Direktanspruch auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Umsatzsteuer – Reemtsma-Anspruch

Niedersächsisches Finanzgericht: Urteil bestätigt Direktanspruch bei Vermögenslosigkeit des Leistenden

Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hat mit Urteil vom 15. August 2024 (Az. 5 K 40/22) einem Unternehmer einen sogenannten Direktanspruch (Reemtsma-Anspruch) auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter und abgeführter Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt gewährt. Dieses Urteil knüpft an die unionsrechtliche Rechtsprechung und die bisherigen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an.

Hintergrund des Reemtsma-Anspruchs Der Reemtsma-Anspruch leitet sich aus einer EuGH-Entscheidung von 2007 (C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken) ab. Er gewährt dem Leistungsempfänger das Recht, die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt zurückzufordern, wenn der Erstattungsanspruch gegen den Leistenden unmöglich oder unverhältnismäßig erschwert ist. Die Umsetzung dieses Anspruchs erfolgt in Deutschland über eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163 und 227 Abgabenordnung (AO), wie der BFH bereits in einem Urteil von 2015 (VII R 30/14) feststellte.

Details des aktuellen Falls Im vorliegenden Verfahren wurde der Kläger aufgrund von zu Unrecht in Rechnung gestellter Umsatzsteuer belastet. Die leistende GmbH war zwischenzeitlich wegen Vermögenslosigkeit gelöscht und aufgelöst worden. Das beklagte Finanzamt berief sich auf Verjährung des Erstattungsanspruchs.

Das FG Niedersachsen entschied, dass die Löschung der GmbH wegen Vermögenslosigkeit ausreicht, um den Direktanspruch zu begründen. Das Finanzamt könne sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, wenn der Anspruch bereits aufgrund der Vermögenslosigkeit des Leistenden besteht.

Wichtige Aspekte des Urteils:

  • Direktanspruch bei Vermögenslosigkeit: Die Vermögenslosigkeit des Leistenden stellt eine erhebliche Erschwernis dar und begründet den Anspruch gegenüber dem Finanzamt.
  • Keine Berufung auf Verjährung: Das Finanzamt kann sich nicht auf Verjährung berufen, wenn der Anspruch auf einem anderen Grund (hier: Vermögenslosigkeit) beruht.
  • Präzedenzwirkung: Dieses Urteil stärkt die Rechte von Unternehmern und Leistungsempfängern, indem es den Reemtsma-Anspruch in Fällen von Vermögenslosigkeit klarer definiert.

Revision beim BFH anhängig Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt (Az. XI R 27/24). Die endgültige Entscheidung könnte weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der Umsatzsteuererstattung haben.

Fazit und Handlungsempfehlung Unternehmen sollten in Fällen zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer prüfen, ob der Reemtsma-Anspruch geltend gemacht werden kann, insbesondere wenn der Leistende zahlungsunfähig oder nicht mehr existent ist. Das Urteil des FG Niedersachsen gibt wichtige Hinweise, wie in derartigen Fällen vorzugehen ist.


Quelle: FG Niedersachsen, Urteil vom 15.08.2024, 5 K 40/22; BFH-Az.: XI R 27/24