FG Berlin-Brandenburg: Wahlprüfungskosten eines Abgeordneten als Werbungskosten abzugsfähig

“Ein Abgeordneter, dem Aufwendungen für ein Wahlprüfungsverfahren entstehen, kann diese als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus der Tätigkeit als Abgeordneter in voller Höhe steuerlich geltend machen. Das geht aus einem Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Juni 2012 (Aktenzeichen 12 K 12096/09) hervor. Das zuständige Finanzamt hatte die Kosten nur teilweise anerkennen wollen, weil Abgeordnete einerseits steuerpflichtige Bezüge und andererseits eine steuerfreie Kostenpauschale für Fahrt-, Telefon-, Portokosten und ähnliche Aufwendungen erhalten. Aufwendungen, die im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, können nicht als Werbungskosten geltend gemacht werden; deshalb meinte das Finanzamt, die Aufwendungen für das Wahlprüfungsverfahren seien im Verhältnis der steuerpflichtigen Bezüge zu der steuerfreien Kostenpauschale aufzuteilen.Dem schlossen sich die Richter des Finanzgerichts nicht an, sondern stellten darauf ab, dass die Kostenpauschale nur für ganz bestimmte Aufwendungen – nämlich insbesondere Fahrt-, Telefon- und Portokosten – gezahlt wird. Derartige Kosten kann ein Abgeordneter steuerlich nur geltend machen, wenn sie die Pauschale nachweislich übersteigen. Völlig anders geartete Aufwendungen, und dazu gehören nach Auffassung des Finanzgerichts auch die Kosten eines Wahlprüfungsverfahrens, sind hingegen in voller Höhe steuerlich zu berücksichtigen.

Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt, die dort unter dem Aktenzeichen IX R 33/12 anhängig ist.”

FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 13.06.2012 – 12 K 12096/09

Presseerklärung des Gerichts: Finanzgerichts Berlin-Brandenburg

 

Abzugsfähigkeit der Kosten für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens (= Kosten der Erlangung des Abgeordnetenmandats) nach § 3c Abs. 1 EStG

 Leitsatz

1. Der vollständigen Abzugsfähigkeit der Aufwendungen eines sonstige Einkünfte erzielenden Abgeordneten für ein Wahlprüfungsverfahren als Werbungskosten steht nicht gem. § 3c Abs. 1 EStG die Vereinnahmung einer für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten gezahlten steuerfreien Kostenpauschale entgegen.

2. Auch wenn die Aufwendungen für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten nur exemplarisch benannt werden und die Aufwandspauschale für die typischerweiser mit der Wahrnehmung des Mandates im Abgeordnetenhaus verbundenen Kosten gezahlt wird, sind die mit der Erlangung des Mandats zusammenhängenden Kosten für ein Wahlprüfungsverfahren davon abzugrenzen.

3. Die Gewährung pauschaler Einnahmen, die bestimmte Aufwendungen abgelten sollen, kann nicht den Werbungskostenabzug hinsichtlich anderer, von der gewährten Pauschale nicht erfasster Aufwendungen, begrenzen.

 Gesetze

EStG § 3c Abs. 1
EStG § 9 Abs. 1 S. 1
EStG § 22 Nr. 4

 Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob Werbungskosten des Klägers teilweise einem Abzugsverbot unterfallen, weil sie mit steuerfreien Einkünften im Zusammenhang stehen.

Der Kläger erzielte im Streitjahr und dem folgenden Jahr sonstige Einkünfte als Abgeordneter. Er erhielt im Jahre 2007 eine steuerpflichtige Entschädigung in Höhe von EUR … und eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von EUR …. Der Anteil steuerfreier Einnahmen an den Gesamteinnahmen des Klägers in Höhe von EUR … betrug somit 22,77 %. Die Kostenpauschale wird nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes …für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten gezahlt.

Im Streitjahr wendete der Kläger EUR … für eine Schadensersatzklage mit dem Ziel der Erlangung eines Mandats für die … Wahlperiode des … und EUR … für die Anstrengung eines Wahlprüfungsverfahrens zwecks Erhalts eines Mandats für die … Wahlperiode auf. Der Beklagte berücksichtigte die Kosten des Schadensersatzprozesses nur teilweise und die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens zunächst überhaupt nicht als Werbungskosten. Gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid vom …. November 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom … Dezember 2007 legte der Kläger Einspruch ein, mit dem er die vollständige Anerkennung der Kosten des Schadensersatzanspruchs nicht mehr weiterverfolgte, aber die Auffassung vertrat, dass die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens als Werbungskosten anzuerkennen seien. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom … März 2009 änderte der Beklagte den angefochtenen Bescheid dahingehend, dass er die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens in Höhe von EUR … (77,23 % von EUR …) berücksichtigte. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg, weil der Beklagte meinte, die Aufwendungen des Klägers stünden anteilig, nämlich zu 22,77 %, im Zusammenhang mit der ihm steuerfrei gewährten Kostenpauschale und seien daher nach § 3c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) insoweit nicht abzugsfähig.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es an einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Kosten des Wahlprüfungsverfahrens und der steuerfreien Kostenpauschale fehle.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2006 vom … November 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom … Dezember 2007 und der Einspruchsentscheidung vom … März 2009 dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von EUR … berücksichtigt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ). Der Beklagte hat die Werbungskosten des Klägers zu Unrecht um EUR … gekürzt.

a) Bei den Aufwendungen des Klägers für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens handelt es sich, was auch der Beklagte nicht bezweifelt, um Werbungskosten des Klägers bei seinen sonstigen Einkünften.

b) Die Aufwendungen stellen sich nicht deshalb als teilweise nicht abzugsfähig dar, weil sie in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Einnahmen des Klägers stehen.

aa) Gemäß § 3c Abs. 1 EStG dürfen Ausgaben nicht als Werbungskosten abgezogen werden, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Von dem Abzugsverbot umfasst sind bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen auch vorweggenommene Werbungskosten (Erhard in Blümich, EStG , KStG , GewStG , § 3c Rn. 42; Heinicke in L. Schmidt, EStG , Kommentar, 31. Auflage 2012, § 3c Rn. 10). Das Abzugsverbot hat den Zweck, eine Doppelbegünstigung des Steuerpflichtigen dadurch, dass er steuerfreie Einnahmen erhält, aber die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben steuermindernd geltend machen kann, zu verhindern (Urteile des Bundesfinanzhofes [BFH] vom 26. März 2002 – VI R 26/00, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2002, 823, unter II.3.e)aa) der Gründe; vom 11. Februar 1993 – VI R 66/91, BStBl II 1993 , 450 ; Heinicke aaO. Rn. 1). Ein finaler Zusammenhang zwischen steuerfreier Einnahme und den Ausgaben wird nach allgemeiner Ansicht nicht gefordert, wohl aber eine eindeutig feststellbare, klar abgrenzbare Beziehung zwischen beiden (BFH in BStBl II 2002, 823, aaO.; Heinicke aaO. Rn. 2). Demzufolge muss die Ausgabe nicht getätigt werden, um die steuerfreien Einnahmen zu erlangen. Es sollen vielmehr solche Ausgaben vom Abzug ausgeschlossen werden, die nach ihrer Entstehung oder Zweckbestimmung mit den steuerfreien Einnahmen in einem unlösbaren Zusammenhang stehen, d.h. ohne diese nicht angefallen wären (BFH in BStBl II 2002, 823, aaO.).

Daraus folgt, dass pauschal gewährte steuerfreie Einnahmen jedenfalls den Abzug von Aufwendungen ausschließen, zu deren Ausgleich sie bestimmt sind (Heinicke aaO. Rn. 3). Nach Auffassung des Senats gilt aber auch umgekehrt, dass bei Gewährung pauschaler Einnahmen, die bestimmte Aufwendungen abgelten sollen, der Werbungskostenabzug hinsichtlich anderer, von der gewährten Pauschale nicht erfasster Aufwendungen, nicht begrenzt sein kann (ebenso Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG , KStG , § 3c EStG Anm. 39). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH. Danach kann einerseits ein hauptamtlicher Bürgermeister, dem eine Dienstaufwandsentschädigung zum Ausgleich bestimmter amtstypischer Aufwendungen gewährt wird, die normalen, also nicht amtstypischen Werbungskosten in voller Höhe geltend machen (BFH-Urteil vom 09. September 1989 – VI R 154/86 , BStBl II 1990, 121, unter 2. der Gründe). Andererseits sind Werbungskosten im Verhältnis der steuerfreien zu den steuerpflichtigen Einnahmen aufzuteilen, wenn der Steuerpflichtige neben seinen Dienstbezügen als Beamter eine Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet erhält, die als allgemeine Stellenzulage zu werten ist und demzufolge nicht der Abdeckung bestimmter Kosten dient (BFH in BStBl II 2002, 823). Maßgeblich ist also, ob und inwieweit durch die Erstattung Werbungskosten ausgeglichen werden sollen (BFH-Urteile vom 27. April 2006 – IV R 41/04 , BStBl II 2006, 755, unter II.2.a)aa) der Gründe; vom 27. April 1993 – IX R 26/92, BStBl II 1993, 784, unter 1.a) der Gründe).

bb) Hier wurde die steuerfreie Kostenpauschale nach dem eindeutigen Wortlaut des LAbgG zur Abgeltung von Kosten für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrtkosten geleistet. Kosten für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens fallen demzufolge nicht darunter. Dabei verkennt der Senat nicht, dass man das Gesetz durchaus so verstehen kann, dass eine abschließende Regelung nicht getroffen werden sollte, sondern exemplarisch die typischerweise mit der Wahrnehmung eines Mandates im Abgeordnetenhaus verbundenen Kosten gemeint sind. Demzufolge wird man die Ansicht vertreten können, dass auch Kosten für elektronische Einrichtungen, die ein Abgeordneter typischerweise nutzt, wie z.B. einen Internetanschluss, mobile internetfähige Geräte etc. bei verständiger Auslegung von der Abgeltungswirkung der steuerfrei gewährten Pauschale erfasst werden und nicht mehr gesondert – auch nicht teilweise – als Werbungskosten geltend gemacht werden können. Auch bei extensiver Auslegung kann man dem Gesetz aber nicht den Sinn entnehmen, dass Kosten abgegolten werden sollen, die nicht mit der Wahrnehmung, sondern mit der Erlangung des Mandats zusammenhängen.

2. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO . Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO) .