Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Kein Gutglaubensschutz an das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs im Festsetzungsverfahren

Leitsatz

  1. Das Merkmal „vollständige Anschrift“ in § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG erfüllt nur die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.
  2. Sind Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs nicht erfüllt, kann dieser im Festsetzungsverfahren auch dann nicht gewährt werden, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich des Vorliegens dieser Merkmale gutgläubig war.
  3. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten gemäß § 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a, 17c UStDV nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind.

Quelle: BFH, Urteil V R 23/14 vom 22.07.2015

Auf Zahlung von Geld gerichtetes Untervermächtnis auch bei vermächtnisweisem Erwerb einer nach § 13a ErbStG begünstigten Beteiligung an einer Personengesellschaft in voller Höhe abziehbar

Wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Nachlassverbindlichkeiten und zum Nachlass gehörendem Vermögen

Leitsatz

Der Wert eines auf die Zahlung von Geld gerichteten Untervermächtnisses ist auch dann in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeit abziehbar, wenn der vermächtnisweise Erwerb einer Beteiligung an einer Personengesellschaft nach § 13a ErbStG begünstigt ist.

Quelle: BFH, Urteil II R 21/13 vom 22.07.2015

Verbindlichkeiten aus Pflichtteil und Zugewinnausgleich des überlebenden Ehegatten auch bei nach § 13a ErbStG a.F. begünstigtem Erwerb eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft voll abziehbar

Kein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Pflichtteilslast und dem zum Nachlass gehörenden Vermögen – Umfang des rückwir-kenden Wegfalls von Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 2 ErbStG

Leitsatz

Die Verpflichtungen zur Zahlung des geltend gemachten Pflichtteils und des Zugewinnausgleichs an den überlebenden Ehegatten des Erblassers sind auch dann in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar, wenn zum Nachlass ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft gehört, dessen Erwerb nach § 13a ErbStG begünstigt ist.

Quelle: BFH, Urteil II R 12/14 vom 22.07.2015

Außergewöhnliche Belastungen – keine Kürzung der anrechenbaren Einkünfte um Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung

Leitsatz

  1. Bei der Ermittlung der als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähigen Unterhaltsleistungen sind nach Änderung des § 33a Abs. 1 EStG durch das BürgEntlG KV vom 16. Juli 2009 (BGBl I 2009, 1959) die anrechenbaren Einkünfte der unterhaltenen Person nicht (mehr) um die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie um die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für Leistungen, die über das sozialhilferechtliche Niveau der Krankenversorgung hinausgehen, zu mindern.
  2. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht.

Quelle: BFH, Urteil VI R 45/13 vom 18.06.2015

Unterstützung für niedersächsische Landwirte: Steuerliche Hilfsmaßnahmen bei Ernteeinbußen aufgrund des trockenen Sommers

Hannover. Die langanhaltende Trockenheit der vergangenen Monate hat auch in der niedersächsischen Landwirtschaft zum Teil für beträchtliche Schäden und Ernteeinbußen geführt, die bei den betroffenen Landwirten zum Teil zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.

In Abstimmung mit dem Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium hat das Niedersächsische Finanzministerium die Finanzämter daher angewiesen, den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten entgegenzukommen und die Landwirte auf die steuerlichen Hilfsmaßnahmen in geeigneter Weise hinzuweisen.

Im Einzelnen können nachweisbar unmittelbar und nicht unerheblich betroffene Steuerpflichtige bis zum 31. Dezember 2015 Anträge auf Stundung der fälligen oder fällig werdenden Steuern beim zuständigen Finanzamt stellen.

Weiter können Anträge auf Anpassung der Vorauszahlung auf die Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) gestellt werden.

Die Finanzämter sind gehalten, diese Anträge nicht deshalb abzulehnen, weil die Landwirte die Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. Auch sind bei der Nachprüfung der Stundungsvoraussetzungen keine strengen Anforderungen zu stellen.

Ebenso soll bei den betroffenen Landwirten bis zum 31. Dezember 2015 in bestimmten Fällen von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen sowie bestimmte Säumniszuschläge erlassen werden.

Einzelheiten und Voraussetzungen zu diesen und weiteren steuerlichen Hilfsmaßnahmen erfahren die betroffenen Landwirte bei dem zuständigen Finanzamt unter Hinweis auf den Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 27. August 2015 unter dem Aktenzeichen S 1915-61-3312 („Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Trockenheit in der Landwirtschaft“).

Herausgeber: Nds. Finanzministerium

Vertrauensschutz für Bauleistende

Mit am 01.09.2015 veröffentlichtem Beschluss vom 12.08.2015 (Az. 15 V 2153/15) hat der 15. Senat des Finanzgerichts Münster in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass bei fehlender Umkehr der Umsatzsteuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) einer Inanspruchnahme des Bauleistenden Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen stehen können.

Die Antragstellerin erbrachte Bauleistungen gegenüber einem Bauträger, der eigene Grundstücke zum Zweck des Verkaufs bebaute. In ihrer Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 2011 gab die Antragstellerin an, umsatzsteuerpflichtige Bauleistungen entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung erbracht zu haben, für die der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulde. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung im Jahr 2015 vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die frühere Erlasslage aufgrund der zwischenzeitlich geänderten BFH-Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 22.08.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, 128) nicht mehr maßgeblich sei. Gegen den entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2011 berief sich die Antragstellerin auf Vertrauensschutz.

Der 15. Senat des Finanzgerichts Münster äußerte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids. Nach der einschlägigen abgabenrechtlichen Vertrauensschutzvorschrift (§ 176 Abs. 2 AO) dürfe bei der Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, dass der UStAE vom BFH als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend angesehen werde. Auch die umsatzsteuerliche Übergangsvorschrift, die die Anwendung des § 176 AO in derartigen Fällen ihrem Wortlaut nach ausschließt (§ 27 Abs. 19 Satz 2 UStG), ermöglicht nach Auffassung des 15. Senats nicht zwingend eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung. Es bestünden, so der Senat, Zweifel, ob die Übergangsvorschrift eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung entfalte, weil sie nachträglich in eine bestehende Umsatzsteuerschuld eingreife. Möglicherweise sei die Übergangsregelung außerdem mit den europarechtlichen Vorgaben der Klarheit und Voraussehbarkeit von Rechtsvorschriften unvereinbar.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 01.09.2015 zum Beschluss 15 V 2153/15 vom 12.08.2015

 

Kapitalertragsteuer bei nachträglich bekannt gewordenen Steuerbefreiungstatbeständen

Verpflichtung zur Berücksichtigung von nachträglich vorgelegten Bescheinigungen, Nichtveranlagungs-Bescheinigungen und Freistellungsaufträgen im Steuerabzugsverfahren gemäß § 44b Abs. 5 Satz 3 EStG

Durch das Zollkodex-Anpassungsgesetz vom 22. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2417) ist § 44b Abs. 5 EStG für nach dem 31. Dezember 2014 zufließende Kapitalerträge um einen neuen Satz 3 ergänzt worden. Danach haben die zum Steuerabzug Verpflichteten nachträglich vorgelegte Anträge und Bescheinigungen des Steuerpflichtigen beim Steuerabzug bis zur Erteilung der Steuerbescheinigung zu berücksichtigen.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für den Ansatz des maßgeblichen Zeitpunkts sowie die zu berücksichtigenden Nachweise Folgendes:

Legt der Gläubiger der Kapitalerträge der auszahlenden Stelle

  • eine Bescheinigung nach § 43 Abs. 2 Satz 4 EStG,
  • einen Freistellungsauftrag nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG,
  • eine Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG,
  • eine Bescheinigung nach § 44a Abs. 4 Satz 3 EStG, Abs. 5 Satz 4 EStG oder
  • eine Erklärung nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 EStG

bis zum Zeitpunkt der technischen Erstellung der Steuerbescheinigung – spätestens bis zum 31. Januar des Folgejahres – für das betreffende Kalenderjahr vor, so hat diese einen bereits vorgenommen Steuerabzug zu korrigieren.

Nach diesem Zeitpunkt kann der zum Steuerabzug Verpflichtete eine Korrektur des Steuerabzugs vornehmen. Es besteht jedoch keine Verpflichtung (§ 44b Abs. 5 Satz 1 EStG).

Bei bereits aufgelösten Konten und Depots ist es nicht zu beanstanden, wenn nachträglich eingereichte Bescheinigungen, Nichtveranlagungs-Bescheinigungen und Freistellungsaufträge nicht mehr berücksichtigt werden.

Satz 4 der Randziffer 258 des BMF-Schreibens vom 9. Oktober 2012 (BStBl I S. 953) wird wie folgt geändert:

„Eine Erhöhung des freizustellenden Betrages darf ebenso wie die erstmalige Erteilung eines Freistellungsauftrages nur mit Wirkung für das Kalenderjahr, in dem der Antrag gestellt wird, spätestens jedoch bis zum 31. Januar des Folgejahres für das abgelaufene Jahr und für spätere Kalenderjahre erfolgen.“

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 1 – S-2410 / 11 / 10001 :005 vom 31.08.2015

 

Anspruch auf vorzeitige Altersrente schließt Hartz IV-Leistungen trotz Rentenabschlägen aus

Zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit ist es arbeitslosen Empfängern der steuerfinanzierten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II („Hartz IV“) zumutbar, vorzeitig Altersrente in Anspruch zu nehmen, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben. Dies gilt auch dann, wenn die vorzeitige Altersrente nur mit dauerhaften Abschlägen gezahlt wird. Weigern sich die Leistungsempfänger, die Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen, kann das Jobcenter die Leistungen nach dem SGB II ablehnen.

Das hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in einem am 01.09.2015 veröffentlichten Beschluss entschieden. Dem lag ein Fall zugrunde, in dem ein 63-Jähriger nicht bereit war, die mit Abschlägen verbundene vorzeitige Altersrente zu beantragen. Auch nachdem das Jobcenter die Altersrente bei der Rentenversicherung beantragt hatte, scheiterte die Bewilligung der vorzeitigen Altersrente daran, dass der Betroffene erforderliche Unterlagen nicht vorlegte. Das Jobcenter lehnte daraufhin die Zahlung der Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) mit der Begründung ab, schon der Anspruch auf die vorzeitige Altersrente schließe die Hilfebedürftigkeit aus. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz gab dem Jobcenter recht.

Quelle: LSG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 01.09.2015 zum Beschluss L 3 AS 370/15 B ER vom 17.08.2015

 

Pfändungsschutzkonto – höheres Kindergeld automatisch geschützt

Familien können seit 1. September ein Plus beim Kindergeld verbuchen. Die Kindergelderhöhung bleibt in der Regel vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt.

Vier Euro mehr pro Monat und Kind zahlen die Familienkassen ab diesem Monat aus: 188 Euro für das erste und zweite Kind, 194 Euro für das dritte und 219 Euro für das vierte und jedes weitere Kind. Weil die Erhöhung rückwirkend zum 1. Januar in Kraft tritt, steht pro Kind eine Nachzahlung von 32 Euro (8 Monate x 4 Euro) ins Haus. Erhöhte Kindergeldbeträge und Nachzahlungen sind in der Regel automatisch vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt.

Aktuelles Kindergeld ab September automatisch geschützt
Zwischen September und Dezember werden die laufenden Kindergeldzahlungen jeweils vier Euro pro Kind und Monat höher als bislang sein. Banken und Sparkassen haben zugesichert, dass dieses Plus jeweils automatisch in die bestehenden Freibeträge auf P-Konten eingepflegt wird. Bereits vorliegende P-Konto-Bescheinigungen beziehungsweise Kindergeld-Bescheide sind weiterhin gültig und müssen nicht angepasst werden.

Nachzahlung maschinell erkannt
Die erhöhten Beträge für Januar bis August (8 x 4 Euro = 32 Euro pro Kind) zahlen die Familienkassen im Oktober nach. Anhand eines speziellen Textschlüssels (KG2015NZ) können Banken und Sparkassen erkennen, dass es sich bei dieser Gutschrift um die Kindergeld-Nachzahlung handelt. Es ist davon auszugehen, dass die Nachzahlungen im Oktober dementsprechend automatisch berücksichtigt werden und den Freibetrag erhöhen. Bei maschinell erstellten Nachzahlungen bedarf es deshalb keiner zusätzlichen Bescheinigung oder Anpassung.

Anpassung bei manuell bearbeiteter Nachzahlung
In Einzelfällen – bei etwa 5 Prozent aller Berechtigten – wird das Kindergeld samt Nachzahlung manuell berechnet und teilweise auch schon vor Oktober angewiesen. Dann fehlt die spezielle Kennzeichnung, sodass die von den Kreditinstituten eingesetzten Programme zur Pfändungsbearbeitung die Nachzahlung nicht als geschützte Gutschrift erkennen können. Kontoinhaber müssen sich um deren Schutz deshalb individuell kümmern – gegebenenfalls durch Vorlage eines Bescheids der Familienkasse.

Achtung:
Die Familienkassen informieren betroffene Kindergeld-Empfänger nicht über den notwendigen Nachzahlungsschutz. Deshalb sollten Verbraucher selbst aktiv werden und bei einer solchen Zahlung mit ihrer Bank oder Sparkasse Kontakt aufnehmen und bei Bedarf die erforderlichen Nachweise vorlegen.

Anpassung bei Freigabebeschlüssen
Wenn durch das Vollstreckungsgericht, die Vollstreckungsstelle des öffentlichen Gläubigers beziehungsweise in einem laufenden Insolvenzverfahren durch das Insolvenzgericht ein individueller Freigabebeschluss getroffen wurde, der den bisher gültigen Kindergeldbetrag einbezieht, müssen Schuldner unbedingt aktiv werden. Denn bei der für den Beschluss zuständigen Stelle ist umgehend eine Anpassung an die neuen Kindergeldbeträge – eventuell zuzüglich der einmaligen Nachzahlung im Oktober – zu beantragen. Wer das versäumt, dem gehen Erhöhung und Nachzahlung verloren.

Achtung:
Die Antragstellung wäre gleichzeitig Gelegenheit, das Kindergeld aus dem bezifferten Freibetrag herausnehmen zu lassen und dem Kreditinstitut künftig für den Schutz des Kindergelds den Bescheid der Familienkasse vorzulegen. Das würde nicht nur dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Verfahren entsprechen, sondern auch bei der ins Haus stehenden nächsten Erhöhungsrunde zum Jahreswechsel 2015/2016 eine erneute Antragstellung ersparen.

Quelle: Verbraucherzentrale München, Pressemitteilung vom 01.09.2015

 

Gehaltsumwandlung: Nettolohnoptimierung durch steuerfreie und pauschalbesteuerte Arbeitgeberleistungen

Aktuell mehren sich in den Lohnsteuer-Arbeitgeberstellen wieder die Anträge auf Erteilung einer Anrufungsauskunft nach § 42e EStG im Zusammenhang mit Gehaltsoptimierungsmodellen in der Form einer Umwandlung von steuerpflichtigem Arbeitslohn in eine steuerfreie oder zumindest pauschal versteuerte Zuwendung auf der Basis neuer Arbeitsverträge. Die jeweiligen Arbeitgeber beabsichtigen dabei, bestehende befristete Arbeitsverträge auslaufen zu lassen und anschließend Arbeitsverträge mit geändertem Inhalt zu schließen bzw. bei unbefristeten Arbeitsverträgen Änderungsverträge abzuschließen. Zur lohnsteuerlichen Behandlung solcher Gehaltsoptimierungsmodellen haben die damaligen Oberfinanzdirektionen Rheinland und Münster bereits in einer gemeinsamen Verfügung S 2342 – 1017 St 213 (OFD Rhld) und S 2332 – 154 – St 22 – 31 (OFD MS) vom 12.01.2012 im Zusammenhang mit den damaligen Anträgen einer Steuerberatungsgesellschaft auf Erteilung einer Anrufungsauskunft nach § 42e EStG Stellung genommen. Die dort getroffenen Aussagen gelten weiter fort.

Im Einzelnen gilt daneben zur lohnsteuerlichen Behandlung von Gehaltsoptimierungsmodellen das Folgende:

1. Allgemeines

Generell ist für die steuerliche Anerkennung einer Gehaltsumwandlung zunächst Voraussetzung, dass die Vereinbarungen vor der Entstehung des Vergütungsanspruchs zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgeschlossen werden muss. Dies ist regelmäßig vor der Fälligkeit der entsprechenden Lohnzahlungen der Fall (vgl. BFH-Urteil vom 27.04.2001, BStBl 2001 II S. 601). Soweit danach Sachbezüge vorliegen, sind die durch den BFH aufgestellten Rechtsgrundsätze (BFH-Urteile vom 11.11.2010, VI R 21/09, BStBl 2011 II S. 383; VI R 27/09, BStBl 2011 II S. 386 und VI R 41/10, BStBl 2011 II S. 389) zur Abgrenzung zwischen Barlohn und Sachlohn zu beachten. D. h. der nunmehr vorliegende Sachlohn darf nicht in einer Barleistung erfüllbar sein. Verzichtet der Arbeitnehmer also unter Änderung des Anstellungs-/Arbeitsvertrags auf einen Teil seines Barlohns und gewährt ihm der Arbeitgeber statt dessen Sachlohn (z. B. in Form eines Nutzungsvorteils), ist der verbliebene Barlohn mit dem Nennwert und der Sachlohn mit den Werten des § 8 Abs. 2 und 3 EStG anzusetzen (BFH-Beschluss v. 20.08.1997, BStBl 1997 II S. 667; vgl. auch H 8.1 (1–4) „Geldleistung oder Sachbezug” LStH 2013und H 8.1 (7) „Essenmarken und Gehaltsumwandlung” erster Spiegelstrich „Änderung des Arbeitsvertrags” LStH 2013). Zu beachten bleibt, dass der bisherige Bruttobarlohn nicht mehr in der Lohn-/Gehaltsabrechnung aufgeführt werden darf, sondern nur noch der verminderte Bruttobarlohn (Hinweis auf die Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 11/2013 vom 16.08.2013).

Bei den v. g. Vergütungsbestandteilen sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:

 

Fallgruppe 1
Fallgruppe 2
Vergütungsbestandteile müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden
Vergütungsbestandteile brauchen nicht zusätzlich
zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden

 

2. Fallgruppe 1: Fälle mit Zusätzlichkeitsvoraussetzung

Vergütungsbestandteile, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zu erbringen sind, z. B.:

  • steuerfreie Kindergartenzuschüsse (§ 3 Nr. 33 EStG)
  • Zuschüsse zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und der betrieblichen Gesundheitsförderung (§ 3 Nr. 34 EStG)
  • pauschal zu versteuernde Barzuschüsse zu Fahrtkosten für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 EStG)
  • pauschal zu versteuernde Beträge für die Übereignung von Datenverarbeitungsgeräten samt Zubehör und Zuschüsse für die Internetnutzung (§ 40 Abs. 2 Nr. 5 EStG)

Die Vergütungsbestandteile dieser Fallgruppe werden nur dann steuerlich begünstigt, wenn sie tatsächlich zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden. Der ohnehin geschuldete Arbeitslohn ist der Arbeitslohn, den der Arbeitgeber arbeitsrechtlich schuldet (R 3.33 Abs. 5 Satz 1 LStR 2015).

Nach dem BMF-Schreiben vom 22.05.2013, BStBl 2013 I S. 728 gilt hierzu ergänzend Folgendes:

Die Verwaltung sieht die Zusätzlichkeitsvoraussetzung abweichend von der neuen BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 19.09.2012, VI R 54/11 und VI R 55/11) als erfüllt an, wenn die zweckbestimmte Leistung zu dem Arbeitslohn hinzukommt, den der Arbeitgeber arbeitsrechtlich schuldet (vgl. R 3.33 Abs. 5 Satz 1 LStR). Nur Gehaltsumwandlungen sind danach schädlich.

Kommt die zweckbestimmte Leistung zu dem Arbeitslohn hinzu, den der Arbeitgeber (vor der Gewährung dieser Leistung) schuldet, ist das Tatbestandsmerkmal „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn” auch dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich oder aufgrund einer anderen arbeits- oder dienstrechtlichen Rechtsgrundlage einen Anspruch auf die zweckbestimmte Leistung hat.

BEISPIEL:Der Arbeitgeber hat mit dem Arbeitnehmer bisher einen Bruttoarbeitslohn von 3.000 Euro vereinbart. Seit Mai 01 erhält der Arbeitnehmer anstelle einer Barlohnerhöhung einen Kindergartenzuschuss in Höhe von 100 Euro. Diese Vereinbarung wird als Anhang zum Arbeitsvertrag genommen.

Lösung:

Der Kindergartenzuschuss ist steuerfrei, da der Arbeitgeber den Zuschuss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn leistet. Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber einen Nachweis über die Kindergartenbeiträge im Original auszuhändigen (Lohnkonto!)

Schädlich sind sog. Rückfallklauseln, wonach ab dem Wegfall der Voraussetzungen für die Ersatzvergütung diese nicht ersatzlos wegfällt, sondern dem Arbeitnehmer nun wieder automatisch ein Anspruch auf den ursprünglichen Bruttoarbeitslohn zusteht.

BEISPIEL:Bis Juli 01 besucht das Kind des Arbeitnehmers den Kindergarten, für dessen Gebühren der Arbeitnehmer steuerfreie Zuschüsse nach § 3 Nr. 33 EStGerhält. Ab September 01 befindet sich das Kind des Arbeitnehmers jedoch in der Grundschule. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten seinerzeit vereinbart, dass mit Eintritt der Schulpflicht des Kindes der vormalige Arbeitslohnanspruch wieder auflebt.

Lösung:

Mit der o. g. arbeitsvertraglichen Vereinbarung hätte der Arbeitnehmer automatisch ab September 01 einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf den vormaligen Arbeitslohn vor der Herabsetzung. Die Vereinbarung ist daher von Anfang an nicht anzuerkennen.

Zudem schädlich ist, wenn dem Arbeitnehmer einseitig einKündigungsrecht mit Anspruch auf Rückkehr zum ursprünglichen Bruttoarbeitslohn eingeräumt wird, d. h. der Arbeitnehmer kann jederzeit nach eigenem Entschluss von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen und zum ursprünglichen Barlohn zurückkehren.

2.1 Befristete Arbeitsverträge

Sofern beim Auslaufen befristeter Arbeitsverträge in neuen Arbeitsverträgen entsprechende Regelungen getroffen werden, ist das Tatbestandsmerkmal „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn” grundsätzlich erfüllt, sofern keine Rückfallklauseln vereinbart wurden.

2.2 Geänderte Arbeitsverträge/Änderungskündigungen bei unbefristeten Arbeitsverträgen

Das Tatbestandsmerkmal „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn” ist hier im Hinblick auf die Regelung des R 3.33 Abs. 5 Satz 2 LStR 2015 nicht erfüllt, da durch die im gegenseitigen Einvernehmen abgeschlossenen Änderungsverträge arbeitsrechtlich geschuldeter Arbeitslohn lediglich umgewandelt wird.

BEISPIEL:Der Arbeitnehmer hat nach seinem Arbeitsvertrag Anspruch auf einen Bruttoarbeitslohn von monatlich 3.000 Euro. Er vereinbart mit seinem Arbeitgeber im März 01 ab April 01 den Bruttoarbeitslohn auf 2.920 Euro herabzusetzen und einen steuerfreien Kindergartenzuschuss in Höhe von 80 Euro monatlich zu zahlen.

Lösung:

Der ab April 01 gezahlte Kindergartenzuschuss ist nicht steuerfrei, da er nicht zusätzlich zum ohnehin geschuldeten, sondern durch Umwandlung von geschuldetem Bruttoarbeitslohn erbracht wird. Der steuerpflichtige Bruttoarbeitslohn beträgt daher auch ab April 01 unverändert 3.000 Euro monatlich.

3. Fallgruppe 2: Fälle ohne Zusätzlichkeitsvoraussetzung

Vergütungsbestandteile ohne Zusätzlichkeitserfordernis, z. B.:

  • Zahlung von steuerfreiem Verpflegungsmehraufwand (§ 3 Nr. 16 EStG)
  • Heimarbeitszuschlag (§ 3 Nr. 30 und 50 EStG, R 9.13 Abs. 2 LStR 2015)
  • Überlassung betrieblicher Datenverarbeitungsgeräte und Telekommunikationsgeräte sowie deren Zubehör aus zur privaten Nutzung überlassenen System- und Anwendungsprogrammen, die der Arbeitgeber auch in seinem Betrieb einsetzt und aus den in diesem Zusammenhang erbrachten Dienstleistungen (§ 3 Nr. 45 EStG)
  • Regelmäßige pauschale Barablösungen für (nachgewiesene) Reinigungskosten für vom Arbeitgeber gestellte typische Berufskleidung (§ 3 Nr. 50 EStG)
  • Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge, Zuschläge zur Rufbereitschaft (§ 3b EStG)
  • Firmenwagengestellung (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 – 5 EStG, R 8.1 Abs. 9 LStR 2015)
  • Warengutscheine i. R. der sog. 44-Euro-Freigrenze (§ 8 Abs. 2 Satz 11 EStG)
  • Rabattfreibetrag (§ 8 Abs. 3 EStG, R 8.2 LStR 2015)
  • Barzuschüsse in Form von z. B. Restaurantschecks für unentgeltlich oder verbilligt abgegebene Mahlzeiten (R 8.1 Abs. 7 Nr. 4 LStR 2015)
  • Fehlgeldentschädigung (R 19.3 Abs. 1 Nr. 4 LStR 2015)
  • Werbung auf Fahrzeugen (§ 22 Nr. 3 EStG)
  • Pauschalierung von unentgeltlich oder verbilligt abgegebenen arbeitstäglichen Mahlzeiten (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 EStG)
  • Pauschalierung von Erholungsbeihilfen (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 EStG)

Durch die Umwandlung entstehen je nach neuem Vergütungsbestandteil entwedersteuerfreie oder pauschal zu besteuernde Lohnbestandteile.

In analoger Anwendung von Rz. 295 des BMF-Schreibens vom 24.07.2013 ( BStBl 2013 I S. 1022; unter Berücksichtigung der Änderungen durch BMF-Schreiben vom 13.01.2014, BStBl 2014 I S. 97 und vom 13.03.2014, BStBl 2014 I S. 554) hindert es die Annahme einer Entgeltumwandlungin diesen Fällen auch dann nicht, wenn der bisherige ungekürzte Arbeitslohn weiterhin Bemessungsgrundlage für künftige Erhöhungen des Arbeitslohns oder andere Arbeitgeberleistungen (z. B. Weihnachtsgeld) ist, die Gehaltsminderung zeitlich begrenzt oder vereinbart wird, dass der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber sie einseitig ändern kann. Entscheidend ist lediglich, dass gemäß der vorgelegten Verträge im Vorhinein auf künftig fälligen Arbeitslohn verzichtet wird.

OFD Nordrhein-Westfalen v. 09.07.2015 – Kurzinfo LSt 05/2015