Ermessensfehler bei Ablehnung einer Stundung

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.01.2020 zum Urteil 12 K 234/19 vom 18.09.2019 (rkr)

Die Ablehnung einer Stundung ist ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgeht (hier: Bezug von Leistungen zur Grundsicherung).

Der Umstand, dass ein Antragsteller im Kindergeldverfahren seine Mitwirkungspflichten verletzt hat, reicht für sich genommen nicht aus, um die Stundungswürdigkeit des Antragstellers zu verneinen und auf eine Prüfung der Stundungsbedürftigkeit zu verzichten.

Sachverhalt

Die als Arbeitnehmerin beschäftigte Klägerin hatte für ihre beiden Kinder S und T Kindergeld bezogen, das sie in Höhe eines Teilbetrages von 1.296 Euro zurückzahlen musste. Für die Rückforderung war der Inkasso-Service der Familienkasse zuständig, bei dem die Klägerin einen Stundungsantrag stellte. Der Inkasso-Service lehnte den Stundungsantrag ab. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die beklagte Familienkasse war der Auffassung, dass die Rückforderung auf einer Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin beruhe. Sie habe nicht rechtzeitig das Ende der Ausbildung ihres Kindes S mitgeteilt. Daher sei es zur Überzahlung von Kindergeld gekommen. Die Klägerin habe weder vorgetragen noch nachgewiesen, sämtliche Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Erlassbedürftigkeit sei auch nicht anzunehmen. Die Klägerin beziehe Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und sei durch die Pfändungsfreigrenzen geschützt. Ihr Existenzminimum sei gesichert und vor Vollstreckungseingriffen geschützt. Vorliegend könne im Rahmen einer Interessenabwägung weder eine Stundungswürdigkeit noch eine Stundungsbedürftigkeit angenommen werden.

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben. Sie habe weder ihre Mitwirkungspflichten verletzt noch sei sie derzeit in der Lage, die Rückstände auf einmal oder in Raten zu begleichen. Derzeit müsse sie an fünf Gläubiger 375 Euro monatlich bezahlen sowie einen Dispo-Kredit mit monatlich 80 Euro zurückführen. Ab 1. Januar 2020 könne sie mit den bestehenden Gläubigern kleinere Ratenzahlungen vereinbaren. Bis dahin hätten sich ihre Schulden an diese verringert und sie könnte dann die Familienkasse bedienen.

Aus den Gründen

Das Finanzgericht hob die Ablehnungsentscheidung über die Stundung auf und verpflichtete die Beklagte, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Fehlerhafte Tatsachenannahmen führen zu einer Ermessensunterschreitung

Die Beklagte habe die gesetzlich gezogenen Grenzen ihres Ermessens bei ihrer Stundungsentscheidung nach § 222 der Abgabenordnung (AO) infolge einer Ermessensunterschreitung nicht eingehalten. Die Beklagte unterschreite ihr Ermessen, wenn sie von fehlerhaften Tatsachen ausgehe. Die Klägerin habe entgegen den Ausführungen der Beklagten keine Leistungen zur Grundsicherung bezogen. Infolgedessen sei eine Einziehung der Forderung möglich und könne eine erhebliche Härte für die Klägerin bedeuten. Die Einziehung könne dazu führen, dass die Klägerin die mit anderen Gläubigern vereinbarten Ratenzahlungen bis Ende 2019 nicht mehr erfüllen könne. Der Anspruch erscheine durch eine Stundung auch nicht dauerhaft gefährdet, da der Klägerin ab 1. Januar 2020 nach Tilgung anderweitiger Verbindlichkeiten Mittel zur Rückzahlung von Kindergeld zur Verfügung stehen würden.

Keine hinreichende Auseinandersetzung mit Sinn und Zweck der Stundung

Berücksichtige die Beklagte diese Umstände im Einzelfall nicht, setze sie sich nicht hinreichend mit dem Sinn und Zweck der Norm § 222 AO auseinander. Eine Stundung diene dazu, den Einzug der Forderung zeitweilig, aber nicht dauerhaft hinauszuschieben. Im Streitfall liege kein Fall dauerhafter Zahlungsunfähigkeit vor.

Prüfung der Stundungswürdigkeit und Stundungsbedürftigkeit auch bei einer möglichen Verletzung der Mitwirkungspflicht

Persönliche Stundungsgründe könnten vorliegen, da eine Stundung die wirtschaftliche Existenz der Klägerin ermöglichen könne. Die Beklagte stelle ausschließlich darauf ab, dass die Klägerin das Ausbildungsende des Kinds nicht rechtzeitig mitgeteilt habe und es dadurch zu einer Rückforderung gekommen sei, die sich anhand des geführten Schriftwechsels nachvollziehen lasse. Dies reiche jedoch nicht aus, um die Stundungswürdigkeit zu verneinen und auf eine Prüfung der Stundungsbedürftigkeit zu verzichten. Im Streitfall komme hinzu, dass nach Aktenlage nicht ausgeschlossen sei, dass bei Mitteilung des Ausbildungsbeginns das Ausbildungsende erkennbar gewesen sei und infolgedessen die für die Festsetzung des Kindergelds zuständige Familienkasse schon früher nach dem Ausbildungsende hätte nachfragen können bzw. in Kenntnis des voraussichtlichen Endes Kindergeld möglicherweise zu Unrecht weiterbezahlt habe.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2020