Ermittlung des Teilwerts einer Pensionsrückstellung bei dynamischer Anpassung – Verstoß gegen § 30c Abs. 1 i. V. m. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG

FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 05.02.2025 – 1 K 41/23 (nicht rechtskräftig, BFH-Az.: IX R 8/25)
Mitteilung des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 06.10.2025


🔍 Kernaussagen des Urteils

  • Eine dynamische Anpassungsverpflichtung von Betriebsrenten um jährlich 1 % darf nicht steuermindernd berücksichtigt werden, wenn sie gegen die Übergangsvorschrift des § 30c Abs. 1 BetrAVG verstößt.
  • Die Pensionsrückstellung darf insoweit nicht um den Anpassungsfaktor erhöht werden, wenn die Anpassungsverpflichtung arbeitsrechtlich unwirksam ist.
  • Der Maßstab für die steuerliche Anerkennung einer Pensionsverpflichtung richtet sich nach den arbeitsrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Zusage.

⚖️ Sachverhalt

Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft, war Teil eines Konzerns, dessen Muttergesellschaft eine konzernweite Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung eingeführt hatte.

  • Ursprünglich galt: Anpassung der laufenden Betriebsrenten nach der gesetzlichen Prüfungspflicht des § 16 BetrAVG.
  • Später wurde ein neuer Rentenplan eingeführt, der eine jährliche Erhöhung um 1 % der laufenden Versorgungsleistungen vorsah.
  • Diese dynamische Anpassung wurde auch auf Altzusagen angewendet – also auf Arbeitnehmer, deren Versorgungsansprüche vor dem 1. Januar 1999 begründet worden waren.

Das Unternehmen bildete daraufhin höhere Pensionsrückstellungen, da es die 1 %-Dynamik in die versicherungsmathematische Bewertung einbezog.

Das Finanzamt kürzte diese Rückstellungen im Rahmen einer Außenprüfung mit der Begründung, dass die dynamische Anpassungsverpflichtung für Altzusagen arbeitsrechtlich nichtig sei (§ 30c Abs. 1 BetrAVG) und somit kein durchsetzbarer Anspruch bestehe.

Die Klägerin hielt dem entgegen, die Verpflichtung sei vertraglich wirksam vereinbart und müsse daher bei der steuerlichen Bewertung berücksichtigt werden.


🧾 Entscheidung des Finanzgerichts

Der 1. Senat des FG Schleswig-Holstein wies die Klage ab:

  • Die dynamische 1 %-Anpassung der Rentenansprüche sei für Altzusagen unwirksam, da sie gegen § 30c Abs. 1 i. V. m. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG verstoße.
  • Diese Regelung schließt eine rückwirkende Anwendung der neuen, ab 1999 eingeführten Anpassungsmechanismen ausdrücklich aus.
  • Es fehle zudem an einer vertraglichen Anrechnungsregelung oder Fortgeltungsklausel, wonach die neue Dynamik die alte gesetzliche Anpassungsprüfung ergänzen sollte.

Daher seien die betroffenen Altzusagen nicht dynamisch anpassbar, und die steuerliche Bewertung der Pensionsrückstellung habe ohne 1 %-Steigerung zu erfolgen.


🧩 Begründung im Detail

  • Nach § 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG dürfen nur solche Verpflichtungen passiviert werden, die rechtlich entstanden und durchsetzbar sind.
  • Ist die zugrundeliegende Anpassungsverpflichtung arbeitsrechtlich nichtig, besteht kein einklagbarer Anspruch – die Rückstellung darf nicht erhöht werden.
  • Der steuerliche Teilwert einer Pensionsverpflichtung muss daher an die arbeitsrechtlich wirksame Rechtslage angepasst werden.

Das Gericht stützte sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH und des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach bei Verstößen gegen § 30c Abs. 1 BetrAVG eine Erweiterung der Anpassungspflicht auf Altzusagen nichtig ist.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (BFH-Az. IX R 8/25).


🧩 Bedeutung für die Praxis

Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die steuerbilanzielle Bewertung von Pensionsrückstellungen:

  • Bei Altzusagen vor 1999 darf eine nachträgliche Dynamisierung nur dann steuermindernd berücksichtigt werden, wenn sie arbeitsrechtlich zulässig und einklagbar ist.
  • Eine pauschale Anwendung von 1 %-Steigerungen auf alle Versorgungsfälle kann zu überhöhten Rückstellungen führen.
  • Für die steuerliche Anerkennung ist maßgeblich, ob tatsächlich eine rechtsverbindliche Verpflichtung zur Anpassung besteht.

🧰 Praxisbox

1️⃣ Prüfungsschritte für steuerliche Pensionsrückstellungen:

  • Prüfen Sie, wann die Versorgungszusage ursprünglich erteilt wurde (vor oder nach dem 01.01.1999).
  • Analysieren Sie, ob die Anpassungsverpflichtung vertraglich oder durch Betriebsvereinbarung geregelt wurde.
  • Prüfen Sie, ob eine Fortgeltungs- oder Anrechnungsregel zur gesetzlichen Anpassungspflicht (§ 16 BetrAVG) enthalten ist.
  • Bei fehlender Rechtswirksamkeit der Dynamisierung: Korrektur der Rückstellung auf Basis des statischen Leistungsniveaus.

2️⃣ Gestaltungshinweise:

  • Dynamische Rentenanpassungen sollten künftig klar getrennt zwischen Alt- und Neuzusagen vereinbart werden.
  • Eine arbeitsrechtlich wirksame Regelung kann z. B. durch Klarstellung in einer Ergänzungsvereinbarung erfolgen, die ausdrücklich auf § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG Bezug nimmt.
  • Steuerlich empfiehlt sich eine differenzierte Bewertung der Rückstellungen nach Versorgungsgruppen.

3️⃣ Kommunikationstipp:

„Nicht jede dynamische Rentensteigerung darf steuerlich berücksichtigt werden. Entscheidend ist, ob die arbeitsrechtliche Verpflichtung wirksam vereinbart wurde – insbesondere bei Altzusagen vor 1999.“


📘 Infobox: Hintergrund zu § 16 und § 30c BetrAVG

RegelungInhaltBedeutung für die Praxis
§ 16 BetrAVG (Anpassungsprüfungspflicht)Arbeitgeber müssen alle drei Jahre prüfen, ob laufende Betriebsrenten angepasst werden.Gilt nur für Zusagen, die nach 01.01.1999 erteilt oder geändert wurden.
§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVGZulässige Alternative: vertragliche jährliche Rentenerhöhung um 1 %.Ersetzt die Anpassungsprüfungspflicht, darf aber nicht rückwirkend auf Altfälle angewandt werden.
§ 30c Abs. 1 BetrAVG (Übergangsvorschrift)Neue Vorschriften des § 16 gelten nicht für Zusagen, die vor 01.01.1999 erteilt wurden.Dynamisierungen von Altzusagen sind arbeitsrechtlich nichtig.

💬 Fazit

Das FG Schleswig-Holstein stellt klar:

Eine dynamische 1 %-Anpassungsverpflichtung bei Altzusagen verstößt gegen § 30c Abs. 1 BetrAVG und darf nicht steuermindernd berücksichtigt werden.

Für die Praxis gilt:

Die steuerliche Bewertung von Pensionsrückstellungen muss sich an der arbeitsrechtlich wirksamen Verpflichtung orientieren – nicht an internen Konzernrichtlinien oder Rentenplänen.


📚 Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 05.02.2025 – 1 K 41/23 (nicht rechtskräftig)
Mitteilung vom 06.10.2025, Newsletter II/2025
Revision anhängig: BFH IX R 8/25