beschluss vom 06.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19 – vgl. Presseerklärung Nr. 65/2019 vom 12.11.2019; Beschluss vom 27.11.2019 – 2 Ss-OWi 1092/19 – vgl. Presseerklärung Nr. 78/2019 vom 20.12.2019).

Art. 33 Grundgesetz [Staatsbürgerliche Rechte]

(1) ….
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

§ 99 HSOG Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte

(1) 1 Zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben können Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden; in den Landkreisen und Gemeinden können sie die Bezeichnung Ordnungspolizeibeamtin oder Ordnungspolizeibeamter führen. 2 Die Bestellung ist widerruflich.
(2) …
(3) 1 Zu Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamten können bestellen
1. die kreisfreien Städte und Landkreise eigene Bedienstete,
2. die Polizeibehörden eigene Bedienstete,
3. die Landräte eigene Bedienstete und Bedienstete kreisangehöriger Gemeinden,
4. die Regierungspräsidien
a) Bedienstete sonstiger Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts,
b) Privatforstbedienstete, die als Forstschutzbedienstete amtlich bestätigt worden sind, und, soweit in sonstigen Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, Bedienstete von Unternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen,
c) amtlich verpflichtete Fischereiaufseherinnen und Fischereiaufseher,
d) sonstige Bedienstete des Landes,
e) andere Personen.
2 Bestellungen von Bediensteten kreisangehöriger Gemeinden sowie Bestellungen nach Satz 1 Nr. 4 Buchst. a bis c erfolgen auf Antrag.
(4)…

Downloads: 

Presseinformation vom 20.01.2020: Private Dienstleister und ruhender Verkehr (PDF / 267.77 KB)

Quelle: OLG Frankfurt

Neue unterhaltsrechtliche Leitlinien des OLG Oldenburg

OLG Oldenburg, Pressemitteilung vom 20.01.2020

Die Familiensenate des Oberlandesgerichts Oldenburg haben die aktualisierte, ab Januar 2020 geltende Fassung ihrer unterhaltsrechtlichen Leitlinien veröffentlicht.

Diese Leitlinien dienen der Information der Öffentlichkeit und der Gerichte über die Grundsätze der Rechtsprechung in Unterhaltsverfahren. Gleichzeitig tragen sie bei gleichgelagerten Problemen zu einer einheitlichen Rechtsanwendung bei. Sie sind allerdings nur eine Richtlinie und nicht rechtsverbindlich.

Quelle: OLG Oldenburg

Unterhaltsrechtliche Leitlinien des KG Berlin für 2020 veröffentlicht

KG Berlin, Pressemitteilung vom 20.01.2020

Die Familiensenate des Kammergerichts haben ihre unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2020 veröffentlicht. Diese Leitlinien dienen der Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts in der Praxis. Sie konkretisieren unbestimmte Rechtsbegriffe des Unterhaltsrechts und pauschalieren die unterhaltsrelevanten Beträge.

Hintergrundinformationen zu den Änderungen der Leitlinien:

Die unterhaltsrechtlichen Leitlinien werden von den Familiensenaten des Kammergerichts in der Regel im Jahresturnus, jeweils im Nachgang zur Bekanntmachung einer neuen „Düsseldorfer Tabelle“ beschlossen, um den Berliner Familiengerichten, aber auch der unterhaltsrechtlichen Praxis der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, den Berliner Jugendämtern und der Unterhaltsvorschusskassen sowie den Berliner Sozialbehörden eine erste Orientierungshilfe in Unterhaltssachen zu geben. Sie binden die Rechtsprechung nicht.

Die unterhaltsrechtlichen Leitlinien 2020 enthalten keine inhaltlichen Änderungen gegenüber dem Vorjahr, sondern beschränken sich auf die Übernahme des Zahlenwerkes der aktuellen „Düsseldorfer Tabelle“ vom 1. Januar 2020, ohne jedoch deren Anmerkungen oder Erläuterungen zu übernehmen. Diese werden vielmehr für den Bezirk des Kammergerichts durch die Leitlinien ersetzt.

Quelle: KG Berlin

Betriebliche Altersversorgung der IKK classic – Abrechnungsverband Ost der VBL

BAG, Pressemitteilung vom 21.01.2020 zum Urteil 3 AZR 73/19 vom 21.01.2020

Auch im sog. Abrechnungsverband Ost der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) haben die Arbeitnehmer der IKK classic nach den dort geltenden Tarifverträgen einen Eigenanteil zu ihrer betrieblichen Altersversorgung zu tragen.

Der Kläger ist seit 1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin angestellt. In seinem Arbeitsvertrag wird u. a. auf sonstige Tarifverträge in der jeweils für die Beklagte geltenden Fassung Bezug genommen. Bei der Beklagten gelten „Tarifverträge über die betriebliche Altersversorgung“ bei den Innungskrankenkassen und ihren Verbänden, die von Arbeitgeberseite zum einen mit der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di) und zum anderen mit der Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS) abgeschlossen wurden. Bezüglich Inhalt und Umfang der Versorgungsleistungen wird auf die Satzung der VBL in der jeweils gültigen Fassung verwiesen. Zur Finanzierung ist bestimmt, dass sich diese durch den Arbeitgeber nach den Vorgaben der VBL-Satzung richtet. Die Beklagte behielt ab dem 1. Januar 2003 von der monatlichen Vergütung des Klägers, dessen Arbeitsverhältnis zum sog. Abrechnungsverband Ost der VBL gehört, jeweils einen prozentualen Anteil entsprechend der jeweils geltenden VBL-Satzung als Arbeitnehmerbeitrag zur betrieblichen Altersversorgung ein und führte diesen an die VBL ab. Die auf Zahlung von einbehaltenen Arbeitnehmerbeiträgen zur betrieblichen Altersversorgung gerichtete Klage ist von den Vorinstanzen abgewiesen worden.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Nach den vorliegend einschlägigen Vereinbarungen sowohl in der mit ver.di als auch in der mit der GdS vereinbarten Fassung ergibt sich, dass Arbeitnehmer der Beklagten im sog. Abrechnungsverband Ost einen Eigenanteil zu ihrer betrieblichen Altersversorgung bei der VBL zu tragen haben. Das folgt aus deren Auslegung. Die Verweisung in den maßgeblichen Tarifverträgen auf die Satzung der VBL zur Regelung von Inhalt und Umfang der betrieblichen Altersversorgung ist rechtlich zulässig.

Die Klage in einem weiteren am 21.01.2020 verhandelten Verfahren (Az. 3 AZR 225/19), das rechtlich ähnlich gelagert ist, war ebenfalls erfolglos.

Quelle: BAG

Kein Nachteilsausgleich für Kabinenpersonal von Air Berlin

BAG, Pressemitteilung vom 21.01.2020 zu den Urteilen 1 AZR 149/19 und 1 AZR 295/19 u. a. vom 21.01.2020

Die infolge der Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin entlassenen Mitglieder des Kabinenpersonals haben keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich.

Für das Kabinenpersonal der Air Berlin war auf der Grundlage eines mit ver.di geschlossenen Tarifvertrags (TVPV) die Personalvertretung Kabine errichtet. Nach § 83 Abs. 3 TVPV ist den Arbeitnehmern ein Nachteilsausgleich zu zahlen, wenn eine geplante Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass über sie ein Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabine versucht wurde, und sie infolge dieser Maßnahme entlassen werden.

Anfang Oktober 2017 unterrichtete Air Berlin die Personalvertretung Kabine über die geplante Stilllegung des Geschäftsbetriebs zum 31. Januar 2018. Nachdem die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs erfolgslos blieben, rief Air Berlin die Einigungsstelle an. Diese erklärte sich am 10. Januar 2018 für unzuständig. Ende Januar 2018 kündigte der Insolvenzverwalter den im Kabinenbereich Beschäftigten betriebsbedingt. Mit ihren Klagen haben die vormals als Flugbegleiterinnen tätigen Klägerinnen die Gewährung eines Nachteilsausgleichs verlangt. Sie haben geltend gemacht, die Betriebsänderung in Form der Stilllegung des Flugbetriebs sei bereits mit den Ende November 2017 erfolgten Kündigungen der Piloten durchgeführt worden; zu diesem Zeitpunkt sei der Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabine noch nicht hinreichend versucht gewesen.

Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen. Die Revisionen hatten vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. § 83 Abs. 3 TVPV sanktioniert die Verletzung des personalvertretungsrechtlichen Verhandlungsanspruchs. Dieser bezieht sich ausschließlich auf kabinenpersonalbezogene Maßnahmen. Das folgt aus einem gesetzeskonformen Verständnis des tariflich geregelten Beteiligungsrechts der Personalvertretung Kabine. Der TVPV gilt nach seinem persönlichen Geltungsbereich nur für das Kabinenpersonal. Könnte die für diese Gruppe errichtete Personalvertretung einen Sachverhalt gestalten, der auch das Cockpitpersonal beträfe, widerspräche dies der in § 4 Abs. 1 TVG angeordneten geltungsbereichsbezogenen Wirkung von Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

Quelle: BAG

Europäische Staatsanwaltschaft soll ab Ende 2020 Mehrwertsteuerbetrug und Missbrauch von EU-Mitteln verfolgen

Bundesregierung beschließt Gesetzentwurf für Änderungen im deutschen Recht

BMJV, Pressemitteilung vom 22.01.2020

Das Bundeskabinett hat am 22.01.2020 den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums beschlossen, mit dem im deutschen Recht die Grundlagen geschaffen werden sollen, damit die Europäische Staatsanwaltschaft ab Ende 2020 ihre Arbeit aufnehmen kann.

Die Europäische Staatsanwaltschaft wird als erste unabhängige und dezentrale Staatsanwaltschaft der Europäischen Union Straftaten gegen den EU-Haushalt wie beispielsweise Subventionsbetrug, Korruption und grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug verfolgen und vor Gericht bringen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht:

„Die Europäische Staatsanwaltschaft ist ein großer Schritt zur effektiveren Bekämpfung von grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität und ein klares Signal gegen den Missbrauch von EU-Geldern. Wir schaffen eine gemeinsame Strafverfolgungsbehörde der EU, die schnell und effektiv über Ländergrenzen hinweg ermitteln kann. Das Know-How der Ermittler aus 22 Mitgliedstaaten führen wir zusammen.

Allein durch Mehrwertsteuerbetrug entgehen den EU-Staaten jedes Jahr Milliardenbeträge. Auch durch Betrug mit EU-Finanzmitteln und Korruptionsdelikte entsteht der EU großer finanzieller Schaden. Diese Delikte können in Zukunft sehr viel konsequenter verfolgt werden.“

Die EU-Verordnung zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft ist bereits im November 2017 in Kraft getreten. 22 EU-Staaten beteiligen sich an dieser verstärkten Zusammenarbeit. Im September 2019 einigten sich das Europäische Parlament und der Rat auf die frühere Leiterin der rumänischen Antikorruptionsbehörde Laura Codruta Kövesi als erste Europäische Generalstaatsanwältin. Die Europäische Staatsanwaltschaft wird ihren Sitz in Luxemburg haben.

Die EU-Verordnung enthält die Regelungen zur Struktur der Europäischen Staatsanwaltschaft, ihren Zuständigkeiten, Verfahrensbestimmungen zum Ermittlungsverfahren und zur Zusammenarbeit mit den Behörden der Mitgliedstaaten. In den von der Europäischen Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren finden ergänzend die diesbezüglichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Anwendung. Daher bedarf es ergänzender Regelungen im deutschen Recht, die mit dem heute beschlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung geschaffen werden sollen.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf u. a. vor, dass die Strafvorschriften zum Schutz von Privatgeheimnissen und von Dienstgeheimnissen zukünftig auch auf alle Europäischen Amtsträger anwendbar sind.

  • Den Gesetzentwurf finden Sie beim BMJV.

Quelle: BMJV

Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Umsetzung eines Arbeitnehmers vor der Entscheidung über dessen Gleichstellungsantrag

BAG, Pressemitteilung vom 22.01.2020 zum Beschluss 7 ABR 18/18 vom 22.01.2020

Hat ein als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannter Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung dieses Arbeitnehmers zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn über den Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist.

Die Arbeitgeberin, ein Jobcenter, beschäftigt eine Arbeitnehmerin, die als behinderter Mensch mit einem GdB von 30 anerkannt ist. Am 4. Februar 2015 stellte diese einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit und informierte den Leiter des Jobcenters hierüber. Das Jobcenter setzte die Arbeitnehmerin im November 2015 für die Dauer von sechs Monaten in ein anderes Team um, ohne zuvor die Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört zu haben. Mit Bescheid vom 21. April 2016 stellte die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmerin rückwirkend zum 4. Februar 2015 einem schwerbehinderten Menschen gleich.

Die Schwerbehindertenvertretung hat im Wege eines Hauptantrags und mehrerer Hilfsanträge im Wesentlichen geltend gemacht, das Jobcenter habe sie vorsorglich auch dann zu unterrichten und anzuhören, wenn behinderte Arbeitnehmer, die einen Gleichstellungsantrag gestellt und dies dem Jobcenter mitgeteilt haben, auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung blieb vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Diese Regelung gilt gemäß § 151 Abs. 1 SGB IX für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen. Die Beteiligungspflicht bei Umsetzungen besteht danach nicht, wenn die Umsetzung einen behinderten Arbeitnehmer betrifft, der einen Antrag auf Gleichstellung gestellt hat, über den noch nicht entschieden ist. Die Gleichstellung erfolgt erst durch die konstitutiv wirkende Feststellung der Bundesagentur für Arbeit. Erst ab diesem Zeitpunkt besteht das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei der Umsetzung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Zwar wirkt die Gleichstellung nach § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf den Tag des Eingangs des Antrags zurück. Dies begründet jedoch nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung über den Gleichstellungsantrag vorsorglich über eine Umsetzung zu unterrichten und zu dieser anzuhören. Das ist mit den Vorgaben des Unionsrechts und der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar.

Quelle: BAG