Die Mitgliedstaaten dürfen Stromversorgern Anreize zur Förderung der Erzeugung von Ökostrom durch nationale Erzeuger anbieten

Die flämische Regelung für grüne Zertifikate ist mit dem Unionsrecht vereinbar

Die Richtlinie 2001/77/EG vom 27.09.2001 zur Förderung von Ökostrom (ABl. L 283, S. 33) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, um in ihrem Hoheitsgebiet die Steigerung des Verbrauchs von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu fördern. Außerdem sorgen sie für die Einführung eines Systems der Herkunftsnachweise, um den Erzeugern von Ökostrom den Nachweis zu ermöglichen, dass der von ihnen verkaufte Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Soweit die Herkunftsnachweise die ökologische Herkunft des Stroms beweisen, müssen sie von den Mitgliedstaaten gegenseitig anerkannt werden.

In der Flämischen Region in Belgien wurde ein System grüner Zertifikate eingeführt. Zum einen können die Erzeuger, die in dieser Region Ökostrom erzeugen, bei den flämischen Behörden die Ausstellung grüner Zertifikate beantragen. Zum anderen sind die Stromversorger unter Androhung einer Geldbuße verpflichtet, diesen Behörden jedes Jahr eine bestimmte Zahl von Zertifikaten vorzulegen.

Essent, ein belgisches Stromversorgungsunternehmen, legte den flämischen Behörden, um ihrer Verpflichtung auf dem Gebiet grüner Zertifikate nachzukommen, Herkunftsnachweise vor, die die Erzeugung von Ökostrom in Dänemark (und/oder Schweden), den Niederlanden und Norwegen belegten. Sie wurden von den Behörden jedoch nicht als grüne Zertifikate akzeptiert, weil diese nur für Strom ausgestellt werden könnten, der in Flandern erzeugt worden sei. Zudem wurden gegen Essent mehrfach Geldbußen in einer Gesamthöhe von etwa 1,5 Mio. Euro verhängt.

Da Essent der Auffassung war, dass die Entscheidungen der flämischen Behörden gegen die Richtlinie und gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstießen, erhob sie mehrere Klagen vor den belgischen Gerichten. Die Rechtbank van eerste aanleg te Brussel (Gericht Erster Instanz Brüssel) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die flämische Regelung für grüne Zertifikate mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Der Gerichtshof stellt in seinem heutigen Urteil erstens fest, dass in der Richtlinie die Herkunftsnachweise und die nationalen Förderregelungen unterschiedlichen Vorschriften unterliegen und dass kein Zusammenhang zwischen den beiden Systemen besteht. Die Richtlinie sieht nämlich ausdrücklich vor, dass das System der Herkunftsnachweise als solches kein Recht auf Inanspruchnahme der nationalen Fördermechanismen impliziert. Der Unionsgesetzgeber hatte also nicht die Absicht, die Mitgliedstaaten zur Ausdehnung ihrer auf den grünen Zertifikaten beruhenden Förderregelungen auf den in einem anderen Mitgliedstaat erzeugten Ökostrom zu verpflichten. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass die nationalen Fördermechanismen zur Erfüllung der von den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Erhöhung des Ökostromverbrauchs in ihrer Wirtschaft eingegangenen Verpflichtungen beitragen und grundsätzlich zu einer Steigerung des im Inland erzeugten Ökostroms führen sollen. Folglich steht die Richtlinie der flämischen Regelung für grüne Zertifikate nicht entgegen.

Zweitens führt der Gerichtshof aus, dass die flämische Regelung für grüne Zertifikate die Einfuhren von Strom, insbesondere von Ökostrom, aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann. Zum einen müssen Stromversorger wie Essent im Allgemeinen für den von ihnen eingeführten Strom Zertifikate kaufen, da sie sonst eine Geldbuße zahlen müssten. Zum anderen kann durch die Möglichkeit der Erzeuger von Ökostrom aus Flandern, die Zertifikate zusammen mit dem von ihnen erzeugten Strom zu verkaufen, die Aufnahme von Verhandlungen und die Eingehung vertraglicher Beziehungen über die Lieferung von in Flandern erzeugtem Strom an die Versorger gefördert werden. Daraus folgt, dass diese Regelung eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.

Der Gerichtshof hält diese Beschränkung jedoch für gerechtfertigt durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel, das in der Förderung der Nutzung von erneuerbaren Energiequellen besteht, um die Umwelt zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass es zur Erreichung des verfolgten Ziels gerechtfertigt ist, mit den Maßnahmen zur Förderung der Umstellung auf Ökostrom eher auf die Stufe der Erzeugung denn auf die des Verbrauchs abzuzielen. Die Flämische Region durfte aus denselben Gründen auch davon ausgehen, dass die Vorteile der auf den grünen Zertifikaten beruhenden Förderreglung allein auf die regionale Ökostromerzeugung beschränkt werden sollten.

Der Gerichtshof hebt aber hervor, dass die aus der Förderregelung resultierende Beschränkung nur gerechtfertigt sein kann, wenn es den Stromimporteuren tatsächlich möglich ist, sich unter fairen Bedingungen grüne Zertifikate auf einem entsprechenden Markt zu beschaffen. Außerdem dürfen die Versorger, die ihrer Verpflichtung in Bezug auf grüne Zertifikate nicht nachgekommen sind, durch die gegen sie verhängte Geldbuße nicht übermäßig bestraft werden.

Unter diesen Umständen entscheidet der Gerichtshof, dass die flämische Regelung für grüne Zertifikate im Prinzip mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar ist.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 11.09.2014 zum Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-204/12 bis C-208/12 vom 11.09.2014