Der Pflichtteilsverzichtsvertrag und seine Tücken: Ein Urteil des OLG Hamm

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem bemerkenswerten Urteil vom 12. Juli 2023 (Az. 11 U 148/22) Licht in die komplexe Materie des Pflichtteilsverzichtsvertrags gebracht und dabei die Bedeutung der notariellen Sorgfaltspflicht unterstrichen. Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, offenbart die rechtlichen Fallstricke, die mit einem Pflichtteilsverzichtsvertrag verbunden sein können, und zeigt auf, welche Konsequenzen sich aus der Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften ergeben können.

Der Fall: Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag mit Folgen

Im Mittelpunkt des Falles stand ein Landwirt, der in einem notariellen Testament seine Tochter A zur Hof- und Alleinerbin bestimmte. Um zukünftige Erbstreitigkeiten zu vermeiden, schloss er mit seiner anderen Tochter B einen Pflichtteilsverzichtsvertrag. Tochter B verzichtete darin nicht nur auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und ihre Pflichtteilsergänzungsansprüche, sondern auch auf die Geltendmachung weitergehender Abfindungsansprüche gemäß § 12 der Höfeordnung.

Die Besonderheit: Zur Beurkundung des Vertrags erschien der Vater nicht persönlich, sondern wurde durch eine Mitarbeiterin des Notars vertreten, die allerdings keine Vollmacht besaß. Der Vater genehmigte zwar nachträglich die Erklärungen, doch nach seinem Tod kam es zum Streit. Tochter B machte erfolgreich Pflichtteilsansprüche geltend, da der Verzichtsvertrag aufgrund der fehlenden persönlichen Beteiligung des Erblassers bei der Beurkundung als unwirksam angesehen wurde.

Die rechtlichen Hintergründe

Das OLG Hamm stellte klar, dass der Pflichtteilsverzichtsvertrag nach § 2346 BGB einen Vertrag darstellt, den der Erblasser gemäß § 2347 BGB nur höchstpersönlich schließen kann. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift durch den Notar führte zur Unwirksamkeit des Vertrags und somit zu Pflichtteilsansprüchen der Tochter B.

Interessanterweise betont das Gericht, dass trotz der höheren Schutzwürdigkeit und Belehrungsbedürftigkeit des Verzichtenden im Falle eines Pflichtteilsverzichts, das Gesetz dennoch eine höchstpersönliche Vertragsschließung durch den Erblasser vorschreibt. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, verdeutlicht jedoch die strengen Anforderungen, die das Gesetz an derartige Verträge stellt.

Konsequenzen und Lehren

Das Urteil des OLG Hamm unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen und gesetzeskonformen Vorgehensweise bei der Beurkundung von Pflichtteilsverzichtsverträgen. Notare sind in der Pflicht, die gesetzlichen Bestimmungen genau zu beachten und die persönliche Anwesenheit aller Vertragsparteien sicherzustellen. Das Urteil zeigt auch, dass die nachträgliche Genehmigung von Erklärungen, die durch vollmachtlose Vertreter abgegeben wurden, nicht ausreicht, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

Für Erblasser und potenzielle Erben bedeutet dies, dass sie sich der Bedeutung und den formalen Anforderungen eines Pflichtteilsverzichtsvertrags bewusst sein müssen. Eine fachkundige Beratung durch einen Notar oder einen auf Erbrecht spezialisierten Rechtsanwalt ist unerlässlich, um die Wirksamkeit solcher Verträge zu gewährleisten und unliebsame Überraschungen zu vermeiden.

Das Urteil des OLG Hamm dient als wichtige Erinnerung daran, dass im Erbrecht die Einhaltung formaler Vorschriften von entscheidender Bedeutung ist und dass die Rolle des Notars bei der Sicherstellung dieser Formalien nicht unterschätzt werden darf.