EU-Anzeigepflicht für Steuergestaltungen: Pandoras Büchse in Brüssel geöffnet

Am 13.03.2018 hat der ECOFIN-Rat in Brüssel eine Einigung zur Einführung einer Anzeigepflicht für Intermediäre bei grenzüberschreitendem Steuergestaltungen erzielt und macht somit den Weg frei für eine europaweite einheitliche Anzeigepflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungsmodellen. Die sog. DAC 6-Richtlinie ist eine Änderungsrichtlinie und ergänzt den bestehenden Rechtsrahmen für eine Verbesserte Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden im Bereich (direkte) Steuern (Richtlinie 2011/16/EU).

Dabei sehen die EU-Regelungen vor, dass die Mitgliedstaaten sog. „Intermediäre“, wie beispielsweise Steuerberater, Rechtsanwälte oder Finanzberater, dazu verpflichten, durch die Richtlinie festgelegte grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle an die zuständigen Finanzbehörden der Mitgliedstaaten zu melden.

Grundlage für die Anzeigepflicht ist der neue Artikel 8aaa der Richtlinie in Verbindung mit dem neu eingeführten Anhang IV. Dabei regelt Artikel 8aaa der Richtlinie den Umfang und die Voraussetzungen für den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle und somit die Anzeigepflicht für Intermediäre. Anhang IV bestimmt auf Grundlage sog. meldepflichtiger Kennzeichen (Buchstaben A bis E der Richtlinie), welche grenzüberschreitenden Modelle an die Finanzverwaltungen gemeldet werden müssen.

Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht muss bis zum 31.12.2019 erfolgen. Die Anzeigepflicht gemäß dem neuen Artikel 8aaa tritt ab dem 01.07.2020 in Kraft. Ein erster Informationsaustausch soll bis zum 31.10.2020 stattfinden.

Grundlegendes zur EU-Anzeigepflicht

Gemäß der Richtlinie ist ein „Intermediär“ jede Person, welche ein meldepflichtiges grenzüberschreitendes Modell konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Nutzung bereitstellt oder welche die Umsetzung eines solchen Modells managt. Zusätzlich muss der Intermediär entweder in einem Mitgliedstaat steuerlich ansässig sein oder eine Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat haben, dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen oder bei einem Berufsverband für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen registriert sein.

Im Rahmen der Richtlinie gilt als meldepflichtig jedes grenzüberschreitende Modell, dass mindestens eines der in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen aufweist. Dabei beschreiben die Kennzeichen jeweils ein Merkmal oder eine Eigenschaft eines grenzüberschreitenden Modells, welches auf ein potenzielles Risiko der Steuervermeidung hindeutet.

Zusätzlich unterscheidet die Richtlinie zwischen marktfähigen und maßgeschneiderten Modellen. Ein „marktfähiges Modell“ ist ein grenzüberschreitendes Modell, das konzipiert wird, vermarktet wird, nutzungsbereit ist oder zur Nutzung bereitgestellt wird, ohne dass es individuell angepasst werden muss. Demgegenüber ist ein „maßgeschneidertes Modell“ jedes grenzüberschreitende Modell, bei dem es sich nicht um ein marktfähiges Modell handelt. Beide Modellarten sind meldepflichtig.

Eckpunkte der EU-Anzeigepflicht gemäß Artikel 8aaa der Richtlinie

Die primäre Meldepflicht obliegt dem Intermediär. Dabei beträgt die Meldefrist für ein meldepflichtiges grenzüberschreitendes Steuergestaltungsmodell 30 Tagebeginnend an dem Tag, an dem das Modell zur Nutzung bereitgestellt wird, oder das Modell nutzungsbereit ist oder wenn der erste Schritt der Nutzung des Modells gemacht wurde (Abs. 1). Maßgebend ist der Sachverhalt, welcher zuerst Eintritt. Somit ist zu beachten, dass die Meldefrist zu unterschiedlichen Zeitpunkten „aktiviert“ werden kann. Insbesondere die Anknüpfung an den Moment an dem ein Modell „nutzungsbereit“ ist, bietet erheblichen Interpretationsspielraum.

Zusätzlich sind Intermediäre bei marktfähigen Modellen dazu verpflichtet, alle 3 Monate einen Bericht über etwaige Aktualisierungen der Modelle an die zuständige Finanzverwaltung zu übermitteln.

Für die erste Meldung ist zunächst die Finanzverwaltung in dem Mitgliedstaat zuständig, in welchem der Intermediär steuerlich ansässig ist. Alternativ und nachrangig ist dann die Finanzverwaltung in dem Mitgliedstaat zuständig, in welchem der Intermediär (i) eine Betriebsstätte hat, (ii) dessen Recht er unterliegt oder (iii) dort, wo der Intermediär bei einem Berufsverband für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen registriert ist.

Für den Fall, dass der Intermediär nachweisen kann, dass dieselben Informationen bereits in einem anderen Mitgliedstaat gemeldet wurden, entfällt die Verpflichtung für eine erneute Meldung in einem anderen Mitgliedstaat.

Zur Ausnahmeregelung für Intermediäre – Verschwiegenheitspflicht

Mitgliedstaaten können Intermediären das Recht auf Befreiung von der Meldepflicht gewähren, wenn diese nach nationalem Recht die Privilegien der Angehörigen von Rechtsberufen halten (Abs. 2). Der DStV hatte ausdrücklich gefordert, dass der Richtlinienvorschlag die Besonderheit der Vertrauensverhältnisse zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsberater anerkennt und schützt. In diesem Fall geht die Anzeigepflicht auf den Steuerpflichtigen oder einen anderen im Modell beteiligten Intermediär über.

Erfreulich ist, dass Jens Spahn (CDU), seinerzeit Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen, in der Aussprache des ECOFIN deutlich gemacht hat, „dass die Verschwiegenheitspflicht in Deutschland nicht nur für Rechtsanwälte, sondern auch für Steuerberater und vereidigte Buchprüfer, gilt“. Somit sei in Deutschland nicht der Intermediär, sondern der Steuerpflichtige meldepflichtig.

Für den Fall, dass die Ausnahmeregelung angewendet wird, besteht eine Informationspflichtgegenüber anderen Intermediären oder, falls es keine solchen gibt, gegenüber den relevanten Steuerpflichtigen, durch welche diese über ihre Offenlegungspflichten unterrichtet werden (Abs. 2 Satz 2).

Der Richtlinientext bietet jedoch noch keine Klarheit darüber, wie die Informationspflicht in der Praxis aussehen soll. Der Umfang der Informationspflicht, der Zeitpunkt für Beginn und Ende der Informationspflicht sowie mögliche Haftungsregelungen für eine fehlerhafte Ausübung der Informationspflicht sind bisher nicht im Richtlinienentwurf geregelt. Der DStV hatte dies bereits mehrfach bemängelt.

Welche Informationen müssen gemeldet werden?

Ein wesentlicher Bestandteil der Meldung sind Angaben und Informationen zu den beteiligten Intermediären und relevanten Steuerpflichtigen, wie bspw. der Namen, das Geburtsdatum und der Geburtsort, die Steueransässigkeit und die Steueridentifikationsnummer (TIN) sowie gegebenenfalls die Personen, die als verbundene Unternehmen des relevanten Steuerpflichtigen gelten (alles Abs. 6).

Zusätzlich muss die Meldung Informationen über das angewendete Modell bereitstellen. Dabei geht es vor allem um den Inhalt des meldepflichtigen grenzüberschreitenden Modells, die Bezeichnung, unter der es allgemein bekannt ist (soweit vorhanden), und eine kurze Beschreibung der relevanten Geschäftstätigkeiten oder Modelle. Dabei muss auch der Wert des meldepflichtigen Modells gemeldet werden. Hier ist jedoch unklar, inwieweit der Wert tatsächlich ermittelt werden kann und soll.

Zudem müssen das Datum, an dem der erste Schritt der Umsetzung des meldepflichtigen grenzüberschreitenden Modells gemacht wurde oder gemacht werden wird, sowie Einzelheiten zu den nationalen Vorschriften, die die Grundlage des meldepflichtigen grenzüberschreitenden Modells bilden, in der Meldung aufgeführt werden.

Abschließend müssen Informationen über etwaige dritte Personen und andere Mitgliedstaaten, zu welchen das Modell in Beziehung steht und die wahrscheinlich von dem meldepflichtigen grenzüberschreitenden Modell betroffen sind, in der Meldung angezeigt werden.

Kennzeichen für meldepflichtige Modelle – Anhang IV zur Richtlinie

Durch den neu eingeführten Anhang IV wird festgelegt, welche grenzüberschreitenden Gestaltungsmodelle meldepflichtig sind (Buchstaben A bis E). Dabei wird zwischen „allgemeinen“ und „spezifischen“ Kennzeichen („Hallmarks“) unterschieden. Die Kennzeichen beschreiben dabei den Gegenstand der meldepflichtigen Modelle auf Grundlage von festgelegten Indikatoren, wie nachfolgend aufgeführt.

Besonders ist, dass die meldepflichtigen Modelle gemäß Buchstaben A, B und C (Abs. 1 Buchstabe b(i), c und d) nur in Verbindung mit dem sog. „Main-benefit“-Test meldepflichtig sind. Demnach müssen die o. g. Modelle nur angezeigt werden, wenn gleichzeitig nachgewiesen werden kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände vernünftigerweise von einem Modell erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist.

Meldepflichtige Modelle nach Buchstabe A

Kennzeichen A in Verbindung mit dem „Main benefit“-Test umfasst (wesentlich standardisierte) Modelle, bei denen der relevante Steuerpflichtige oder ein an dem Modell Beteiligter sich verpflichten, eine Vertraulichkeitsklausel einzuhalten, der zufolge sie gegenüber anderen Intermediären oder den Steuerbehörden nicht offenlegen dürfen, auf welche Weise aufgrund des Modells ein Steuervorteil erlangt wird. Dies beinhaltet auch Modelle, bei denen der Intermediär Ansprüche (Zinsen, Vergütung der Finanzkosten und sonstiger Kosten) aus dem Erfolg des Modells hat.

Meldepflichtige Modelle nach Buchstabe B

Meldepflichtige Modelle gemäß Buchstabe B sind Modelle, bei denen ein am Modell Beteiligter künstlich Schritte unternimmt, um ein defizitäres Unternehmen zu erwerben, die Haupttätigkeit dieses Unternehmens zu beenden und dessen Verluste dafür zu nutzen, seine Steuerbelastung zu verringern. Auch meldepflichtig sind Modelle, bei denen Einkünfte in niedriger besteuerte oder steuerbefreite Einnahmenarten umgewandelt werden.

Kennzeichen nach Buchstabe C

Buchstabe C befasst sich mit bestimmten grenzüberschreitenden Transaktionen, wie bspw. Modellen, die abzugsfähige grenzüberschreitende Zahlungen zwischen zwei oder mehr verbundenen Unternehmen umfassen. Dies ist der Fall, wenn in mehr als einem Steuergebiet Abzüge für die Abschreibung desselben Vermögenswertes oder in mehr als einem Steuergebiet eine Befreiung von der Doppelbesteuerung für dieselbe Einkunftsart oder dasselbe Kapital beantragt werden. Dies beinhaltet auch Situationen, in denen die Übertragung von Vermögenswerten vorgesehen ist und bei denen es einen wesentlichen Unterschied hinsichtlich des in den beteiligten Steuergebieten für den Vermögenswert zu zahlenden Betrags gibt.

Kennzeichen nach Buchstabe D

Kennzeichen nach Buchstabe D befassen sich mit dem automatischen Informationsaustausch zu wirtschaftlichen Eigentümern. Die Modelle gemäß Buchstabe D beziehen sich vor allem auf die Anforderungen aus den OECD Common Reporting Standards (CRS), den OECD Modellregelungen zu Offenlegungspflichten und Anti-Geldwäschegesetzen (GwG).

Dabei geht es vor allem um Modelle, die zu einer Aushöhlung jeglicher Meldepflicht im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs über Finanzkontenführung führen oder sich das Fehlen derartiger Rechtsvorschriften zunutze machen. Auch sind Modelle, die mit einer intransparenten Kette an rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentümern durch die Einbeziehung von Personen, Rechtsvereinbarungen oder Strukturen einhergeht (sog. Opaque Offshore-Strukturen), meldepflichtig.

Kennzeichen nach Buchstabe E

Buchstabe E umfasst Modelle zur Verrechnungspreisgestaltung. Solche sind z. B. gegeben, wenn unilaterale Safe-Harbor-Regeln oder ein Modell mit Übertragung von schwer zu bewertenden immateriellen Werten genutzt werden. Auch umfasst Buchstabe E Modelle, bei denen gruppeninterne grenzüberschreitende Übertragungen von Funktionen und/oder Risiken und/oder Vermögenswerten stattfinden.

 Quelle: DStV, Mitteilung vom 16.03.2018