Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Höhere Regelbedarfe in Grundsicherung und Sozialhilfe

Fortschreibung erfolgt gemäß gesetzlicher Vorgaben für 2020 – Regelsatz für volljährige Alleinstehende steigt auf 432 Euro

Das Bundeskabinett hat am 18.09.2019 die „Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2020“ (RBSFV 2020) gebilligt. Mit der Verordnung werden die Regelbedarfsstufen im Bereich der Sozialhilfe (SGB XII) und in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zum 1. Januar 2020 angepasst. Dies erfolgt gemäß gesetzlicher Vorgaben.

Demnach sind die Regelbedarfe in Jahren, in denen die Leistungssätze nicht auf Grundlage einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe neu festgesetzt werden, fortzuschreiben. In die Berechnung fließt sowohl die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen ein sowie die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer. Beide Entwicklungen münden in einen Mischindex, an dem die Preisentwicklung einen Anteil von 70 Prozent und die Nettolohn- und -gehaltsentwicklung einen Anteil von 30 Prozent hat.

Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil:

„Wenn sich Preise und Löhne verändern, muss sich das auch in den Leistungssätzen für Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung und Sozialhilfe niederschlagen. Denn es gehört zum Kern unseres sozialen Rechtsstaates, dass alle Menschen über genügend finanzielle Mittel verfügen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dafür trägt ein gesetzlicher Mechanismus Sorge, der auch in diesem Jahr zum Tragen kommt. Mindestens ebenso wichtig ist allerdings, dass alle Menschen in Deutschland auf den Sozialstaat als verlässlichen Partner bauen können.“

Ab dem 1. Januar 2020 ergeben sich für die Regelbedarfsstufen die folgenden monatlichen Regelsätze:

Regelbedarfsstufe (RBS) 2019 ab 1. Januar 2020 Veränderung in Euro
RBS 1: Volljährige Alleinstehende 424 432 +8
RBS 2: Volljährige Partner 382 389 +7
RBS 3:
SGB XII: Volljährige in Einrichtungen
SGB II: 18 bis 24-Jährige im Elternhaus
339 345 +6
RBS 4: Kinder von 14 bis 17 Jahren 322 328 +6
RBS 5: Kinder von 6 bis 13 Jahren 302 308 +6
RBS 6: Kinder von 0 bis 5 Jahren 245 250 +5

Die Entwicklung der regelbedarfsrelevanten Preise beträgt +1,3 Prozent. Die entsprechende Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer beläuft sich auf +3,22 Prozent.

Die Veränderungsrate für die Fortschreibung der Regelbedarfe beträgt demnach +1,88 Prozent ((0,7 * 1,3 %) + (0,3 * 3,22 %) = 0,91 % + 0,966 % = 1,876 %).

Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen zum 1. Januar 2020 wirkt sich darüber hinaus auf die Bedarfssätze der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie auf die so genannten Analogleistungen aus. Dabei findet die Veränderungsrate bei der Fortschreibung der Bedarfssätze der Grundleistungen nach § 3a AsylbLG Anwendung.

Der Bundesrat muss der Verordnung noch zustimmen. Die Befassung durch den Bundesrat wird voraussichtlich Anfang November erfolgen.

Quelle: BMAS, Pressemitteilung vom 18.09.2019

Mehr Rechtssicherheit für Betriebe bei beanstandungsfreien Betriebsprüfungen

Betriebsprüfungen müssen künftig auch bei fehlenden Beanstandungen zwingend durch einen Verwaltungsakt, der insbesondere den Umfang, die geprüften Personen und das Ergebnis der Betriebsprüfung festhält, beendet werden. Das wird zu mehr Rechtssicherheit führen. Denn weder die „Kopf-und-Seele“-Rechtsprechung einzelner Senate des Bundessozialgerichts noch Betriebsprüfungen, die mangels Beanstandungen ohne Bescheid beendet wurden, vermitteln Vertrauensschutz. Dies hat heute der 12. Senat des Bundessozialgerichts entschieden und vier Revisionen von mittelständischen Unternehmen zurückgewiesen (Az. B 12 R 25/18 R und weitere).

Die Geschäftsführer der klagenden GmbHs unterlagen aufgrund Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht. Das familiäre Näheverhältnis zwischen Geschäftsführern und Mehrheitsgesellschaftern einer GmbH ändert daran nichts. Frühere anderslautende Entscheidungen der für das Unfallversicherungsrecht und das Recht der Arbeitsförderung zuständigen Senate des Bundessozialgerichts vermitteln kein Vertrauen in eine hiervon abweichende Beurteilung. Es handelte sich dabei stets um spezifische Einzelfälle. Der für das Versicherungs- und Beitragsrecht zuständige 12. Senat des Bundessozialgerichts hat diesen Aspekt nur höchst selten und als einen Einzelaspekt in eine Gesamtabwägung eingebracht. Ebenso wenig begründen Betriebsprüfungen, die ohne Beanstandungen beendet wurden und ohne dass ein entsprechender feststellender Bescheid erging, Vertrauensschutz, weil es an einem Anknüpfungspunkt hierfür fehlt.

Seit einer Änderung der Beitragsverfahrensordnung zum 01.01.2017 müssen allerdings Betriebsprüfungen künftig auch bei fehlenden Beanstandungen zwingend durch einen Verwaltungsakt beendet werden. Die darin enthaltenen Feststellungen sind bei neuerlichen Betriebsprüfungen zu beachten und können unter Umständen einer anderslautenden Beurteilung entgegengehalten werden. Zudem sind die prüfenden Rentenversicherungsträger verpflichtet, die Betriebsprüfung auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter zu erstrecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 7 Abs. 1 SGB IV Beschäftigung

1Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. 2Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

§ 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IV Prüfung bei den Arbeitgebern

1Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. (…) 5Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; (…)

§ 7 Abs. 4 Satz 1 bis Satz 3 Beitragsverfahrensordnung

1Das Ergebnis der Prüfung ist dem Arbeitgeber innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der Prüfung mitzuteilen; auf Wunsch des Arbeitgebers kann dies durch Datenübertragung erfolgen. 2Der Arbeitgeber soll durch den Prüfbescheid oder das Abschlussgespräch zur Prüfung Hinweise zu den festgestellten Sachverhalten erhalten, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden. 3Die Mitteilung ist vom Arbeitgeber bis zur nächsten Prüfung aufzubewahren. (…)

§ 11 Abs. 1 Satz 1 Beitragsverfahrensverordnung

1Die Prüfung der Aufzeichnungen nach den §§ 8 und 9 kann auf Stichproben beschränkt werden. (…)

Quelle: BSG, Pressemitteilung vom 19.09.2019 zum Urteil B 12 R 25/18 R u. a. vom 19.09.2019

25.000 Euro Schmerzensgeld und hälftige Haftung nach Hundebiss

Die Klägerin fordert von dem beklagten Hundehalter Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro nach einem Hundebiss in die Hand.

Die Klägerin führte im Juni 2016 ihren Hund, einen Retriever, im Bereich des Rheindamms in Mannheim aus. Der Hund war nicht angeleint. In der Nähe des Rheindamms begegnete sie dem Beklagten, der seinen – ebenfalls nicht angeleinten – Schäferhund ausführte. Obwohl beide Parteien versuchten, ihre Hunde festzuhalten, kam es zum Kampf zwischen den Hunden. Die Klägerin wurde in die Hand gebissen und zog sich eine offene Mittelhandfraktur zu. Nach der Operation dieser Verletzung erlitt die Klägerin am selben Tage eine Lungenembolie und einen Schlaganfall mit schweren Folgen.

Die Klägerin behauptet, sie habe ihren Hund am Halsband festgehalten. Der Hund des Beklagten sei auf sie zugelaufen und habe sie in die Hand gebissen. Der Beklagte wiederum behauptet, die Klägerin habe versucht, die raufenden Hunde mit bloßen Händen zu trennen, dadurch sei es zu der Verletzung gekommen. Das Landgericht Mannheim hatte den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 50.000 Euro verurteilt und seine volle Haftung festgestellt, da er seinen Hund nicht unter Kontrolle gehabt habe und ihm die Aggressivität des Hundes bekannt gewesen sei. Eine Lungenembolie und ein Schlaganfall sind zwar keine typischen Folgen eines Hundebisses, waren aber hier nach den Feststellungen eines Sachverständigen durch den Biss verursacht.

Auf die Berufung des Beklagten hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, dass der beklagte Hundehalter nur zur Hälfte für die Folgen des Hundebisses haftet und ein Schmerzensgeld lediglich in Höhe von 25.000 Euro zu zahlen hat. Zwar wurde die Verletzung der Klägerin durch den Hund des Beklagten (mit-) verursacht. Dies hat zur Folge, dass der Beklagte gemäß § 833 BGB für den Schaden der Klägerin haftet. Dabei kommt es nicht darauf an, welcher der beiden Hunde die Klägerin gebissen hat. Die Klägerin muss sich jedoch die Tiergefahr ihres eigenen Hundes anrechnen lassen. Beide Hunde haben die Rauferei, die letztlich zu der Verletzung der Klägerin führte, verursacht, sodass sowohl die Tiergefahr des Hundes des Beklagten als auch die Tiergefahr des Hundes der Klägerin zu berücksichtigen war. Der konkrete Ablauf, wie es zu der Verletzung kam, war nicht mehr aufzuklären. Weder ein Verschulden des Beklagten, etwa deshalb, weil ihm bekannt war, dass der Hund aggressiv ist, noch ein Verschulden der Klägerin, etwa durch Eingreifen in die Hunderauferei, konnte vom Senat festgestellt werden.

Die Revision wurde nicht zugelassen, die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist möglich.

§ 833 BGB Haftung des Tierhalters

„Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen…“

Quelle: OLG Karlsruhe, Pressemitteilung vom 23.09.2019 zum Urteil 7 U 24/19 vom 18.09.2019

Hockeytrainer ist sozialversicherungspflichtig

Ein Trainer, der eine Sportmannschaft über einen längeren Zeitraum trainiert, ist regelmäßig in die betrieblichen Abläufe des Sportvereins eingegliedert. Auch ein überdurchschnittlich hohes Honorar steht bei Eingliederung in betriebliche Abläufe und Weisungsgebundenheit der Annahme einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Dies hat das Sozialgericht Wiesbaden entschieden.

Der Kläger zu 2) war nebenberuflich im Durchschnitt 18 Stunden monatlich für den Kläger zu 1), einem Sportverein, als Hockeytrainer tätig. Ziel seiner Tätigkeit war insbesondere der Aufstieg der von ihm trainierten 1. Herrenmannschaft von der Oberliga in die 2. Bundesliga. Hierzu wurden dem Kläger zu 2) durch den Verein alle erforderlichen Mittel und Freiheiten (z. B. durch vorrangige Zuweisung von Trainingszeiten und -plätzen) eingeräumt. Die Rentenversicherung stufte die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung mit Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung ein. Die Kläger hingegen wandten ein, dass eine versicherungsfreie selbständige Tätigkeit vorliege.

Versicherungspflicht trotz inhaltlich frei gestalteter Tätigkeit und hohem Honorar Das Sozialgericht hat die Entscheidung der Rentenversicherung bestätigt. Die Trainertätigkeit des Klägers zu 2) stelle eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit dar. Trotz im Wesentlichen inhaltlich frei gestalteter Tätigkeit, sei der Kläger zu 2) in den Arbeitsprozess und die Organisation des Vereins eingegliedert und weisungsgebunden. Dem Verein obliege die Gesamtverantwortung für den von ihm unterhaltenen Spielbetrieb und die Letztentscheidung, ob von dem Kläger zu 2) gewünschte Maßnahmen umgesetzt werden.

Die Betreuung einer Mannschaft über einen längeren Zeitraum erfordere dabei ein arbeitsteiliges Zusammenwirken und Abstimmungen der Mannschafts- und Vereinsverantwortlichen.

Darüber hinaus bestehe kein die Tätigkeit prägendes unternehmerisches Risiko, auch eine finanzielle Partizipation des Klägers zu 2) am sportlichen Erfolg der Mannschaft finde nicht statt. Der Kläger zu 2) erhalte stets eine fest vereinbarte Stundenvergütung, wobei selbst ein hoher Stundensatz im Rahmen der Gesamtwürdigung kein ausschlaggebendes Indiz für eine selbständige Tätigkeit darstelle.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Berufung der Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht wird unter dem Aktenzeichen L 8 KR 297/19 geführt.

Hinweis zur Rechtslage

§ 7a Anfrageverfahren

(1) Die Beteiligten können schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. (…)

(2) Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt.

§ 7 Beschäftigung

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Quelle: SG Wiesbaden, Pressemitteilung vom 23.09.2019 zum Urteil S 8 R 312/16 vom 17.05.2019 (nrkr)

Altersteilzeit im Blockmodell – Urlaub für die Freistellungsphase

Nach Beendigung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell besteht kein Anspruch auf Abgeltung von Urlaub für die sog. Freistellungsphase.

Der Kläger war bei der Beklagten im Rahmen eines Vollzeitarbeitsverhältnisses beschäftigt. Ab dem 1. Dezember 2014 setzten die Parteien das Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit fort. Nach dem vereinbarten Blockmodell war der Kläger bis zum 31. März 2016 im bisherigen Umfang zur Arbeitsleistung verpflichtet und anschließend bis zum 31. Juli 2017 von der Arbeitsleistung freigestellt. Während der Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erhielt er sein auf der Grundlage der reduzierten Arbeitszeit berechnetes Gehalt zuzüglich der Aufstockungsbeträge. Dem Kläger stand nach dem Arbeitsvertrag jährlich an 30 Arbeitstagen Urlaub zu. Im Jahr 2016 gewährte ihm die Beklagte an acht Arbeitstagen Erholungsurlaub. Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, für die Freistellungsphase der Altersteilzeit habe er Anspruch auf insgesamt 52 Arbeitstage Urlaub gehabt, den die Beklagte abzugelten habe.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus berechnet werden, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage, vgl. BAG 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 -). Einem Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befindet und im gesamten Kalenderjahr von der Arbeitspflicht entbunden ist, steht mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub zu. Die Freistellungsphase ist mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen. Vollzieht sich der Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase im Verlauf des Kalenderjahres, muss der Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten entsprechend der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht berechnet werden.

Bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell sind Arbeitnehmer in der Freistellungsphase weder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen noch nach Maßgabe des Unionsrechts Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben. Diese Grundsätze gelten auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs während der Altersteilzeit keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 24.09.2019 zum Urteil 9 AZR 481/18 vom 24.09.2019

„Glücksspieler“ muss Hartz IV-Leistungen zurückzahlen

Das Sozialgericht Wiesbaden hat eine Klage gegen einen Bescheid des Jobcenters Limburg – Weilburg abgewiesen.

Der Jobcenter verlangte von dem Kläger die Rückzahlung von Hartz IV Leistungen in Höhe von rund 35.000 Euro, weil der Kläger zur Tilgung seiner Glücksspielschulden sein Haus verkauft und damit seine Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt hatte.

Der Kläger hatte vorgetragen, dass er wegen Spielschulden von über 100.000 Euro von seinen Kreditgebern über Jahre bedroht worden sei. Es sollte sein Haus verkaufen, um mit dem Erlös seine Spielschulden zu begleichen.

Nach Überzeugung der Kammer hatte der Kläger keinen „wichtigen Grund“ sein Haus zu verkaufen, um mit dem Erlös seine Spielschulden zu begleichen.

Ein wichtiger Grund ist nach der Urteilsbegründung anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalles Umstände vorliegen, unter denen nach verständiger Abwägung der Interessen des Einzelnen mit den Interessen der Allgemeinheit – also des Steuerzahlers – den Interessen des Einzelnen der Vorrang einzuräumen ist.

Die Richter waren jedoch der Überzeugung, dass es dem Kläger objektiv möglich und zumutbar gewesen wäre, die Polizei um Hilfe zu bitten. Es gäbe keinen Grund anzunehmen, dass die Polizei nicht in der Lage gewesen wäre, die Sicherheit des Klägers zu gewährleisten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle: SG Wiesbaden, Pressemitteilung vom 23.09.2019 zum Urteil S 5 AS 811/16 vom 16.08.2019 (nrkr)

VW haftet Käufern von Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

Abgasskandal

Die Volkswagen AG haftet dem Grunde nach Käufern von Fahrzeugen, die mit dem Motor EA 189 ausgestattet sind, aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Abgasskandal. Verlangt der Käufer Rückerstattung des Kaufpreises, muss er sich die während der Nutzungszeit eingetretene Wertminderung eines vergleichbaren mangelfreien Fahrzeugs auf den Schaden anrechnen lassen (Vorteilsausgleichung). Die Höhe dieser Wertminderung ist nach einem am 25.09.2019 verkündeten Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) durch Sachverständigengutachten zu klären.

Der Kläger hatte im Mai 2009 einen VW Tiguan 2,0 l TDI gekauft. Das Fahrzeug ist mit dem Dieselmotor der Baureihe EA 189 EU 5 ausgestattet. Unter Berufung auf den sog. Dieselskandal begehrt der Kläger von der VW AG Schadensersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Das OLG hat am 25.09.2019 einen Beweisbeschluss erlassen. Es stellt zunächst fest, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) gegen die VW AG zustehe. Die Entwicklung und das Inverkehrbringen des mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs, das zur Erlangung einer EG-Typgenehmigung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war, stelle eine sittenwidrige Handlung der VW AG dar. „Manipulationen und falsche Angaben, mit denen gegenüber Behörden die Einhaltung rechtlicher Vorgaben vorgespiegelt werden sollen, können… eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Dritten“ – hier des Käufers – begründen, führt das OLG unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BGH aus. Voraussetzung sei, dass die Vermögensinteressen unbeteiligter Dritter, hier der Käufer, sehenden Auges gefährdet würden, darin eine besondere Bedenkenlosigkeit ihnen gegenüber zum Ausdruck komme und die Sittenwidrigkeit gerade im Verhältnis zum Geschädigten bestehe. Dies sei hier der Fall. Durch die Abschalteinrichtung sei unschwer erkennbar die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge bedroht gewesen. Die Gefährdung sei auch nicht lediglich eine zufällige Begleiterscheinung des Handelns gewesen. Die Beklagte habe davon profitiert, dass es sich bei einem Auto um einen Alltagsgegenstand handele, bei dem das Zustandekommen der erforderlichen behördlichen Genehmigungen und der diesen zugrunde liegenden Messwerte vom angesprochenen Publikum regelmäßig nicht hinterfragt würden.

Der Kläger habe auch einen Schaden erlitten. „Unabhängig vom tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des erworbenen Fahrzeugs wurde (er) durch die Verpflichtung zur Auszahlung des Kaufpreises belastet und sollte dafür ein Fahrzeug mit einer nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware erhalten, … die die Zulassungsfähigkeit von Anfang an in Frage stellte“, konstatiert das OLG. Da für den Schadenseintritt der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs maßgeblich sei, sei der Schaden auch nicht später durch das Aufspielen des Software-Updates entfallen.

Die Vorschriften über die Typgenehmigung hätten eine marktsteuernde Zielrichtung, so dass der Makel der Typgenehmigung auf die zivilrechtlich geschlossenen Verträge durchschlage. Die Erwerber unterfielen damit dem Schutzbereich dieser Vorschriften. Die Beklagte habe auch nicht auf einen glücklichen Ausgang in Bezug auf die Zulassungsfähigkeit vertrauen können, sodass vorsätzliches Handeln gegeben sei. Hierbei müsse sich die Beklagte das Handeln ihrer Vorstandsmitglieder zurechnen lassen.

Der Kläger könne damit grundsätzlich den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Der Höhe nach sei die Sache allerdings noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund des schadensrechtlichenBereicherungsverbots müsse sich der Käufer die Vorteile, die er durch den Besitz des Fahrzeugs gehabt hat, anrechnen lassen. Hier habe er jedenfalls Aufwendungen in Form des Wertverlusts, den er ansonsten bei einem alternativ angeschafften Fahrzeug erlitten hätte, erspart. Die Höhe des anzurechnenden Wertverlusts eines vergleichbaren Fahrzeugs ohne Abschalteinrichtung während der hier maßgeblichen Laufleistung von über 135.000 km sei von einem Sachverständigen zu ermitteln.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Erläuterungen:

§ 826 BGB Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Quelle: OLG Frankfurt, Pressemitteilung vom 25.09.2019 zum Beschluss 17 U 45/19 vom 25.09.2019

Pflege: Angehörige sollen entlastet werden

Die Bundesregierung will Kinder von pflegebedürftigen Eltern finanziell entlasten. Dazu hat sie einen entsprechenden Gesetzentwurf ( 19/13399 ) vorgelegt, der vorsieht, Kinder und Eltern, die gegenüber Beziehern von Sozialhilfe (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB XII) unterhaltsverpflichtet sind, zu entlasten. Der Entwurf sieht vor, die Unterhaltsheranziehung von Eltern und Kindern mit einem jeweiligen Jahresbruttoeinkommen von bis zu einschließlich 100.000 Euro in der Sozialhilfe auszuschließen. Das bedeutet, dass auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern, die die sog. Hilfe zur Pflege erhalten, erst ab einer Höhe ab 100.000 Euro zurückgegriffen werden kann. Umgekehrt soll dies auch für Eltern mit volljährigen, pflegebedürftigen Kindern gelten. Damit werde ein Signal gesetzt, dass die Gesellschaft die Belastungen von Angehörigen, zum Beispiel bei der Unterstützung von Pflegebedürftigen, anerkennt und eine solidarische Entlastung erfolgt, schreibt die Regierung. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe wird damit erheblich eingeschränkt. Gleichzeitig wird die Beschränkung des Unterhaltsrückgriffs auch auf die anderen Leistungen des SGB XII ausgedehnt, soweit keine minderjährigen Kinder betroffen sind.

Die Begrenzung des Unterhaltsrückgriffs soll ferner auch in der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch) durch einen Verzicht auf Elternbeiträge bei volljährigen Leistungsbeziehern gelten. So soll vermieden werden, dass die aus dem SBG XII herausgelöste neue Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gegenüber Leistungen der Sozialhilfe schlechtergestellt wird.

Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf weitere Vorgaben, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Diese sollen, sofern sie im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, künftig auch einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten. Damit wird eine Rechtssprechung der Sozialgerichte nachvollzogen. Außerdem soll die Projektförderung für eine unabhängige Teilhabeberatung dauerhaft sichergestellt werden. Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, sollen künftig mit einem Budget für Ausbildung gefördert werden, wenn sie eine nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder nach dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO) anerkannte Berufsausbildung erwerben wollen.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 25.09.2019

Leitfaden für Anwendung der Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern

Die EU-Kommission hat am 25.09.2019 einen Leitfaden für die korrekte Anwendung der Vorschriften über die Entsendung von Arbeitnehmern veröffentlicht. Damit sollen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und nationale Behörden dabei unterstützt werden, die eigenen Rechte besser zu kennen und die Vorschriften konsequent anzuwenden. In einem ebenfalls am 25.09.2019 veröffentlichten Bericht zur Durchsetzung der Vorschriften über die Entsendung von Arbeitnehmern zieht die Kommission eine insgesamt positive Bilanz. Die entsprechende Richtlinie trat 2014 in Kraft und musste bis 2016 in nationales Recht umgesetzt werden.

„Die Durchsetzung der Entsendevorschriften ist für den Schutz der Arbeitnehmer und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts von wesentlicher Bedeutung. Es ist eine sehr gute Nachricht, dass alle Mitgliedstaaten jetzt die Regeln anwenden und zunehmend die vorhandenen Instrumente nutzen, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu verbessern“, sagte die für Beschäftigung, Soziales, Qualifikation und Arbeitsmobilität zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen.

Die Entsenderichtlinie sieht verschiedene Instrumente zur Bekämpfung von Betrug und Missbrauch sowie zur Verbesserung der administrativen Zusammenarbeit zwischen den nationalen, für Entsendungsfragen zuständigen Behörden vor.

Im Jahr 2017 wurden 2,8 Millionen Arbeitnehmer in einen anderen EU-Mitgliedstaat entsendet, wo sie im Durchschnitt weniger als vier Monate blieben. Zwischen 2010 und 2017 ist die Anzahl entsandter Arbeitnehmer in der EU um 83 Prozent gestiegen, wobei fast die Hälfte im Bausektor tätig waren.

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit für eine Reform der Richtlinie besteht. Die Kommission wird weiterhin mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Richtlinie vollständig und korrekt umgesetzt und in ganz Europa angewendet wird.

Die Europäische Arbeitsbehörde, die voraussichtlich im Oktober ihre Arbeit aufnehmen wird, wird bei der Bekämpfung des Missbrauchs in diesem Bereich eine Schlüsselrolle spielen und alle beteiligten Akteure unterstützen.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 25.09.2019

Klage gegen BMW wegen vermeintlicher Abgasmanipulation abgewiesen

Abgasskandal

Viele Halter von Dieselfahrzeugen beschreiten derzeit den Klageweg, weil sie bei ihrem Fahrzeug verbotene Manipulationen an der Abgasreinigung vermuten. Das Landgericht Osnabrück hat jedoch in einer aktuellen Entscheidung deutlich gemacht, dass bei Klagen gegen einen Fahrzeughersteller in jedem Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für die angeblichen Manipulationen an der Abgasreinigung des Fahrzeugs dargelegt werden müssen.

Die 8. Zivilkammer hatte in ihrem Urteil vom 28. August 2019 (Az. 8 O 1209/19) über eine Klage gegen den Hersteller BMW zu entscheiden. Der aus Hilter stammende Eigentümer eines BMW X3 verlangte vom Hersteller den Kaufpreis von annähernd 50.000 Euro zurück, den er 2011 für das Fahrzeug gezahlt hatte. Im Gegenzug bot er an, das Fahrzeug an BMW herauszugeben.

Der Kläger machte geltend, alle Fahrzeuge des Herstellers aus den Jahren 2006 bis 2017/18 seien manipuliert, was die Abgaswerte angehe. Die Abgasreinigung sei gezielt für Prüfstandtests optimiert. Der beklagte Hersteller verteidigte sich gegen die Klage. Er verwies darauf, dass in dem maßgeblichen Zeitraum für die Einhaltung der Abgasgrenzwerte nun einmal die Prüfstandwerte maßgeblich gewesen seien. Dies habe u. a. die EU-Kommission ausdrücklich bestätigt. Verbotene Mittel seien bei der Optimierung der Abgasreinigung nicht zum Einsatz gekommen.

In ihrer nun ergangenen Entscheidung folgte die 8. Zivilkammer der Argumentation des Herstellers. Der Kläger habe keinerlei substanzielle Argumente nennen können, weshalb bei seinem Fahrzeug eine verbotene Manipulation der Abgasreinigung vorliegen sollte. So habe er zunächst behauptet, die Zuleitung von Harnstoff (AdBlue) zur Abgasbehandlung in seinem Fahrzeug werde im Realbetrieb abgeschaltet. Er habe dann aber zugeben müssen, dass bei seinem Fahrzeug überhaupt kein AdBlue-System verbaut sei. Weiter habe er geltend gemacht, dass im aktuellen X3-Modell ein deutlich aufwändigeres System zur Abgasreinigung zum Einsatz komme als in seinem Fahrzeug. Das lasse aber, so die 8. Zivilkammer, keinen Rückschluss auf Manipulationen bei älteren Fahrzeugen zu. Denn das neue Modell müsse auch deutlich strengeren gesetzlichen Vorschriften genügen. Den Behauptungen des Klägers stehe außerdem entgegen, dass bei dem konkreten Modell weder das Kraftfahrtbundesamt noch die Staatsanwaltschaft München I eine Manipulation festgestellt hätten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Kläger hat die Möglichkeit, dagegen mit der Berufung zum Oberlandesgericht Oldenburg vorzugehen.

Quelle: LG Osnabrück, Pressemitteilung vom 25.09.2019 zum Urteil 8 O 1209/19 vom 28.08.2019 (nrkr)