Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Zulagenwiderruf in Altfällen – möglicherweise wirksam

Kernfrage

Seitdem die Rechtsprechung Arbeitsvertragsklauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen behandelt, müssen sie den seit dem 1.1.2002 geltenden strengeren zivilrechtlichen Anforderungen standhalten. Danach gilt, dass Arbeitsvertragsklauseln, die Zulagen oder Gehaltsbestandteile unter den freien Widerruf des Arbeitgebers stellen, als überraschende Klauseln in der Regel unwirksam sind. Für die Wirksamkeit mindestens erforderlich ist, dass Widerrufgründe genannt sind. Das Bundesarbeitsgericht hat sich jetzt dazu geäußert, ob die Unwirksamkeitsrechtsprechung auch dann gelten kann, wenn die streitige Arbeitsvertragsklausel vor dem Inkrafttreten der strengeren gesetzlichen Anforderungen vereinbart worden ist.

Sachverhalt

Der Arbeitsvertrag des Klägers aus dem Jahr 1990 sah eine widerrufliche Zulage vor, die der Arbeitgeber im Jahr 2007 widerrief. Mit seiner Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit des Widerrufs geltend. Der Arbeitgeber trug jedoch vor, dass die neuere Rechtsprechung zur Überprüfung von Arbeitsvertragsklauseln nach Gesichtspunkten Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht auf Regelungen anwendbar seien, die vor der Verschärfung der zivilrechtlichen Gesetzgrundlage vereinbart worden seien; jedenfalls müsse hier eine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen werden, was den Widerruf möglich werden lasse.

Entscheidung

Das Gericht gab dem Arbeitgeber jedenfalls insoweit Recht, als dass die Rechtsprechung nach neuer Rechtslage nicht unmittelbar auf Altfälle angewendet werden könne. Da nach neuer Rechtsprechung zulässige Widerrufsgründe im Arbeitsvertrag enthalten sein müssen, sei eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich, die von der zweiten Instanz nachgeholt werden müsse. Ziel dabei sei, festzustellen, ob der vom Arbeitgeber behauptete Widerrufsgrund der „schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse“ ein zulässiger Widerrufgrund ist und ob tatsächlich schwierige wirtschaftliche Verhältnisse vorgelegen hätten.

Konsequenz

Die Entscheidung ist zu begrüßen. In sogenannten Altfällen, also bei Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 datieren, erscheint es nunmehr möglich, dass Arbeitsvertragsklauseln, die erst durch die Verschärfung der Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam geworden sind, doch noch „gerettet“ werden können.

Freigrenze von 110,00 EUR bei Firmenjubiläum

Der 16. Senat des Finanzgerichts Düsseldorf hat in drei Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass die Freigrenze für Betriebsveranstaltungen von 110,00 EUR je Arbeitnehmer überschritten gewesen sei und die Zuwendungen des Arbeitgebers der (pauschalen) Lohnsteuer unterlägen. Es handelte sich um eine Betriebsveranstaltung anlässlich eines Firmenjubiläums einer Aktiengesellschaft. An dieser nahmen Arbeitnehmer der AG sowie der Tochtergesellschaften teil. In der Folge kam es anlässlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung zu einem Streit darüber, ob die Freigrenze von 110,00 EUR überschritten gewesen sei. Der 16. Senat ging davon aus, dass die Freigrenze ungeachtet des besonderen Anlasses der Betriebsveranstaltung (Geschäftsjubiläum) und der Größe sowie der Bedeutung der Firmengruppe maßgebend sei. In die Berechnung der Freigrenze einzubeziehen seien die Kosten des Programms, des äußeren Rahmens der Veranstaltung und auch die Reisekosten.

Die vollständigen Entscheidungstexte können in neutralisierter Form unter den folgenden Links in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE abgerufen werden:

Urteil 1

Urteil 2

Urteil 3

Weiterhin keine Familienversicherung für Besserverdienende (BVerfG)

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT – 1 BvR 429/11 –

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

1. der Frau M…,
2. der Frau M…,
3. der Minderjährigen M…,
vertreten durch die Eltern M…,
4. der Minderjährigen M…,
vertreten durch die Eltern M…,
5. des Minderjährigen M…,
vertreten durch die Eltern M…,
– Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Ropohl & Partner,
Roscherstraße 13, 30161 Hannover –
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 6. Januar 2011 – B 12 KR 50/10 B -,
b) das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Mai 2010 – L 1 KR 420/09 -,
c) das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Oktober 2009 – S 10 KR 317/07 -,
2. mittelbar gegen
§ 10 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V –

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Schluckebier
und die Richterin Baer

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Juni 2011 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

I.
2

Die Beschwerdeführerin zu 1) ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie ist mit einem selbständigen Rechtsanwalt, der privat krankenversichert ist, verheiratet. Die vier gemeinsamen Kinder, die Beschwerdeführer zu 2) bis 5), sind ebenso wie der Vater privat krankenversichert.

3

Die Beschwerdeführer begehrten die Feststellung, dass die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) im Wege der Familienversicherung nach § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V – (und damit nach § 3 Satz 3 SGB V beitragsfrei) in der gesetzlichen Krankenversicherung über ihre Mutter mitversichert seien. Die Krankenkasse lehnte dies mit Bescheiden vom Juni 2007 ab. Das Begehren hatte auch im Widerspruchs- und im sozialgerichtlichen Klageverfahren keinen Erfolg.

4

Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie von Art. 6 Abs. 1 GG.

II.
5

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

6

1. Entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführer hat sich an der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ob § 10 Abs. 3 SGB V gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit er Ehen und eheähnliche Lebensgemeinschaften in Bezug auf den Ausschluss von Kindern aus der Familienversicherung unterschiedlich, nämlich Ehen schlechter behandelt (vgl. hierzu BVerfGE 107, 205), durch das am 1. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG -) vom 26. März 2007 nichts geändert.

7

Bei § 10 Abs. 3 SGB V handelt es sich um einen Ausschlusstatbestand von der familienpolitischen Leistung der beitragsfreien Familienversicherung von Kindern bis zu den in § 10 Abs. 2 SGB V geregelten Altersgrenzen (vgl. BVerfGE 123, 186 <229>). Die Regelung stellt, soweit ihre Voraussetzungen erfüllt sind, Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die mit dem anderen Elternteil der gemeinsamen Kinder verheiratet sind, durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V schlechter als unverheiratete Mitglieder, bei denen ein solcher Ausschluss nicht erfolgt. Übersteigt in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft das Gesamteinkommen des Elternteils, das nicht Mitglied der Krankenkasse ist, die Einkommensgrenze des § 10 Abs. 3 SGB V, so steht dies – im Unterschied zu verheirateten Eltern – einer Mitversicherung des Kindes beim gesetzlich versicherten Elternteil nicht entgegen (vgl. BVerfGE 107, 205, <214, 216>).

8

Nach Auffassung der Beschwerdeführer verstößt die in § 10 Abs. 3 SGB V geregelte Differenzierung zwischen den in der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung versicherten Kindern gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, weil sich aus der Gesetzesbegründung des GKV-WSG ergebe, dass die Mittel des Bundes zur anteiligen Finanzierung der nach § 10 SGB V beitragsfreien Mitversicherung von Kindern verwandt werden sollten. Der Bundeszuschuss decke die Kosten der Familienversicherung nunmehr fast vollständig ab.

9

§ 221 Abs. 1 und 2 SGB V in der Fassung des GKV-WSG, gültig vom 1. April 2007 bis 30. Juni 2008, lautet:

10

Beteiligung des Bundes an Aufwendungen

11

(1) Der Bund leistet zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen für das Jahr 2007 und das Jahr 2008 jeweils 2,5 Milliarden Euro in halbjährlich zum 1. Mai und zum 1. November zu überweisenden Teilbeträgen über das Bundesversicherungsamt an die Krankenkassen. Die Leistungen des Bundes erhöhen sich in den Folgejahren um jährlich 1,5 Milliarden Euro bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Milliarden Euro. Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestimmen gemeinsam und einheitlich eine Krankenkasse oder einen Verband als zentrale Stelle für die Abrechnung mit dem Bundesversicherungsamt. Das Bundesversicherungsamt zahlt die Beteiligung des Bundes an die zentrale Stelle zur Weiterleitung an die berechtigten Krankenkassen. Ab dem Jahr 2009 erfolgen die Leistungen des Bundes in monatlich zum ersten Bankarbeitstag zu überweisenden Teilbeträgen an den Gesundheitsfonds.

12

(2) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Verteilung nach Absatz 1 zu bestimmen. Maßstab für die Verteilung sind die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen.

13

Durch § 221 Abs. 1 SGB V wird der Bund verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen als Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen die im Gesetz genannten Geldleistungen zur Verfügung zu stellen. Eine Verwendung des Geldes für spezielle Personengruppen oder besondere Zwecke sieht das Gesetz nicht vor; es fließt in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen. Die Geldleistungen des Bundes führen deshalb – ungeachtet einer Gesetzesbegründung, die von „dem Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben (beitragsfreie Mitversicherung von Kindern) aus dem Bundeshaushalt“ spricht (vgl. BTDrucks 16/3100, S. 212), im Ergebnis zu einer alle Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen gleichmäßig begünstigenden Ermäßigung der Beitragssätze (§§ 241 ff. SGB V; vgl. BVerfGE 123, 186 <229>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2010 – 1 BvR 810/08 -, juris). Es trifft also nicht zu, dass der Bundeszuschuss gezielt zur Finanzierung der Familienversicherung verwendet würde. Richtig ist nur, dass über der Jahresarbeitsentgeltgrenze verdienende Personen wie der Ehemann der Beschwerdeführerin zu 1) als Steuerzahler zur Finanzierung dieses Bundeszuschusses beitragen, obwohl sie als Privatversicherte selbst keine Vorteile aus der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Aus dem eigenen Steuerbeitrag folgt aber grundsätzlich kein Anspruch auf Teilhabe an vom Gesetzgeber gewährten familienpolitischen Leistungen wie der Familienversicherung der Kinder nach § 10 SGB V.

14

2. Eine Änderung der Rechtslage gegenüber der Senatsentscheidung vom 12. Februar 2003 (vgl. BVerfGE 107, 205) ergibt sich auch nicht aus der von den Beschwerdeführern herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder (vgl. BVerfGE 120, 125). Dort wird festgestellt, dass es dem Gesetzgeber verwehrt sei, die von ihm durch das sozialhilferechtlich garantierte Versorgungsniveau selbst statuierte Sachgesetzlichkeit dadurch zu durchbrechen, dass er bei der Berücksichtigung entsprechender Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen Grenzen ziehe, die durch vernünftige Typisierungserwägungen nicht mehr zu begründen seien. Dabei sei zu beachten, dass typisierende Regelungen im Bereich des Existenzminimums in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdeckten (vgl. BVerfGE 82, 60 <91>; 87, 153 <172>). Diese Grenzen seien hinsichtlich der Beiträge zur privaten Krankenversicherung der Kinder offensichtlich überschritten, wenn unter Berufung auf die Beitragsfreiheit von ca. 90 % aller Kinder aufgrund der Familienversicherung nach § 10 SGB V alle privat krankenversicherten Kinder vollständig „hinwegtypisiert“ werden (vgl. BVerfGE 120, 125 <166>).

15

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangt daher die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge für die ca. 10 % privat versicherten Kinder, trifft aber keine Aussage dazu, ob Kinder auch dann im System der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert werden müssen, wenn ein Elternteil mit einem Verdienst oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze, der das Einkommen des pflichtversicherten Ehegatten überschreitet, nicht pflichtversichert ist. Im Gegenteil setzt die Entscheidung gerade voraus, dass es Kinder gibt, die privat und damit für die Eltern nicht beitragsfrei versichert sind.

16

3. Das Bundesverfassungsgericht hält an seiner Rechtsprechung fest, dass verheiratete Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V gegenüber unverheirateten Elternteilen zwar schlechter gestellt werden, diese Ungleichbehandlung aber nicht gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verstößt.

17

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Ungleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften durch die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V ist Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 67, 186 <195>). Es geht um die Frage einer Benachteiligung der Ehe gegenüber eheähnlichen Lebensgemeinschaften im Hinblick auf die Familienversicherung der Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung, für deren Leistungen die Versichertengemeinschaft aufzukommen hat. Bei dieser Gleichheitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs. 1 GG der Freiheit des Gesetzgebers, welche Sachverhalte er gleich und welche er ungleich behandelt, Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 103, 242 <258>). Es ist dem Gesetzgeber untersagt, die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften zu diskriminieren (vgl. BVerfGE 69, 188 <205 f.>; 75, 382 <393>), insbesondere Verheiratete gegenüber Nichtverheirateten bei der Gewährung rechtlicher Vorteile zu benachteiligen (vgl. BVerfGE 67, 186 <195 f.>; 75, 382 <393>). Eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung ist allerdings hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Ausgleich familiärer Belastungen abzielt, dabei Eheleute teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt, die gesetzliche Regelung im Ganzen betrachtet aber keine Schlechterstellung von Eheleuten bewirkt (vgl. BVerfGE 107, 205 <215 f.>).

18

Die Kammer lässt es dahin gestellt, ob die Überlegungen des Senats zur unterhaltsrechtlichen Situation eheähnlicher Familien eine Schlechterstellung der Kinder verheirateter Eltern noch in gleicher Weise tragen, nachdem der Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1615l BGB für den Elternteil eines nichtehelich geborenen Kindes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 (vgl. BVerfGE 118, 45) dem Anspruch nach § 1570 BGB für den geschiedenen Ehegatten angepasst wurde.

19

Die Ungleichbehandlung von Ehen mit Kind und eheähnlichen Gemeinschaften mit Kind in § 10 Abs. 3 SGB V findet ihre Rechtfertigung jedenfalls weiterhin in der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, generalisierende, typisierende und pauschalierende und auch pauschaliert quantifizierende Regelungen zu treffen (stRspr; vgl. BVerfGE 99, 280 <290>; 100, 138 <174>; 103, 392 <397>; 105, 73 <127>; 113, 167 <236>).

20

Eine Ausschlussregelung in § 10 Abs. 3 SGB V, die auch dann greift, wenn in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein Partner nicht gesetzlich versichert ist, mehr verdient als der gesetzlich versicherte Partner und ein Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielt, wäre für die Krankenkasse nicht handhabbar.

21

Zwar knüpft das Sozialrecht in Einzelfällen durchaus Folgen an das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft an. Während es aber in der Regelung im Opferentschädigungsgesetz, die Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2004 (BVerfGE 112, 50) war, um den Einzelfall ging, dass der eine Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft an den Schädigungsfolgen einer Gewalttat verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt, ist der Familienversicherungstatbestand des § 10 SGB V ein Problem der Massenverwaltung. Kinder sind bis zu 25 Jahre familienversichert. Wollte man die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 SGB V jedoch auch beim Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft greifen lassen, hätte das einen langen Beobachtungszeitraum für die Verwaltung zur Folge. Da die eheähnliche Lebensgemeinschaft ohne formale Hürden und Dokumentation jederzeit aufgelöst werden kann, würde es eine für die Krankenkassen faktisch nicht zu leistende Aufgabe darstellen, kontinuierlich zu prüfen, ob eine solche Lebensgemeinschaft besteht, immer noch besteht oder wieder besteht. Das Versicherungsrecht des SGB V, in das die Familienleistung der beitragsfreien Versicherung der Kinder integriert ist, ist darauf angewiesen, dass die Versicherungstatbestände und die Ausschlusstatbestände klar rechtlich definiert sind. Die Ehe ist ein solcher rechtlich klar definierter und leicht nachweisbarer Tatbestand, das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist es nicht. Die Krankenkassen wären überfordert, müssten sie Ermittlungen zum Verfestigungsgrad tatsächlich bestehender, wie auch immer rechtlich zu fassender eheähnlicher Lebensgemeinschaften anstellen.

22

4. Eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung, wie sie verheiratete Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V gegenüber unverheirateten Elternteilen trifft, ist hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf den Ausgleich familiärer Belastungen abzielt, dabei Eheleute teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt, die gesetzliche Regelung im Ganzen betrachtet aber keine Schlechterstellung von Eheleuten bewirkt (vgl. BVerfGE 107, 205 <215 f.>).

23

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2003 ausdrücklich festgestellt, dass durch die unterschiedliche Behandlung bei einer Gesamtbetrachtung Eheleute nicht schlechter gestellt seien (vgl. BVerfGE 107, 205 <216>). So sähen die Regelungen über die Familienversicherung in § 10 SGB V rechtliche Vorteile vor, die nur zur Geltung kämen, wenn eine Ehe vorliege. So könne nach § 10 Abs. 1 SGB V der Ehepartner, der Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei, dem anderen Ehepartner, der nicht selbst Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung sei, beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung vermitteln. Eine solche Möglichkeit sei Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht eröffnet.

24

Zwar kommt der Vorteil der beitragsfreien Mitversicherung des Ehegatten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V den oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze gutverdienenden Ehegatten nie zugute. Die beitragsfreie Mitversicherung des Ehegatten ist nach dieser Bestimmung sogar schon ausgeschlossen, wenn dieser ein Siebtel der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV verdient. Die über den Ausschluss der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder nach § 10 Abs. 3 SGB V schlechter gestellte Gruppe (Ehegatten mit einem Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze) kommt somit niemals selbst in den Genuss der beitragsfreien Mitversicherung. Sie gehört zu der Gruppe grundsätzlich von der beitragsfreien Mitversicherung ausgeschlossener Ehegatten mit einem Gesamteinkommen oberhalb der Grenze des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V. Ein Ausgleich der Schlechterstellung hinsichtlich der Kinderversicherung findet für die von § 10 Abs. 3 SGB V erfasste Gruppe somit nicht im Krankenversicherungsrecht statt. Jedoch wird der Ausschluss der Familienversicherung der Kinder nach § 10 Abs. 3 SGB V über die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder jedenfalls teilweise ausgeglichen (vgl. BVerfGE 120, 125 <142>). Diese Kompensation genügt, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

25

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

26

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Schadensersatz: Verjährungsbeginn bei fehlerhaftem Einspruch des Steuerberaters

Schadensersatz: Verjährungsbeginn bei fehlerhaftem Einspruch des Steuerberaters

Kernaussage

Legt ein Steuerberater gegen einen Sammelbescheid mit mehreren selbstständig anfechtbaren Regelungsgegenständen einen Einspruch ein, der eindeutig auf einen Teil des angefochtenen Sammelbescheids beschränkt ist, so beginnt die Verjährung eines Regressanspruchs gegen den Steuerberater mit Ablauf der Einspruchsfrist.

Sachverhalt

Die Kläger nutzten, zunächst als Leasingnehmer, während der Jahre 1997 bis 2001 ein Flugzeug zur Personenbeförderung. Im Januar 2000 wurde der Leasingvertrag gekündigt. Die Kläger erwirtschafteten während des gesamten Zeitraums nur Verluste. Infolge einer Betriebsprüfung vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, eine Gewinnerzielungsabsicht sei nicht festzustellen. Mit Sammelbescheid vom 22.7.2004 wurden daher für 1997 die Verluste herabgesetzt, die Verluste der Jahre 1997 bis 1999 von solchen aus gewerblicher Tätigkeit in solche aus Vermietung und Verpachtung umqualifiziert und die Einkünfte für 2000 und 2001 auf Null festgesetzt. In dem dagegen durch den beklagten Steuerberater eingelegten Einspruch vom 11.8.2004 zählte dieser im Betreff nur die Feststellungsbescheide 1997, 1998, und 1999 auf. Die Einspruchsbegründung vom 19.9.2004 bezog sich auf den gesamten Feststellungszeitraum bis 2001. Hinsichtlich der Jahre 2000 und 2001 wurde der Einspruch wegen verspäteter Einlegung verworfen. Die Kläger nahmen den Beklagten deshalb auf Schadensersatz in Anspruch, dieser erhob die Einrede der Verjährung.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision der Kläger als unbegründet wegen Verjährung der Schadensersatzforderung zurück. Anzuwenden war die Vorschrift des § 68 StBerG a. F., da der Anspruch noch vor dem 15.12.2004 entstanden war. Besteht die Pflichtwidrigkeit des Steuerberaters darin, dass der gebotene Einspruch gegen einen Feststellungsbescheid unterblieben ist, so entsteht der Schaden nämlich bereits mit Ablauf der Einspruchsfrist. Nach Ansicht der Richter sprach die Abfassung des Einspruchs für eine klare Beschränkung des Anfechtungsumfangs. Dementsprechend bestand bei Ablauf der Einspruchsfrist wegen der mangelhaften Abfassung des Einspruchsschreibens nicht nur ein bloßes Schadensrisiko, sondern ein eingetretener Schaden. Damit wurde die Verjährung in Gang gesetzt.

Konsequenz

Insbesondere in Sammelbescheiden ist auf eine sprachliche Genauigkeit zu achten, um eine ungewollte Beschränkung der Anfechtung zu vermeiden. Hinsichtlich der Verjährungsvorschriften sind Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater nunmehr auch der Regelverjährung (3 Jahre, §§ 195, 199 BGB) unterstellt.

BStBK begrüßt Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu Erstattungszinsen

Vom Finanzamt geleistete Zinsen auf Einkommensteuererstattungen sind nicht zu versteuern. So lautet die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 15. Juni 2010. Die Bundessteuerberaterkammer begrüßt diese Änderung der Rechtsprechung ausdrücklich, da sie die bisherige Ungleichbehandlung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen schon immer kritisch gesehen hat. Bereits 2002 hat sich die Bundessteuerberaterkammer für eine Gleichbehandlung in ihren 55 Vorschlägen zur Steuervereinfachung ausgesprochen.

Nachzahlungszinsen, die ein Steuerpflichtiger an das Finanzamt zu zahlen hat, können steuerlich nicht geltend gemacht werden. Erstattungszinsen, die er selbst für zuviel entrichtete Steuern vom Finanzamt erhält, waren dagegen stets als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern. „ Dieses Ungleichgewicht in der Behandlung der Zinsen widerspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden. Wir befürworten ausdrücklich die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, da sie zu einem sachlichen Gleichlauf führt, der für alle betroffenen Steuerzahler nachvollzieh­bar ist“, sagt Dr. Horst Vinken, Präsident der Bundessteuerberaterkammer.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs betrifft in erster Linie die persönliche Einkommensteuer und die Erbschaftsteuer. Hier werden die Steuerrückerstattung und damit auch die darauf entfallenden Nachzahlungszinsen ausdrücklich dem nichtsteuerbaren Bereich zugewiesen. In diesem Fall führen weder die Steuer­erstattung noch die darauf entfallenden Erstattungszinsen beim Steuerpflichtigen zu versteuernden Einnahmen. Grundsätzlich jedoch bleiben Erstattungszinsen steuer­pflichtig. Steuerberater sollten nun prüfen, welche ihrer Mandanten von dieser neuen Rechtsprechung profitieren.

Finanzämter sollen Kulanz zeigen

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat in einem Brief an die Finanzminister der Länder darum gebeten, dass die Finanzämter in Krisenzeiten kulanter gegenüber Unternehmern und Selbstständigen sein sollen.

In seinem Brief schreibt der Bundesfinanzminister: „Mir ist es wichtig, dass auch die kleineren und mittleren Unternehmen in dieser Wirtschaftskrise nicht alleine gelassen werden. Wir sollten gerade diese Unternehmen bei der Bewältigung der Krise mit allen uns zur Verfügung stehenden Instrumenten unterstützen.“

Die Finanzämter sollen vor allem bei Anträgen auf Stundung, Erlass, Vollstreckungsaufschub oder Anpassung der Vorauszahlungen ihren Ermessenspielraum möglichst weitgehend ausschöpfen – zugunsten der von der Krise betroffenen Unternehmen. Anlass für den aktuellen Brief sind Beschwerden von Kleinunternehmern und Selbstständigen, die unter Umsatzeinbrüchen leiden, aber dennoch an die Finanzbehörden Vorauszahlungen leisten müssen, die sich am wesentlich besseren Jahr 2008 orientieren.

 

Neue Steueridentifikationsnummer bringt mehr Service für die Bürgerinnen und Bürger

Das Bundeszentralamt für Steuern teilt beginnend ab 1. August 2008 jeder in Deutschland gemeldeten Person schriftlich ihre persönliche steuerliche Identifikationsnummer mit. Die neue Nummer wird die bisher für die Einkommensteuer verwendete Steuernummer ersetzen. Hierzu erklärt der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Dr. Axel Nawrath: „Die bundeseinheitliche Identifikationsnummer ist ein entscheidender Schritt in Richtung des elektronischen Zeitalters: Mit der Steueridentifikationsnummer werden elektronische Serviceleistungen der Steuerverwaltung, wie z.B. das vorausgefüllte, elektronische Steuererklärungsformular oder die Entgegennahme und Verarbeitung elektronischer Belege überhaupt erst möglich. Ziel ist, den Bürgern die Erledigung ihrer steuerlichen Angelegenheiten noch weiter zu erleichtern.“

Verteilt über mehrere Monate werden bis Ende des Jahres 2008 über 80 Mio. Briefe an alle Einwohner Deutschlands verschickt. Im Ergebnis dürften dann Sendungen mit einem Gesamtgewicht von weit über 1.000 Tonnen bewegt worden sein. Hierbei handelt es sich um die wohl größte Briefversandaktion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Die Identifikationsnummer wird auf Grundlage von Datenlieferungen aller 5.300 deutschen kommunalen Meldebehörden vergeben. Jede Person, die mit Haupt- oder alleiniger Wohnung in Deutschland gemeldet ist, erhält eine Identifikationsnummer. Sie dient allein der eindeutigen Identifizierung in Besteuerungsverfahren. Damit ist die Steuerverwaltung die erste deutsche Verwaltung, die ein bundesweit einheitliches Aktenzeichen schafft, das alle Bürgerinnen und Bürger ein Leben lang begleitet. Nach einer Übergangszeit soll die Identifikationsnummer die herkömmliche Steuernummer ersetzen.

Die Identifikationsnummer ist auch Voraussetzung für die Einführung der „elektronischen Lohnsteuerkarte“. Das aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammende Lohnsteuerverfahren soll Kosten sparend modernisiert und bürgerfreundlicher gestaltet werden. Letztmalig für das Jahr 2010 werden Karton-Lohnsteuerkarten bereitgestellt. Die Steueridentifikationsnummer hilft, papiergebundene Verfahren und Abläufe elektronisch abzubilden.

Staatssekretär Dr. Nawrath: „Damit wird Bürokratie abgebaut und die Transparenz des Besteuerungsverfahrens erhöht. Die bundeseinheitliche Identifikationsnummer leistet so auch einen Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit“.

Für die Bürger, die in den nächsten Monaten noch keine Identifikationsnummer erhalten haben, ist der Kontakt zum Finanzamt über die bisherige Steuernummer weiterhin möglich. In den Vordrucken für die Einkommensteuererklärung sind Eingabefelder für die bisherige Steuernummer und die Identifikationsnummer vorgesehen.

Die Steuerverwaltungen der Länder bitten aber darum, für eine Übergangszeit bei Erklärungen und Mitteilungen zusätzlich zur Identifikationsnummer die bisherige Steuernummer anzugeben. Die Umstellung von Abläufen und Verfahren in den Finanzämtern wird damit erleichtert.

Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 1. August 2008

Neugestaltung wichtiger Einrichtungen in der Bundesfinanzverwaltung

21.12.2005 – Aus Anlass der Einrichtung des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, des Bundeszentralamtes für Steuern und des Zentrums für Informationsverarbeitung und Informationstechnik zum 1. Januar 2006 erklärt die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Dr.–Doktor Barbara Hendricks:

Zum 1. Januar 2006 setzt die Bundesfinanzverwaltung den Prozess der Verwaltungsmodernisierung und einer verstärkten Kundenorientierung durch die Neugestaltung wichtiger Einrichtungen in der Bundesfinanzverwaltung fort.

Die aus bereits bestehenden Oberbehörden und IT–Informationstechnik -Einrichtungen hervor gehenden Einrichtungen Bundeszentralamt für Steuern, Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen sowie Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik werden ihre Aufgaben in effektiveren und zukunftsfähigen Strukturen wirtschaftlicher und wirksamer als bisher erledigen. Eine Liste der Standorte ist in der Anlage beigefügt. Um es noch einmal ausdrücklich zu betonen: Mit der Verwaltungsreform werden keine zusätzlichen Einrichtungen geschaffen, sondern bestehende Strukturen fortentwickelt.

Die Verwaltungsreform erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade in den Kernbereichen Steuern, Dienstleistungen und Informationstechnik die Aufgabenentwicklung außerordentlich dynamisch verläuft. Die öffentliche Diskussion zu einer „Bundessteuerverwaltung“ hat deutlich gemacht, dass ein Bedürfnis für eine zentrale Erledigung bzw.–beziehungsweise stärkere Koordinierung des Steuervollzugs mehr und mehr anerkannt wird. Zudem werden Verwaltungsdienstleistungen daran gemessen, ob sie kundenorientiert und wirtschaftlich erledigt werden. Schließlich soll die Aufgabenerledigung durch eine moderne und leistungsfähige Informationstechnik effizient unterstützt werden.

Ein besonderer Beitrag für eine deutlich verbesserte Aufgabenerledigung in der Bundesfinanzverwaltung ist durch die Einrichtung des Bundeszentralamts für Steuern zu erwarten. Im föderalen Verwaltungsgefüge bestehen erhebliche Spielräume für eine effektivere und effizientere Steuererhebung. So ist zum Beispiel vorgesehen, die Bundesbetriebsprüfung in dieser Behörde zu verstärken. Die Bündelung steuerfachlicher Auskunfts- und Serviceleistungen in einem steuerlichen Info-Center soll darüber hinaus dazu beitragen, eine einheitliche und konsequente Rechtsanwendung im Steuervollzug zu gewährleisten.

Mit der Einrichtung des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen werden die bisher in unterschiedlichen Organisationseinheiten angesiedelten Verwaltungsdienstleitungen in dieser Behörde zusammengefasst. Von entscheidender Bedeutung sind hierbei ein verbesserter Service und eine stärkere Adressatenorientierung. Die Konzentration entlastet die Fachbereiche von administrativen Aufgaben und ermöglicht der Verwaltung, ihre Kernkompetenzen zu stärken. Somit können Fachaufgaben effizienter wahrgenommen und hier insbesondere die vermögens- und entschädigungsrechtlichen Verfahren künftig schneller abgeschlossen werden. Darüber hinaus soll das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen systematisch zum Anbieter von zentralen Dienstleistungen in der Bundesfinanzverwaltung ausgebaut werden.

Das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik wird den Prozess der Modernisierung und wirtschaftlicheren Gestaltung der Arbeitsabläufe in der Verwaltung unterstützen. Die Bündelung der IT-Aufgaben und ihre Prozessoptimierung werden es der Bundesregierung erleichtern, die eGovernment-Strategie konsequent weiter zu verfolgen. Das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik ist darüber hinaus ein Motor zur Verbesserung der Geschäftsabläufe in der Bundesfinanzverwaltung.

Pressemitteilung vom 21.12.2005

Anlage zur Pressemitteilung 140/2005 vom 21. Dezember 2005
http://www.bundesfinanzministerium.de/nsc_true/DE/Aktuelles/
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Rede des Bundesministers der Finanzen Hans Eichel zum Thema „Aktuelle Steuerpolitik“

Rede des Bundesministers der Finanzen Hans Eichel zum Thema „Aktuelle Steuerpolitik“ auf dem DEUTSCHEN STEUERBERATERKONGRESS am 10. Mai 2004 in Stuttgart

Sehr geehrter Dr. Heilgeist, meine sehr verehrten Damen und Herren!

In der Nacht auf den 1. Mai waren Millionen von Menschen in Europa auf der Straße, um den Beitritt von 10 neuen Staaten zur Europäischen Union zu feiern.

Erweiterung der EU

Seit diesem Tag umfasst die „wiedervereinte“ Europäische Union 25 Staaten mit rund 455 Millionen Einwohnern und zählt damit zu einem der weltweit größten Wirtschaftsräume.

Wir sollten uns dabei vergegenwärtigen, dass es um weit mehr als die Erweiterung eines Marktes geht. Ziel ist es, Europa zu einem Kontinent dauerhaften Friedens und dauerhaften Wohlergehens seiner Menschen zu machen.

Gleichwohl stehen für viele die wirtschaftlichen Aspekte im Vordergrund. Es muss am Ende greifbare Vorteile für alle geben.

Die Erweiterung bietet viele Chancen. Sie ist aber auch mit Risiken verbunden. Auch in Deutschland gibt es hier Fragen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der günstigen steuerli­chen Bedingungen etwa in Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ungarn. Es ist kein Geheimnis, dass die steuerlichen Rahmenbedingungen in den Beitrittsländern aktuell vor allem durch niedrige Körperschaftsteuersätze, ja eine allgemein sehr niedrige Ertragsteuer­belastung gekennzeichnet sind. Das sind wichtige Orientierungsmarken im internationalen Wettbewerb um „Steuerstandorte“.

Aber: Der Standortwettbewerb mit steuerlichen Vergünstigungen ist nicht erst eine Frage des EU-Beitritts. Im Gegenteil: Mit der Verpflichtung der Beitrittsländer zur Anwendung des Acquis communautaire wird er in faire Bahnen gelenkt.

Abbau von steuerlichen Hindernissen

Vor dem Hintergrund einer immer stärker zusammenwachsenden Wirtschafts- und Wäh­rungsunion in Europa werden zwischenstaatliche Abstimmungen und vor allem koordinier­tes Vorgehen wichtiger denn je.

Es wird aber auch darum gehen, die Harmonisierung voranzutreiben: Zur Wahrung der Wettbewerbsgleichheit in der Gemeinschaft streben wir möglichst einheitliche steuerliche Rahmenbedingungen an. Insbesondere für international operierende Wirtschaftsunterneh­men brauchen wir einen europatauglichen Rechtsrahmen und ein Höchstmaß an Transpa­renz.

Bekämpfung des „unfairen“ Steuerwettbewerbs

Mit dem „Verhaltenskodex zur Bekämpfung des unfairen Steuerwettbewerbs bei der Unter­nehmensbesteuerung“ soll dieses Ziel europaweit durchgesetzt werden. Es handelt sich um eine politische Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, bestehende „unfaire“ Steuerrege­lungen für Investitionen von Steuerausländern bis zum 31. Dezember 2005 abzubauen und keine neuen „unfairen“ Steuerregelungen einzuführen.

Grundsätzlich ist die Definition der als „unfair“ geltenden Maßnahmen relativ eng. Sie geht von dem Besteuerungsniveau des jeweiligen Mitgliedstaats aus. Unfair sind nur selektive Regelungen, die eine deutlich unter diesem Niveau liegende Effektivbesteuerung bewirken.

Ein generell sehr niedriger Tarif in einem Mitgliedstaat wird dagegen nicht als unfair ange­sehen. Das ist noch Beschlusslage in der Europäischen Union. Wir meinen, das muss man intensiv diskutieren.

Standortwettbewerb

Der Standort Deutschland ist weiterhin hoch attraktiv. Die Unternehmensberatung A. T. Kearney hat in ihrer jährlichen Umfrage unter 1.000 international agierenden Unter­nehmen festgestellt, dass Deutschland das attraktivste Ziel für internationale Investoren in der Europäischen Union der 15 ist. Selbst in der Europäischen Union der 25 rangiert ledig­lich Polen vor Deutschland. 

Allein 2002 habe Deutschland 38,1 Mrd. Dollar Direktinvestitionen an sich ziehen können. Als Grund für das gestiegene Vertrauen internationaler Investoren nennt die Studie unter anderem die Steuerreform des Jahres 2000.

Im Unternehmenssteuerbereich hat sich ebenfalls Entscheidendes getan: Seit 2001 haben wir ein europataugliches, deutlich vereinfachtes und international wettbewerbsfähiges Unternehmenssteuerrecht. Die Körperschaftsteuer haben wir auf 25 % für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne reduziert. Mit dem neuen Halbeinkünfteverfahren haben wir auch in Europa Maßstäbe gesetzt.

Gleichwohl geraten wir in Gefahr, im Wettbewerb um Investitionsstandorte, der auch auf dem Feld der Steuertarife ausgetragen wird, wieder an Boden zu verlieren. Und nicht nur wir. Denn ein zügelloser Steuerwettbewerb über die Steuersätze ist ein brandgefährliches Spiel, das letztlich keinen Gewinner haben wird.

Die Bekämpfung eines binnenmarktschädlichen Steuerwettbewerbs zwischen EU-Staaten ist deshalb nicht nur für Deutschland von vitalem Interesse.

Für ein steuerlich gut beratenes und geschickt gestaltendes Unternehmen mag der Steuer­senkungswettlauf zwischen den Staaten für eine gewisse Zeit einen individuellen Nutzen bringen. Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft. Das gilt auch in der Steuerpolitik!

Standortqualität

Jedoch kennen Sie alle die Wichtigkeit einer guten Infrastruktur, eines hohen Bildungs- und Ausbildungsstandes oder auch die Nähe zu Großkunden für Standortentscheidungen und erfolgreiches Wirtschaften.

Ein Staat, der keine entsprechenden Dienstleistungen auf hohem Niveau anbieten kann, wird seiner Volkswirtschaft keinen Gefallen tun, sondern ihr Schaden zufügen.

Ich wünsche mir deshalb vor allem eine verstärkte Koordinierung auf dem Gebiet der direk­ten Steuern auf EU-Ebene. Damit werden die Vorteile eines gesunden Wettbewerbs erhal­ten. Gleichzeitig werden aber auch unerwünschte Folgen des Steuer-Dumping vermieden.

Mindeststeuersätze

Von der Kommission wird zwar kein einheitlicher europäischer Unternehmenssteuertarif angestrebt. Um jedoch den Wettlauf um den niedrigsten nominalen Steuersatz entgegen­zuwirken und Europa zu einem einheitlichen Wirtschaftsstandort nach innen und außen fortzuentwickeln, ist die Einführung eines Mindeststeuersatzes innerhalb der EU notwendig.

Daher sollte auf politischer Ebene eine Diskussion über einen Mindeststeuersatz eingeleitet und intensiv verfolgt werden.

Deutschlands Strategie in Europa

Welche weiteren Folgerungen ergeben sich für die deutsche Steuerpolitik aus der fort­schreitenden Europäisierung bzw. Internationalisierung?

Offensichtlich ist jedenfalls, dass wir Steuerpolitik immer weniger rein national definieren können. Wir müssen uns nicht nur an Vorgaben des Gemeinschaftsrechts halten. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wendet sich verstärkt nationalen Steuer-regeln zu.

Vor allem die Abwehrgesetzgebung der Mitgliedstaaten kommt mehr und mehr auf den Prüfstand des EuGH. In jüngster Zeit wurden der pauschalierte Steuerabzug für nicht ansässige Steuerpflichtige und die deutschen Unterkapitalisierungsvorschriften als europa­rechtswidrig beanstandet. Nicht unerwähnt soll auch das Urteil zur französischen Weg­zugsbesteuerung bleiben.

Aktive Mitgestaltung des EU-Rechts

Erste Erkenntnis aus dieser Entwicklung: Wir brauchen eine gut abgestimmte steuerpoliti­sche Strategie sowohl in Europa als auch national. Für uns gilt es dabei, in größerem Maße als bisher eine aktive Rolle bei der Gestaltung des EU-Rechts zu übernehmen.

Die konstruktive Mitarbeit in Gremien der Europäischen Union eröffnet die Möglichkeit, die weiteren steuerpolitischen Entscheidungen innerhalb der EU so zu beeinflussen, dass unsere nationalen Interessen angemessen berücksichtigt werden.

Ansatzpunkte bieten sich vielfältig:

Steuerliche Gewinnermittlung

Beim Thema „Steuerliche Gewinnermittlung“ halten wir die von der Kommission vorge­schlagene einheitliche Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung für denrichtigen Ansatz. Auf diesem Gebiet deutet sich im Übrigen eine engere Kooperation zwi­schen Deutschland und Frankreich an, die mittelfristig beispielhaft in der EU sein und Maß­stäbe setzen könnte.

Umwandlungen

Die steuerneutrale grenzüberschreitende Umwandlung wird zurzeit im Rahmen einer Ergänzung der Fusionsrichtlinie geprüft. Auch diese Überlegungen decken sich mit dennationalen Überlegungen für eine grenzüberschreitende Umwandlung nach dem deutschen Umwandlungssteuerrecht.

Konzernbesteuerung

Eine grenzüberschreitende Konzernbesteuerung ist von der Kommission als mittelfristiges Projekt ebenfalls angeregt worden. Bemerkenswert ist, dass Österreich mit Blick auf die Erweiterung der Europäischen Kommission ein in diese Richtung gehendes Projekt bereits politisch beschlossen hat. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

Anpassung des nationalen Rechtsrahmens an internationale Standards und Gege­benheiten

Darüber hinaus sind wir gefordert, den nationalen Rechtsrahmen insbesondere an EU-Standards anzupassen. Die zweite Säule der EU-Strategie Deutschlands zur Fortentwicklung des Steuerrechts ist deshalb die stärkere EU- bzw. internationale Ausrichtung des nationalen Rechts.

Reform des Außensteuerrechts

Die Bundesregierung hat sich in diesem Zusammenhang zum Ziel gesetzt, das Außensteu­ergesetz zu reformieren, das sich zunehmend als zu enges Korsett für den Flexibilität erfordernden Außenhandel erweist.

Wenn gegenwärtig von der Modernisierung des Außensteuerrechts gesprochen wird, ist insbesondere die Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz gemeint. Die Bundesregierung hat immer deutlich gemacht, dass wir an der Hinzurechnungsbesteuerung grundsätzlich festhalten wollen. Wir bleiben jedoch bei unserer Ankündigung, die Hinzu­rechnungsbesteuerung und dabei vor allem den Katalog der Einkünfte, die der Hinzurech­nungsbesteuerung unterliegen, kritisch zu überprüfen und ggf. anzupassen.

Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs

Es gibt weitere Betätigungsfelder: Bekanntermaßen ist die Umsatzsteuer EU-weit die betrugsanfälligste Steuer überhaupt.

Vor diesem Hintergrund ist die Intensivierung der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs ein weiterer Schwerpunkt auf unserer steuerpolitischen Agenda. Bekanntlich wird die Umsatzsteuerhinterziehung häufig in Form so genannter Karussellgeschäfte EU-weit und teilweise sogar im Stile organisierter Kriminalität betrieben. Der finanzielle Schaden für die Haushalte der Mitgliedstaaten ist enorm. Dem gilt es, im europäischen Gleichklang ent­schieden entgegenzuwirken.

Ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug ist z. B. ein verbesserter Informationsaustausch innerhalb der EU. Es kommen jedoch auch gesetzgeberische Maß­nahmen bis hin zu einem Systemwechsel bei der Umsatzsteuer in Betracht:

Im Interesse einer effektiven Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges muss ein System­wechsel zum Beispiel zur Ist-Versteuerung durch ein weitgehend automatisiertes cross­check-Verfahren abgesichert werden. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir kürzlich erarbeitet und in die Diskussion mit der EU-Kommission, den Bundesländern und den Ver­bänden eingeführt.

Brücke zur Steuerehrlichkeit

Zum Stichwort „Steuerehrlichkeit“: Die nachhaltige Verbesserung der Steuermoral und die effektivere Ausschöpfung der Steuerquellen sind Schwerpunkte unserer Steuerpolitik, wobei wir uns nicht auf die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs beschränken. Denn nach wir vor müssen wir leider feststellen, dass Steuerhinterziehung verbreitet als Kava­liersdelikt betrachtet wird und sich nicht wenige geradezu einen Sport daraus machen, das Finanzamt zu hintergehen.

Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass Steuerhinterziehung ein Delikt ist, das nur vordergründig den Fiskus trifft; denn geschädigt werden letztlich die, die redlich ihre Steu­ern zahlen. Trotzdem muss man realistisch sein: Hartnäckige Steuersünder wird man mit derlei Argumenten kaum davon überzeugen, von ihrem kriminellen Tun zu lassen.

Die EU-Zinsrichtlinie, die nach langen Verhandlungen beschlossen wurde, wird Steuerflucht in Europa zwar auf mittlere Sicht erheblich riskanter machen. Aber alle Probleme werden dadurch nicht gelöst. Um Steuerfluchtkapital im weitesten Sinne wieder der Besteuerung zugänglich zu machen, bedarf es daher spezieller Anreize, zumal die Hoheitsrechte des na­tionalen Gesetzgebers und des Fiskus an den Grenzen enden.

Mit dem am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung der Steuer­ehrlichkeit haben wir ein attraktives Angebot unterbreitet, das denjenigen eine goldene Brü­cke in die Steuerredlichkeit baut, die sich bislang den Steuerbehörden nicht offenbart ha­ben.

Der Rückfluss des Steuerfluchtkapitals ist bisher eher spärlich. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Bilanz aufgrund der zeitlich und tariflich gestuften Regelung zum Ende des Jahres sehr viel positiver aussehen wird.

Es gilt aber sicherlich auch, die in diesem Zusammenhang zu leistende Überzeugungs­arbeit noch zu intensivieren. Und hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, kommt Ihrer Zunft sicherlich eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle zu. Ich möchte daher an Sie alle appellieren, das Ihre zum Gelingen des Unternehmens „Steueramnestie“ beizutra­gen. Die Gelegenheit – dafür stehe ich – wird nicht wiederkehren.

Besteuerung der Kapitaleinkünfte

Wie Sie sicherlich wissen, war ursprünglich geplant, im Zuge der Brücke zur Steuerehrlich­keit auch eine Reform der Besteuerung von Kapitaleinkünften anzugehen. Nach eingehen­der Prüfung verschiedener Alternativen sind wir zu dem Schluss gekommen, jedenfalls eine isolierte Zinsabgeltungssteuer nicht mehr in Betracht zu ziehen. Die damit erreichbaren, sehr begrenzten Anreizwirkungen für die Deklaration von Steuerfluchtkapital müssten durch viel gewichtigere gesamtwirtschaftliche Nachteile erkauft werden.

Dies in aller Klarheit erkannt zu haben, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst Ihres wissen­schaftlichen Instituts, des DWS, das frühzeitig in einem Gutachten und im Gespräch mit den Fachleuten meines Hauses auf die Probleme einer isolierten Zinsabgeltungssteuer hin­gewiesen hat.

Anspruchsvollere Lösungen, die ein breiteres Spektrum von Kapitalerträgen und letztlich auch die Besteuerung von Unternehmen einbeziehen, implizieren andererseits aber erheb­liche politische und fiskalische Risiken.

Einen denkbaren Weg hat das Gutachten des Sachverständigenrats gewiesen, in dem uns die Einführung einer dualen Einkommensteuer nach dem Vorbild der nordischen Staaten nahe gelegt wird. Die im Anschluss daran geführte Diskussion hat aber auch deutlich gemacht, welches Wagnis wir damit eingehen würden. Vorbehalte gibt es nicht nur in der Koalition. Denn wie es für mich aussieht, ist auch die Union von ihrer ursprünglichen Präfe­renz für die Abgeltungssteuer abgerückt. Allerdings bietet die Union zu diesem Thema, wie bei so vielen Themen, kein klares Bild. Denn der Wirtschaftsrat votiert jetzt wieder pro Abgeltung.

Kakophonie können wir uns aber nicht leisten. Die Besteuerung von Kapitaleinkommen ist ein hochsensibles Thema, mit großen Auswirkungen auf die Finanzmärkte und den Stand­ort Deutschland. Wir müssen alles verhindern, was nur dazu beiträgt, Investoren, Unter­nehmen und private Haushalte zu verunsichern.

Attentismus wäre die wahrscheinliche Folge und das Gegenteil dessen, was unsere Volks­wirtschaft jetzt braucht. Aus diesem Grund halte ich es für zwingend, erst dann in eine kon­krete Reformdiskussion einzutreten, wenn wir grundlegenden Konsens über die Reform­notwendigkeit und die Eckwerte eines derartigen Vorhabens erzielt haben, so dass die erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten hinreichend gesichert erscheinen.

Die Bundesregierung wird das Thema deshalb erst aufgreifen, sobald sich ein Grundkon­sens in der Sache abzeichnet.

Grundlegende Steuerreform

Meine Damen und Herren, die Diskussion um eine grundlegende Reform des Steuerrechts wird vor allem unter dem Gesichtspunkt der Steuervereinfachung geführt.

Das kann man verstehen. Kritik am komplizierten Steuersystem war schon immer populär und auch nie ganz unberechtigt.

Allerdings wird dabei die wichtige Tatsache unterschlagen, dass das geltende Recht für einfache Lebenssachverhalte, also die Masse der Steuererklärungen, durchaus klare Orientierungen bietet.

In der steuerpolitischen Reformdebatte wäre außerdem schon viel gewonnen, wenn den Bürgerinnen und Bürgern zwei Dinge ehrlich gesagt würden:

Erstens: Das Steuerrecht ist im Wesentlichen deshalb kompliziert, weil teilweise komplexe Lebenssachverhalte zu berücksichtigen sind. Das macht auch Vereinfachungen grundsätz­lich schwierig.

Zweitens: Eine Reform des Steuerrechts darf nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Ver­einfachung geführt werden, denn „einfach“ bedeutet noch lange nicht „gerecht“ bzw. „gesellschaftlich wünschenswert“.

Deshalb ist auch die Finanzministerkonferenz, die die wichtigsten Steuerreformkonzepte einer gründlichen Bewertung unterzogen hat, zu einem eher ernüchternden Ergebnis gekommen: Es gibt kein Patentrezept für eine grundlegende Vereinfachung des Steuer­rechts.

Denn keines der derzeit diskutierten Modelle erfüllt die an eine „echte“ Steuerreform anzu­legenden Kriterien überzeugend. Nicht zuletzt wegen der teilweise enormen Minderein­nahmen, die unter dem Strich herauskommen. Steuermindereinnahmen in zweistelliger Mil­liardenhöhe sind angesichts eines gesamtstaatlichen Defizits von über 80 Mrd. € im ver­gangenen Jahr und der uneinheitlichen, tendenziell jedoch eher ungünstigen Entwicklung der Steuereinnahmen in diesem Jahr schlichtweg nicht verkraftbar.

Alle Reformkonzepte haben daneben hochgradig problematische Verteilungswirkungen. Von den Entlastungen würden Spitzenverdiener weit überproportional profitieren, finanzie­ren müssten dies aber zum guten Teil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Für so eine Art Reform stehe ich nicht zur Verfügung!

Ich sage demgegenüber ganz klar: Ich bin für Steuervereinfachung,  ich bin für mehr Transparenz im Steuerrecht.

Für mich gibt es aber klare Vorgaben: Erstens: Die Steuersenkung muss für den Staat finanzierbar sein.  Zweitens: Die Steuerentlastung muss sozial gerecht sein.  Drittens: Eine Steuerreform muss ein Mehr an Europatauglichkeit und eine bessere Positi­on im internationalen Steuerwettbewerb bringen.

Erfolgreiche Steuerpolitik der Bundesregierung

Meine Damen und Herren, wir fangen in der Reformdiskussion aber nicht bei Null an. In der Steuerpolitik hat sich seit 1999 bereits eine Menge zum Positiven entwickelt.

Ich habe vorhin auf die erheblichen Entlastungen bei der Einkommensteuer und die Ver­besserungen im Unternehmenssteuerbereich hingewiesen. Hier sind wir inzwischen viel besser aufgestellt als zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode.

Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen

Vereinfachungen haben wir auch durch den konsequenten Abbau von steuerlichen Aus­nahmeregelungen und Steuersubventionen erreicht.

Die Finanzhilfen, die der Bund weitgehend eigenständig beeinflussen kann, haben wir von 11,4 Mrd. Euro im Jahr 1998 konsequent auf 7,7 Mrd. Euro in 2003 abgesenkt. 2004 wer­den sie knapp unter 7 Mrd. Euro liegen. Dies sind dann rund 4,4 Mrd. Euro oder knapp 40 % weniger als zur Regierungsübernahme.

Im Finanzplan bis 2007 ist ein weiterer Abbau von knapp 1,6 Mrd. Euro auf 5,4 Mrd. Euro vorgesehen. Das bedeutet: in zwei Legislaturperioden werden wir die Finanzhilfen mehr als halbiert haben!

Weitere Erfolge in diesem Bereich hängen davon ab, ob die Opposition endlich ihre kurz­sichtige, rein taktisch motivierte Blockadehaltung aufgibt. Erwähnt sei in diesem Zusam­menhang auch noch einmal ausdrücklich die Eigenheimzulage, deren Fortbestand weder in wohnungsbau- noch in haushaltpolitischer Hinsicht gerechtfertigt ist.

Verbesserung des Steuervollzugs und weitere Vereinfachung des Steuerverfahrens

Die Forderung nach Vereinfachung und Modernisierung darf sich aber nicht auf das mate­rielle Recht beschränken. Wir müssen gleichzeitig den Steuervollzug verbessern, um die Steuerquellen effektiver auszuschöpfen. Außerdem gilt es, das Steuerverfahren effizienter und den Zugang zur Steuerverwaltung komfortabler zu gestalten.

Diesem Ziel dient nicht zuletzt die Einführung einer elektronischen Lohnsteuerbescheini­gung. Sie ist für mich ein zentrales Projekt zum Abbau bürokratischer Belastungen. Die bisher papiergebundenen Abläufe können nun weitgehend vollelektronisch abgewickelt werden. Das lästige Aufkleben der Lohnsteuerbescheinigungen entfällt.

In einem zweiten Schritt werden wir die rechtlichen und technischen Voraussetzungen dafür schaffen, die traditionelle Lohnsteuerkarte vollständig entbehrlich zu machen und die notwendige Kommunikation elektronisch abzuwickeln.

Außerdem unterstützt die Bundesregierung nachdrücklich die elektronische Steuerklärung (ELSTER). Dabei streben wir weitere Vereinfachungen an, wir wollen insbesondere die bis­her notwendige Abgabe von Belegen weitgehend überflüssig machen.

Ein weiteres wichtiges Projekt zielt darauf ab, die Normenflut der steuerlichen Verwaltungs­vorschriften einzudämmen. Die enorme Zahl von rund 96.000 Verwaltungsvorschriften resultiert unter anderem aus der Verwaltungspraxis, BMF-Schreiben nochmals durch so genannte Umsetzungserlasse der 16 obersten Landesfinanzbehörden und Umsetzungs­verfügungen der 19 Oberfinanzdirektionen in Geltung zu setzen.

Auf unseren Vorschlag werden nun alle Länder die abgestimmten BMF-Schreiben unmittel­bar als Landesweisung übernehmen. Darüber hinaus werden auf Bundesebene die ca. 5.000 gültigen BMF-Schreiben auf ihre Aktualität geprüft, ggf. aufgehoben oder zu­sammengefasst.

Buchführungserleichterungen

Ich bringe auch ganz konkrete Vorstellungen zu einem Bereich mit, der vor allem für Sie und Ihre Mandantschaft von besonderem Interesse sein dürfte:

Denn ich bin gerne bereit, einen Vorschlag der Bundessteuerberaterkammer aufzugreifen und unter dem Gesichtspunkt der Steuervereinfachung auch das breite Feld der steuerli­chen Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten zu durchleuchten.

Uns ist durchaus bewusst, dass die Wirtschaft besonders unter der Bürde der 10-jährigen Aufbewahrungspflicht stöhnt. Die Klage über diesen Archivierungsaufwand hat sich noch verstärkt, nachdem die Frist ab 1. Januar 2002 auch für die Sicherstellung der maschinellen Auswertbarkeit der Buchführungsdaten (Stichwort: Datenzugriff!) gilt.

Vor allem die Finanzbehörden der Länder haben sich hier bisher eher zurückhaltend gezeigt. Ich halte die Zeit aber für gekommen, über Erleichterungen bei den Aufbewah­rungsfristen im Kontext mit anderen Maßnahmen des Besteuerungsverfahrens nachzuden­ken.

Eine – gegebenenfalls stufenweise – Verkürzung der 10-jährigen Aufbewahrungsfrist liegt durchaus im Bereich des Möglichen.

Allerdings nicht zum Nulltarif. Ein solchen Schritt könnte ich nur verantworten, wenn auch die Finanzverwaltung im Gegenzug mehr als bisher in die Lage versetzt würde, Betriebs­prüfungen – nicht zuletzt im Interesse der Wirtschaft – zeitnäher und gezielter durchführen zu können.

Das geht nicht ohne Ihre konstruktive Mitwirkung. Als Stichworte nenne ich:

  • Unbürokratischer Datenzugriff,
  • schnellere Erledigung von Auskunfts- und Vorlagepflichten,
  • zeitnähere Abgabe der Steuererklärungen,
  • Standardisierung der Bilanzen sowie der Gewinn- und Verlustrechnungen.

Wir wollen mit den obersten Finanzbehörden der Länder – zunächst – auf Fachebene ein möglichst ausgewogenes „Erleichterungspaket“ erarbeiten und die Steuerberaterschaft über ihre Dachorganisationen zu gegebener Zeit in das Vorhaben einbinden.

Alterseinkünftebesteuerung

Ein weiteres Thema, das auf unserer steuerpolitischen Agenda weit oben steht und uns vermutlich noch geraume Zeit beschäftigen wird, möchte ich wenigstens kurz streifen: Es geht um die Neuordnung der Besteuerung der Alterseinkünfte.

Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden demografischen Wandels bedeutet die Ori­entierung an den zentralen Leitbildern „Nachhaltigkeit“ und „Generationengerechtigkeit“ mehr denn je: Keine Generation darf auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben, um nicht die langfristige Stabilität unserer Gesellschaft aufs Spiel zu setzen.

Die Herausforderungen der absehbaren gesellschaftsstrukturellen Veränderungen betreffen insbesondere auch die Altersvorsorge. Mit der Einführung der kapitalgedeckten Altersvor­sorge, die unter dem Stichwort „Riester-Rente“ bekannt geworden ist, haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode einen wichtigen Schritt zu einer nachhaltigen Alterssicherung vollzogen. Jetzt geht es darum, eine zukunftsfähige und transparente Lösung für die Besteuerung von Alterseinkünften zu finden.

Mit dem kürzlich vom Bundestag beschlossenen Alterseinkünftegesetzes kommt die Bun­desregierung einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes nach, bis 2005 für eine gleichmäßige Besteuerung von Sozialversicherungsrenten, Beamtenpensionen und Erwerbseinkommen zu sorgen. Dies soll in Form einer so genannten nachgelagerten Besteuerung erfolgen, bei der in einem zeitlich gestuften Verfahren die Altersvorsorge zunehmend steuerfrei gestellt und im Gegenzug langfristig auf eine volle Besteuerung der Renten umgestellt wird. Die Steuerlast der erwerbstätigen Generation wird demnach suk­zessive sinken.

Zum System einer nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkünften gibt es keine vernünf­tige Alternative. Das hat auch die Opposition erkannt: Denn sowohl im CDU/CSU als auch im FDP-Steuerkonzept ist die nachgelagerte Besteuerung vorgesehen. Dennoch scheint es der Opposition aus Prinzip nicht möglich zu sein, mit der Bundesregierung an einem Strang zu ziehen. Das Hickhack um die Frage, ob das Alterseinkünftegesetz ohne Vermittlungsver­fahren – und d. h. zügig – den Bundesrat passieren kann, spricht Bände über die Verfas­sung der Opposition insgesamt und ihre Bereitschaft, angesichts des verfassungsgerichtli­chen Auftrags verantwortungsvolle und konstruktive Politik zu betreiben.

Ich möchte uns allen nur wünschen, dass uns ein ähnlich dramatisches Procedere wie Ende letzten Jahres im Vermittlungsverfahren erspart bleibt. Denn zu Recht beklagen Sie die Gesetzgebungshektik der Vergangenheit. Steuerbürger, Unternehmen, Finanzverwal­tung und eben auch die Berater sind die Leidtragenden. Das wissen wir und appellieren deshalb an die Länder, sich auch im eigenen Interesse im Bundesrat konstruktiv zu verhal­ten.

Änderung des Berufsrechts der Steuerberater

Last but not least möchte ich ein Projekt erwähnen, das für Sie von besonderem Interesse sein dürfte: Wir wollen das Berufsrecht der Steuerberater durch eine Harmonisierung mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte liberalisieren. Es ist unter anderem geplant, die Mög­lichkeit des Syndikus-Steuerberaters zu schaffen, wie dies bei den Rechtsanwälten schon lange möglich ist. Dies wurde und wird von der Wirtschaft vehement gefordert.

Die Gesetzesänderungen sollen im engen Dialog mit Vertretern Ihres Berufsstandes erfol­gen. Anregungen Ihrerseits stehen wir offen gegenüber. Auf Fachebene sind im Übrigen bereits Gespräche mit der Bundessteuerberaterkammer aufgenommen worden.

Ein gesetzlicher Rahmen für die geplante Novelle könnte das auf Fachebene in meinemHause bereits geplante Steueränderungsgesetz 2004 sein, das im Übrigen vielfältigen, allerdings eher technischen steuerrechtlichen Anpassungsbedarf aufnehmen und noch in diesem Jahr das parlamentarische Verfahren durchlaufen soll.

Fazit

Meine Damen und Herren! Von Immanuel Kant, an dessen 200. Todestag wir uns in diesem Jahr erinnern, stammt der Satz: „Das einzig Beständige ist die Veränderung.“ Das scheint auch für das Steuerrecht zu gelten.

Damit ist treffend aber auch beschrieben, woran wir uns insgesamt im politischen, wirt­schaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben gewöhnen müssen.

Die Antwort auf diesen Veränderungsdruck kann nur sein, vorausschauende Reformpolitik zu betreiben und die langfristigen Auswirkungen von politischen Entscheidungen – auch für kommende Generationen – mit ins Kalkül zu ziehen.

Mit dem umfassenden Modernisierungskonzept „Agenda 2010“ der Bundesregierung ist ein wichtiger Anfang gemacht. Jetzt kommt es darauf an, auch die Ausdauer zu haben, die Reformen kontinuierlich fortzusetzen. Das ist die zentrale Herausforderung in diesem Jahr gerade vor dem Hintergrund der noch ausstehenden zahlreichen Wahlen auf Europa-, Lan­des- und Kommunalebene.